TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 W150 2199040-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W150 2199040-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX .1982 alias XXXX .1982, StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, ZVR-Zahl 460937540, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 06.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.06.2020, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird in sämtlichen Punkten als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistan, welcher der ethnischen Gruppe der HAZARA angehört sowie sich selbst als schiitischer Moslem definiert, stellte am 19.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Genannten statt. In deren Verlauf gab dieser zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, wonach er Probleme mit den Taliban gehabt hätte. Im Falle seiner Rückkehr müsse der Antragsteller um sein Leben fürchten.

2. Am 22.05.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Uneingeschränkt gesund und strafrechtlich unbescholten, habe er anlässlich seiner Ersteinvernahme stets die Wahrheit gesagt. Im Anschluss wäre ihm das Protokoll rückübersetzt worden, wobei alles den Tatsachen entsprochen hätte. Lediglich sein Geburtsdatum sei ursprünglich vom Dolmetscher falsch berechnet worden.

Im Bundesgebiet verfüge der Genannte an verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkten über eine von insgesamt drei Schwestern und deren Tochter, welche sich aktuell ebenfalls beide im Asylverfahren befänden und noch keine Entscheidung erhalten hätten.

Identitätsbezeugende Beweismittel respektive Urkunden könne der BF nicht vorlegen, da er diese „am Meer über Bord geworfen (Seite 45 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“ habe.

Bildungsmäßig könne er auf einen insgesamt sieben Jahre umfassenden Schulbesuch in XXXX , verweisen. Daneben hätte der BF auch in der väterlichen Autolackiererei als Kfz-Lackierer und später als Tischler im eigenen Betrieb gearbeitet. Zwischenzeitlich über zehn Jahre hindurch in Pakistan aufhältig, sei er anlässlich der Trauerfeierlichkeiten nach dem Tod seines Vaters in die Heimat zurückgekehrt und habe dann sein eigenes Unternehmen mit knapp zehn Angestellten gegründet.

Seine Familie stamme ursprünglich aus der Provinz XXXX , Distrikt XXXX ; der BF sei selbst jedoch noch nie in seinem Leben dort gewesen, sondern hätte – abgesehen seines Aufenthalts im benachbarten Pakistan – stets in XXXX gelebt. Die Familie habe ein eigenes Haus besessen, welches der Vater später verkauft und anschließend ein anderes gepachtet hätte.

Bereits nach dem Tod seiner Gattin einige Jahre zuvor habe der BF „den Entschluss gefasst, nach Europa zu reisen (Seite 51 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ In Afghanistan seien nach dem Tod seiner beiden Eltern nur noch weitschichtige Verwandte leben; seine drei Schwestern wären jeweils in Japan, Österreich und Saudi-Arabien aufhältig, sein minderjähriger Sohn mit seinen Schwiegereltern vermutlich in Australien oder Neuseeland.

Finanziell gehe es seiner Familie ebenso wie ihm selbst „gut (Seite 53 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“, zumal er selbst am Tag zwischen US-$ 120,00.-- bis 130,00.-- in seiner eigenen Tischlerei verdient hätte. Zudem besäße der Genannte nach wie vor Liegenschaften in der Heimatprovinz seines Vaters, aber habe er sich selbst noch nie darum gekümmert. Die Finanzierung der Schlepperkosten im Umfang von € 6.500,00.- wären für den BF kein Problem gewesen, „ich hatte selber Geld zuhause (Seite 55 deserstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

An sozialen Kontakten in seiner Heimat könne er auf diverse Freunde und Bekannte, etwa einen benachbarten Ladenbesitzer, zurückgreifen, zu welchen er auch gegenwärtig fernmündlichen Kontakt halten würde.

Probleme mit dem Gesetz, staatlichen Behörden oder religiösen Gruppen hätte der BF zu keinem Zeitpunkt je gehabt und sei dieser auch nie politisch aktiv gewesen.

