TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/16 W150 2204067-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.11.2020
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Entscheidungsdatum

16.11.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W150 2204067-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 2000, StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, ZVR-Zahl 460937540, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.11.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer und sechs seiner insgesamt sieben zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Geschwister reisten gemeinsam mit ihrer Mutter am 01.03.2017 mit dem Flugzeug legal und in Besitz eines österreichischen Visums nach Österreich ein.

2. Die gesetzliche Vertreterin des Genannten stellte für sich und ihre sieben mitgereisten Kinder, am 03.03.2017 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Mutter des BF statt. Dabei gab diese u.a. an, afghanische Staatsangehörige, sunnitische Muslimin und Angehörige der Volksgruppe der PASCHTUNEN zu sein. Ihrem Ehemann – zugleich der Vater ihrer Kinder – sei im Bundesgebiet der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, weshalb sie in Österreich denselben Schutz wie ihr Gatte beantrage. Weder sie selbst noch eines ihrer mitgereisten minderjährigen Kinder hätten eigene Fluchtgründe.

3. Am 25.01.2018 wurde die Mutter des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) niederschriftlich einvernommen. Abermals bestätigte sie ausdrücklich – ebenso wie sämtliche von ihr gesetzlich vertretenen minderjährigen Kinder –, keine eigenen Fluchtgründe zu haben und verwies auf die Fluchtgründe ihres Mannes, ohne diese jedoch namentlich zu nennen (vgl. Seite 91 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX ).

4. Neuerlich am 02.05.2018 von der Erstinstanz zu ihrer Antragstellung niederschriftlich befragt, bestätigte die Mutter des Genannten die Richtigkeit ihrer bisherigen Angaben. Prinzipiell gesund, könne sie trotz fortgeschrittener Schwangerschaft problemlos die Verhandlung durchführen.

An Fluchtgründen wurde einmal mehr auf jene ihres Gatten verwiesen; sowohl in Bezug auf sich selbst, als auch auf die ihrerseits gesetzlich vertretenen Kinder.

5. Das BFA wies die Anträge des Beschwerdeführers, dessen Mutter und Geschwister mit Bescheiden vom 18., 19., 26. respektive 27.07.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

6. Gegen die Spruchpunkte I. dieser Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde insbesondere vorgebracht, die Mutter und Schwestern des Genannten seien wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.11.2020 in den gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Beschwerdeverfahren eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschto durch, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Weiters wurden die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des BF und seine Integrationsschritte erörtert. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.

Der rechtsfreundlich vertretene BF erklärte, dass er gesund und verhandlungsfähig sei. Zu dem in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichtsmaterial gaben weder der BF noch sein Vertreter eine Stellungnahme ab.

Die Einvernahme des BF (im Verhandlungsprotokoll als BF2 bezeichnet) gestaltete sich wie folgt:

„RI: Sind Sie gesund oder leiden Sie an Krankheiten?

BF2 (auf Deutsch): Ich bin gesund.

RI: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

BF2: Nein.

RI: Wo sind Sie geboren?

BF2 (auf Deutsch): In Afghanistan.

BF (auf Deutsch nach Übersetzung): In der Provinz XXXX , im Dorf XXXX bin ich geboren.

RI: Wie alt waren Sie als Sie von Afghanistan nach Pakistan gegangen sind?

BF2 (auf Deutsch): Ich weiß es nicht.

BF (auf Deutsch nach Übersetzung): Ich glaube ich muss 15 Jahre alt gewesen sein, ich kann es nicht genau sagen.

RI: Sind Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan unter anderen Namen, Spitznamen, Kampfnamen, Rufnamen bekannt?

BF2: Ich habe nur diesen Namen.

RI: Sind Sie in anderen Ländern dieser Erde, einschließlich Österreich, unter anderen Namen bzw. Identitäten in Erscheinung getreten?

BF2: Nein, keinen anderen Namen.

RI: Ihr RV hat einige Unterlagen vorgelegt, haben Sie noch weitere Dokumente, die Sie hier heute vorweisen wollen?

BF2: Oh ja, ich habe auch etwas.

RI an RV: Ist das, das was Sie mir vorhin vorgelegt haben?

RV: Ja, das haben wir schon vorgelegt.

RI (auf Deutsch): Schildern Sie mir doch wie ein normaler Tag in Ihrem Leben in Afghanistan ausgeschaut hat.

BF (auf Deutsch): Entschuldigung. Verstehe nicht, nochmal.

RI wiederholt die Frage und nimmt dazu kurzzeitig den MNS-Schutz ab.

BF (auf Deutsch): Früher oder jetzt?

RI: Früher.

BF (auf Deutsch): Früher?

BF (auf Deutsch): Ich weiß nicht, ich kann das nicht.

RI stellt die gleiche Frage nochmals mit D.

BF (auf Deutsch nach Übersetzung): Es war nicht gut. Ich war kleine. Alles vergessen.

RI: Was für Erinnerungen haben Sie noch an Afghanistan?

BF2: Es war nicht ein ordentliches Leben und für mich war es besonders deshalb schwer, dass alles meine Mutter alleine machen musste und mein Vater war hier.

RI: Was meinen Sie mit hier?

BF2: Z.B. wir waren zu jung, wir konnten nicht arbeiten und ich konnte nicht in die Schule gehen. Da ich zu jung war, konnte ich nicht arbeiten gehen obwohl ich es wollte. Ich muss ehrlich sagen wir waren unter dem gesellschaftlichen Druck auch gestanden, weil man hat uns in der Gesellschaft gesagt, ihr geht irgendwann nach Europa und ihr werdet ungläubig.

RI: Wie viele Tanten haben Sie denn?

BF2: Meine Mutter hat 5 Schwestern.

RI wiederholt die Frage.

BF2: Ich habe auch 5 Tanten vs.

RI: Kennen Sie die Namen Ihrer Tanten ms?

BF2: XXXX .

RI: Sind Sie sicher, dass Sie jetzt die Namen Ihrer Tante ms aufgezählt haben?

BF2: Ja, ich bin mir sicher.

RI: Ihre Mutter hat mir gesagt, dass Ihre Schwestern die XXXX und XXXX tragen.

BF2: Das sind wie ich gesagt habe die Namen meiner Tanten vs. Die Namen, die ich genannt habe, das sind die Namen meiner Tanten vs.

RI: Ich habe Sie zweimal gefragt nach den Namen Ihrer Tanten ms, warum haben Sie mir die falschen Namen gesagt?

BF2: Das die 5 Namen sind die Namen meiner Tanten vs.

RI: Warum haben Sie vorher zweimal behauptet, dass das die Tanten ms sind?

BF2 (auf Deutsch): Vater, Schwester ist meine Tante.

RI: Kennen Sie die Schwestern XXXX ?

BF2 (auf Deutsch): Ich kenne nur XXXX . Die andere ich weiß nicht wo leben.

RI: Sie kennen also nur XXXX ? Habe ich Sie nun richtig verstanden?

BF2: Ja, ich habe XXXX auch gesehen. Die anderen habe ich auch nicht gesehen, sie leben in verschiedenen Orten.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF2: Ich bin sunnitischer Moslem.

RI: Wie äußert sich ihre religiöse Überzeugung? Woran können Außenstehende erkennen, dass sie sunnitischer Moslem sind?

BF2: So kann man das nicht verstehen, aber, wenn man mich fragt dann würde ich es auch sagen.

RI: Halten Sie irgendwelche Gebets- und Speisevorschriften ein?

BF2: Ehrlich gesagt, ich verrichte das Gebet nicht und ich esse auch Schweinefleisch.

RI fragt RV, ob er ihn auch bezüglich BF2 Integrationsunterlagen vorgelegt hat.

RV: Es tut mir leid, die hatte ich nicht vorgelegt (legt ein Konvolut von verschiedensten Unterlagen vor, die als Beilage./8 zur Niederschrift genommen werden.

RI: Wo arbeiten Sie?

BF2: Ich arbeite im XXXX . Bezirk im Supermarkt.

RI: Wie heißt die Firma?

BF2: XXXX .

RI: Stammt Ihr Chef auch aus Afghanistan?

BF2 (auf Deutsch): Nein, der Chef ist türkisch.

RI: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF2: Ich bin Paschtune.

RI: Sie haben bis zu Ihrer Flucht wo gelebt?

BF2: In XXXX .

RI: Wie lange haben Sie in XXXX gelebt ungefähr?

BF2 (auf Deutsch): Ein bis zwei Jahre.

RI: Haben Sie dort allein gelebt?

BF2 (auf Deutsch): Nein, mit meiner Schwestern und mit meiner Mutter.

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Afghanistan?

BF2: Nein. Verwandte gibt es, aber von meiner Kernfamilie habe ich niemanden.

RI: Wen zählen Sie aller zu Ihrer Kernfamilie?

BF2: Meine Schwester, meinen Bruder.

RI: Haben Sie eigene Kinder?

BF2: Nein.

RI: Zählen Sie Ihre Großeltern auch zu Ihrer Kernfamilie?

BF2: Die leben, aber ich zähle sie nicht zur Kernfamilie.

RI: Alle 4 leben noch? Ist das richtig?

BF2: Ich weiß es nicht.

RI: Wo leben Ihre 10 Tanten vs und ms?

BF2: Ich weiß nicht, wo sie leben.

RI: Ihre Mutter hat uns vorhin erzählt, dass zumindest einige ihrer Schwestern in XXXX wohnen. Sie haben mir vorhin erzählt, dass sie zwei Jahre in XXXX gewohnt haben. Haben Sie in dieser Zeit einige der Tanten die dort wohnen kennengelernt.

BF2: Ich kenne meinen Onkel ms.

RI: Haben Sie noch Verwandte in Österreich oder anderen Ländern dieser Erde?

BF2: Nein.

RI: Sind Sie ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden oder in einer eingetragenen Partnerschaft?

BF2: Ich bin verheiratet.

RI: Mit wem?

BF2 (auf Deutsch): Mit meiner Mutter, Bruder, Schwester.

BF2: Ich bin mit der Tochter des Bruders meiner Mutter verheiratet.

RI: Wo lebt Ihre Frau?

BF2: Sie lebt zurzeit mit Ihrem Vater.

RI wiederholt die Frage.

BF2: In XXXX , im Dorf XXXX .

RI: Warum haben Sie mir vorhin nichts von Ihrer Ehegattin erzählt, als Ich Sie nach all Ihren Verwandten gefragt habe?

BF2: Meine Frau ist die Tochter meines Onkels ms und sie lebt in Afghanistan.

RI: Haben Sie gemeinsame Kinder?

BF2: Nein.

RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildungen haben Sie?

BF2: Weder noch. Ich bin nicht zur Schule gegangen und ich habe auch keine besondere Ausbildung genossen.

RI: Haben Sie in Afghanistan oder in einem anderen Staat einer Miliz oder bewaffneten Gruppe angehört oder eine Kampfausbildung erhalten?

BF2: Nein.

RI: Wie sind Sie von Afghanistan nach Österreich gelangt?

BF2: Ich glaube mein Vater hat uns alles ein Visum geschickt und so sind wir nach Österreich gegangen.

RI: Wie war Ihre Reiseroute?

BF2: Von Afghanistan sind wir nach Pakistan und von XXXX Flughafen sind wir nach Österreich geflogen. Zuerst nach XXXX und von XXXX nach Wien.

RI: Wie war die Reise von Afghanistan nach XXXX ? Wie sind Sie dort hingekommen?

BF2: In Afghanistan haben wir Reisepässe bekommen, dann sind wir mit diesen Reisepässen auch nach XXXX gefahren.

RI: Von wo aus sind Sie nach XXXX gefahren?

BF2: Von XXXX .

RI: sind Sie mit dem Zug, mit dem Auto oder mit einem Autobus gefahren?

BF2: Es war eine Art Minibus, ein nicht sehr großes Auto.

RI: Wie lange hat denn die Fahrt zur Grenze ungefähr gedauert?

BF2: Ich denke zwei bis zweieinhalb Stunden, genau kann ich es nicht sagen.

RI: Waren Sie da das erste Mal im Ausland in Ihrem Leben?

BF2: Ja.

RI: Waren Sie sehr aufgeregt?

BF2: Nein, ich war nicht so nervös.

RI: Die Republik Österreich hat Ihnen bereits durch den Bescheid des BFA subsidiären Schutz gewährt und eine, vorerst befristete Aufenthaltsbewilligung erteilt. Warum streben Sie den Status des Konventionsflüchtlings an? Was glauben Sie, was sich dadurch für Sie ändern würde?

BF2: Weil ich heute hier geladen bin.

RI: Warum sind Sie aus Afghanistan geflüchtet?

BF2: Das Leben war sehr schwer. Der Krieg herrschte und wie gesagt, wir waren unter gesellschaftlichem Druck auch wegen meinem Vater das er ins Ausland gegangen sei. Ehrlich gesagt, es ging uns auch nicht gut. Es war sehr schwer und so schwer, dass ich nicht einmal in die Schule gehen konnte. Meine Mutter konnte nicht arbeiten.

RI: Was genau befürchten Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan?

BF2: Ich glaube, ich werde sterben.

RI: Wurden Sie persönlich in Afghanistan einmal bedroht?

BF2: Ich kann dort nicht überleben.

RI: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

BF2: Nein.

RI: Waren Sie persönlich sonst in irgendeiner Weise politisch aktiv?

BF2: Nein.

RI: Wurden Sie in irgendeinem Staat dieser Erde wegen Straftaten verurteilt?

BF2: Nein.

RI: Werden Sie in irgendeinem Staat dieser Erde wegen des Verdachtes der Begehung von Straftaten polizeilich gesucht?

BF2: Nein.

RI (auf Deutsch): Erzählen Sie mir doch bitte, wie ein normaler Tag in Österreich bei Ihnen abläuft:

BF (auf Deutsch): [blickt zu Dolmetsch]: Ich arbeiten. Nach den Arbeit ich kommen zuhause. Ich habe seit eineinhalb Jahre gearbeitet und ich habe Führerschein gemacht. Ich war Deutschkurs seit 2 Monate und weiter Ausbildung machen.

RI: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF2: Ich mache einen Spaziergang. Ich spiele gerne Fußball am Wochenende.

RI: Wo spielen Sie Fußball?

BF2: Es gibt verschiedene Parks im XXXX Bezirk, im XXXX . Bezirk.

RI: Sind Sie Mitglied in Vereinen?

BF2: Nein, ich bin kein Mitglied, weil ich arbeite.

RI: Wohnen Sie noch gemeinsam mit Ihrer Mutter und Ihren Geschwistern zusammen?

BF2: Nein, ich habe meine eigene Adresse.

RI: Wohnen Sie alleine?

BF2 (auf Deutsch): Ich wohne mit Freundschaft mit anderen Kollegen.

BF2: Wir leben zu viert.

RI: Haben Sie irgendwelche Prüfungen abgelegt in irgendwelchen Fächern?

BF2: Ja, ich habe die Prüfung in A1 gehabt. Ja, ich bin ein Jahr auch zur Schule gegangen und da habe ich auch Prüfung gehabt.

RI: Wo sind Sie denn zur Schule gegangen?

BF2: Im XXXX . Bezirk.

RI: Möchten Sie mir noch etwas sagen?

BF2: Ich habe auch nichts mehr zu sagen.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der erhobenen Anträge auf internationalen Schutz vom 30.10.2015, der Einvernahmen der damals gesetzlichen Vertreterin des BF durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des BFA, der Beschwerde gegen den teilangefochtenen Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem und der am 04.11.2020 im gemeinsamen Verfahren (Familienverfahren) durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, führt den im Spruch angeführten Namen und ist zu dem im Spruch angeführten Datum geboren. Seine Muttersprache ist PASCHTO. Er bekennt sich zum sunnitischen Islam, ist volljährig, verheiratet und kinderlos.

Die Mutter des BF ist XXXX , geboren am XXXX 1975. Der Vater des BF ist XXXX , geboren am XXXX 1973, welcher traditionell und standesamtlich mit der Mutter des BF verheiratet ist und dem mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle EISENSTADT, vom 23.09.2011 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Dieser Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde auf dem BF seinerzeit erstreckt. Der Antrag des Vaters des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde unter einem rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Die Eheschließung des BF erfolgte traditionell in Afghanistan. Die Ehefrau des BF lebt in Afghanistan, die Ehe wurde jedenfalls vor der Einreise des BF nach Österreich geschlossen.

Der BF hat neben seiner Mutter noch sieben zum Teil minderjährige Geschwister, die sich ausnahmslos im selben Verfahren befinden.

Der BF wurde in Dorf XXXX in der Provinz XXXX in Afghanistan geboren. Er wuchs teilweise in Pakistan und später wieder in seinem Heimaland auf. Er war in Afghanistan Analphabet und verfügte über keinerlei Schul- oder Berufsausbildung, war jedoch zwischenzeitlich als Hilfsarbeiter am Bau in seinem Herkunftsland tätig. Sein Vater reiste bereits im Jahre 2011 nach Europa. Der Genannte lebte gemeinsam mit seinen Geschwistern weitere sechs Jahre lang in Afghanistan.

Der BF und sechs seiner damals minderjährigen Geschwister reisten zusammen mit ihrer Mutter legal mittels Flugzeug und einem Visum nach Österreich ein und stellten über ihre gesetzliche Vertreterin am 03.03.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF ist mit seiner Mutter sowie sechs Geschwistern legal am Luftweg nach Österreich eingereist und hält sich zumindest seit dem 01.03.2017 durchgehend im Bundesgebiet auf. Aktuell verfügt der Genannte über äußerst bescheidene Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm die Kommunikation über Dinge des täglichen Lebens bestenfalls rudimentär ermöglichen. Offiziell hat der Antragsteller nur die Sprachprüfung A1 absolviert und wurde in einem Jugendcollege der Stadt Wien alphabetisiert. Der BF ist seit ca. einem Jahr in einem Supermarkt angestellt.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der Asylwerber an Kernfamilienmitgliedern über seine Eltern sowie sieben zum Teil minderjährige Geschwister. Er lebt mit diesen nicht im gemeinsamen Haushalt, sondern in einer Wohngemeinschaft mit Freunden. Die Ehefrau des BF lebt in Afghanistan.

Seine Zeit in Österreich verbringt der BF vorwiegend mit Spaziergängen. Daneben geht der Antragsteller gerne mit seinen Freunden in den Park Fußballspielen.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der BF hatte ursprünglich hinsichtlich seiner Fluchtgründe kein individuelles Vorbringen erstattet beziehungsweise wurde auf das Verfahren des Vaters verwiesen.

Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, er habe wegen gesellschaftlichem Druck infolge der Ausreise seines Vaters, dem Krieg und dem schweren Leben und der fehlenden Schulausbildung das Land verlassen müssen, wird aus nachfolgend im Detail ausgeführten Gründen ausdrücklich als nicht zutreffend festgestellt.

Die in der Beschwerde lapidar in den Raum gestellte Möglichkeit, dass für den BF im Heimatland ein Misshandlungsrisiko bestehen könnte, wenn er gegen vorherrschende Sitten verstoßen würde (zB Ehebruch, außerehelichen sexuellen Beziehungen, aufgrund religiöser oder politischer Überzeugungen oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) kann ebenfalls nicht positiv festgestellt werden, auch nicht eine erkennbar ausgeprägte westliche Lebensführung.

Dem Genannten droht auch nicht alleine wegen seiner Zugehörigkeit zur dominierenden Volksgruppe der PASCHTUNEN oder zur sunnitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig ist jeder Angehörige der Volksgruppe der PASCHTUNEN oder der sunnitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Es auch sonst festzustellen, dass es dem BF nicht unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren und dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan weder physische und/oder psychische Gewalt drohen würde noch, dass er sonst einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.

Ausdrücklich festgestellt wird, dass dem BF keine Gefahr einer Verfolgung aufgrund der Fluchtgründe des Vaters droht. Dessen Fluchtgründe wurden mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle EISENSTADT, vom 23.09.2011 als nicht glaubhaft erachtet.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information 21.07.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Neueste Ereignisse:

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, dieTaliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a). Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b). Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019).

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten.

Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019). Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Herat gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
2018         2019 (bis 30.9.)
GIM

Vorfälle ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)         ACLED

Tote    GIM

Vorfälle ACLED

Vorfälle (>= 1 Tote)         ACLED

Tote

Adraskan 3        6        23       1        11       24

Chishti Sharif 12       14       73       3        4        18

Enjil      1        1                2        3

Fersi   3        5        25              5        34

Ghoryan  5        28       3        17       53

Gulran  1        4        28       1        11       48

Guzera    6        24              12       92

Herat   92       24       100      53       29       69

Karrukh     4        27

Koh-e-Zore* k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Kohsan    3        11       1        12       30

Kushk      12       56              19       96

Kushk-i-Kohna  4        10              8        40

Obe      2        15       80              20       129

Pashtun Zarghun 4        15       84       7        22       124

Poshtko* k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Shindand 24       51       327      9        91       352

Zawol*  k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Zendahjan  1        1        1        4        19

Zerko*  k.A.    k.A.     k.A.    k.A.    k.A.    k.A.

Insg.   141      166      871      79       271      1158

*temporäre Distrikte. Sicherheitsrelevante Vorfälle in diesen Distrikten werden dem Distrikt Shindand zugerechnet. (ACLED 5.10.2019; ACLED 12.7.2019; GIM o.D.)

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).[…]

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternde

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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