Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Kinder 1) Aleksandar N*****, geboren ***** 2006, 2) Desanka N*****, geboren ***** 2007, 3) Mihailo N*****, geboren ***** 2009, 4) Antonio N*****, geboren ***** 2011, 5) Zivorad N*****, geboren ***** 2015 und 6) Gabriela N*****, geboren ***** 2016, über die Anzeige eines Zuständigkeitsstreits zwischen den Bezirksgerichten Freistadt (AZ 1 Ps 234/20m) und Hernals (AZ 30 Ps 142/15y) nach § 47 JN, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Zur Fortführung des Pflegschaftsverfahrens ist das Bezirksgericht Freistadt zuständig.
Der Beschluss des Bezirksgerichts Freistadt vom 21. Oktober 2020, GZ 1 Ps 234/20m-60, wird aufgehoben.
Text
Begründung:
[1] Der Kinder- und Jugendhilfeträger beantragte im Juli 2020 pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen betreffend die sechs Kinder (ON 52).
[2] Das Bezirksgericht Hernals übertrug mit Beschluss vom 11. August 2020, GZ 30 Ps 142/15y-55, die Zuständigkeit gemäß § 44 JN an das Bezirksgericht Freistadt, in dessen Sprengel die Familie seit der Delogierung aus der Wiener Wohnung im Juli 2019 gemeldet sei (auch wenn der aktuelle Aufenthaltsort der Familie nicht bekannt sei).
[3] Das Bezirksgericht Freistadt erklärte sich mit Beschluss vom 21. Oktober 2020 (ON 60) für örtlich unzuständig (Punkt 1.) und wies den Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers zurück (Punkt 2.). Der Aufenthaltsort der Familie sei unbekannt, sie sei vermutlich in Serbien oder in der Schweiz. Kein Familienmitglied sei derzeit in Österreich gemeldet. Ein Vorgehen nach §§ 44 oder 111 JN scheide aus.
[4] Nach Rechtskraft dieser beiden – gleichzeitig an die Parteien zugestellten – Beschlüsse legte das Bezirksgericht Freistadt den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 47 JN zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit mit dem Bezirksgericht Hernals vor.
Rechtliche Beurteilung
[5] Dazu wurde erwogen:
[6] 1. Bei der Entscheidung über negative Kompetenzkonflikte ist auf eine allfällige Bindungswirkung des ersten Beschlusses Bedacht zu nehmen. Um Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (RIS-Justiz RS0046391; 3 Nc 6/19a). Das Adressatgericht kann daher nicht seine Unzuständigkeit mit der Begründung aussprechen, das überweisende Gericht sei zuständig (RS0046315 [T2, T3], RS0081664 [T3]).
[7] 2. Diese Bindungswirkung des Überweisungsbeschlusses ist bei der Entscheidung nach § 47 JN auch dann zu berücksichtigen, wenn – wie hier – der Unzuständigkeitsbeschluss des Gerichts, an das die Sache überwiesen wurde, noch vor Eintritt der Rechtskraft des Überweisungsbeschlusses gefasst wurde (RS0002439 [T5]).
[8] 3. Die Entscheidung des Bezirksgerichts Freistadt missachtet diese Bindungswirkung. Sein Beschluss, mit dem es sich für örtlich unzuständig erklärte und deshalb den Antrag zurückwies, ist – ohne auf die Frage seiner Richtigkeit einzugehen (RS0002439 [T2, T9]) – aufzuheben.
Textnummer
E130392European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0100NC00027.20G.1215.000Im RIS seit
06.02.2021Zuletzt aktualisiert am
06.02.2021