Fluchtauslösend wäre ein Vorfall im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gewesen. Konkret habe er über ein halbes Jahr hindurch Container für die Nationale Armee mit Holz verkleidet und sei eines Tages ein Paschtune namens XXXX (phon.) bei ihm an seiner Fertigungsstätte erschienen, mit dem Ersuchen, seinen Sohn anzustellen. Da der Genannte für diesen jedoch keinerlei Bedarf gesehen hätte, habe dieser die Bitte ausgeschlagen. Dennoch wäre der Unbekannte immer wieder gekommen, um gemeinsam zu essen. Im Verlauf der dabei geführten Gespräche hätte sich dieser danach erkundigt, ob der Genannte vielleicht auch Kastentüren erneuern könne. Nachdem dieser sich grundsätzlich dazu bereiterklärt habe, sei am nächsten Morgen selbiger Paschtune vor Ort erschienen und hätte den BF dazu eingeladen, mit ihm gemeinsam die verbesserungswürdigen Möbelstücke in seiner Wohnung zu begutachten. An der Zieldestination angekommen habe der BF aber keine Kästen vorgefunden, sondern stattdessen „zwei oder drei Personen (Seite 57 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)“, welche ihn sodann auf ein Joghurtgetränk eingeladen hätten. Sehr schnell wäre klargeworden, dass es sich bei dem vermeintlichen Reparaturauftrag lediglich um einen Vorwand gehandelt habe und die eigentliche Idee für sein Kommen eine gänzlich andere gewesen sei. So hätten die anwesenden Männer dem BF viel Geld geboten, damit dieser hinter den Holzverkleidungen der Container einen nicht näher präzisierten Gegenstand – vermutlich eine Bombe – verstecken solle. Der Genannte, welcher hinter seinen Gesprächspartnern Angehörige der Taliban vermutet habe, wäre zum Schein auf den Vorschlag eingegangen und danach direkt zu seiner Werkstatt gefahren. Dort angekommen hätte er alle seine Angestellten in sein Fahrzeug gesetzt und sei losgefahren. „Ich habe das Geschäft geschlossen, allen frei gegeben und ging nach Hause (Seite 57 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Kurze Zeit später habe der BF einen Anruf seines Chefs erhalten, welcher ihn nach seinem Verbleib gefragt hätte. Der Genannte habe diesem daraufhin die ganze Geschichte erzählt und auch die Rufnummer des paschtunischen Kontaktmanns übermittelt. In weniger als zehn Minuten nach seinem Gespräch wäre er jedoch genau von diesem Paschtunen angerufen worden, welcher ihn der Kooperation mit der Polizei bezichtigt sowie beschimpft und bedroht hätte. Als erste Reaktion habe der BF daraufhin sofort seine SIM-Karte weggeworfen und durch eine neue ersetzt. Danach hätte er den benachbarten Ladenbesitzer angerufen und gefragt, ob zwischenzeitlich verdächtige Personen an seiner Arbeitsstätte aufgetaucht seien, was dieser jedoch verneint habe. Am nächsten Morgen wäre er aber von Letztgenanntem angerufen worden, welcher ihm von der Suche zweier oder dreier traditionell gekleideter Männer nach seiner Person berichtet hätte. Zur Sicherheit solle sich der BF bei ich zuhause verstecken. Zwar habe der benachbarte Ladenbesitzer geleugnet, den Genannten zu kennen und die Männer unverrichteter Dinge wieder weggeschickt, aber hätte er am Abend gemeinsam mit dem BF die Situation besprochen und sei man übereingekommen, wonach selbiger das Land verlassen solle. „Ich hatte bereits Jahre zuvor die Absicht nach Europa zu reisen (Seite 57 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Nur seinem alten und gebrechlichen Vater zuliebe wäre er nicht schon viel früher ausgereist. Das nötige Geld für die Finanzierung des kurzfristig engagierten Schleppers habe er in seinem Haus griffbereit deponiert gehabt und zu diesem Zwecke einfach schnell geholt.

Prinzipiell wäre es dem BF durchaus möglich in XXXX oder XXXX zu leben, zumindest dann, wenn er nicht die zuvor geschilderten Probleme haben würde.

Für seine Zukunft in Österreich plane der Genannte, der bereits A1- und A2 Kurse besucht sowie bei der Volkshilfe ausgeholfen habe, „zu heiraten und ein neues schönes Leben zu beginnen (Seite 63 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“
3. Mit Bescheid vom 06.06.2018, Zl. XXXX , wies die Erstinstanz den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, wonach der Genannte keinerlei Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht habe. Im vorliegenden Fall hätte keine individuelle Gefährdungslage in Bezug auf den BF festgestellt werden können und stünde eine seine Person betreffende Verfolgungshandlung auch nicht für die Zukunft zu befürchten. Es stehe dem BF frei, in XXXX zu leben, wo er über diverse Freunde über ein entsprechendes Netzwerk verfüge und dort seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Insgesamt sei die behauptete Fluchtgeschichte in seiner Gesamtheit schon allein deshalb absolut unglaubwürdig, zumal das Vorbringen nicht nur lebensfremd, unplausibel und vage erstattet worden wäre, sondern sich darüber hinaus auch noch über weite Strecken widersprüchlich darstelle.

Subsidiärer Schutz würde ihm nicht zuerkannt, da im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes auf Grund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe.

Als jungem gesunden Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung könne dem BF grundsätzlich eine Teilnahme am lokalen Erwerbsleben zugemutet werden; insbesondere in KABUL stelle sich die allgemeine Versorgungslage und Infrastruktur laut zugrundegelegtem Ländergutachten in Summe befriedigend dar und wären des Weiteren auch Verdienstmöglichkeiten für männliche Rückkehrer ohne soziale respektive familiäre Anknüpfungspunkte gegeben. Darüber hinaus wären ihm sowohl Landessprache als auch kulturelle Gepflogenheiten in Afghanistan bekannt. In einer Gesamtschau könnten daher vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte keinerlei Anhaltspunkte dahingehend erkannt werden, die eine ernsthafte Gefahr für Leben oder Unversehrtheit des BF nahelegen würden.

Dass der BF über keinerlei nennenswerte private oder familiäre Bindungen im Bundesgebiet verfüge, ergebe sich aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben. Bei jenen in Österreich aufhältigen Personen handle es sich lediglich um eine Schwester und deren Tochter, welche sich ebenfalls im Asylverfahren befänden und zu denen keinerlei wirtschaftliche oder intensivere persönliche Beziehung bestehe. Zudem wären selbige im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen wie der Genannte selbst. Weiterhin ausschließlich von Leistungen der Grundversorgung abhängig, liege keine berücksichtigungswürdige Eingliederung in die österreichische Gesellschaft vor, es seien lediglich vereinzelte Integrationsschritte gesetzt worden, wie etwa dem rudimentären Erlernen sehr einfacher Deutschfertigkeiten auf niedrigem Niveau. Wenngleich vereinzelt in unmaßgeblichem Ausmaß ehrenamtlich tätig, gehe der BF weder einer Ausbildung noch irgendeiner beruflichen Tätigkeit nach.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF über seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde und brachte dabei im Wesentlichen vor, demzufolge das Bundesamt die tatsächliche Sicherheitslage in Afghanistan verkennen würde, zumal die Sicherheitslage – auch in KABUL – keineswegs stabil, sondern vielmehr von diversen Selbstmordanschlägen und Terrorakten gekennzeichnet sei.

5. Am 30.06.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die Fluchtgründe, die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des BF und seine Integrationsschritte erörtert.

Prinzipiell gesund, sei er uneingeschränkt verhandlungsfähig. Ursprünglich in XXXX geboren, entsprächen sämtliche seiner vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben allesamt der Wahrheit.

Identitätsbezeugende Urkunden könne der BF keine vorlegen, zumal ihm diese auf seiner Reise ins Bundesgebiet abhandengekommen wären.

Als schiitischer Moslem prinzipiell gläubig, akzeptiere er aber auch andere Glaubensrichtungen und beschränke im Alltag die religiös motivierten Speisengebote auf das Vermeiden von Schweinefleisch.

Wenngleich selbst aus XXXX beziehungsweise dem unmittelbaren lokalen Umfeld stammend, kämen seine Eltern ursprünglich aus der Provinz XXXX . Abgesehen von weitschichtigen Verwandten würden aktuell keine Verwandte mehr in Afghanistan leben. Seinen Sohn habe der BF nach dem plötzlichen Tod seiner Gattin an seine Schwiegereltern übergeben, welche dann in weiterer Folge mit diesem gemeinsam entweder nach Neuseeland oder Australien ausgewandert wären. Genaueres könne der Genannte jedoch nicht zu diesem Thema sagen, da der Kontakt zwischenzeitlich abgerissen sei.

Davon abgesehen verfüge der BF im Ausland über eine Schwester in XXXX , eine weitere in XXXX , sowie über eine dritte in Österreich. Zudem habe er auch noch in Bezug auf Deutschland und Großbritannien verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte.

Selbst verwitwet und Vater eines minderjährigen – an einem unbekannten Ort lebenden – Sohnes, wohne der BF derzeit alleine, plane aber für die Zukunft eine neuerliche Verehelichung. Eine konkrete Frau habe er diesbezüglich zwar nicht im Auge, aber wäre ohnehin ein positiver Verfahrensausgang die Grundvoraussetzung für die spätere Umsetzung dieses Vorhabens.

In Afghanistan habe der BF acht Jahre Schulbildung absolviert und praktische Berufserfahrung in den Bereichen der Tischlerei und Autolackiererei gesammelt. Schon im Volkschulalter hätte er seinem Vater halbtags in dessen Lackierereibetrieb geholfen.

Fluchtauslösend wären Ereignisse im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit gewesen. Konkret hätte der Genannte bereits über einen Zeitraum von knapp sechs Monaten hindurch für ein Unternehmen Container hergestellt, welche im Innenbereich mit Holz verkleidet worden seien. Im Verlauf der Zeit wäre immer wieder ein Mann namens XXXX vorbeigekommen, welcher zunächst um die Anstellung seines Sohnes geworben habe. Mangels ausreichenden Arbeitsvolumens hätte der BF jedoch stets abgelehnt. Im Rahmen dieser täglich wiederkehrenden Besuche habe XXXX beiläufig erwähnt, wonach ein Kasten in seiner Wohnung kaputt sei und darum ersucht, dass der BF bei ihm vorbeikommen und den Zustand begutachten solle.

Am nächsten Tag habe der Mann bereits auf den Genannten früh morgens gewartet und wären beide zusammen zu ihm nach Hause gefahren. Dort angekommen hätten allerdings keine Kästen, sondern drei weitere Männer auf den BF gewartet. Diese seien in weiterer Folge mit dem Ersuchen um Mitarbeit an ihn herangetreten. Konkret habe man ihm viel Geld geboten, würde er sich dazu bereiterklären, hinter den Holzverkleidungen einen nicht näher bezeichneten Gegenstand einzubauen. Aus Angst hätte der BF zum Schein eingewilligt. Danach sei er aber sofort zu seiner Arbeitsstätte gefahren, habe sämtliche Lehrlinge einsteigen lassen und wäre zusammen mit diesen zum nahegelegenen Militärstützpunkt gefahren. Dort angekommen hätte er alle nach Hause geschickt. Unmittelbar danach habe ihn sein Chef angerufen. Der Genannte hätte ihm daraufhin die Situation geschildert und auf dessen ausdrücklichen Wunsch hinauf die Rufnummer von XXXX in einer SMS übermittelt. Binnen weniger Minuten habe dann eben dieser den BF wutentbrannt angerufen und bedroht, da selbiger die Polizei verständigt hätte. Für diesen Verrat werde er mit seinem Leben bezahlen, zumal er selbst und seine Freunde Taliban und somit der Staat seien.

Der BF wäre daraufhin zwar in seinen Stadtteil nicht aber zu sich nach Hause gefahren. Wenig später hätte ihn der benachbarte Ladenbesitzer seines Geschäfts namens XXXX fernmündlich kontaktiert und ihm davon berichtet, demzufolge sich zwei oder drei mit traditioneller afghanischer Kopfbedeckung bekleidete Männer vorbeigekommen seien, um sich nach ihm zu erkundigen. Auf dessen Anraten hin wäre der Genannte dann auch nicht mehr heimgefahren, sondern habe bei XXXX übernachtet. Zuvor hätte der BF sicherheitshalber noch die SIM-Karte aus seinem Mobiltelephon entfernt und dieses sodann abgeschaltet. Nach Erwerb einer neuen SIM-Karte habe er einen Schlepper damit beauftragt, ihn nach Österreich zu bringen. Den hiefür nötigen Geldbetrag habe er in der Nacht aus seinem Haus geholt. Die Privatadresse sei den Taliban nicht bekannt gewesen, weshalb er unbehelligt sein Barvermögen abholen hätte können. Binnen 24 Stunden wäre er dann – konkret am 16.02.2017 – schlepperunterstützt Richtung Europa aufgebrochen. Ansonsten habe der BF alles liegen und stehen gelassen. XXXX hätte sich behalten dürfen, was immer er gebraucht habe und sollte dafür auch sein Geschäft wieder an den Vermieter zurückgeben. „Ich sagte ihm, dass ich nicht vorhabe, zurückzukommen (Seite 11 der Niederschrift vom 30.06.2020).“

Seine Situation im Falle einer potentiellen Rückkehr schätze er subjektiv als „schwer (Seite 13 der Niederschrift vom 30.06.2020)“ ein.

Abgesehen von Schwarzfahren in öffentlichen Verkehrsmitteln wäre er im Bundesgebiet nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Wenngleich es angesichts der Zimmerbelegung mit verschiedenen Nationalitäten schwer gewesen sei sich zu konzentrieren, habe er dennoch zwei Deutschkurse, Niveaustufen A1 und A2, besucht und anschließend die Abschlussprüfungen erfolgreich bestanden. Daneben versuche der Genannte auch über das Internet verschiedene Dinge zu erlernen. Wiederholte Versuche seitens des verhandlungsleitenden Richters, den BF auf Deutsch zu simplen Themenkreisen zu befragen, schlugen mangels Grundverständnisses hinsichtlich der gestellten Fragen zur Gänze fehl.

Bei der Feuerwehr hätte der BF erfahren, wie man Feuer mittels Decke oder Feuerlöscher erfolgreich bekämpfen könne. Mitglied in irgendwelchen Vereinen sei er nicht, da es ihm für derartige Aktivitäten grundsätzlich an Geld mangeln würde.

Generell „möchte ich auch wie andere Menschen glücklich sein und ein gutes Leben haben (Seite 15 der Niederschrift vom 30.06.2020).“

Aktuell halte er über diverse elektronische Hilfsmittel Kontakt zu einem Freund in XXXX , den er noch von Besuchen in XXXX kenne.

6. Der Beschwerdeführer legte im Zuge seines Verfahrens folgende Dokumente und Schriftstücke vor:

- Zertifikat über das freiwillige Engagement bei der VOLKSHILFE;

- Bestätigung über durchgeführte Rasenpflege rund um das Wohnprojekt XXXX der VOLKSHILFE;

- Bestätigung der Freiwilligen Feuerwehr XXXX ;

- Zeltbaubestätigung anlässlich des Bierkirtags in XXXX ;

- Bewerbungsschreiben von AMS;

- Empfehlungsschreiben zweier Privatpersonen plus zusätzliche schriftliche Ergänzung;

- Bestätigung der Remuneration der Gemeinde XXXX ;

- ÖSD – Zertifikate A1 und A2, jeweils „bestanden“;

- Bestätigung des Abschlusses der Sprachkurse;

- Kursbesuchsbestätigungen Deutsch A1 erster und zweiter Teil sowie Deutsch A2 erster und zweiter Teil;

- Bestätigung über die freiwillige Mitarbeit bei Veranstaltungen der Marktgemeinde XXXX ;

- Teilnahmebestätigung zum Thema „Wertedialog“.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der HAZARA. Die seinerseits ins Treffen geführte Identität konnte mangels Vorlage authentischer Urkunden nicht positiv festgestellt werden. Seine Muttersprache ist DARI. Konfessionell dem schiitischen Islam zugehörig, ist der BF verwitwet und Vater eines unmündig-minderjährigen Sohn, dessen Aufenthaltsort als unbekannt gilt. Nach seiner insgesamt knapp achtjährigen Schulbildung ging er über einen längeren Zeitraum hindurch der Tätigkeit eines Kfz-Lackierers nach und gründete später ein eigenes Unternehmen als Tischler mit mehreren Angestellten. Bis zu seiner Ausreise hat er in einem eigenen Haushalt gewohnt. Der Genannte ist uneingeschränkt gesund und arbeitsfähig; allfällige Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten des BF sind im Verfahren nicht hervorgetreten und wurden solche auch nicht behauptet.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich zumindest seit dem 19.07.2016 durchgehend in Österreich auf. Aktuell verfügt der Genannte über bloß sehr einfache Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm die Kommunikation über Dinge des täglichen Lebens rudimentär ermöglichen. Offiziell hat der BF das Sprach-Niveau A2 erreicht, wobei dieser derzeit keiner legalen Beschäftigung nachgeht.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der BF über keinerlei Kernfamilienmitglieder; an Verwandten lebt eine Schwester mit ihrer Tochter, ebenfalls im laufenden Asylverfahren in Österreich, wobei der Kontakt zu diesen als ausgesprochen lose bezeichnet werden muss. So erfuhr der Genannte lediglich durch Zufall von deren Anwesenheit im Land und besteht zwischen den beiden erwachsenen Geschwistern weder ein wirtschaftliches noch ein ausgeprägtes emotionales Naheverhältnis.

Seine Zeit in Österreich verbringt der Genannte vorwiegend mit Internetsurfen sowie sporadischen gemeinnützigen Tätigkeiten überschaubaren Ausmaßes.

Zum Entscheidungszeitpunkt erweist sich der BF als unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, er sei wegen seiner Weigerung, nicht näher definierte Gegenstände – allenfalls Sprengkörper – hinter den Holzverkleidungen von Containern zu verstecken respektive aufgrund des Verdachts, diesen Plan verraten zu haben, von den Taliban bedroht, wird aus nachfolgend im Detail ausgeführten Gründen als nicht zutreffend festgestellt.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Antragstellers in den Herkunftsstaat

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten könnte. Im Falle einer Verbringung des Genannten in seinen Herkunftsstaat droht diesem daher kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information 18.05.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Neueste Ereignisse:

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, dieTaliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a). Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b). Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019).

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten.

Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019). Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i-Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).

IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018

Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).

IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018

Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten