Entscheidungsdatum
31.08.2020Norm
BFA-VG §9Spruch
L502 2233084-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.05.2020, FZ. XXXX , zu Recht erkannt:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Nach mehrfachen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen, zuletzt mit Urteil des XXXX vom XXXX , leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das gg. Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den Beschwerdeführer (BF) ein.
2. Hierzu wurde er für den 10.02.2020 zu einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA geladen, wobei er diesem Termin fernblieb.
3. Daraufhin wurde er mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch das BFA vom 23.03.2020 von der geplanten Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt und ihm eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu eingeräumt.
In weiterer Folge langte jedoch keine Stellungnahme des BF beim BFA ein.
4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde gegen den Beschwerdeführer (BF) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt I). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG „nach …“ zulässig ist (Spruchpunkt II). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 „Z. 0“ FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV). Gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V).
5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 28.05.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
6. Gegen den am 02.06.2020 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner Vertretung vom 25.06.2020 binnen offener Frist in vollem Umfang Beschwerde erhoben.
7. Das gg. Beschwerdeverfahren wurde im Gefolge des Einlangens der Beschwerdevorlage des BFA beim BVwG am 16.07.2020 der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des BVwG zugewiesen, wo sie am 17.07.2020 einlangte.
8. Mit Beschluss des BVwG vom 20.07.2020 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BF-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
9. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR) den BF uns seine hiesigen Verwandten betreffend.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.
1.2. Die Identität des BF steht fest. Er wurde am XXXX in XXXX in der Türkei geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, spätestens jedoch im Jahr 1995 in das österreichische Bundesgebiet ein und verfügte spätestens seit 1999 durchgehend über aufrechte Meldeadressen und Aufenthaltstitel für dieses.
Zuletzt verfügte er über eine bis 22.04.2020 gültige „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“. Über seinen Verlängerungsantrag vom 28.04.2020 wurde seitens der zuständigen Aufenthaltsbehörde bislang nicht entschieden.
Er ist ledig und kinderlos. Er verfügt über sehr gut Deutsch- und Türkisch-Kenntnisse. Er besuchte im Schuljahr 1995/96 als außerordentlicher Schüler die Vorschule und bis 07.01.1997 die erste Klasse einer Volksschule in Österreich. Danach besuchte er ab 08.01.1997 bis 05.07.2002 eine allgemeine Sonderschule und befand sich in weiterer Folge in den Schuljahren 2002/03 und 2003/04 im häuslichen Unterricht, ehe er am 09.07.2004 seine Schulpflicht beendete.
Von August 2005 bis November 2005 begann er eine Lehre als Maler, welche er jedoch nicht abgeschlossen hat. Im Übrigen war er im Juli 2005, im April 2006, von Mai 2006 bis September 2006, im Juni 2007, von Oktober 2007 bis November 2007, von Mai 2008 bis Juni 2008, von Februar 2013 bis April 2013 und von September 2013 bis November 2013 jeweils als Arbeiter erwerbstätig, wobei die längste durchgehende Beschäftigung fünf Monate betrug. Im Übrigen bestritt er seinen Lebensunterhalt seit Dezember 2004 überwiegend durch staatliche Sozialleistungen in Form von Arbeitslosengeld bzw. Notstands-/Überbrückungshilfe.
Er leidet an einer XXXX und einem XXXX . Aufgrund dieser Erkrankungen gilt er als originär arbeitsunfähig. Am 10.12.2018 wurde ein operativer Eingriff zur Behandlung einer XXXX durchgeführt, wobei er am 13.12.2018 in gutem Allgemeinzustand aus der stationären Behandlung entlassen wurde und eine aus diesem Eingriff resultierende aktuelle Behandlungsbedürftigkeit nicht festgestellt wurde.
In Österreich leben die Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüder des BF. Eine seiner Schwestern ist österr. Staatsangehörige, die Eltern und die andere Schwester verfügen jeweils über einen unbefristeten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ und seine Brüder jeweils über eine „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“. Er lebt mit keinem seiner hiesigen Familienangehörigen im gemeinsamen Haushalt. Daneben wohnen weitere Verwandte des BF in Österreich. Konkrete verwandtschaftliche oder soziale Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat waren nicht festzustellen.
1.3. Der BF wurde in Österreich wie folgt rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX als junger Erwachsener zu einer XXXX mit einer XXXX Probezeit und Anordnung der Bewährungshilfe;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX als junger Erwachsener zu einer XXXX und einer XXXX Probezeit;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX als junger Erwachsener zu einer XXXX und einer XXXX Probezeit sowie zu einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf die Verurteilung vom XXXX ;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu einer XXXX , wobei XXXX ;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX als junger Erwachsener zu einer XXXX ;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX als junger Erwachsener zu einer XXXX , sowie einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf die Verurteilung vom XXXX ;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX als junger Erwachsener gemäß §§ 31 und 40 StGB zu keiner Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf die Verurteilung vom XXXX ;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu einer XXXX ;
Mit Urteil des XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu einer XXXX mit einer XXXX Probezeit.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis erhoben wurde im gg. Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes und der im Beschwerdeverfahren vom BF vorgelegten Beweismittel sowie durch die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters und des IZR den BF und seine Familienangehörigen betreffend und des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.
2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF, zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet, zu seinen familiären Verhältnissen im Bundesgebiet und in der Türkei, zu seinen Beschäftigungszeiten, zu seinen strafgerichtlichen Verurteilungen und zu seinem Gesundheitszustand waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts in unstrittiger Weise festzustellen.
Mangels entsprechender Angaben des BF im Verfahren waren konkrete verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in der Türkei nicht feststellbar.
3. Rechtliche Beurteilung:
Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Zu A)
1.1. § 52 FPG idgF lautet:
(1) …
(2) ….
(3) …
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. …
1a. …
2. …
3. …
4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5. …
Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
(6) …
(7) …
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.
(11) …
§ 9 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.
Art. 8 EMRK lautet:
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
§ 55 FPG lautet:
(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.
(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.
§ 11 NAG lautet:
(1) ...
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2. ...
3. ...
4. ...
5. ...
6. ...
7. ...
(3) ...
(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn
1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder
2. ...
(5) ...
(6) ...
(7) ...
1.2. Dem BF verfügte bislang über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ iSd §§ 41f NAG. Über seinen Verlängerungsantrag vom 28.04.2020 wurde seitens der Niederlassungsbehörde noch nicht entschieden. Der Aufenthalt des BF ist sohin weiterhin rechtmäßig.
Im gg. Fall stützte die belangte Behörde die Erlassung der Rückkehrentscheidung in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf § 52 Abs. 5 FPG und führte hierzu aus, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und Art 8 EMRK der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn nicht entgegenstehe.
Sie zog jedoch den § 52 Abs. 5 FPG – dem zufolge eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, erlassen werden kann, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde – zu Unrecht als Entscheidungsgrundlage heran, weil der BF über keinen „Daueraufenthalt – EU“ verfügt.
Angesichts der oben festgestellten Zeiten einer Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet hat er auch keine Rechte nach Art 6 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) erworben. Weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus dem erstinstanzlichen Verfahren wurden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er Rechte nach Art 7 ARB 1/80 erworben hätte.
Angesichts des anhängigen Verlängerungsverfahrens kam daher lediglich § 52 Abs. 4 Z. 4 FPG als Entscheidungsgrundlage in Betracht, der für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung das Vorliegen eines Versagungsgrundes nach § 11 Abs. 1 und 2 NAG, der der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels entgegensteht, voraussetzt. Ein solcher Versagungsgrund wiederum liegt gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm Abs. 4 Z. 1 NAG vor, wenn der weitere Aufenthalt des BF öffentlichen Interessen widerstreitet, weil er die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Im Übrigen verlangte der § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 FPG einen strengeren Gefährdungsmaßstab hinsichtlich der vom BF ausgehenden Gefahr als der hier maßgebliche § 52 Abs. 4 Z. 4 iVm § 11 NAG.
2.1. Bei der Prüfung, ob die Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062 mit Hinweis auf VwGH 14.04.2011, 2008/21/0257).
Zudem ist bei der Gefährdungsprognose - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des BF - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 mit Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002).
Die fremdenpolizeiliche Beurteilung ist unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119). Selbiges gilt auch für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot.
Nach der hg. Rechtsprechung kann auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Gravidität vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden. Im Hinblick darauf ist die Verhängung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, auch gegen langjährig rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde, gegebenenfalls nicht zu beanstanden (vgl. VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0099 mit Hinweis auf VwGH 29.6.2017, Ra 2016/21/0338; VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0021).
Ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters ist der ständigen Judikatur des VwGH zufolge grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH vom 25.01.2018, Ra. 2018/21/0004 sowie VwGH vom 19. April 2012, Zl. 2010/21/0507, und vom 25. April 2013, Zl. 2013/18/0056, jeweils mwN).
Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (VwGH vom 26.01.2017, Zl. Ra 2016/21/0233 - vgl. E 22. September 2011, 2009/18/0147; B 22. Mai 2014, Ro 2014/21/0007; B 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Entscheidung nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen kann, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0193; vgl. auch VwGH vom 22. Jänner 2013, 2012/18/0185 und vom 22. Mai 2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013). Wenn sich die Gefährdung über einen - beginnend mit der Haftentlassung - Zeitraum von mehr als 8 Jahren nicht erfüllt, kann die diesem Aufenthaltsverbot zugrundeliegende Zukunftsprognose grundsätzlich nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117). Auch diese Ausführungen lassen sich auf eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot übertragen.
2.2.1. Im bekämpften Bescheid führte die belangte Behörde aus, dass der BF angesichts seiner insgesamt neun strafgerichtlichen Verurteilungen zwischen XXXX eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die letzte strafgerichtliche Verurteilung zu einer XXXX würde ein bis zu zehnjähriges Einreiseverbot rechtfertigen. Sein Verhalten zeuge von einer beträchtlichen kriminellen Energie, die sich in erster Linie gegen fremdes Eigentum richte und er beitreibe seine XXXX . Da er Wiederholungstäter sei, sei auch von einer aktuellen Gefährdung durch den weiteren Aufenthalt des BF auszugehen. Auch der Umstand, dass sich seine strafrechtlichen Verfehlungen über einen Zeitraum von knapp XXXX erstrecken würden, wäre besonders verwerflich.
Dem wurde in der Beschwerde im Wesentlichen entgegengehalten, dass sich die belangte Behörde unzureichend mit dem Privat- und Familienleben des BF in Österreich und seinen daraus resultierenden Interessen nach Art. 8 EMRK auseinandergesetzt habe. Auch die dreijährige Dauer des verhängten Einreiseverbots sei nicht ausreichend begründet worden. Von der belangten Behörde sei zudem nicht berücksichtigt worden, dass zwischen seiner früheren Straffälligkeit und der jüngsten strafgerichtlichen Verurteilung XXXX lägen. Es müsse zudem berücksichtigt werden, dass der BF an einer emotionalen instabilen Persönlichkeitsstörung leide.
2.2.2. Der BF wurde unstrittiger Weise am XXXX rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Diese Verurteilung hatte eine XXXX zur Folge, weshalb der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG durch diese Verurteilung erfüllt war, was nach der hg. Rechtsprechung das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indiziert (vgl. VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).
Dem Standpunkt des BFA, dass beim BF wegen seiner bereits neun einschlägigen Verurteilungen von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen sei, war jedoch zu entgegnen, dass er vor der letzten Verurteilung am XXXX zuletzt am XXXX – sohin mehr als neun Jahre zuvor – strafgerichtlich verurteilt wurde. Wenngleich die vormalige Straffälligkeit des BF im Zeitraum zwischen XXXX und XXXX jeweils wegen Vergehen und Verbrechen gegen fremdes Eigentum nicht gänzlich außer Betracht bleiben konnte, so war deren Bedeutung für die Beurteilung einer aktuell beim BF zu erwartenden neuerlichen Tatbegehung aufgrund des langjährigen Zeitraumes des Wohlverhaltens bis XXXX maßgeblich geschmälert. Unter der bloßen Bedachtnahme darauf war daher nicht auf eine erhebliche kriminelle Energie und eine Wiederholungsgefahr zu schließen.
Betrachtet man darüber hinaus die jüngste strafgerichtliche Verurteilung im Jahr 2019, so war der belangten Behörde zwar grundsätzlich beizupflichten, dass aus dem zugrundeliegenden Verhalten des BF in Verbindung mit der Erwerbsunfähigkeit des BF auf eine gewisse kriminelle Energie des BF sowie auch auf eine potentielle neuerliche Tatbegehungsgefahr geschlossen werden kann, allerdings ließen die konkreten Tatumstände nicht auf eine ausreichende Gravidität seiner strafbaren Handlungen schließen um die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn zu rechtfertigen.
Zwar wurden die einschlägigen Vorstrafen des BF vom Strafgericht erschwerend bewertet, allerdings wurden demgegenüber der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, sowie die reumütige geständige Verantwortung des BF mildernd bewertet. Nicht zuletzt konnte auch nicht außer Betracht bleiben, dass das Strafgericht trotz der einschlägigen Vorstrafen eine vergleichsweise geringe Strafe gegen den BF verhängte, zumal der Strafrahmen des XXXX bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe umfasst. Zudem ließ auch noch der Umstand, dass die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde, darauf schließen, dass auch das Strafgericht nicht davon ausging, dass es neuerlich des Haftübels bedarf um den BF künftig von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
Insgesamt gesehen stellte sich sohin sein Verhalten das Ausmaß seiner kriminellen Energie betreffend als nicht so gravierend dar, dass von einer hinreichend schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgegangen werden konnte, weshalb gerade wegen der zuvor gezeigten beinahe zehnjährigen Abstandnahme des BF von der Begehung strafbarer Handlungen die Annahme einer akuten Wiederholungsgefahr nicht schlüssig war. Insoweit war aber auch der für eine positive Zukunftsprognose erforderliche Zeitraum des Wohlverhaltens im Falle des BF entsprechend kürzer zu veranschlagen, zumal der Zeitraum des notwendigen Wohlverhaltens umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (vgl. etwa zum Aufenthaltsverbot VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013).
2.3. Angesichts dieser Erwägungen fanden sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, dass aufgrund seines persönlichen Verhaltens sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Sicherheit in ausreichendem Maß gefährdet wäre.
2.4.1. Überdies war zu bedenken, ob bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegt.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00).
Wie der Verfassungsgerichtshof in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:
die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),
die Bindungen zum Heimatstaat,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie
auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).
In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).
Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Fremden dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (vgl. Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).
Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).
2.4.2. Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd. Art. 8 EMRK entspricht, müssen neben der Verwandtschaft noch weitere Umstände hinzutreten. So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgehen (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 197 ff). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert.
Der volljährige BF lebt mit keinem seiner hiesigen Verwandten in einem gemeinsamen Haushalt. Trotz seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit besteht daher kein sogenanntes Abhängigkeitsverhältnis zu diesen.
Mangels einer familiären Nahebeziehung iSd Judikatur des EGMR zu Art. 8 EMRK war daher lediglich das in Österreich bestehende Privatleben des BF zu beachten.
2.4.3. Der BF reiste spätestens im Jahr 1995 in das österr. Bundesgebiet ein und hielt sich seither hier auf. Spätestens seit 1999 verfügte er durchgehend über aufrechte Meldeadressen und Aufenthaltstitel. Es ist daher von seiner sozialen Verankerung in Österreich auszugehen, nicht zuletzt spricht er auch sehr gut Deutsch. Er hat in Österreich die Schule besucht und verfügt über einen Pflichtschulabschluss. Wenngleich er über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und auch lediglich kurzzeitig mehreren Erwerbstätigkeiten nachging, gilt er aufgrund seiner XXXX als originär arbeitsunfähig, weswegen ihm die mangelnde berufliche Integration nicht anzulasten ist. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt folglich auch vorwiegend durch staatliche Sozialleistungen.
In Anbetracht der obenstehenden Erwägungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen erfuhren diese Integrationsaspekte und nicht zuletzt auch das Gewicht seiner hiesigen familiären Anknüpfungspunkte zwar eine gewisse Relativierung, zumal ihn auch seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet nicht von der Straffälligkeit abgehalten hatten. Allerdings stellt sich die von ihm ausgehende Gefahr nicht derart gravierend dar, dass das erhöhte öffentliche Interesse an der Hintanhaltung von strafbarem Verhalten die umfassenden familiären und privaten Interessen des BF im Bundesgebiet überwiegen würde.
Die vom BFA vorgenommene Interessensabwägung zu Lasten des BF stellte daher einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Rechte nach Art 8 EMRK dar.
2.5. In einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Aspekte war sohin die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG rechtswidrig.
2.6. In Erledigung der Beschwerde war Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides daher zu beheben.
2.7. Folgerichtig waren auch die Spruchpunkte II bis IV des angefochtenen Bescheides zu beheben.
3. Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte daher im gg. Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen.
4. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben Gefährdungsprognose Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung behoben strafrechtliche VerurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2233084.1.01Im RIS seit
04.02.2021Zuletzt aktualisiert am
04.02.2021