Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde des C in R, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. November 1995, Zl. 4.347.654/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid vom 16. November 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen Liberias, der am 12. September 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 3. Oktober 1995 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Oktober 1995, mit dem dieser Antrag abgewiesen worden war, ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Anläßlich seiner im fremdenpolizeilichen Verfahren vor der Bezirkshauptmannschaft Ried erfolgten niederschriftlichen Befragung am 3. Oktober 1995 gab der Beschwerdeführer an, er sei liberianischer Staatsangehöriger. Sein Vater sei mit dem früheren Präsidenten Samuel K. Doe gut befreundet gewesen. Nach dessen Sturz seien seine Eltern inhaftiert und anschließend hingerichtet worden. In diesem Zusammenhang sei auch er zweieinhalb Jahre in Monrovia in Gefangenschaft gehalten worden. Nur einmal im Monat habe er das Gefängnis für jeweils einen Tag verlassen dürfen. Einen solchen Tag habe er dann schließlich vor "gut einem Monat" dazu benutzt, um unter Zuhilfenahme eines ihm unbekannten Schleppers, welcher von einem Freund seines verstorbenen Vaters bezahlt worden sei, per Schiff nach Westeuropa zu fliehen. Nach der weiteren Schilderung seines Fluchtweges betonte der Beschwerdeführer, bei seiner Rückkehr nach Liberia müsse er mit seiner Hinrichtung rechnen.
Anläßlich seiner im Asylverfahren am 25. Oktober 1995 erfolgten niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt wiederholte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen, sein Vater sei ein Freund des früheren liberianischen Präsidenten Samuel Doe gewesen. Als dieser getötet worden sei, habe sich sein Vater in dem Haus des ehemaligen Präsidenten befunden. Man habe ihn daraufhin mitgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Auch seine Mutter sei festgenommen worden. Ende 1992 habe man in dem Haus des Beschwerdeführers eine Hausdurchsuchung gemacht und dabei Waffen gefunden. Ab diesem Zeitpunkt sei auch er festgenommen worden und habe erst im August 1995 aus dem Gefängnis fliehen können. Er sei von den Truppen des Prince Johnson für zweieinhalb Jahre eingesperrt gewesen. Die Flucht sei ihm gelungen, als er während eines Einkaufes - im Gefängnis habe es keine Kantine gegeben - eine Toilette aufgesucht habe und durch das Fenster habe fliehen können. Dies habe sich auf dem Markt von Monrovia ereignet. Er habe sich daraufhin zu einem Freund seines Vaters begeben, dieser habe ihm zur Flucht verholfen. Sein Vater und seine Mutter seien getötet worden, der Freund seines Vaters befinde sich nach wie vor in Monrovia. Als er diesem seine Probleme geschildert habe, habe dieser für ihn die Überfahrt organisiert und ihm auch ein Taschengeld gegeben.
Das Bundesasylamt begründete seine abweisliche Entscheidung im wesentlichen damit, die Angaben des Beschwerdeführers seien zur Gänze in der in seiner Heimat vorherrschenden Bürgerkriegssituation zu suchen. Die Bürgerkriegssituation im Heimatstaat indiziere für sich allein noch nicht die Flüchtlingseigenschaft. Das Asylrecht habe nicht zur Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution und sonstigen Unruhen hervorgingen. Wesentlich für den Flüchtlingsbegriff sei die Furcht vor einer gegen den Asylwerber selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht die Tatsache, daß es Kämpfe zwischen der Gruppe, welcher der Asylwerber angehöre, und anderen Gruppen im Heimatstaat gebe. Auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheit gebe als solche noch keinen Grund für die Gewährung von Asyl. Auf Grund des vom Beschwerdeführer dargelegten Sachverhaltes sei in Anwendung dieser Entscheidungsgrundlagen eine Gewährung von Asyl ausgeschlossen. Die von ihm behauptete Inhaftierung sei nicht von seinem Heimatstaat initiiert, sondern sei von einer Bürgerkriegspartei, nämlich den Truppen des Prince Johnson, also der INPFL, deren Wirkungsbereich sich auf die Außenbezirke Monrovias beschränke, durchgeführt worden. Der Beschwerdeführer hätte vielmehr die Möglichkeit gehabt, sich unter den Schutz der Interimsregierung bzw. deren Truppen zu stellen, deren Einflußbereich sich auf Monrovia und Umgebung erstrecke. Im übrigen nahm das Bundesasylamt den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 als gegeben an, da der Beschwerdeführer infolge seiner Einreise über Italien, also einen sicheren Drittstaat, bereits dort Verfolgungssicherheit erlangt habe.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid bekräftigte der Beschwerdeführer seine in erster Instanz gemachten Angaben, bestritt insbesondere das Vorliegen von Verfolgungssicherheit in Italien und ergänzte zu seinen Fluchtgründen, daß die Tötung und willkürliche Verhaftung von Menschen in seiner Heimat erklärtes Ziel, Absicht und Mittel der Auseinandersetzungen der Streitparteien sei und nicht nur deren bloße ungewollte oder nur als unvermeidlich in Kauf zu nehmende Folge. Die Gefährdung der Menschen sei auch konkret und intensiv. Deshalb habe er seine Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung auf Grund seiner - vermuteten - politischen Gesinnung und auf Grund seiner bereits widerfahrenen Inhaftierung verlassen.
Die belangte Behörde begründete die Abweisung der Berufung nach Darlegung des bisherigen Verfahrensganges und Zusammenfassung der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage im wesentlichen dahingehend, ausgehend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - eine der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 leg. cit. erachtete die belangte Behörde als nicht vorliegend - könne lediglich festgestellt werden, daß der Beschwerdeführer von deutschen Grenzkontrollbeamten beim Versuch, die österreichisch-deutsche Grenze mit dem Zug illegal unter Verwendung eines verfälschten französischen Ausweises zu überschreiten, betreten und in der Folge den österreichischen Behörden rücküberstellt worden sei. Nicht hätten aber die übrigen, von ihm anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme zu Protokoll gegebenen Umstände, einschließlich des Fluchtweges, festgestellt werden können, da seinem diesbezüglichen Vorbringen jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müsse. Dieses sei weder genügend substantiiert noch seien die Darstellungen bei den niederschriftlichen Vernehmungen vom 3. und vom 25. Oktober 1995 identisch. Er sei auch nicht in der Lage gewesen, die von ihm behaupteten Vorfälle zeitlich einzuordnen. Derart für das Schicksal eines Landes und insbesondere der eigenen Familie bedeutsame Ereignisse würden sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung unauslöschlich in das Gedächtnis eines davon besonders intensiv Betroffenen einbrennen. Der Beschwerdeführer hingegen sei lediglich in der Lage gewesen, den Namen des früheren liberianischen Präsidenten zu nennen. Es sei ihm auch bekannt gewesen, daß dieser getötet worden sei. Der Beschwerdeführer habe aber weder den Zeitpunkt dieser Untat noch die Täter nennen können. Genausowenig habe er den Zeitpunkt der Inhaftierung und der Hinrichtung seiner Eltern dartun können. Auch den Zeitpunkt der eigenen Inhaftierung habe er nicht konkret anführen können. Es sei ihm überhaupt nicht möglich gewesen, ausführlich, konkret und detailliert über die von ihm behauptete, zweieinhalb Jahre andauernde Haft zu berichten. Er habe auch nicht den Zeitpunkt seiner Flucht aus dem Gefängnis sowie den seiner Ausreise aus Liberia nennen können. Derart vage formulierte Fluchtgründe erfüllten den Anspruch der Glaubhaftmachung nicht. Es sei dem Beschwerdeführer auch nicht im entferntesten möglich gewesen, die politischen Zustände in seinem Heimatland in irgendeiner Form näher darzustellen, er habe sein Vorbringen lediglich auf einige wenige notorische Umstände reduziert, sodaß - auch im Zusammenhang mit jeglichem Fehlen eines Nachweises seiner Identität und Nationalität - seinen Angaben die Glaubwürdigkeit nicht zukomme. Auch in der Darstellung - oder vielmehr Nichtdarstellung - seines Reiseweges setze sich die Nichtglaubhaftigkeit seines Vorbringens fort. Er habe weder Angaben über das von ihm benützte Schiff noch die Reiseroute machen können. Er sei nicht bereit gewesen, seiner Verpflichtung, am Verfahren mitzuwirken, nachzukommen, sondern habe der Behörde "quasi Brosamen" vorgeworfen, die "nicht einmal den Minimalanforderungen an ein nachvollziehbares umso weniger substantiiertes Vorbringen zu genügen vermögen". Auf den von der Erstbehörde herangezogenen Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 ging die belangte Behörde nicht mehr ein.
Der Beschwerdeführer erachtet sich im wesentlichen dadurch in seinen Rechten verletzt, daß die belangte Behörde ihm jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen habe. Wie sie zu diesem Ergebnis gelange, sei jedoch unverständlich. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, daß er durch seine lange Haftdauer und die damit verbundene psychische Beeinträchtigung schwerste Traumatisierungen erlitten habe. Bei seiner Einvernahme hätte man wesentlich mehr Geduld aufbringen müssen, statt ihn unter Druck zu setzen und immer wieder auf die Wahrheitspflicht aufmerksam zu machen. Dadurch, daß die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren mangels entsprechender Fragestellung nicht ausreichend geführt habe, habe sie den Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belastet. Im Ergebnis zutreffend rügt der Beschwerdeführer damit die von der belangten Behörde herangezogene Argumentation zur Verneinung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers.
Der Verwaltungsgerichtshof kann die Beweiswürdigung der Berufungsbehörde als Denkprozeß nur überprüfen, soweit es sich um die Schlüssigkeit des Denkvorganges als solchen bzw. darum handelt, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Wenn die belangte Behörde - anders als die Behörde erster Instanz - dem Beschwerdeführer unterstellt, er habe detailliertere Angaben über seine Haft bzw. über das Schicksal seiner Eltern nicht machen KÖNNEN, ist darauf zu verweisen, daß sich dem Akteninhalt, insbesondere dem Protokoll über die Vernehmung des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt, nicht entnehmen läßt, daß dieser über von der Behörde als notwendig erachtete Details befragt worden und die Antwort schuldig geblieben wäre. Es war auch nicht die Behörde erster Instanz, die die Angaben des Beschwerdeführers für "nicht genügend substantiiert" oder widersprüchlich angesehen hat, begründete diese die Abweisung des Asylantrages unter Zugrundelegung dieser - damit grundsätzlich als glaubwürdig erachteten - Angaben des Beschwerdeführers doch ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen. Wäre nun die belangte Behörde der Ansicht gewesen, die Sachverhaltsgrundlage, auf der sie ihre Sachentscheidung im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG zu treffen hatte, sei unzureichend, hätte sie im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz anzuordnen gehabt. Dadurch, daß die belangte Behörde ohne entsprechendes Ermittlungsverfahren davon ausging, der Beschwerdeführer habe die von ihr als notwendig erachteten Detailangaben nicht machen KÖNNEN, belastete sie ihren Bescheid mit Ermittlungs- und Begründungsfehlern. Die belangte Behörde zeigt auch nicht auf, worin sie konkret Divergenzen in den Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Vernehmungen am 3. Oktober 1995 und am 25. Oktober 1995 gesehen hat. Des weiteren erscheint es unschlüssig, die Unglaubwürdigkeit der Darstellung des Beschwerdeführers aus dem Umstand abzuleiten, daß er weder den genauen Zeitpunkt NOCH DIE TÄTER der Ermordnung Samuels Does habe angeben können.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 41671994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010664.X00Im RIS seit
20.11.2000