TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/11 95/01/0618

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.1997
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde des S in H, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Oktober 1995, Zl. 4.317.678/17-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Oktober 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen Nigerias, der am 22. Mai 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 24. Mai 1991 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 26. Juni 1991, mit dem festgestellt worden war, daß er die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Befragung am 24. Juni 1991 zu seinen Fluchtgründen befragt angegeben, er gehöre keiner politischen Partei oder Bewegung in Nigeria an. Er habe jedoch der CAN-Bewegung (Christian Association of Nigeria) angehört, der er im Jahr 1989 beigetreten sei. Er sei in einer religiösen Familie aufgewachsen und auch streng katholisch erzogen worden. Er habe somit einer religiösen Minderheit angehört und sei von der Mehrheit der Moslems diskriminiert und schikaniert worden. Im Juni 1990 habe er in Kano in Kanuri-Village eine religiöse Ansprache vor ca. 660 Katholiken auf dem Universitätsgelände gehalten. Diese religiöse Versammlung sei von einer Gruppe Moslems gestürmt worden, woraufhin die Polizei eingeschritten sei. Die Polizei habe danach ca. 100 Studenten festgenommen. Er selbst und vier weitere Führer der CAN-Bewegung seien zwei Monate in Haft gehalten worden, während die restlichen Studenten bereits nach drei Tagen Haft entlassen worden seien. Während der Haft in Kanuri hätten sie nur sehr wenig zu essen bekommen, seien jedoch weder verhört noch mißhandlt worden. Von Dezember 1990 bis März 1991 sei es in den Städten Bauchi und Kastina zu mehreren religiösen Kämpfen zwischen Katholiken und Moslems gekommen. Er habe über diese Kämpfe Berichte verfaßt und diese der Zeitung "X" übergeben. Diese Berichte seien am 4. Jänner 1991 unter seinem Namen erschienen. Aus Angst vor Repressalien der Moslems und der Polizei wegen des in der Presse erschienenen Zeitungsartikels habe er sich spontan zur Flucht entschlossen.

Die Behörde erster Instanz erachtete die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nicht als vorliegend, ohne jedoch auf die von ihm angegebenen Fluchtgründe im einzelnen einzugehen. In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer Verfahrens- und Begründungsmängel geltend, bekräftigte seine erstinstanzlichen Angaben und ergänzte diese dahingehend, infolge der religiösen Vorschriften der Moslems sei zwar der Handel mit Schweinefleisch bei extrem schweren Strafen verboten, "naturgemäß" existiere jedoch ein Schwarzmarkt dafür. Dies sei Inhalt seines, an die Zeitung "X" weitergeleiteten Artikels gewesen. Seine Enthaftung sei lediglich durch das Einschreiten eines örtlichen Rechtsanwaltes erreicht worden. Bereits ein Jahr zuvor sei einer seiner Brüder bei einer derartigen Polizeihaft erschossen worden. Der Beschwerdeführer habe bis zu seiner Flucht als Student in Kano, einer Stadt im Norden Nigerias, im direkten Herrschaftsbereich der Haussas gewohnt. Infolge der Dominanz der Haussas in den staatlichen Polizeikräften sei jedoch als gesichert anzunehmen, daß ihm im gesamten Staatsgebiet von Nigeria Verhaftung drohe. In Nigeria komme es immer wieder zu Übergriffen der Polizei, insbesondere auch gegen Journalisten, diese würden ohne richterlichen Befehl verhaftet und gefoltert. Es komme auch immer wieder zu Todesfällen während der Polizeihaft. Mit einer Berufungsergänzung vom 16. Jänner 1992 stellte der Beschwerdeführer einige Details seiner Angaben richtig und legte diverse Urkunden (eidesstattliche Erklärung des Vaters des Beschwerdeführers, Bestätigung des Präsidenten von CAN-Nigeria, eidesstattliche Erklärung des Bruders des Beschwerdeführers sowie eine Public-Notice der nigerianischen Polizei) vor.

Gegen den Bescheid vom 24. Oktober 1995 richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage, ausgehend vom Ermittlungsergebnis des Verfahrens

1. Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991, begründend ausgeführt, das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die Einvernahme des Beschwerdeführers, habe nicht ergeben, daß er Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Den Konflikten in Nigeria lägen in der Regel Unterschiede ethnischer Natur zugrunde, welche mit der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften verknüpft seien. Soweit der Beschwerdeführer die von ihm angenommene Gefahr einer religiösen Verfolgung damit begründe, er gehöre der Religionsgemeinschaft der Christen bzw. der CAN-Bewegung an, bilde dies nach Ansicht der belangten Behörde keinen Umstand, der einen Asylanspruch begründen könne, zumal Nigeria keine Staatsreligion habe und die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit in der Verfassung geschützt würden. Zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Haft führte die belangte Behörde aus, es ergäbe sich aus seinen Angaben nicht, daß das Einschreiten der Polizei aus einem der im § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründe geschehen sei, sondern wegen des Verdachtes, sich in strafrechtlich relevanter Form an Ausschreitungen beteiligt zu haben. Ein derartiges staatliches Einschreiten sei auch dann asylrechtlich irrelevant, wenn sich letztlich der Verdacht als falsch erweisen sollte. Es sei dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen, sich in seinem Heimatstaat einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu stellen, so wie es jedem anderen Bürger in seinem Heimatstaat auch zumutbar sei. Die Polizei in Nigeria greife ebenso wie in anderen Staaten auch nur dann ein, wenn es aus bestimmten Anläßen zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen rivalisierender Gruppen oder zu sonstigen Ausschreitungen komme. Daraus folge, daß die von ihm geschilderten Polizeimaßnahmen nicht gegen die religiöse oder politische Überzeugung der gegeneinander kämpfenden Bürger gerichtet gewesen seien. Vielmehr schreite die Polizei ohne Ansehen der Person und deren religiösen und politischen Einstellung deshalb ein, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Sollte es tatsächlich zur Bedrohung durch Angehörige des islamischen Glaubens gekommen sein, könne dies nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, weil dies Übergriffe von Einzelpersonen seien, die sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlung darstellten. Die Furcht des Beschwerdeführers vor zu erwartenden Repressalien sei bloß eine subjektive Vermutung, die aus objektiver Sicht gesehen nicht für die Glaubhaftmachung oder Annahme einer wohlbegründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung ausreiche. Insoweit sich der Beschwerdeführer auf allgemeine Berichte über sein Heimatland berufen habe, könnten diese zur Anerkennung als Flüchtling nicht führen, da derartige allgemeine Berichte lediglich allgemeine Situationen widerspiegeln könnten, jedoch in keiner Weise auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers eingingen und somit für die Feststellung einer konkreten, gegen diesen persönlich gerichteten Verfolgung nicht genügten. Auch die weiteren vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden erschienen der belangten Behörde als nicht geeignet, eine tatsächlich erfolgte asylrelevante Verfolgung nachzuweisen.

Nach Wiederholung des sich aus den Angaben des Beschwerdeführers ergebenden Sachverhaltes und Zitierung der zur Flüchtlingseigenschaft ergangenen grundsätzlichen Rechtsprechung führt die Beschwerde aus:

"Völlig unzutreffend führt die belangte Behörde in diesem Zusammenhang jedoch aus, daß die Verfolgungsgefahr aktuell sein muß, was nach Ansicht der belangten Behörde bedeutet, daß er zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muß. In diesem Zusammenhang muß ausgeführt werden, daß die Erstbehörde im bekämpften Bescheid davon ausgegangen ist, daß zum Zeitpunkt der Flucht aus dem Heimatstaat des Beschwerdeführers die Voraussetzungen des Flüchtlingsbegriffes gegeben waren. Die belangte Behörde geht nunmehr davon aus, daß die Voraussetzungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr gegeben sind. Eine entsprechende Begründung hiefür wird allerdings nicht ausgeführt. Nachdem jedoch davon auszugehen ist, daß sich die Verhältnisse im Heimatstaat des Beschwerdeführers seit dem Jahr 1991 nicht mehr geändert haben und nach wie vor die damalige Situation als akut zu betrachten ist, ist davon auszugehen, daß die Verhältnisse genau so derzeit bestehen wie sie im Jahre 1991 bestanden haben. Aus diesem Grund muß auch die Flüchtlingseigenschaft jetzt im Jahr 1995 bestehen. Die belangte Behörde hat zumindest in keiner Form dargelegt, daß die Voraussetzungen über die Flüchtlingseigenschaft im Jahr 1991 begründet haben, nun nicht mehr vorliegen. Sie stützt sich einzig darauf, daß die Verfolgungsgefahr aktuell sein muß.

Ungeachtet dessen steht fest, daß der Beschwerdeführer wegen seiner Religionszugehörigkeit verfolgt wird. Aufgrund des Asylgesetzes ist derjenige als Flüchtling zu betrachten, der unter anderem aufgrund seiner Religionszugehörigkeit verfolgt wird. Gemäß § 3 des Asylgesetzes ist die Asylbehörde verpflichtet, einem Asylantrag stattzugeben, wenn der Asylwerber Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes ist. Nachdem beim Beschwerdeführer die Verfolgung einzig und allein auf die religiösen Gründe zurückzuführen ist, ist der Flüchtlingsbegriff des Asylgesetzes auf den Beschwerdeführer anzuwenden und hat die Asylbehörde aufgrund dessen dem Asylantrag des Beschwerdeführers daher mit Bescheid stattzugeben."

Daraus erhellt, daß der Beschwerdeführer offenbar dem Irrtum unterliegt, tragende Begründung des angefochtenen Bescheides sei der Umstand, daß die von ihm behauptete Verfolgungsgefahr zwar im Jahr 1991, nicht aber "zum jetzigen Zeitpunkt" vorgelegen sei. Dies ist unzutreffend, da die belangte Behörde ihren Bescheid mit anderen Argumenten begründete. Daß die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr im Jahr 1991 begründet gewesen, jedoch jetzt nicht mehr "aktuell" sei, war keines der Begründungselemente des angefochtenen Bescheides. Im übrigen wiederholt die Beschwerde lediglich, der Beschwerdeführer sei wegen seiner Religionszugehörigkeit verfolgt worden. Argumente, die die rechtliche Beurteilung der belangten behörde als unzutreffend oder zumindest zweifelhaft erscheinen ließen, bringt der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht vor. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen hat, reicht ein bloßer Verweis auf die allgemeinen Verhältnisse im Heimatland eines Asylwerbers für die Glaubhaftmachung von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht aus, wenn nicht vor diesem Hintergrund eine konkrete (den Asylwerber selbst betreffende) Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht wird. Als fluchtauslösendes Moment hat der Beschwerdeführer angegeben, daß sein Artikel am 4. Jänner 1991 unter seinem Namen in der Zeitung "X" erschienen sei und er Angst vor Repressalien seitens der Moslems und der Polizei gehabt und sich spontan zur Flucht entschlossen habe. Der belangten Behörde kann aber nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie diesen Umstand in Ermangelung einer weiteren erkennbaren Verfolgungsmotivation seines Heimatstaates als bloße Vermutung und subjektives Furchtempfinden qualifiziert hat, läßt sich doch den Angaben des Beschwerdeführers nicht entnehmen, daß ihm tatsächlich aufgrund dieses Artikels landesweite Verfolgung gedroht hätte. WOHLBEGRÜNDETE Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention liegt erst vor, wenn OBJEKTIVERWEISE eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, Verfolgung zu fürchten. Lediglich subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung reicht für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht aus. Anhaltspunkte dafür, daß eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens

1. Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 anzuordnen gewesen wäre, lassen sich weder der Berufung noch dem übrigen Akteninhalt entnehmen. Ausgehend von der Darstellung der die Flucht des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland auslösenden Ereignisse erweist sich daher die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, damit sei die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht ausreichend dargetan worden, als nicht rechtswidrig. Aus diesem Grunde war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010618.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten