TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/11 95/01/0617

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Veröffentlicht am 11.06.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde des E in S, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Oktober 1995, Zl. 4.317.734/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Oktober 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, der am 30. Juni 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 2. Juli 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 13. August 1991, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 5. Juli 1991 angegeben, er gehöre in seiner Heimat keiner politischen oder militärischen Organisation an. Er sei Baptist. Sein Vater sei Führer der "Sekte Alakiki" gewesen. Dieser sei im Dezember 1990 von dieser Funktion zurückgetreten. Nach der Erbfolge her hätte er (der Beschwerdeführer) nun diesen Posten übernehmen müssen. Auf Grund seiner religiösen Gesinnung sei ihm das nicht möglich gewesen. Die Mitglieder dieser Sekte hätten ihm das Leben bis zu seiner Flucht schwer gemacht. Auch habe man ihn mit dem Umbringen bedroht. Im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria sei er seines Lebens nicht mehr sicher. Politisch sei er in seiner Heimat nicht verfolgt gewesen.

In seiner gegen die abweisende Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, seine Angaben seien im erstinstanzlichen Bescheid nicht vollständig wiedergegeben worden. Aus den "Eigenarten" in seinem Heimatland seien deshalb seine Fluchtgründe nicht so klar erkennbar, weshalb er diese nochmals genauer ausführen wolle. Er sei seit seinem 10. Lebensjahr Baptist. Als Kind habe es ihm gefallen, was die Priester gesagt hätten, es hätten ihm die Feste und Feiern im Dorf gefallen und daß man so schön gesungen habe. Seine Eltern hätten nichts dagegen gehabt. In seinem Heimatdorf hätten Christen und Alakikis gelebt. Das sei eine Glaubensgemeinschaft, die nicht an Gott, sondern an die Natur, besonders die Bäume, glaube. In seinem Dorf sei seine Familie die Priesterschaft. Die Führer dieser Glaubensgemeinschaft seien aus seiner Familie immer auf 10 Jahre bestellt worden. Dann habe der Führer zurücktreten müssen; um den neuen sei dann in einer großen Zeremonie gewürfelt worden. Als nun die Zeit seines Vaters vorbei gewesen sei und er habe zurücktreten müssen, seien die Würfel auf ihn, den Beschwerdeführer, gefallen. Er habe sich geweigert, das Amt anzunehmen, weil sich das mit seinem Glauben nicht habe vereinbaren lassen. Als Folge habe man ihn aus dem Ort verbannt und ihn vertrieben. Er sei nochmals zurückgekehrt, weil er nicht in Zwietracht mit seinem Dorf habe leben wollen. Sein Vater habe ihn gewarnt, daß man ihn umbringen wolle und ihm zur sofortigen Flucht geraten. Der Beschwerdeführer habe das "Gesetz der Religion" gebrochen, und dies sei besonders schwerwiegend, weil er zur Familie der Priester gehöre. Man könne sich das hier vielleicht schwer vorstellen, aber er sei auch in Port Harosoure nicht sicher gewesen und habe Drohungen bekommen, sodaß er sich zur Flucht ins Ausland entschlossen habe.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 17. Mai 1994, welcher auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/19/1154-9, infolge Anwendung einer verfassungswidrigen Norm (Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) aufgehoben wurde.

Die belangte Behörde bot dem Beschwerdeführer mittels Manuduktionsschreiben Gelegenheit, einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz, welche er im Rahmen seiner Berufung möglicherweise nicht releviert habe, zu ergänzen. Darüber hinaus hielt sie dem Beschwerdeführer vor, sie sehe es als notorische Tatsache an, daß seit 21. November 1993 in Nigeria die Verfassung von 1979 wieder in Kraft sei, in welcher auch die Glaubensfreiheit verankert sei. Der Beschwerdeführer antwortete mit seinem Schreiben vom 13. Juni 1995 und erklärte zu seinen Fluchtgründen, keine weiteren Informationen zu haben, bestritt jedoch dezidiert die Richtigkeit des ihm von der belangten Behörde im Manuduktionsschreiben gemachten Vorhaltes.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den vorliegenden (Ersatz-)bescheid. Sie ging dabei auf das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ein und resümierte, daß den Angaben des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen sei, daß er konkrete oder individuelle Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen zu gewärtigen gehabt habe bzw. für den Fall seiner Rückkehr zu gewärtigen habe, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukäme und deshalb die Asylgewährung zwingend ausgeschlossen sei. Sollte es tatsächlich zu einer Bedrohung des Beschwerdeführers durch Bewohner seines Heimatdorfes gekommen sein, könne dies nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, da dies Übergriffe von Einzelpersonen seien, die sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlung darstellten. Sollte das Leben des Beschwerdeführers tatsächlich von Sektenmitgliedern bedroht worden sein, hätte er sich unter den Schutz seines Heimatstaates stellen können, um somit den angeblichen Übergriffen der Sektenmitglieder zu entgehen. Seinen Angaben sei aber nicht zu entnehmen gewesen, daß er sich jemals an die nigerianischen Behörden gewandt habe, um Schutz vor den Übergriffen der Sektenmitglieder zu suchen. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungshandlungen seien keinesfalls einer staatlichen Behörde zurechenbar, sondern seien vielmehr als "sekteninterne Maßnahmen" zu sehen, die nicht als asylbegründende Verfolgungshandlungen zu werten seien. Darüber hinaus sei die erkennende Behörde - ohne daß dies verfahrensentscheidend gewesen sei - der Ansicht, daß er sich weiters in einen anderen Landesteil Nigerias hätte begeben können, um den angeblichen Drohungen der Sektenmitglieder zu entgehen. Nigeria habe keine Staatsreligion, weshalb Religionsfreiheit gewährt werde. Im Falle des Beschwerdeführers habe somit eine inländische Fluchtalternative bestanden. Der Beschwerdeführer habe zwar behauptet, nach Port Harosoure geflüchtet zu sein und dort ebenfalls Drohungen erhalten zu haben, doch könne "die bloße Behauptung von aus subjektiver Sicht asylbegründender Tatsachen keinesfalls als ausreichend angesehen werden. Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen asylbegründender Tatsachen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden."

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zunächst wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Begründung des angefochtenen Bescheides mit der Behauptung, dieser leide an Rechtswidrigkeit "wegen unterbliebener Beweiswürdigung", und verweist hiezu auf seine Angaben im Verwaltungsverfahren sowie auf die Bestimmungen des § 16 Abs. 1 AsylG 1991 in Verbindung mit §§ 39, 45 AVG. Er macht damit in Wahrheit Ermittlungsfehler der belangten Behörde geltend.

§ 16 Abs. 1 AsylG 1991 bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen.

Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden ist, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 AsylG 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112).

Der Beschwerdeführer hat in erster Instanz zwar vorgebracht, daß er sich geweigert habe, als Baptist Führer der Alakiki-Gemeinschaft zu werden und infolgedessen von den Mitgliedern dieser Naturreligionsgemeinschaft mit dem Tode bedroht worden zu sein. Es ist aber der belangten Behörde im Ergebnis darin zuzustimmen, daß aus diesen Angaben keine gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgungshandlungen im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) abgeleitet werden könnten, zumal diesen Angaben nicht zu entnehmen war, daß die dem Beschwerdeführer durch Mitglieder dieser Glaubensgemeinschaft allenfalls drohenden Übergriffe von staatlichen Stellen seines Heimatlandes ausgegangen oder von diesen zumindest geduldet worden wären. Lediglich in diesem Fall hätte man von einer mittelbaren staatlichen Verfolgung sprechen können. Der Beschwerdeführer hat insbesondere nicht behauptet, daß er staatliche Hilfe ohne Ergebnis in Anspruch genommen hätte, ungeachtet der Frage, ob es sich hiebei überhaupt um eine Verfolgung aus Gründen der Religion gehandelt hat. Die belangte Behörde hat daher - ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner erstinstanzlichen Vernehmung gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - diese Angaben zwar als glaubwürdig ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt, diese jedoch aus den oben aufgezeigten Gründen zutreffend als nicht geeignet erachtet, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 glaubhaft zu machen.

Anhaltspunkte dafür, daß die Ergänzung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 anzuordnen gewesen wäre, finden sich in der Berufung bzw. nach dem Akteninhalt nicht.

Insoweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde in der Beschwerde den Vorwurf macht, ohne Begründung zur Feststellung gelangt zu sein, sein Vorbringen sei "zu abstrakt", ist darauf zu verweisen, daß ein solcher Passus dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist. Dieser Vorwurf geht daher ins Leere.

Insgesamt kann der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei keiner mittelbaren staatlichen Verfolgung unterlegen, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis brauchte auch auf die von der belangten Behörde - von ihr selbst als nicht verfahrensentscheidend apostrophiert - zur Begründung herangezogene inländische Fluchtalternative und die vom Beschwerdeführer hiegegen gemachten Ausführungen nicht eingegangen zu werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010617.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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