Entscheidungsdatum
27.11.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W109 2182526-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Sebastian SIUDAK, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 24.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.10.2020 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.
III. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 03.02.2015 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 03.02.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und komme aus Parwan. Er habe zuletzt in Mazar-e Sharif gelebt und dort 2003-2005 die Schule besucht. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, seine Eltern seien gestorben. Sein Onkel habe im Geschäft Alkohol und Drogen verkauft. Er wolle ein ruhiges Leben in Europa haben und hier auch Arbeit bekommen.
Am 12.10.2017 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er habe gehört, sein Onkel habe seine Eltern ermordet. Er sei in seinem vierten oder fünften Lebensjahr von seinem Onkel nach Mazar-e Sharif mitgenommen worden. Dort habe er ihn oft geschlagen, er habe auch Brandflecken am ganzen Körper und habe ihn nur zwei Jahre in die Schule gehen lassen. Danach habe er im Laden des Onkels arbeiten müssen. Als er 15 gewesen sei, habe der Onkel ihm den Laden überschrieben. Im Laden seien Alkohol und Drogen verkauft worden, eines Tages sei ein Mann gekommen und habe Drogen vom Beschwerdeführer gekauft. Dann sei er kurze Zeit darauf mit der Polizei zurückgekommen. Die Polizei habe den Beschwerdeführer mitgenommen. Auf der Fahrt zur Polizeistation habe der Beschwerdeführer seinen Onkel angerufen und ihm erzählt, was passiert sei. Auf der Polizeistation sei er auf brutalste Art geschlagen und getreten worden, bis der Onkel gekommen und er freigekommen sei. Die Polizei habe gesagt, dass sie ein paar Leute schicken werde, um den Laden zu durchsuchen. Der Beschwerdeführer habe gewusst, als sein Onkel ihn rausgeholt habe, dass der Onkel mit der Polizei zusammenarbeite. Er glaube, der Onkel habe die Polizei bestochen und der Beschwerdeführer habe gewusst, dass der Laden nicht durchsucht werde. Im Laden hätten sie im Keller Geld, Alkohol und Drogen versteckt. Er habe Angst bekommen und habe einen Freund gefragt, ob er ihn in den Iran bringen könne. Er habe ihm gesagt, dass der Onkel ihn nicht freiwillig gehen lassen und der richtige Zeitpunkt kommen werde. Der Onkel habe sehr viele Kontakte und egal wo er in Afghanistan wäre, er hätte ihn gefunden. Auch habe er nicht bei seinem Onkel bleiben können, weil er ihm viele Brandwunden, unter anderem die Wunden im Gesicht zugefügt habe. Dann habe der Beschwerdeführer von seiner Tante gehört, sie seien irgendwo eingeladen und habe gewusst, der Onkel werde dann nicht zum Laden kommen und den Beschwerdeführer suchen. Er und sein Freund hätten dann den Bus Richtung Kabul genommen und seien von dort über Kandahar und Nimruz in den Iran gefahren. Der Onkel sei bei der Polizei gewesen, er habe viele Leute und Polizisten gekannt. Er sei wie ein Sklave des Onkels gewesen. Der Onkel und seine Frau hätten ihm immer erzählt, sie hätten ihn von seinem älteren Bruder abgekauft. Der Onkel habe drei Töchter gehabt, aber keinen Sohn. Hazara und Schiiten hätten ein schweres Leben in Afghanistan, wenn die Taliban einen finden würden, würde man sofort umgebracht.
Am 22.10.2017 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe in Afghanistan kein soziales Netzwerk, seine Eltern seien verstorben und zu den Geschwistern bestehe kein Kontakt. Die einzige verbleibende Person aus dem familiären Umfeld sei der Onkel, der vielleicht seine Eltern ermordet und ihn über Jahre auf das Gröbste misshandelt und ihn von klein auf für illegale Tätigkeiten eingesetzt habe. Er habe nur zwei Jahre die Schule besucht und sei seit fünf Jahren nicht mehr in Afghanistan gewesen. Auf die Unterstützung des Onkels könne er nicht hoffen. Er müsse viel mehr fürchten, für seine Flucht bestraft, wenn nicht gar umgebracht zu werden. Nachdem er schon als Kind unmenschlich von ihm behandelt worden sei, würde ihm als Erwachsener wohl noch schlimmeres drohen. Weil der Onkel zumindest Beziehungen zur Polizei pflege, könne er Hilfe von dieser nicht bekommen. Er sei von der Polizei auch geschlagen und getreten worden.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24.11.2017, zugestellt am 01.12.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe bei der Einvernahme bejaht, dass er bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe, rückübersetzt wurde und alles korrekt protokolliert worden sei. Dann habe er sich widersprochen und behauptet, die Fluchtgründe seien nicht korrekt protokolliert worden. Auch ergebe sich ein eklatanter Widerspruch, der Beschwerdeführer habe bei der Erstbefragung angegeben, seine Muttersprache sei Farsi, er sei jedoch vor der Behörde auf Dari einvernommen worden. Er habe angegeben, dass der Dolmetscher bei der Erstbefragung Iraner gewesen sei und dass er nicht wisse, ob etwas geändert worden wäre im Protokoll. Der Beschwerdeführer sei ein Jahr im Iran aufhältig gewesen, weswegen die behaupteten Verständigungsschwierigkeiten obsolet seien. Es sei unplausibel, dass der Beschwerdeführer von seinem Onkel wie ein Sklave behandelt worden sei und dennoch ein eigenes Zimmer gehabt hätte. Der Beschwerdeführer habe mit einem Reisepass legal Afghanistan verlassen. Dass der Onkel ihm erlaubt habe, einen Reisepass zu besitzen, sei nicht zu erwarte. Es sei anzunehmen, dass er überhaupt keine Dokumente hätte. Bezüglich der Brandwunden könne nicht festgestellt werden, dass sie der Onkel zugefügt habe. In einer Gesamtschau gehe die Behörde nicht von einer glaubwürdigen Darstellung aus. Selbst wenn man davon ausgehe, dass das Vorbringen den Tatsachen entspreche, habe der Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative. Der Beschwerdeführer könne nicht beweisen, dass sein Onkel Polizist sei. Auch gebe es in Afghanistan kein Meldesystem. Beim vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt liege selbst bei unterstellter Glaubwürdigkeit eine zur Asylgewährung führende Intensität nicht vor. Der Beschwerdeführer könne sich Kabul oder Mazar-e Sharif niederlassen. Eine Gruppenverfolgung von Hazara und Schiiten sei nicht gegeben.
3. Am 27.12.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer wie ein Sklave behandelt und trotzdem in einem Zimmer gewohnt habe, stelle keinen Widerspruch dar. Auch sei die legale Ausreise kein Grund anzunehmen, dass der Beschwerdeführer nicht misshandelt worden sei. Asylwerber müssten ihre Fluchtgeschichte nicht beweisen, sondern bloß glaubhaft schildern. Der Behörde sei auch nicht gelungen, den Gegenbeweis zu erbringen, ob die Misshandlungen des Onkels kausal für die Wunden seien. Der Beschwerdeführer könne auf keine familiäre Unterstützung zählen und müsse damit rechnen, dass sein Onkel ihn früher oder später finden oder aufgrund der Flucht töten werde. Er sei Mitglied der Geheimpolizei. Der Beschwerdeführer habe durch die Misshandlungen psychische Belastungen erlitten und könne sich nicht vorstellen, ohne jegliche private bzw. staatliche Unterstützung zu leben. Es könne nicht garantiert werden, dass er ordnungsgemäße Wohnung und Arbeit finde und nicht in existenzbedrohenden Umständen leben müsse. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe keine Vororterhebung durchgeführt und sei schlicht davon ausgegangen, dass er nicht beweisen könne, dass der Onkel Polizist sei. Es sei ihm zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. Der Beschwerdeführer sei ausgezeichnet integriert.
Am 06.10.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat von seinem Onkel verfolgt, im Wesentlichen aufrecht.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Diverse Fotos
? Bestätigung einer privaten Initiative
? Teilnahmebestätigung eines Sportvereins
? Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse, Erste-Hilfe-Grundkurs, Workshop
? ÖSD-Zertifikat A1
? ÖSD-Zertifikat A2
? Arbeitsbescheinigung für gemeinnützige Arbeit
? Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs
? Mehrere Empfehlungsschreiben
? Einstellungszusage
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Deutsch zumindest auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Parwan geboren und wurde als kleines Kind von seinem Onkel nach Mazar-e Sharif geholt. Dort hat der Beschwerdeführer zwei Jahre die Schule besucht und etwa bis zu seinem 16. Lebensjahr im Lebensmittelgeschäft seines Onkels mitgearbeitet. Der Onkel ist verheiratete und hat drei Töchter.
Dann reiste der Beschwerdeführer in den Iran aus, wo er etwa ein Jahr für einen Schweißer gearbeitet hat. Etwa ein Jahr war der Beschwerdeführer anschließend in Griechenland aufhältig.
Die Eltern des Beschwerdeführers sind verstorben. Er hat zwei Brüder und zwei Schwestern, sie leben in Afghanistan. Zu ihnen besteht kein Kontakt.
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Februar 2015 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat seither laufend Deutschkurse besucht, an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen (AS 79) und auch zwei Deutschprüfungen abgelegt, deren Zertifikate er erstmals am 12.10.2017 in Vorlage brachte. Auch aktuell besucht der Beschwerdeführer einen Deutschkurs. Ab dem Jahr 2015 hat der Beschwerdeführer die ehrenamtlichen Angebote der „Initiative XXXX “ – einer lokalen Initiative zur Unterstützung und Vernetzung für Asylwerber – wahrgenommen und etwa deren Lese- und LernpatInnenprogramm, das Integrationscafé, einen Erste-Hilfe-Kurs etc. Zudem engagiert sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2015 in der „ XXXX “, wo er im Fußballverein spielt und regelmäßig am Training und an Meisterschaftsspielen teilnimmt und sich auch sonst bei Vereinsaktivitäten (Weihnachtsmarkt, Arbeitseinsätze, etc.) einbringt. Zudem hat der Beschwerdeführer in der Marktgemeinde XXXX gemeinnützige Arbeit am Bauhof verrichtet. Der Beschwerdeführer verfügt über zwei Einstellungszusagen und hat im Bundesgebiet, insbesondere über den Fußballverein und die „Initiative XXXX “ soziale Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer wurde von seinem Onkel regelmäßig geschlagen und misshandelt und musste schon als Kind in dessen Lebensmittelgeschäft mitarbeiten. Das Geld, um die Ausreise zu finanzieren, hat der Beschwerdeführer aus dem Geschäft des Onkels gestohlen. Seither besteht kein Kontakt.
Es wird nicht festgestellt, dass im Lebensmittelgeschäft des Onkels auch Alkohol und Drogen verkauft wurden, sowie, dass der Beschwerdeführer deshalb von der Polizei festgenommen, geschlagen und erst, nachdem der Onkel die Polizei bestochen hat, wieder freigekommen ist.
Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr von Übergriffen seines Onkels bis hin zur Ermordung bedroht wäre, wird nicht festgestellt.
Dass die Eltern des Beschwerdeführers von seinem Onkel ermordet wurden, wird nicht festgestellt.
Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus, sie leben unter anderem in Teilen der Provinz Balkh, sowie in Kabul (Stadt), Herat (Stadt) und Mazar-e Sharif. Hazara bekleiden prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind allerdings in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Die Hazara haben seither auch erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.
Hinweise auf von staatlichen Akteuren ausgehende Misshandlungen gibt es nicht.
Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, ist jedoch in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul und Herat. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.
Es kommt zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür kann jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter.
Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.
1. 3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
Balkh zählt zu den relativ stabilen Provinzen, zuletzt kam es allerdings zu einer Destabilisierung mancher Distrikte, sowie zu einer Steigerung der Sicherheitsvorfälle. Mazar-e Sharif steht unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen finden im Wesentlichen nicht statt, es kommt jedoch zu Sicherheitsvorfällen. Für das erste Quartal 2020 sind im Hinblick auf Mazar-e Sharif 3 Sicherheitsvorfälle verzeichnet. Die Kriminalität ist zuletzt gestiegen. Die Stadt verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.
Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.
Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Wirtschaft stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig und stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht. Lebensgrundlage von 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft. Ca. 44 % der Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 54 % zwischen 15 und 64. Jedes Jahr treten sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können.
Die afghanische Wirtschaft wurde hart von den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie getroffen. Als Folge sind die Preise von Grundnahrungsmitteln stark gestiegen. Aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit. Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung, was etwa zu einer Verschärfung von Armut, einem Rückgang der Staatseinnahmen und einer geringeren Nachfrage nach Arbeitskräften führt. Besonders von weiterer Verarmung betroffen sind von Tagelöhner-Einkommen abhängige Familien.
Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung im Sinne von Ausgangsbeschränkungen, Beschränkungen des wirtschaftlichen Lebens oder der Bewegungsfreiheit sind aktuell nicht in Kraft.
Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt auch für Balkh. Das afghanische Gesundheitssystem ist mangelhaft, der überwiegende Anteil der Bevölkerung hat jedoch Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Die medizinische Versorgung ist in großen Städten und auf Provinzebene sichergestellt. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildetem Personal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In Distrikten mit guter Sicherheitslage werden in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten. Die Behandlungskosten sind hoch. Bedingt durch die begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und die begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan unzureichend erfasst. Krankenhäuser und Kliniken haben Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und Lebensverhältnissen bis zur Ausreise ergeben sich aus den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde hegte keine Zweifel an den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers. Im Hinblick auf die Lebensverhältnisse wird zudem auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers beruht auf dem vorgelegten ÖSD-Zertifikat vom 03.10.2017 für das Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (AS 75), wobei der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichts sich im Zuge der mündlichen Verhandlung am 06.10.2020 im Zuge der Befragung zu den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet von den beinahe fließenden Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers überzeugen konnte (OZ 12, S. 8-9).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet und auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.
Dass seine Eltern verstorben sind, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben, ebenso, dass er zwei Brüder und zwei Schwestern hat, die im Herkunftsstaat leben. Nachdem der Beschwerdeführer bereits ab dem vierten oder fünften Lebensjahr bei seinem Onkel in Mazar-e Sharif lebte, erschein auch plausibel, dass der Beschwerdeführer den Kontakt zu ihnen verloren hat.
Das Antragsdatum des Beschwerdeführers ist aktenkundig und sind Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens nicht hervorgekommen. Zu seinen Deutschkursen hat der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen vorgelegt, ebenso zum Deutschkurs, den aktuell besucht (OZ 13), zu seinen Prüfungen sind ÖSD-Zertifikate aktenkundig (AS 73-75). Zu seinen Aktivitäten in der der „ XXXX “ und der „ XXXX “ hat der Beschwerdeführer mehrere Bestätigungen und einige Fotos vorgelegt (AS 49-63; OZ 13; Beilagen zu OZ 12). Zu seiner gemeinnützigen Tätigkeit hat der Beschwerdeführer ebenso ein Bestätigungsschreiben vorgelegt (AS 77). Der Beschwerdeführer hat auch Einstellungszusagen vorgelegt (Beilage zu OZ 12; OZ 13), wobei der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.10.2020 seine Bemühungen bei der Arbeitssuche lebhaft schilderte und insbesondere im Hinblick auf die Einstellungszusage von XXXX vom 27.09.2020 (Beilage zu OZ 12) aktenkundig ist, dass diesbezüglich für den Beschwerdeführer auch eine Beschäftigungsbewilligung als Saisonarbeitskraft beim AMS beantragt wurde (OZ 5). Damit ist nicht davon auszugehen, dass es sich um ein bloßes Gefälligkeitsschreiben handelt. Zu seinen sozialen Kontakten hat der Beschwerdeführer mehrere Empfehlungsschreiben und Bestätigungen (Beilagen zu OZ 12) vorgelegt, aus denen bereits länger andauernder Kontakt hervorgeht und ist auch zur Verhandlung in Begleitung erschienen.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Im Hinblick auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist zwar anzumerken, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen nicht erkennen lässt und sich auf die Darlegung irrelevanter, teilweise konstruierter Widersprüche beschränkt. Im Ergebnis kommt jedoch das Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zu dem Schluss, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Gefährdung nicht glaubhaft ist.
Zunächst hat der Beschwerdeführer zwar gleichbleibend angegeben, dass er bereits in sehr jungen Jahren von seinem Onkel zu sich geholt wurde und begründet dies auch nachvollziehbar etwa damit, dass der Onkel zwar drei Töchter, jedoch keinen Sohn hat (OZ 12, S. 6; AS 44). Weiter schilderte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.10.2020 einen konkreten Misshandlungsvorfall plastisch, lebendig, emotional und übereinstimmend mit seinen Angaben vor der belangten Behörde am 12.10.2017 (AS 44). Zudem erweisen sich die Angaben des Beschwerdeführers, dass er bereits sehr früh im Geschäft des Onkels mitarbeiten musste und von diesem regelmäßig geschlagen und misshandelt wurde, vor dem Hintergrund der Länderberichte grundsätzlich als plausibel. So berichtet das vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 01.09.2020 (OZ 6) in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt) vom mangelnden Zugang zu Schulbildung, der weiten Verbreitung der Kinderarbeit (bei Buben zwischen fünf und 17 Jahren 32,7% bzw. 34,1%), sowie von der weiten Verbreitung körperlicher und psychischer Züchtigung (Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.2. Kinder). Die EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) – ebenso vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 01.09.2020 (OZ 6) in das Verfahren eingebracht – berichtet ebenso von Kinderarbeit, Gewalt gegen Kinder und einem mangelhaften Zugang zu Bildung (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 10. Children). Im Detail wird Kindesmisshandlung in der afghanischen Gesellschaft als „endemisch“ bezeichnet, Kinder in afghanischen Familien würden körperlich gezüchtigt, geohrfeigt, beschimpft, geschlagen, getreten, mit dünnen Stöcken, Kabeln und Schuhen geschlagen (Buchstabe d. Violence against children, S. 58).
