TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/1 L529 2221808-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

01.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


1) L529 2221808-2/9E

2) L529 2221811-2/9E

3) L529 2221809-2/9E

4) L529 2221810-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX und 4. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Türkei, 2., 3., und 4. vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin XXXX , alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2020, Zl. XXXX XXXX , XXXX und XXXX :

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als BF1 – BF4 bezeichnet) sind Staatsangehörige der Türkei. Die BF1 reiste am 12.01.2019 gemeinsam mit ihren drei minderjährigen Kindern, den Beschwerdeführern „BF2“, „BF3“ und „BF4“, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Die BF stellten am 13.01.2019 Anträge auf internationalen Schutz.

I.2. Anlässlich der Erstbefragung am 13.01.2019 begründeten die BF ihre Anträge übereinstimmend damit, dass der Ehemann der BF1 und Vater der BF2-BF4 gewalttätig sei und die BF, insbesondere die BF1, körperlich und seelisch misshandelt, geschlagen und eingesperrt und ihnen fallweise Essen und Trinken vorenthalten habe. Bei Rückkehr fürchte die BF1, von ihrem Ehemann gefunden und getötet zu werden.

I.3. Am 18.03.2019 wurden die BF – von der Einvernahme der offensichtlich geistig und körperlich schwer beeinträchtigten BF4 wurde Abstand genommen – beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: „BFA“) niederschriftlich einvernommen. Die BF1 gab an, dass es ihr psychisch nicht gut gehe und sie Medikamente nehme, sie sei aber in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Zum Fluchtgrund befragt führte sie aus, dass sie wegen der Gewalttätigkeit ihres Ehemannes ihr Heimatland verlassen habe. Die Gewalt des Ehemannes sei zwei Jahre vor der Ausreise schlimmer geworden, er habe sie geschlagen, sie und die BF4 eingesperrt und ihnen nicht einmal etwas zu trinken gegeben. Zu ihren Geschwistern in der Türkei habe sie ein sehr gutes Verhältnis gehabt, sie habe aber nur dem jüngeren Bruder etwa vier oder fünf Monate vor der Ausreise von der Gewalt des Ehemannes erzählt; dieser habe dann ihre Ausreise organisiert. Zur Zeit habe sie nur Kontakt zu einer Schwester in der Türkei.

Die BF2 und BF3 gaben an, dass sie gesund seien und ihr Heimatland wegen der Gewalt des Vaters gegenüber der Mutter verlassen hätten.

I.4. Bei einer nochmaligen niederschriftlichen Einvernahme am 28.05.2019 gab die BF1 an, sie sei körperlich gesund, benötige aber Antidepressiva. Sie habe in der Türkei keine Schulausbildung gehabt, sie sei Analphabetin. Zum Fluchtgrund befragt führte die BF1 aus, ihr Mann sei Alkoholiker und gewalttätig; er habe ihren Scheidungswunsch nicht akzeptieren wollen, sie mit dem Messer bedroht, eingesperrt und geschlagen. Auch gegenüber den Kindern sei er gewalttätig gewesen, vor allem gegen die BF4. Der Ehemann sei bereits 1 Jahr nach der Eheschließung gewalttätig geworden und es sei fast täglich zu Übergriffen gekommen. Die BF1 habe ihre Kinder immer angelogen und die Gewalt des Ehemannes bzw. Vaters verschwiegen. Bei Rückkehr fürchte sie, dass der Ehemann sie überall finden und umbringen werde. Kontakt habe sie zu ihren Tanten im Herkunftsland, zu den Geschwistern kaum noch.

Die BF2 und BF3 gaben an, dass sie gesund seien und wiederholten, ihr Heimatland wegen der Gewalt des Vaters gegenüber der Mutter verlassen zu haben.

I.5. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebungen in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkt VI.).

I.6. Mit Schriftsatz vom 23.07.2019 erhoben die BF fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide.

I.7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 29.11.2019 wurden die bekämpften Bescheide vom 02.07.2019 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das BFA zurückverwiesen.

I.7.1. Begründend wurde insbesondere auf die fehlenden Erhebungen hinsichtlich der Behinderung der BF4 und deren Betreuungsbedarf bzw. Betreuungsmöglichkeit verwiesen sowie auf die mangelnde Ermittlung zur Möglichkeit der BF1, in Anbetracht ihrer Betreuungspflichten überhaupt am Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können und zur Frage, ob es für die Familie die Möglichkeit der Unterkunftnahme in einem Frauenhaus gibt.

I.8. Am 16.01.2020 langte beim BFA die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Frage hinsichtlich Frauenhäuser, Frauenmorde und Betreuung behinderter Kinder in der Türkei ein. Darin wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass es in der Türkei Frauenhäuser für Frauen in Notlage gebe. Wenn ausreichend Platz ist, würde der Staat die Verantwortung gegenüber der Frau und ihren Kindern (Verpflegung, Gesundheit, Bildung) übernehmen, allerdings sei eine Unterbringung für Söhne ab dem 12. Lebensjahr im Frauenhaus nicht (mehr) möglich. Bei Berufstätigkeit der Frau könne diese noch 6 Monate im Frauenhaus bleiben. Ob und in welcher Form die Betreuung der behinderten Tochter erfolgen werde, würde nach ärztlicher Untersuchung festgestellt werden, grundsätzlich sei aber auch eine stundenweise Betreuung möglich. Es käme zwar zu Morden an Ehefrauen wegen beabsichtigter Scheidung oder aus Eifersucht, Ermordungen von Müttern wegen der Geburt von behinderten Kindern seien nicht bekannt.

Zu den von der BF1 eingenommenen Medikamenten ergab die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, dass sämtliche Wirkstoffe in den entsprechenden Medikamenten in der Türkei verfügbar seien und größtenteils die Kosten von der staatlichen Sozialversicherungsanstalt übernommen werden würden.

I.9. Mit Schreiben vom 17.01.2020 übermittelten die BF medizinische Unterlagen für die BF1 und BF4. Lt. Ärztlicher Bestätigung vom 31.05.2019 leide die BF4 an schwerer geistiger Retardierung, motorischer Retardierung und Harn- und Stuhlinkontinenz. Aufgrund des sonderpädagogischen Gutachtens vom 27.06.2019 sei ein erhöhter Pflegeaufwand sowohl in personeller wie auch in materieller Hinsicht erforderlich. Dem Ambulanzbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik XXXX vom 05.06.2019 zufolge leide die BF1 an reaktiver Depressio, dzt. schwer ohne psychot. Sympt. (F32.2), benötige psychiatrische Dauermedikation und regelmäßige psychiatrische Kontrollen.

I.10. Mit Schreiben vom 31.01.2020 führte die BF1 in ihrer Stellungnahme an das BFA aus, dass ein Aufenthalt in einem Frauenhaus die BF1 und ihre Kinder nicht vor dem Ehemann schützen könne; die BF1 sei aufgrund ihres Scheidungswunsches und ihres „Davonlaufens“ von Ehrenmord bedroht und die Bekanntheit des Ehemannes verschärfe die Situation. Auch den Länderfeststellungen zufolge gebe es in den Frauenhäusern nur unzureichende Zufluchtsmöglichkeit und sei es zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt und Frauenmorden gekommen.

I.11. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2020 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebungen in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (Spruchpunkt VI.).

I.11.1. Das BFA stellte fest, dass die BF ihre Heimat verlassen hätten, um der Gewalttätigkeit des Ehemannes und Vaters zu entgehen. Weiters stellte das BFA fest, die BF1 sei arbeitsfähig und in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, und die BF2-BF4 könnten auf die Unterstützung erwerbsfähiger Verwandte zurückgreifen, wenngleich eine Unterkunftnahme bei den Verwandten aufgrund der allfälligen Gefährdung durch den Vater nicht zumutbar sein werde. Hinsichtlich der BF4 stellte das BFA fest, dass diese an einer schweren geistigen Retardierung, einer motorischen Retardierung, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie Karies leide, nicht aber an einer lebensbedrohlichen Erkrankung.

I.11.2. Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass der Fluchtgrund der BF, sie hätten ihr Land wegen der Gewalttätigkeit des Ehemannes bzw. Vaters verlassen, glaubhaft sei. Nicht nachvollziehbar sei es jedoch, dass sie der Ehemann/Vater überall in der Türkei finden würde. Eine Schutzunwilligkeit bzw. – unfähigkeit der türkischen Behörden gegenüber Gewalt in der Familie lasse sich – den Länderfeststellungen zufolge – nicht ableiten. Die BF1 sei arbeitsfähig und sei ihr die Annahme einer – wenn auch nur gering qualifizierten – Arbeit in ihrem Herkunftsstaat möglich und zumutbar und sie könne bei ihrer Rückkehr vorübergehend Unterkunft bei ihren Verwandten nehmen.

I.12. Mit Schriftsatz vom 31.03.2020 erhoben die BF fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide. Nach nochmaliger Darlegung des Sachverhaltes führte die BF1 aus, dass ihr Bruder vor drei Monaten telefonisch vom Ehemann bedroht worden sei, sie bei Rückkehr in die Türkei über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfüge, aufgrund ihrer persönlichen Situation (Obsorge für 3 Kinder, davon eines schwer behindert, keine Berufsausbildung bzw. -erfahrung) nicht in der Lage wäre, am türkischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und die existenziellen Grundbedürfnisse für sich und ihre Familie nicht decken werde können, zumal sie auch keine Wohnmöglichkeit bei ihrer Familie habe.
I.13. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 08.04.2020 beim BVwG, Außenstelle Linz, ein.

I.14. Für den 07.07.2020 wurde eine mündliche Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anberaumt. Mit der Ladung wurden den BF die aktuellen Länderfeststellungen zur Situation in der Türkei übermittelt und ihnen die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt.

I.15. Am 07.07.2020 wurde von 08.30 – 15.20 Uhr eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

Nach ausführlicher Einvernahme der BF1 – BF3, bei der die BF Gelegenheit hatten, zum Fluchtvorbringen, zu ihrer Integration und ihrer Rückkehrsituation Stellung zu nehmen, und nach Befragung der anwesenden Zeugin wurde das Beweisverfahren geschlossen.

I.16. Hinsichtlich des detaillierten Verfahrensherganges wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt der übermittelten Verwaltungsakte der belangten Behörde, einschließlich der Stellungnahmen, vorgelegten Unterlagen, Beschwerde, sowie der Gerichtsakte und Durchführung einer mündlichen Verhandlung Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

II.1.1. Die Beschwerdeführer

Die BF1 ist die Mutter der minderjährigen BF2 – BF4. Im gegenständlichen Verfahren liegt ein Familienverfahren vor.

Die BF sind Staatsangehörige der Türkei, führen die im Spruch genannten Namen, gehören der Volksgruppe der Kurden und der Religionsgemeinschaft der Aleviten an. Ihre Identitäten stehen fest.

Die BF reisten illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 13.01.2019 in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF1 ist verheiratet. Der Ehemann der BF1 ist in der Türkei aufhältig; er besitzt eine Druckerei mit etwa 4 – 5 Angestellten und ist finanziell gut gestellt.

Die BF1 verfügt über das Obsorgerecht für die minderjährigen BF2-BF4.

Die BF1 ist in XXXX geboren; sie lebte mit ihrer Familie in Gaziantep. Sie hat keine Schule besucht und ist Analphabetin. Sie ging in ihrem Heimatland keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern kümmerte sich nach ihrer Heirat um ihre Familie und den Haushalt. Sie besitzt in der Türkei gemeinsam mit ihren Geschwistern Pistazienfelder, die vom Bruder der BF bewirtschaftet werden.

Familienangehörige der BF1 (Vater und Geschwister) sind nach wie vor im Heimatland der BF aufhältig und es besteht Kontakt zu ihnen. Eine Schwester der BF1 lebt mit ihrem Ehemann in XXXX und die BF1 -BF4 werden von ihr unterstützt.

Die BF1 leidet an reaktiver Depressio, dzt. schwer ohne psychot.
Sympt. (F32.2) und beginnender PTSD (F43.1). Sie wird medikamentös behandelt.

Der BF2 ist gesund und arbeitsfähig.

Die BF3 ist gesund und besucht die Schule.

Bei der BF4 wurde eine Mikrozephalie und ein Entwicklungsrückstand, eine schwere geistige Retardierung, eine motorische Retardierung, Harn- und Stuhlinkontinenz sowie Karies diagnostiziert. Sie hat einen erhöhten Betreuungsbedarf.

Bei den Erkrankungen der BF1 und BF4 handelt es sich um keine akut lebensbedrohlichen Erkrankungen; eine entsprechende medizinische Versorgung ist in der Türkei gewährleistet.

Die BF1 spricht nicht Deutsch. Die BF2-BF3 verfügen über geringe Deutschkenntnisse. Der BF2 besuchte von 24.07.2019 – 27.11.2019 einen Deutschkurs, die BF3 besucht in XXXX die Neue Mittelschule. Die BF4 besucht eine Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf.

Die BF1-BF3 haben bislang keine Deutschprüfungen absolviert. Sie sind auch keine Mitglieder in einem Verein oder einer sonstigen Organisation.

Die BF beziehen Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF1 – BF3 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten, die BF4 ist nicht strafmündig.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei

II.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei schließt sich das ho. Gericht den schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des BFA an. Den BF wurden zudem das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 29.11.2019 mit Kurzinformation zuletzt am 08.04.2020) übermittelt. Es wird konkret auf die insoweit relevanten Abschnitte hingewiesen:

Frauen

Die rechtliche Stellung der Frau ist seit der Neufassung des Familienrechts formal auf EUNiveau. Seit 2002 sichert ein neues türkisches Zivilgesetzbuch die Gleichstellung von Mann und Frau in der Ehe (GIZ 9.2019c). Darüber hinaus gehört die Türkei zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (11.5.2011), das für die Türkei zum 1.8.2014 in Kraft getreten ist (AA 14.6.2019).

Die Themen Geschlechtergleichheit und Kampf gegen Gewalt an Frauen einerseits, Ehrenmorde, Zwangsehen sowie häusliche Gewalt, vor allem gegen Frauen, andererseits, rücken zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit und werden auch in den Medien thematisiert. Vor allem im Osten und Südosten des Landes ereignen sich auch weiterhin Verbrechen im Namen der Ehre (ÖB 10.2019). Es fehlt an einem starken politischen Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter. Stereotype Ansichten über die Geschlechterrollen, auch in Schulbüchern und in den Medien, durchdringen weiterhin die türkische Gesellschaft und fördern den anhaltend niedrigen sozialen Status von Frauen und Gewalt gegen Frauen (EC 29.5.2019).

In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen bestehen weiter große Defizite. Mit einem im März 2012 verabschiedeten Gesetz zum Schutz von Frauen und Familienangehörigen vor häuslicher Gewalt haben nun auch unverheiratete Frauen Anspruch auf staatlichen Schutz (AA 14.6.2019). Das Gesetz verpflichtet sowohl die Polizei als auch die lokalen Behörden, Überlebenden von Gewalt oder Personen, die von Gewalt bedroht sind, Schutz und Unterstützung zu gewähren. Vorgesehen sind auch staatliche Leistungen, wie Unterkünfte und vorübergehende finanzielle Unterstützung für die Opfer. Ferner ist auch vorgesehen, dass Familiengerichte Sanktionen gegen Täter verhängen. Das Gesetz schreibt die Einrichtung von Zentren zur Gewaltprävention und überwachung vor, die wirtschaftliche, psychologische, rechtliche und soziale Hilfe anbieten (USDOS 11.3.2020). Die Türkei hat zwar als erster Signatarstaat die „Istanbul-Konvention“ des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert und einen dritten Nationalen Aktionsplan 2016 bis 2020 beschlossen (ÖB 10.2019); es fehlt jedoch weiterhin an den geforderten gesetzgeberischen Maßnahmen (ÖB 10.2019; vgl. AA 14.6.2019, USDOS 11.3.2020). Die Zufluchtsmöglichkeiten für von Gewalt betroffene Frauen etwa in staatlichen Frauenhäusern sind unzureichend (AA 14.6.2019). 144 Frauenhäuser mit einer Kapazität von 3.454 Plätzen helfen weiblichen Opfern von Gewalt und ihren Kindern (ÖB 10.2019). Laut Frauenrechtlern gibt es nicht genügend Unterkünfte. Das dortige Personal, insbesondere im Südosten des Landes, kann keine angemessene Betreuung und Dienste anbieten. Unterkünfte in mehreren südöstlichen Provinzen wurden während des Ausnahmezustands geschlossen, während andere Einrichtungen nach der Absetzung der gewählten Bürgermeister Probleme mit den von der Regierung eingesetzten Treuhändern hatten, da diese Mittel kürzten und die Partnerschaften mit den lokalen NGOs beendeten. Laut einigen NGOs ist der Mangel an Dienstleistungen für ältere Frauen, LGBTIFrauen sowie für Frauen mit älteren Kindern noch akuter (USDOS 11.3.2020).

Eine Reihe von Faktoren untergraben die bestehenden Bemühungen der Behörden zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Dies ist zum einen das Fehlen einer systematischen und gründlichen Bewertung der allgemeinen Politik in Hinblick auf ihre potenziellen Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Gewalt gegen Frauen. Zum anderen werden die Bemühungen durch die Betonung der traditionellen Rollen von Frauen als Mütter und Betreuerinnen unterminiert, was zudem wenig dazu beiträgt, diskriminierende Rollen-Stereotype hinsichtlich der Rolle und Verantwortung von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft infrage zu stellen (GREVIO 15.10.2018).

Laut NGOs wurden seit 2010 an die 2.600 Frauen ermordet. Häusliche Gewalt führte laut offiziellen Zahlen 2018 zu 281 Todesfällen, Frauenrechtsplattformen sprechen jedoch von 440 Fällen im Jahr 2018. Seit Jahresbeginn 2019 seien laut einer Frauenrechtsplattform 354 Frauen ermordet worden (durch Männer ohne nähere Anführung der Nahebeziehung) (ÖB 10.2019).

Laut Frauenorganisationen gibt es eine Zunahme an Scheidungen, weil es eine Zunahme an häuslicher Gewalt gibt. Umgekehrt behauptet die Regierung, dass die häusliche Gewalt zugenommen hat, weil sich Frauen scheiden lassen wollen. Wahr ist, dass die Zahl der Frauenmorde in der Türkei in den letzten zehn Jahren stetig zugenommen hat. Das Problem im türkischen Recht besteht darin, dass die Beweislast in Fällen häuslicher Gewalt auf die Opfer fällt, die, wie Frauenrechtlerinnen argumentieren, durch die Justiz wie Paria behandelt werden. Wenn ein Mann behauptet, dass seine Partnerin ihn in einer Auseinandersetzung verflucht oder "provoziert" hat, entscheidet der Richter im Zweifel für den Angeklagten. Es gibt oft auch kulturelle Barrieren aus dem familiären Umfeld. Trotz offensichtlicher Gewalt sehen sich einige der Frauen mit Missbilligung ihrer Familien konfrontiert, die der Meinung sind, dass die Frauen für die Gewalt verantwortlich sind, die sie erlebt haben (NYRB 20.2.2019). Anzeigen wegen Gewaltakten sind merkbar gering, was der Stigmatisierung und Furcht vor Repressionen sowie der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Täter geschuldet ist, aber auch der Rechtsunkundigkeit, Sprachbarrieren und dem mangelnden Vertrauen in die Rechtsvollzugsorgane. Sexuelle Gewalttäter, einschließlich derjenigen, die der Vergewaltigung von Mädchen für schuldig befunden werden, erwarten nicht nur milde Urteile, sondern sie werden wegen "guten Benehmens" während des Prozesses mit reduzierten Strafen belegt (UN-CEDAW 25.7.2016).

Während ihrer siebzehnjährigen Herrschaft hat die konservative AK-Partei bzw. die AKPRegierung eine starke Agenda der Familienwerte vorangetrieben: Frauen sollten heiraten und drei Kinder bekommen, so Präsident Recep Tayyip Erdo?an. Erdo?ans älteste Tochter, Esra Albayrak, kritisierte öffentlich die Rechte westlicher Frauen als selbstgefällig. Sie schloss sich der Botschaft ihres Vaters an, dass die Türkei ihre eigenen Lösungen für geschlechtsspezifische Fragen finden muss, wobei der Schwerpunkt auf den traditionellen Rollen von Frauen als Mütter, Schwestern und Töchter liegen soll (NYRB 20.2.2019). In den letzten zehn Jahren wurden Frauen für die Betreuung ihrer Kinder bezahlt oder ihnen wurde ein längerer unbezahlter Urlaub gewährt. Diese Politik hat jedoch wenig dazu beigetragen, Frauen von unbezahlten Arbeiten zu befreien, die sie davon abhalten, Geld zur Unterstützung ihrer Familien zu verdienen. Die Behörden weigerten sich auch, Gesetze durchzusetzen, die von Unternehmen verlangen, dass sie Kinderbetreuung vor Ort anbieten, damit mehr Frauen nach der Geburt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. In der Türkei werden 89,6% der Kinder laut Statistikamt von ihren Müttern betreut. Nur 2,4% der Kinder befinden sich in Kinderbetreuungseinrichtungen. Infolgedessen nimmt nur jede dritte Frau am Erwerbsleben teil - die niedrigste Quote unter den 35 OECD-Ländern (PRI 4.5.2017).

Es kommt immer noch zu sogenannten „Ehrenmorden“, d.h. insbesondere zu Morden an Frauen oder Mädchen, die eines sog. „schamlosen Verhaltens“ aufgrund einer (sexuellen) Beziehung vor der Eheschließung bzw. eines „Verbrechens in der Ehe“ verdächtigt werden. Dies schließt auch vergewaltigte Frauen ein (AA 3.8.2018). Vor allem im Osten und Südosten des Landes ereignen sich weiterhin Verbrechen im Namen der Ehre (ÖB 10.2019).

Obwohl das Gesetz Eheschließungen von Minderjährigen unter 17 Jahren, ausgenommen bei Vorliegen einer gerichtlichen Genehmigung, verbietet, stellen die sog. „Kinderehen“ weiterhin ein großes Problem insbesondere in den ländlichen Gebieten und den südöstlichen Provinzen dar. Unter außerordentlichen Umständen (meist eine Schwangerschaft) kann ein Richter 16-Jährigen die Erlaubnis für die Verehelichung erteilen, sofern die Eltern zustimmen. Verehelichung von Kindern unter 16 Jahren ist unter keinen Umständen rechtlich erlaubt. Ehen können nur durch das Standesamt bestätigt werden. Das Parlament verabschiedete allerdings am 18.10.2017 ein Gesetz, das es auch Muftis (islamischen Rechtsgelehrten) erlaubt, Trauungen vorzunehmen. Laut Statistikamt ist der Anteil der Eheschließungen von minderjährigen Mädchen auf 3,8% gesunken (2018). Die offenkundige Problematik dieser Zahl liegt darin, dass nur amtlich geschlossene Ehen erfasst werden. Die meisten Kindereheschließungen werden aber nur von einem Imam vollzogen (ÖB 10.2019).

Den neuesten Prävalenzstudien [Querschnittsstudien] zufolge waren mehr als 25% der Frauen in der Türkei vor dem 18. Lebensjahr verheiratet, ein Prozentsatz, der in ländlichen Gebieten auf 32% ansteigt. Fast 20% dieser Frauen geben an, ohne ihre Zustimmung, durch eine Familienentscheidung verehelicht geworden zu sein. Ebenso lag die Anwendung körperlicher Gewalt mit 48% bei Frauen, die vor dem Alter von 18 Jahren verheiratet waren, deutlich höher als bei Frauen, die im Erwachsenenalter geheiratet haben. Hier lag der Wert bei 31% (GREVIO 15.10.2018).

Mit einem Wert von 0,628 (1 = bester Wert) lag die Türkei auf Platz 130 von 149 untersuchten Ländern im Global Gender Gap Index (WEF 2019). 2017 nahm die Türkei Platz 131 von 144 Ländern ein (WEF 2017).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019c): Länderinformationsportal: Türkei: Gesellschaft, https://www.liportal.de/tuerkei/gesellschaft/#c26139, Zugriff 13.11.2019

?        GREVIO - Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence (15.10.2018): GREVIO’s (Baseline) Evaluation Report on legislative and other measures giving effect to the provisions of the Council of Europe Convention on Preventing and Combating Violence against Women and Domestic Violence (Istanbul Convention ) - TURKEY, https://g8fip1kplyr33r3krz5b97d1wpengine.netdna-ssl.com/wp-content/uploads/2018/10/GREVIO-report-onTurkey.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        NYRB - (The) New York Review of Books (20.2.2019): Divorce Turkish Style, https:// www.nybooks.com/daily/2019/02/20/divorce-turkish-style/, Zugriff 13.11.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        PRI - Public Radio International (4.5.2017): Why more Turkish women don't work, https://www.pri.org/stories/2017-05-04/why-more-turkish-women-dont-work, Zugriff 13.11.2019

?        UN-CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (25.7.2016): Concluding observations on the seventh periodic report of Turkey’ [CEDAW/C/TUR/CO/7], paragraph 32, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1484750203_n1623344.pdf, Zugriff 13.11.2019

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026346.html, Zugriff 6.4.2020

?        WEF - World Economic Forum (2018): Global Gender Gap Index 2017, http://reports.weforum.org/global-gender-gap-report-2017/dataexplorer/ #economy=TUR, Zugriff 13.11.2019

?        WEF - World Economic Forum (2019): Global Gender Gap Index 2018, http://reports.weforum.org/global-gender-gap-report-2018/data-explorer/ #economy=TUR, Zugriff 13.11.2019

Grundversorgung/ Wirtschaft

Die türkische Wirtschaft hat in den letzten zwölf Monaten erhebliche außenwirtschaftliche Veränderungen erlebt, darunter rückläufige Leistungsbilanz-Ungleichgewichte und eine geringere Auslandsverschuldung der Banken. Dies hat die außenwirtschaftlichen Schwächen verringert, die sich im Vorfeld des Währungsschocks vom August 2018 gehäuft hatten. Investitionen sind zurückgegangen, die Preise hoch geblieben und die Arbeitslosigkeit gestiegen. Diese Anpassungen haben den Fremdfinanzierungsbedarf des Landes reduziert und zu einer stabileren Lira beigetragen, ungeachtet der Währungsschwankungen im Verlaufe des Jahres 2019. Die Anpassungen wurden durch ein aktiveres Agieren der Politik und günstigere globale monetäre Bedingungen unterstützt. Dennoch sind die Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut worden und haben die Türkei einem außenwirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Die Realwirtschaft ist nach wie vor stark von beharrlichen makro-finanziellen Schwächen betroffen. Die Investitionen gingen deutlich zurück (bis zum zweiten Quartal 2019), während die Industrieproduktion auf eine schwache Trendwende hinweist. Die allmähliche Erholung von der Rezession im Jahr 2018 wurde durch einen Anstieg des privaten Konsums und einer Nettoauslandsnachfrage betrieben. Der Rückgang der Inflation hat begonnen, nachdem die Wechselkursentwicklung und der Vertrauensverlust in die Lira die Verbraucherpreise stark anstiegen ließen. Die Inflation betrug in den ersten drei Quartalen 2019 durchschnittlich 17% (WB 2.11.2019).

Stagnierendes Produktionsniveau, steigende Produktionskosten und hohe Verbraucherpreise haben zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten und sinkenden Reallöhnen geführt. Die türkische Wirtschaft hat von Mai 2018 bis Mai 2019 rund 840.000 Arbeitsplätze verloren, was 2,9% der Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Mai 2018 und Mai 2019 von 10,6% auf 14%, wobei die Jugendarbeitslosigkeit einen Anstieg von 19,6% auf 25,6% verzeichnete. Die durchschnittlichen Reallöhne sanken zwischen 2017 und 2018 um 2,6%. Am stärksten betroffen sind ärmere Haushalte, da viele einkommensschwache Arbeitskräfte im Baugewerbe und in der Landwirtschaft beschäftigt sind - den Sektoren, in denen der größte Beschäftigungsrückgang zu verzeichnen war (WB 2.11.2019).

Weitere Tendenzen: chronisch hohes Leistungsbilanzdefizit; starke Abhängigkeit von Energieimporten (mehr als 50% des Defizits); fehlende Leistungsfähigkeit in höherwertigen Wirtschaftssektoren, in Teilen beschränkte globale Wettbewerbsfähigkeit, niedrige lokale Wertschöpfung in der Produktion; Abhängigkeit von ausländischen Kapitalflüssen (auch durch die geringe Sparquote: 13% BIP) hoher Anteil an Schwarzarbeit und geringer Anteil von Frauen in der Erwerbsarbeit. Stark entwickelt ist die Westtürkei mit dem Marmara-Raum und der Ägäis. Dabei erwirtschaftet die Region Istanbul mit ca. 20% der Bevölkerung 40% der gesamten Wertschöpfung. Unterentwickelt ist der Südosten und Osten des Landes, gekennzeichnet oft durch bittere Armut und wirtschaftliche Rückständigkeit (GIZ 9.2019a).

Unter den OECD-Staaten hat die Türkei eine der höchsten Werte hinsichtlich der sozialen Ungleichheit und gleichzeitig eines der niedrigsten Haushaltseinkommen. Während im OECD-Durchschnitt die Staaten 20% des Brutto-Sozialproduktes für Sozialausgaben aufbringen, liegt der Wert in der Türkei unter 13%. Die Türkei hat u.a. auch eine der höchsten Kinderarmutsraten innerhalb der OECD. Jedes fünfte Kind lebt in Armut (OECD 2019).

Quellen:

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2019a): Länderinformationsportal: Türkei: Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/tuerkei/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 11.10.2019

?        OECD (2019): Society at a Glance 2019: OECD Social Indicators, https://www.oecdilibrary.org/docserver/soc_glance-2019-en.pdf? expires=1573813322&id=id&accname=guest&checksum=2EE74228759055A97295E D4460FC22E0, Zugriff 15.11.2019

?        WB – World Bank (2.11.2019): Turkey Economic Monitor, October 2019: Charting A New Course, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/32634/TurkeyEconomic-Monitor-Charting-a-New-Course.pdf? cid=ECA_EM_Turkey_EN_EXT&deliveryName=DM48511, Zugriff 15.11.2019

Sozialbeihilfen/-versicherung

Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität, und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yard?mla?ma ve Dayani?ma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben. Auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, haben einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 14.6.2019).

Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.); Kindergeld (eine einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und Lira 300 für das erste, Lira 400 für das zweite und Lira 600 für das dritte Kind beträgt); finanzielle Unterstützung für Schwangere in einmaliger Höhe von Lira 149 unter bestimmten Bedingungen, wie geleistete Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst; Wohnprogramme; Einkommen für Behinderte und Altersschwache (dreimonatlich zwischen Lira 1.527 und 2.589 je nach Grad der Behinderung). All diese Hilfeleistungen des Staates sind an bestimmte Bedingungen gekoppelt, die von den Einzelnen nicht immer erfüllt werden können. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von „Witwenunterstützung“. Jede Witwe (ohne Einkommen) hat im Jahr 2019 den Anspruch auf Lira 550 (alle zwei Monate). Diese Leistung wird vom Familienministerium bereitgestellt. Dann gibt es zum zweiten die Witwenrente, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet (max. 75% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch max. Lira 4.263) (ÖB 10.2019).

Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2%; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9% und der Arbeitgeberanteil auf 11%. Der Beitrag zur allgemeinen Krankheitsversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5% und für die Arbeitgeber 7,5% (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1% vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2%, ergänzt um einen Betrag des Staates in der Höhe von 1% des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SGK 2016b; SSA 9.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 10.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 10.10.2019

?        SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016a): Das Türkische Soziale Sicherheitssystem, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/de/detail/das_turkische, Zugriff 10.10.2019

?        SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016b): Financing of Social Security, http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/social_security_system/ social_security_system, Zugriff 10.10.2019

?        SSA – Social Security Administration (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html, Zugriff 10.10.2019

Medizinische Versorgung

Die vorhandenen Systeme sind nicht ausreichend, um eine medizinische Versorgung auf angemessenem Niveau für alle Bürger zu gewährleisten. Derzeit wird um eine Reform der Krankenversicherung gerungen, das heißt die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung auf einer beitragsfinanzierten Grundlage. Dies erscheint angesichts der großen Anzahl der in der Schattenwirtschaft tätigen Arbeiter zumindest herausfordernd. Das staatliche Gesundheitswesen besteht aus Krankenhäusern (Träger: SSK, Gesundheitsministerium, Universitäten), Polikliniken, Gesundheitsstationen (Variante 1: mit Pflegekraft, Variante 2: mit Arzt), niedergelassenen Ärzten und weiteren ambulanten Einrichtungen. Für die Versicherten ist die Behandlung kostenlos. Allerdings sind materielle und personelle Ausstattung oft mangelhaft, sodass mehr als eine ausreichende Basisversorgung nicht möglich ist. Selbst in Krankenhäusern sind die Patienten auf die Pflege durch Verwandte angewiesen. Medikamentenengpässe sind nicht selten. Auf 1.100 Einwohner kommt ein Arzt. Das liegt weit unter dem OECD-Durchschnitt (350 Einwohner pro Arzt). Nicht-Sozialversicherte haben keinen Anspruch auf Leistungen. Für sie und Kinder unter 18 Jahren gibt es die Grüne Karte (ye?il kart), mit der ärztliche Hilfe von den Ärmsten beansprucht werden kann. Daneben gibt es ein privates ärztliches Versorgungssystem, das gehobenen internationalen Standards genügt. Auch die Krisenmedizin ist auf einem guten Stand (GIZ 12.2019).

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften sanitären Zustände und Hygienestandards in den staatlichen Spitälern, vor allem in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2019). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit wächst die Zahl der Krankenhäuser (2017: 1.518), davon ca. 60% in staatlicher Hand mit einer Kapazität von knapp 226.000 Betten. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ gratis (AA 14.6.2019).

Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, und die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, und die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist. Die Welt-Bank warnt jedoch vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient (ÖB 10.2019).

Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 14.6.2019).

Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach hat das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sa?l?k Oca??) abgelöst und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung geführt. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 14.6.2019).

NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2019).

Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Versicherte der SGK erhalten folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts- und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig und fangen bei Lira 76,75 an (IOM 2019).

Rückkehrer aus dem Ausland werden bei der SGK-Registrierung nicht gesondert behandelt. Sobald Begünstigte bei der SGK registriert sind, gelten Kinder und Ehepartner/-in automatisch als versichert und profitieren von einer kostenlosen Gesundheitsversorgung. Rückkehrer können sich bei der ihrem Wohnort nächstgelegenen SKG-Behörde registrieren (IOM 2019).

Der freiwillige Mindestbetrag für die Grundversorgung – sofern keine Versicherung durch den Arbeitgeber bereits besteht – beträgt zwischen 6 bis 12% des monatlichen Einkommens. Personen ohne ein reguläres Einkommen müssen ca. 13 EUR/Monat in die Krankenkasse einzahlen. Bei Nachweis über ein sehr geringes Einkommen (weniger als 150,- EUR/Monat) werden die Grundversorgungsbeiträge vom Staat übernommen (ÖB 10.2019).

Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmende Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Insgesamt standen 2017 elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen von einigen Regionalkrankenhäusern. Insgesamt 36 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige (AMATEM) befinden sich in 33 Provinzen. Zusätzlich werden in 50 ambulanten und 44 stationären Gesundheitszentren Behandlungsmöglichkeiten angeboten. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite, allerdings versorgt das Gesundheitsministerium derzeit alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphinen, auch können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten künftig in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologie-Krankenhäuser (Ankara, Bursa) unter der Verwaltung des Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologie-Stationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. 166 Untersuchungszentren (sog. KETEM) bieten u. a. eine Früherkennung von Krebs an. Im Rahmen der häuslichen Krankenbetreuung sind in allen Provinzen mit 765 Gesundheitsbussen mobile Teams im Einsatz (bestehend meist aus Arzt, Krankenpfleger, Fahrer, ggf. Physiotherapeut etc.), die Kranke zu Hause betreuen.

Diese Betreuung wird vom Gesundheitsministerium gebührenfrei angeboten. Etwa 15% der Bevölkerung profitieren von diesen Angeboten. Eine AIDS-Behandlung kann in allen Provinzen mit staatlichen (93 Krankenhäusern) wie auch Universitätskrankenhäusern (68 Krankenhäuser) durchgeführt werden. In Istanbul stehen drei, in Ankara und Izmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 14.6.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 11.10.2019

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2019): Länderinformationsportal: Türkei: Gesundheitswesen, https://www.liportal.de/tuerkei/gesellschaft/#c26139, Zugriff 2.3.2020

?        IOM – International Organization for Migration (Autor), veröffentlicht von ZIRF – Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (2019): Länderinformationsblatt Türkei 2019, https://files.returningfromgermany.de/files /CFS_2019_Turkey_DE.pdf , Zugriff 11.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 11.10.2019

Behandlung nach Rückkehr

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, drohen polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen. Es kann davon ausgegangen werden, dass türkische Stellen Regierungsgegner, darunter insbesondere Anhänger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Gülen-Anhänger, im Ausland ausspähen (AA 14.6.2019). Personen, die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida). Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung stehen, in der Türkei als Terroristen eingestuft. Nach Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die im Ausland leben, wird zumindest national in der Türkei gefahndet; über Sympathisanten werden (eventuell nach Vernehmungen bei der versuchten Einreise) oft Einreiseverbote verhängt (ÖB 10.2019). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) bzw. die Volksverteidigungseinheiten (YPG) als Teilorganisationen der als terroristisch eingestuften PKK (MFA o.D.).

Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „GülenNetzwerkes“ gebeten. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 14.6.2019).

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter, dieser entscheidet dann. Wenn aufgrund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den geltenden Amnestiebestimmungen profitieren kann, oder ob Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen. Andernfalls fordert der Staatsanwalt beim Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbefehl an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem richterlichen Haftbefehl dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylwerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 14.6.2019).

Abgeschobene türkische Staatsangehörige werden von der Türkei rückübernommen. Das Verfahren ist jedoch oft langwierig. Probleme von Rückkehrern infolge einer Asylantragstellung im Ausland sind nicht bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraf 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2019).

Die Pässe türkischer Staatsangehöriger im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt, mit dem sie in die Türkei zurückkehren können, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, sowie kritische Journalisten und, darüber hinaus, Kurden (UKHO 2.2018).

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl: • Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çi?dem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@linkturkey.com • Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://brueckeistanbul.com/ • TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, EMail. almankulturadana@yahoo.de, www.takid.org (ÖB 10.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw %C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_ %28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 23.10.2019

?        MFA - Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs (o.D.): PKK, http://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa, Zugriff 23.10.2019

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2019): Asylländerbericht Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019349/TUER_%C3%96B+Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 23.10.2019

?        UKHO - United Kindom Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/ attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf, Zugriff 23.10.2019

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation

1. Sind die u.g. Medikamente in der Türkei verfügbar? Wie hoch sind die Kosten?

Inwiefern werden die Kosten vom Staat getragen?

Trittico Ret. Tbl. 150Mg (Wirkstoff: Trazadon)

Sertralin 1A FTBL 50mg (= Wirkstoff)

Seroquel FTBL 25mg (Quetiapin)

Zusammenfassung:

Sämtliche Wirkstoffe sind in den entsprechenden Medikamenten verfügbar. Unter der Voraussetzung einer ärztlichen Verschreibung sind diese kostenlos bzw. werden die Kosten größtenteils von der staatlichen Sozialversicherungsanstalt (SGK) übernommen. Details sind den Originalberichten zu entnehmen.

Coronavirus COVID-19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Die BF gehören keiner solchen Risikogruppe an.

www.bmeia.gv.at aktuelle Hinweise, Stand 25.08.2020

Für die gesamte Türkei gilt die Sicherheitsstufe 6 (Reisewarnung). Vor Reisen in die Türkei wird aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) gewarnt.

Für österreichische Staatsbürger/innen, die sich in der Türkei aufhalten, gelten die von der türkischen Regierung verordneten Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19.

Am 01.06.2020 wurden sämtliche Ein- und Ausreisesperren zwischen den Städten bzw. Provinzen aufgehoben, ebenso die Wochenend-Ausgangssperren werden aufgehoben. Kindergärten und Betreuungsstätten sowie Museen, Parks, Strände, Wälder und Raststätten auf Autobahnen werden geöffnet. Cafés, Restaurants, Teegärten dürfen uneingeschränkt geöffnet bleiben. In Geschäften, Einkaufszentren und Friseursalons sind strenge Abstandsregeln einzuhalten, weshalb es zu Beschränkungen der Kundenanzahl kommen kann; das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist weiterhin obligatorisch.

Aktuell ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes u.a. in folgenden 45 Städten verpflichtend: Ad?yaman, Afyonkarahisar, Amasya, Ankara, Ardahan, Ayd?n, Bal?kesir, Bart?n, Batman, Bolu, Burdur, Bursa, Denizli, Düzce, Elaz??, Eski?ehir, Gaziantep, Giresun, I?d?r, Isparta, Istanbul, Kahramanmara?, Karabük, K?rklareli, Kocaeli, Konya, Kütahya, Malatya, Mardin, Mu?la, Mu?, Nev?ehir, Osmaniye, Sakarya, Siirt, Sivas, ??rnak, Tunceli, U?ak, Zonguldak, Diyarbak?r, Erzurum, Kayseri, Rize und ?anl?urfa.


Unter 18-Jährige unterliegen keinen Ausgangsbeschränkungen mehr, sofern sie in Begleitung von Erziehungsberechtigten unterwegs sind.

Für über 65-Jährige und chronisch Kranke gilt grundsätzlich nach wie vor eine Ausgangssperre. Diese Personengruppen dürfen sich jedoch täglich zwischen 10:00 Uhr und 20:00 Uhr im Freien aufhalten. Reisen zwischen den Provinzen sind diesen Personengruppen nur unter der Voraussetzung erlaubt, dass eine Reisegenehmigung eingeholt wurde und der Aufenthalt am Zielort mindestens einen Monat lang dauert (für innerstaatliche Reisen mit Flugzeug, der Bahn oder dem Autobus ist darüber hinaus ein sogenannter HES-Code verpflichtend, siehe unten).

Die genannten Ausgangsbeschränkungen für unter 18-Jährige und über 65–Jährige gelten für ausländische Touristen nicht. Eine Reisegenehmigung (HES-Code) für Reisen zwischen Provinzen ist jedoch auch von ausländischen Touristen einzuholen.

Die bisherigen Beschränkungen der Ein- und Ausreise über den Land-, Luft- und Seeweg wurden aufgehoben (Ausnahme: Grenze zum Iran, siehe unten). Einreisende Personen werden einer Gesundheitsuntersuchung unterzogen. Bei Verdacht auf COVID-19 erfolgt eine kostenlose PCR-Testung. Ist das Testergebnis positiv, wird die betroffene Person in ein speziell vorgesehenes Krankenhaus gebracht und dort behandelt. Eine umgehende Rückreise wird nicht gestattet.

Der Landesgrenzübergang zum Iran bleibt geschlossen.

Für innerstaatliche Reisen mit Flugzeug, Bahn oder Autobus ist eine mobile Applikation mit persönlichem Code (“Hayat Eve S??ar/Life Fits Home“-HES)1) verpflichtend.

Das öffentliche Leben ist derzeit stark eingeschränkt. Schulen und Universitäten sind vorläufig geschlossen.

Personenkontrollen werden häufig vorgenommen, wobei es auch zu Temperatur-Messkontrollen kommen kann. Es besteht Ausweispflicht; gültige Ausweispapiere sind daher stets mitzuführen. Reisenden wird empfohlen, Menschenansammlungen zu meiden, den Anweisungen der lokalen Sicherheitsbehörden Folge zu leisten und die hygienischen Vorsichtsmaßnahmen strikt einzuhalten.

www.wko.at, aktuelle Lage zur Türkei, Stand 25.08.2020

Die Türkei befand sich seit Ende März aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus in einem Lockdown. Da seit 22. April ein rückläufiger Trend bei den Neuerkrankungen zu beobachten war, wurden ab Mai schrittweise Lockerungen erlaubt, die ein Wiederhochfahren der türkischen Wirtschaft ermöglichen sollen. Beginnend mit 1. Juni wurden weitere Beschränkungen im öffentlichen Leben wieder zurückgenommen.

Die Einreisebeschränkungen für ausländische Staatsangehörige in die Türkei wurden Anfang Juni wieder aufgehoben. Auch der nationale und internationale Flugverkehr wurde Anfang Juni wieder in Betrieb genommen.

Derzeit gilt für die Türkei eine Reisewarnung der Sicherheitsstufe 6.

Insgesamt wurden in der Türkei bislang rund 222.000 COVID Fälle gezählt, davon sind mehr als 5.500 Patientinnen und Patienten verstorben.

Mehr als die Hälfte (57 %) aller an COVID erkrankten Patienten sind wieder genesen.

Täglich werden rund 50.000 Tests durchgeführt.

Schutzmaßnahmen und Geschäftsleben

Generell muss ein Mindestabstand zur nächsten Person eingehalten werden. In einigen Städten bzw. an allen Orten, wo sich mehrere Menschen befinden, insbeson

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten