TE Bvwg Beschluss 2020/10/14 L502 2235235-1

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Veröffentlicht am 14.10.2020
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Entscheidungsdatum

14.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L502 2235235-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RAin XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.08.2020, FZ. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 27.02.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag erfolgte seine Erstbefragung, in deren Gefolge sein Asylverfahren zugelassen wurde.

3. Mit Verständigung durch die Staatsanwaltschaft XXXX wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) von der Anklageerhebung gegen den BF in Kenntnis gesetzt.

4. Am 22.06.2020 wurde er vom BFA zu seinem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge der Einvernahme brachte er mehrere Beweismittel in Vorlage, die in Kopie zum Akt genommen wurden. Darunter befanden sich auch Unterlagen betreffend ein gegen ihn in der Türkei geführtes strafgerichtliches Verfahren in türkischer Sprache, welche das BFA jedoch keiner Übersetzung zuführte.

Ihm wurden auch die Länderinformationen des BFA zum Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme dazu eingeräumt.

5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 26.08.2020 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI).

6. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 28.08.2020 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

7. Gegen den am 01.09.2020 persönlich zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 05.09.2020 binnen offener Frist Beschwerde in vollem Umfang erhoben.

8. Mit 21.09.2020 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.

9. Das BVwG erstellte Auszüge aus dem Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister, dem Melde- sowie dem Strafregister.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang steht fest.

Der BF ist türkischer Staatsangehöriger, der vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat dort einem Strafverfahren unterworfen war. Nicht feststellbar war, auf der Grundlage welcher Straftatbestände er im Genaueren der Strafverfolgung unterworfen war und welchen, allenfalls rechtskräftigen, Ausgang diese genommen hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gegenständlichen Verfahrensakt.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht im Lichte des vorliegenden Akteninhalts als unstrittig fest.

2.3. In seiner Erstbefragung führte der BF aus, dass er wegen des Putschversuchs vom 15.07.2016 als Terrorist abgestempelt worden sei, obwohl er damit nichts zu tun habe. Er sei in der Türkei für neun Monate inhaftiert gewesen und währenddessen sei ein Verfahren gegen ihn gelaufen. Er sei noch, bevor das Urteil, mit dem er zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden sei, rechtskräftig wurde, aus der Haft entlassen worden.

In seiner Einvernahme gab er an, dass die Akademie, an welcher er studiert habe, am 31.07.2016 nach dem Putschversuch geschlossen worden sei und alle Studenten dort als Verräter angesehen worden seien. Am 03.05.2018 habe er festgestellt, dass die Polizei in XXXX nach ihm suche. Er habe sich selbst gestellt und sei im Gefolge dessen zunächst für fünf Tage polizeilich sowie danach für neun Monate in Untersuchungshaft angehalten worden. Während seiner Anhaltung in Haft sei es zu keinen körperlichen Übergriffen oder psychischer Gewalt gekommen, er sei jedoch in einem für drei bis vier Leute ausgelegten Raum mit sechzehn anderen Insassen untergebracht worden. Am 12.02.2019 sei er im Zuge der letzten Gerichtsverhandlung zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden, jedoch, unter der Auflage die Türkei nicht zu verlassen, freigelassen worden. Anfang Jänner 2020 habe er erfahren, dass er von der Polizei beobachtet werde. Eines Abends etwa habe sich in XXXX ein Fahrzeug vor ihn gestellt und es sei zu einer Kontrolle seines Personalausweises gekommen. Etwa drei Wochen später sei er geflohen.

Ausgehend davon gelangte die belangte Behörde zur Feststellung, dass der BF eine konkrete, individuelle und aktuelle Verfolgungsgefahr aus Gründen der GFK nicht glaubhaft machen konnte. Auch eine Bedrohung aus sonstigen Gründen habe er nicht glaubhaft machen können.

2.4. Dieser Feststellung des BFA konnte sich das BVwG aufgrund folgender Erwägungen jedoch nicht anschließen:

Zum vom BF angegebenen und durch die Vorlage mehrerer Unterlagen nachgewiesenen Strafverfahren bzw. zu seiner Verurteilung fanden sich zwar keine Feststellungen im angefochtenen Bescheid, nichtsdestotrotz hielt das BFA in seiner Beweiswürdigung fest, dass der BF durch seine Ausreise sein „rechtsstaatliches Verfahren“ in der Türkei nicht abgewartet habe.

Wenngleich das BFA die Feststellung der Rechtsstaatlichkeit des gegen den BF geführten Strafverfahrens im Wesentlichen mit dessen Angaben in seiner Einvernahme begründete, denen zufolge er rechtsanwaltlich vertreten worden sei, er sein Recht auf Parteigehör wahren habe können und sein Anwalt auch Zugang zu den Gerichtsakten gehabt habe, sowie damit, dass sein Verhalten, nämlich, dass er seinen Herkunftsstaat nicht sogleich nach seiner Freilassung verließ, gegen eine „politische oder anderweitig unsachlich motivierte Verfahrensführung“ sprechen würde, erhellte für das erkennende Gericht jedoch nicht, wie es zu diesen Aussagen ohne eine Übersetzung der vom BF als Beweismittel vorgelegten Unterlagen betreffend das gegen ihn geführte Verfahren gelangen konnte.

Aus Sicht des erkennenden Gerichts setzt die Beurteilung der Rechtsstaatlichkeit bzw. insbesondere des Umstandes, ob das gegen ihn geführte Strafverfahren „politisch oder anderweitig unsachlich“ motiviert war bzw. ist, jedenfalls voraus, dass sich das BFA konkret mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen sowie letztlich mit der Begründung des türkischen strafgerichtlichen Urteils auseinandersetzt.

Ebendies unterließ die belangte Behörde jedoch gänzlich, weshalb es die vom BF vorgelegten Unterlagen, insbesondere das Festnahmeprotokoll, die Resultate der Telefonüberwachung, die zur Festnahme führten, das Verhandlungsprotokoll, dass zur Festnahme führte, die Anklageschrift, die Prüfung der Untersuchungshaft sowie das Gerichtsurteil im fortgesetzten Verfahren jedenfalls einer Übersetzung in die deutsche Sprache zuzuführen hat.

Angesichts der bisher mangelnden Auseinandersetzung der belangten Behörde mit den vom BF vorgelegten Unterlagen stellt sich die Schlussfolgerung des BFA, dass er ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren durchlaufen habe, dem keine Willkür innewohne, als bloße Mutmaßung dar.

In Ermangelung einer Übersetzung der vorgelegten Beweismittel im Vorfeld der Erlassung des angefochtenen Bescheides war nicht erkennbar, welches konkrete Fehlverhalten dem BF in seinem Strafverfahren vorgeworfen worden war. In dieser Hinsicht ist jedoch zu beachten, dass der BF hinter seiner Verurteilung sein Studium an der XXXX , welches in Anbetracht der von ihm vorgelegten Studiennachweise und Abschlussdiplome als glaubhaft erscheint, und die ihm deshalb unterstellte oppositionelle Gesinnung infolge des gescheiterten Putschversuchs vom 15.07.2016 vermutet.

Sollten die ergänzenden Ermittlungsschritte des BFA, konkret die Übersetzung der türkischen Gerichtsunterlagen, das Vorbringen des BF stützen und seine Strafverfolgung tatsächlich mit seinem Studium an der XXXX zusammenhängen, so hätte sich das BFA jedenfalls näher damit auseinanderzusetzen, ob die von ihm genannte Einrichtung bzw. deren Studenten seitens der türkischen Behörden tatsächlich mit dem Putschversuch und folglich der Gülen-Bewegung assoziiert wurden bzw. werden. Hierfür stünde es der belangten Behörde auch offen eine entsprechende Anfrage an die Staatendokumentation zu richten.

Ausgehend vom Ergebnis dieser Ermittlungen hat sich die belangte Behörde auch näher mit ihren bereits im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen zur Lage und insbesondere der strafgerichtlichen Verfolgung potentieller Gülen-Anhänger auseinanderzusetzen, umso mehr als gegen den BF bereits ein Strafverfahren anhängig ist.

Schließlich hat die belangte Behörde – sofern die ergänzenden Ermittlungen den Schluss nahe legen, dass der BF tatsächlich mit der Gülen-Bewegung in Verbindung steht bzw. ihm dies seitens der türkischen Strafverfolgungsbehörden zumindest unterstellt wird – zu eruieren, ob der Umstand, dass der BF während des anhängigen Strafverfahrens und trotz des von ihm ins Treffen geführten Ausreiseverbots ausgereist ist, nicht den Verdacht der türkischen Behörden, dass er sich im Rahmen der sog. Gülen-Bewegung engagierte, erhärtet und dies Auswirkungen auf das anhängige Strafverfahren haben könnte. Insoweit ist es jedenfalls nicht ausreichend, wenn sich die belangte Behörde – wie im angefochtenen Bescheid geschehen – darauf beruft, dass der Bruder des BF ebenfalls strafgerichtlich verurteilt, dessen Verfahren jedoch eingestellt worden sei, zumal es auf die individuelle Situation des BF ankommt.

Auch blieb unklar, ob das erstinstanzliche Urteil des BF inzwischen in Rechtskraft erwuchs oder nicht, zumal sich seine diesbezüglichen Angaben in der Erstbefragung und seiner Einvernahme vor dem BFA als uneinheitlich darstellten. Hierzu kann die belangte Behörde den BF im Rahmen seiner Mitwirkungsverpflichtung zur Vorlage eines türkischen Strafregisterauszuges auffordern.

Selbst wenn die Nachholung der erforderlichen Ermittlungsschritte ergibt, dass im Strafverfahren des BF in der Türkei die wesentlichen Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, ist die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht daran zu erinnern, dass zwar im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn zu erblicken ist, allerdings auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen "Verfolgung" im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein kann, etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/01/0126).

2.5. Im Lichte der bisherigen Ermittlungsergebnisse war sohin nicht feststellbar, ob der BF tatsächlich wegen seiner ehemaligen Studienzeit an der XXXX bzw. einer ihm allenfalls unterstellten Mitgliedschaft bei der Gülen-Bewegung verurteilt wurde. Ausgehend davon konnte das BFA jedoch nicht zur Feststellung gelangen, dass eine konkrete, individuelle und aktuelle Bedrohung aus Gründen der GFK nicht feststellbar gewesen sei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil

1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat

3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder

4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.

Geht das Verwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - aber von einer Ergänzungsbedürftigkeit des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes aus, die bei einer zutreffenden Beurteilung der Rechtslage nicht gegeben ist, und hebt dieses Gericht daher den Bescheid der Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG infolge Verkennung der Rechtslage auf, verstößt das Verwaltungsgericht gegen seine in § 28 Abs. 2 VwGVG normierte Pflicht, "in der Sache selbst" zu entscheiden.

2.1. Wie oben ausgeführt wurde, hat die belangte Behörde mangels hinreichender Ermittlungen keine tragfähigen Feststellungen zur Frage einer (allenfalls rechtskräftigen) strafgerichtlichen Verurteilung des BF, allenfalls wegen des Vorwurfs einer Beteiligung an der Gülen-Bewegung oder aus anderen Gründen, und zutreffendenfalls zum Strafmaß derselben sowie im Allgemeinen zur Strafverfolgung potentieller Gülen-Mitglieder in der Türkei getroffen.

2.2. Angesichts dessen, dass das BFA den maßgeblichen Sachverhalt in Bezug auf die behauptete strafgerichtliche Verfolgung des BF bloß ansatzweise ermittelte und auf diese Weise auch zu einer unschlüssigen Entscheidungsgrundlage gelangte, lag in der Folge eine so gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), dass sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.

Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das BVwG war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das BVwG eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das BVwG "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.

3. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

4. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Übersetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2235235.1.00

Im RIS seit

05.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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