Die Angaben des Beschwerdeführers zu den Ereignissen, die letztendlich zur Ausreise geführt haben sollen, erweisen sich jedoch als vage und nicht konsistent. So gibt der Beschwerdeführer zu den Gründen für die behauptete Festnahme durch die Polizei lediglich pauschal an, sie hätten „Drogen und Alkohol“ verkauft. Er macht hierzu, obgleich er angibt, dies auch selbst getan zu haben, keinerlei weitere Angaben, sondern beschränkt sich stets auf gleichlautend auf diese Floskel. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass der Beschwerdeführer in diesem Zeitpunkt minderjährig war. Allerdings stehen die Angaben des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Verkauf von „Drogen und Alkohol“ in Detailgrad und Dichte in auffallendem Kontrast etwa zum konkret geschilderten Misshandlungsvorfall oder zu den Schilderungen der Ausreise. Weiter sind die Schilderungen des Beschwerdeführers zum Verhalten des Onkels in diesem Zusammenhang inkonsistent. So lässt er ihn einerseits als „Retter“ auftreten, den der Beschwerdeführer bei Auftreten eines ernsten Problems sofort anruft und der ihn durch Bestechung aus dem Polizeigewahrsam holt. Andererseits behauptet er allerdings, als der Onkel ihn herausgeholt habe, habe er gewusst, er arbeite mit der Polizei zusammen (AS 43).
Warum dies den Beschwerdeführer dann zur Ausreise bewogen haben soll, wird allerdings in der Fluchtgeschichte nicht schlüssig erklärt. So hat der Onkel seine behaupteten Polizeikontakte der Schilderung zufolge lediglich dafür genützt, den Beschwerdeführer aus dem Polizeigewahrsam zu befreien und eine anschließende Durchsuchung des Ladens zu verhindern. Einen konkreten Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer deshalb von Seiten des Onkels in Gefahr sein soll, kommt in der Fluchtgeschichte allerdings gar nicht vor (AS 43). Weiter sind auch die Angaben im Hinblick auf die Kontakte des Onkels zur Polizei widersprüchlich. So behauptet der Beschwerdeführer zunächst in der niederschriftlichen Einvernahme, ihm sei, als der Onkel ihn rausgeholt habe, klargeworden, dass er mit den Polizisten zusammenarbeite und die Polizei bestochen habe (AS 43). Noch in derselben Einvernahme gibt der Beschwerdeführer – obwohl er bis dahin nur davon gesprochen hatte, dass der Onkel ein Lebensmittelgeschäft besitze – an, der Onkel sei selbst bei der Polizei, er wisse jedoch nicht, welchen Rang er gehabt habe, er sei täglich in normaler Kleidung weggegangen und zurückgekommen, habe viele Leute und viele Polizisten gekannt und hätte ihn dadurch finden könnten (AS 44). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gibt der Beschwerdeführer dagegen an, der Onkel habe für die Regierung gearbeitet und deshalb viele Freunde (OZ 12, S. 6).
Auch das allgemeine Verhältnis zum Onkel schildert der Beschwerdeführer nicht konsistent. So gibt er etwa an, der Onkel habe seinen Laden auf ihn überschrieben und der Beschwerdeführer habe weiterhin dort gearbeitet (AS 43; OZ 12, S. 6). Dies allerdings deutet eher darauf hin, dass der Onkel den Beschwerdeführer einem Sohn ähnlich als Nachfolger in seine Verantwortung als Familienoberhaupt betrachtet und nicht, wie der Beschwerdeführer angibt, dass er ihm nichts bedeutet habe und für ihn nicht wichtig gewesen sei (OZ 12, S. 6). Auch gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, er habe von seinem Onkel „Taschengeld“ erhalten (OZ 12, S. 5). Weiter lässt der Beschwerdeführer den Onkel in seiner Fluchtgeschichte als „Retter“ auftreten, den der Beschwerdeführer im Fall eines ernsten Problems sofort anruft und der ihn durch Bestechung aus dem Polizeigewahrsam holt. Damit steht wiederum nicht im Einklang, dass der Beschwerdeführer davon ausgegangen sein will, sein Onkel werde ihm nicht helfen, wenn die Polizei wiederkomme, ihn verhafte und ins Gefängnis stecke (OZ 12, S. 6).
Insgesamt sind die Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf eine über die an Kindern ausgeübte Gewalt hinausgehende vom Onkel ausgehende Gefahr nicht konsistent. Viel mehr entsteht der Eindruck, dass der Beschwerdeführer in den Iran ausreisen wollte, dafür von seinem Onkel die Erlaubnis und das Geld nicht erhalten und es daraufhin aus dem Geschäft gestohlen hat. So schildert der Beschwerdeführer wiederum detailliert, nachvollziehbar und im Wesentlichen übereinstimmend mit seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.10.2017, wie er mit seinem Freund die Ausreise vereinbart und schließlich abgewartet hat, bis der Onkel wegen einer Einladung nicht zuhause ist. Diesbezüglich ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer, weil er das Geld für die Ausreise gestohlen hat, mit Übergriffen bis hin zur Ermordung von Seiten seines Onkels zu rechnen hätte. So ist der Beschwerdeführer mittlerweile ein erwachsener Mann, von der im Hinblick auf Kinder beschriebenen Lage nicht mehr betroffen und den „Erziehungsmaßnahmen“ des Onkels nicht mehr wehrlos ausgesetzt. Im Hinblick auf das sonstige Verhältnis zum Onkel konnte der Beschwerdeführer – wie bereits ausgeführt – keinerlei Anhaltspunkte glaubhaft machen, die erwarten lassen, dass er den jetzt erwachsenen Beschwerdeführer angreifen oder gar töten sollte, obgleich der Beschwerdeführer aufgrund seines Diebstahles wohl kaum mit einem freundlichen Empfang zu rechnen hätte. Insbesondere gibt der Beschwerdeführer hierzu in der niederschriftlichen Einvernahme lediglich an, der Onkel werde ihn zurücknehmen und konkretisiert lediglich, er werde ihn schlagen und er müsse wieder im Geschäft arbeiten. Dass der Onkel den Beschwerdeführer weiterhin behandeln kann, so wie er ihn als Kind behandelt hat und ihn zur Arbeit zwingen kann, erweist sich allerdings als wenig realistisch, nachdem der Beschwerdeführer mittlerweile ein erwachsener Mann ist.
Im Hinblick auf die Ermordung der Eltern des Beschwerdeführers durch den Onkel ist anzumerken, dass auch dieser Aspekt sich nicht konsistent in Lebensverhältnisse und Fluchterzählung einfügt. Weiter behauptet der Beschwerdeführer lediglich, er habe gehört, der Onkel habe die Eltern ermordet (AS 42), geht hierauf jedoch weder im Zusammenhang mit der Fluchtgeschichte, noch an anderer Stelle näher ein. Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.10.2020 gibt der Beschwerdeführer diesbezüglich nur mehr an, sein Vater sei verstorben (OZ 12, S. 5), wiederholt aber die Behauptung, der Onkel habe etwas damit zu tun, nicht mehr.
Die Feststellungen zu den Siedlungsgebieten der schiitischen Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt. So geht das traditionelle Besiedelungsgebiet der Hazara, zu dem Teile der Provinz Balkh zählen, aus Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.3. Hazara, hervor, dass auch von „Hazara-Vierteln“ in Kabul berichtet. Im Hinblick auf Herat zählt das Länderinformationsblatt die Hazara ebenso als eine der wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz auf und erwähnt im Hinblick auf Herat (Stadt) eine beträchtliche Hazara-Minderheit (Kapitel 2.13. Herat).
Die Feststellungen zur gesellschaftlichen Lage der Hazara beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.3. Hazara, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70). Auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) – mit Ladung vom 01.09.2020 (OZ 6) in das Verfahren eingebracht – berichten einerseits von gesellschaftlicher Diskriminierung, Erpressung durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, körperliche Misshandlung und Inhaftierung, aber auch von erheblichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritten der Hazara seit dem Ende des Taliban-Regimes (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107).
Hinweise auf Misshandlungen der schiitischen Hazara durch den Staat sind der EASO Country Guidance zufolge nicht ersichtlich (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).
Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.3. Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel 2. Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)).
Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch, dass dies häufig auch mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69-70, sowie Buchstabe b. Shia, including Ismaili, S. 70).
Im Hinblick auf die Verbundenheit von Ethnie und Religion berichtet das Länderinformationsblatt, die schiitische Religionszugehörigkeit würde wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara zählen (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara). Auch die UNHCR-Richtlinien berichten von einer häufig untrennbaren Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit, weswegen eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder der ethnischen Zugehörigkeit andererseits oftmals nicht möglich sei (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Auch die EASO Country Guidance spricht die Verknüpfung an (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 17. Ethnic and religious minorities, Buchstabe a. Individuals of Hazara ethnicity, S. 69).
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance, und den UNHCR-Richtlinien.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.5. Balkh. Die Feststellung, dass Mazar-e Sharif unter Regierungskontrolle steht und Kampfhandlungen im Wesentlichen nicht stattfinden, beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.5. Balkh, wo insbesondere für Mazar-e Sharif kaum Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind, sowie auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 92-93, insbesondere Unterabschnitt Focus on the provincial capital: Mazar-e Sharif, S. 92-92. Hier findet auch der internationale Flughafen Erwähnung, von dem auch das Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationale Flughäfen, Unterabschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif. Im Hinblick auf diesen ist der EASO Country Guidance zu entnehmen, dass Sicherheitsvorfälle betreffend den Flughafen in Mazar-e Sharif nicht bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Travel and admittance S. 130).
Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 3. Rechtsschutz/Justizwesen, 5. Folter und unmenschliche Behandlung und 10. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers – so wurde bereits unter 2.2. beweiswürdigend ausgeführt, dass nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer von der afghanischen Polizei festgenommen wurde und sind auch keine Anhaltspunkte für eine Festnahme im Fall der Rückkehr ersichtlich – wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.
Die Feststellungen zur Wirtschaftslage in Afghanistan beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung und dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020.
Der negative Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die afghanische Wirtschaft geht aus dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020 hervor und wird auch vom EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 bestätigt. Dieser berichtet etwa, dass für das Jahr 2020 ein Rückgang des BIP von 5,5 bis 7,4 % erwartet wird (Kapitel 2.1.1 Economic growth, S. 23), von einem Anstieg der Arbeitslosenrate für das Jahr 2020 (Kapitel 2.2.1. Unemployment, S. 28), von insgesamt negativen Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf Arbeitsmarkt, Geschäftsaktivitäten, Armutsrate, etc. (etwa Kapitel 2.2.2 Employment opportunities and working conditions, S. 29-30; Kapitel 2.3.1. General trends, S. 36), einem verringerten Zugang zu Einkommen für arme städtische Haushalte, insbesondere für Tagelöhner (Kapitel 2.3.2. Urban poverty, S. 37) und einem Anstieg der Lebensmittelpreise (Kapitel 2.4.1. General situation, S. 39).
Im Hinblick auf aktuelle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung geht aus dem Länderinformationsblatt hervor, die „landesweite Abriegelung“ sei zuletzt am 06.06.2020 um drei Monate verlängert worden, ebenso die Schließung der Schulen (Information vom 21.07.2020). Informationen zu einer darüberhinausgehenden Verlängerung waren allerdings nicht auffindbar (Vgl. etwa die aktuelle Informationen bietende Homepage der US-Botschaft in Afghanistan: https://af.usembassy.gov/covid-19-information/, abgerufen am 27.11.2020). Der Beschwerdeführer hat auch kein Vorbringen im Hinblick auf aktuelle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung erstattet.
Die Feststelllungen zur COVID-19-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, insbesondere Information vom 21.07.2020. Die Feststellungen zur Gesundheitsversorgung beruhen ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 21. Medizinische Versorgung, sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020, Kapitel 2.6 Health care, S. 45 ff.).
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zudem nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).
3.1.1. Zur behaupteten vom Onkel ausgehenden Verfolgungsgefahr
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung den Familienverband als „soziale Gruppe“ gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anerkannt. Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Z 2 GFK, etwa jener der Familie liegt (Vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 mwN).
Im Hinblick auf seinen Onkel konnte der Beschwerdeführer zwar glaubhaft machen, dass er in der Vergangenheit von diesem misshandelt und zur Kinderarbeit gezwungen wurde, wobei diese im Zusammenhang mit dem Familienverhältnis zum Onkel stand.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Insbesondere reicht „Vorverfolgung“ für sich genommen nicht aus, weil entscheidend ist, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (zuletzt VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).
Für den Fall der Rückkehr konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass er Übergriffen von Seiten des Onkels ausgesetzt wäre. Die festgestellten „Vorverfolgung“ im Kindesalter reicht jedoch für die Asylgewährung nicht aus.
3.1.2. Zur behaupteten polizeilichen Verfolgung wegen des Verkaufs von Alkohol und Drogen
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der staatlichen Strafverfolgung im Allgemeinen keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn zu erblicken. Unter bestimmten Umständen, nämlich dann, wenn die strafrechtliche Verfolgung auf eine den nationalen Normen zuwiderlaufendes Verhalten des Betroffenen im Einzelfall, das etwa auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht, abzielt und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Es kommt somit auf die angewendeten Rechtsvorschriften, die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an. (VwGH, 20.12.2016, Ra 2016/01/0126 mwN)
Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass er in den Verkauf von Alkohol und Drogen involviert war und deshalb von der Polizei festgenommen wurde. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob allenfalls ein Zusammenhang mit einem GFK-Fluchtgrund besteht, sowie mit der Verhältnismäßigkeit der Sanktionen konnte damit unterbleiben.
3.1.3. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu den schiitischen Hazara
Zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit bringt der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde im Wesentlichen vor, Hazara würden von den Taliban umgebracht (AS 45).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden, sondern auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (jüngst etwa VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450). Eine Eingriffsintensität im Sinne eines „Genozids“ muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht vorliegen, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034).
Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – glaubhaft machen, dass der zu den schiitischen Hazara gehört.
Hinweise auf Misshandlungen von Seiten des Staates konnten allerdings nicht festgestellt werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zudem nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).
Gegenständlich gibt es Hinweise auf Diskriminierungen der schiitischen Hazara etwa auf dem Arbeitsmarkt, soziale Diskriminierung und eine Unterrepräsentation in der Verwaltung, jedoch wurde ebenso die Beteiligung von Hazara an nationalen Institutionen festgestellt, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte. Diskriminierende Maßnahmen gegen alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Sinne einer „Verfolgung“ nach der oben zitierten Rechtsprechung sind damit nicht ersichtlich. Eine individuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers wurde dagegen nicht konkret vorgebracht.
Hinsichtlich des ISKP ist zwar – nachdem dieser Angriffe auf schiitische Hazara durchführt, die mit deren schiitischer Glaubenszugehörigkeit, sowie einer zumindest unterstellten Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen IS in Syrien in Zusammenhang stehen – ersichtlich, dass dieser zielgerichtete Maßnahmen gegen Schiiten und damit auch gegen schiitische Hazara setzt. Dem ISKP kommt jedoch lediglich eine beschränkte territoriale Reichweite zu.
Hinsichtlich der Taliban, die wie festgestellt in der Herkunftsprovinz stark präsent sind, kommt es ebenso zu Übergriffen, insbesondere Entführungen und Tötungen von Angehörigen der schiitischen Hazara. Weiter stehen insbesondere Aussonderungen von Hazara-Reisenden häufig in einem anderen Kontext als jenem der Volksgruppenzugehörigkeit. Eine spezifische Häufung von Hazara betreffenden Vorfällen im Sinne einer Gruppenverfolgung nach der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist jedoch nicht ersichtlich.
Im Hinblick auf seine konkrete Betroffenheit verneint der Beschwerdeführer im Übrigen, dass ihm je persönlich etwas passiert sei (AS 45).
Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse konnte der Beschwerdeführer damit nicht glaubhaft machen.
Im Ergebnis war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher spruchgemäß abzuweisen.
3.2. Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).
Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu können, reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (jüngst etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).
Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage ist nach der ständigen, auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH bezugnehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Voraussetzung des „real risk“ iSd Art. 3 EMRK nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt, als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243).
Im Hinblick auf Mazar-e Sharif ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass die Stadt unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen im Wesentlichen nicht stattfinden, es jedoch zu Sicherheitsvorfällen kommt, für das erste Quartal 2020 sind 3 Sicherheitsvorfälle verzeichnet. Weiter ist die Kriminalität gestiegen.
Balkh zählt zu den relativ stabilen Provinzen, zuletzt kam es allerdings zu einer Destabilisierung mancher Distrikte, sowie zu einer Steigerung der Sicherheitsvorfälle. Mazar-e Sharif steht unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen finden im Wesentlichen nicht statt, es kommt jedoch zu Sicherheitsvorfällen. Für das erste Quartal 2020 sind im Hinblick auf Mazar-e Sharif 3 Sicherheitsvorfälle verzeichnet. Die Kriminalität ist zuletzt gestiegen. Die Stadt verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.
Der Einschätzung der EASO Country Guidance zufolge ist das Gewaltniveau in Mazar-e Sharif jedoch so niedrig, dass generell nicht von einem „real risk“ iSd Art. 3 EMRK (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidiary protection, Buchstabe c. Indiscriminate violence, Abschnitt Balkh, S. 93) bzw. einem extremen Fall im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes auszugehen ist. Im Hinblick auf die individuellen Elemente des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass dieser in Mazar-e Sharif aufgewachsen ist, die Schule besucht und erste Berufserfahrung gesammelt hat. Besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Beschwerdeführers kritischer darstellt, als für die Bevölkerung Mazar-e Sharifs im Allgemeinen sind damit nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargetan.
Auch bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zuge der Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlichen Beurteilung einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/19/0455). Im Hinblick auf die Menschenrechtslage in Afghanistan ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer zwar vorbringt, dass der Handel mit Alkohol oder Drogen gegen die Grundsätze des Islam verstoße und daher unmenschliche Sanktionen zu erwarten seien. Der Beschwerdeführer konnte jedoch nicht glaubhaft machen, dass er Alkohol und Drogen verkauft hat und deshalb festgenommen wurde. Damit ist auch in diesem Zusammenhang eine konkrete Betroffenheit des Beschwerdeführers nicht ersichtlich.
Nach österreichischer Rechtslage (Vgl. nochmals VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006) ist zudem zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr unabhängig von Akteuren oder dem bewaffneten Konflikt eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK droht.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B2400/07 mwN).
Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes i