TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/14 L516 2149588-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2020
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Entscheidungsdatum

14.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L516 2149588-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2017, Zahl 1111866307/160550558, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs 1, § 8 Abs 1, § 57, § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 2 Z 2 und Abs 9 sowie § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und stellte am 18.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und nach Zulassung des Verfahrens am 17.02.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte der vom Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt bevollmächtigten Vertreterin mit Schreiben vom 25.08.2020 aktuelle Länderinformationen zu Bangladesch und gab dem Beschwerdeführer die Gelegenheit allfällige Ergänzungen oder Änderungen im Vorbringen bekannt zu geben.

1. Sachverhaltsfeststellungen

1.1 Der Beschwerdeführer führt in Österreich die im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch und gehört der Volksgruppe der Bengalen sowie der moslemischen Glaubensgemeinschaft sunnitischer Ausrichtung an. Seine Identität steht nicht fest.

1.2 Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, ledig und kinderlos. Er stammt aus XXXX . Er besuchte acht Jahre die Grundschule und arbeitete als Verkäufer im Maler- bzw Farbengeschäft seines Vaters. Die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers leben nicht mehr im Haus der Familie, deren Aufenthaltsort ist dem Beschwerdeführer derzeit nicht bekannt. In Bangladesch leben viele Verwandte des Beschwerdeführers, er hat Kontakt mit einem Freund.

1.3 Der Beschwerdeführer reiste im April 2016 nach Österreich ein und stellte den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seit 17.04.2018 ist der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers unbekannt. Seine vormalige Vertretung konnte keine aktuelle Adresse bekannt geben. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären oder sonstigen berücksichtigungswürdigen engen sozialen Bindungen. Er ist strafrechtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer lernte die deutsche Sprache selbständig, er besucht keinen Kurs. Er ist in keiner Organisation bzw keinem Verein tätig.

1.4 Zur Begründung seines Antrages führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, die Awami League (AL) suche ihn und wolle ihn töten, da sein Vater politisch für die Bangladesh Nationalist Party (BNP) tätig gewesen sei. Er sei deshalb seit Ende 2014 bis zu seiner Ausreise Anfang 2016 nicht mehr zu Hause gewesen. In der Einvernahme machte der Beschwerdeführer Fehler in der Übersetzung im Rahmen der Erstbefragung geltend.

1.5 Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen nicht glaubhaft dargelegt und kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre.

1.6 Zur Lage in Bangladesch

Politische Lage

Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People's Republic of Bangladesh / GanLapraj?tantr? B?mLl?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 12.201811.2019a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Au einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 13.3.2020) leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 13.3.2020; vgl. GIZ 3.2020, AA 6.3.2020a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 8.2019) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern durch die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 11.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 8.2019).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt (ÖB 8.2019). Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 22.7.2019; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020).

Seit 2009 ist Sheikh Hasina Wazed von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 11.2019a; vgl. ÖB 8.2019). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019, DW 14.2.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).

Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet.

Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).

Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden, innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei hatte das Wahlergebnis angefochten und ist nun nicht mehr im Parlament vertreten ist (GIZ 11.2019a).

Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 8.2019). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein (ACCORD 12.2016). Die Ankündigung von PM Sheik Hasina, ein Tribunal einzusetzen, um erstmals die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskrieg 1971, aber auch für die Ermordung ihres Vaters und Staatsgründers Sheikh Rajibur Rahman 1975 sowie versuchte Mordanschläge auf ihr eigenes Leben 2004 zur Rechenschaft zu ziehen, stoßen in gewissen (propakistanischen Kreisen) in Bangladesch auf heftigen Widerstand (ÖB 8.2019).

Die Kommunalwahlen 2019 fanden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 statt (bdnews24 20.6.2019; vgl. bdnews24 3.2.2019). Nachdem die BNP und einige andere Parteien die Wahlen boykottierten, wurde eine niedrige Wahlbeteiligung beobachtet (bdnews24 20.6.2019; vgl. DS 10.3.2019). Die Kandidaten der AL waren in 317 von 470 Upazillas [Landkreisen] siegreich, in 149 Upazillas gewannen unabhängige Kandidaten, die vorwiegend abtrünnige der Regierungsparteien sind. In 115 Upazillas gab es keine Gegenkandidaten (bdnews 20.6.2019). Für die Nachwahlen in insgesamt 8 Upazillas am 14.10.2019 kündigte die BNP jedoch eine Teilnahme an (PA 8.9.2019).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 92 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), über 4.500 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 8.2019). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 8.2019).

Sicherheitslage

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).

Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).

In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Gemäß einer Verfassungsänderung können Richter abgesetzt werden (AA 22.7.2019).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019).

Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 27.7.2019). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern. (USDOS 11.3.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 8.2019).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 8.2019).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 27.7.2019).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 8.2019).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt rund 12 RABs mit insgesamt ca. 8.500 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 8.2019). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 27.7.2019). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 8.2019). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist.

Hunderte wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020). Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 8.2019).

Bangladesh Rifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry, wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BDRs sind auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 8.2019).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ à 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 8.2019).

Special Branch of Police (SB) ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 27.7.2019).

Korruption

Korruption ist in Bangladesch weit verbreitet und hat alle Teile der Gesellschaft durchdrungen (AA 27.7.2019; vgl. LIFOS 25.2.2019, ODHIKAR 8.2.2020). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegte Bangladesch im Jahr 2019 den 146. Platz unter 180 Staaten (TI 23.1.2020). Das bedeutet eine Verbesserung gegenüber 2018 (149. Platz unter 180 untersuchten Staaten) um drei Positionen (Vergleich zum Jahr 2017: 143/180) (TI 29.1.2019).

Vor allem im Bereich der erstinstanzlichen Gerichte, der Gerichtsbediensteten, der öffentlichen Ankläger, der Magistrate und der Anwälte wird Korruption als ein weit verbreitetes Problem angesehen. Wohlhabenden oder in den großen Parteien verankerten Personen stehen die Möglichkeiten des ineffizienten und korrupten Justizsystems offen. Das Ausmaß der Korruption stellt jedoch sicher, dass auch Opfer staatlicher Verfolgung davon profitieren können (ÖB 8.2019).

Das Strafgesetzbuch von 1860 verbietet es Beamten, Bestechungsgelder anzunehmen [Absatz 161, 165] oder Beihilfe zur Bestechung zu leisten [Absatz 165 A] (TI 1.2019). Als korrupteste Behörden werden die Migrationsbehörden, die Polizei sowie die Rechtspflege genannt. NGOs und Militär genießen den besten Ruf (AA 27.7.2019).

Als Korruptionsbekämpfungs- sowie Rechtsschutzinstrument besteht die Antikorruptionsbehörde (Anti Corruption Commission - ACC). Diese wird seitens der deutschen Botschaft Dhaka jedoch als „eher zahnloser Papiertiger“ sowie „reines Aushängeschild“ beurteilt (ÖB 8.2019). Die Antikorruptionsbehörde (ACC) darf der Korruption verdächtigte Beamte nur mit Erlaubnis der Regierung anklagen. Faktisch ist die „Anti Corruption Commission“ machtlos (AA 27.7.2019; vgl. ODHIKAR 2.8.2020). Die Regierung nutzt die ACC für politisch motivierte Strafverfolgung beispielsweise gegen die oppositionelle BNP (FH 2020).

Es gibt Ambitionen der jüngsten Regierungen, Korruption einzuschränken (LIFOS 25.2.2019) und die Regierung setzt Schritte zur Bekämpfung der weit verbreiteten Polizeikorruption (USDOS 11.3.2020).

Bewegungsfreiheit

Die Freiheit, sich im Land zu bewegen, ist relativ unbeschränkt (FH 2020; vgl. AA 27.7.2019). Rechtliche Hindernisse, sich in anderen Landesteilen, mit Ausnahme der Chittagong Hill Tracts, niederzulassen, bestehen nicht. Faktisch migriert jährlich eine große Zahl von Menschen vom Land in die Städte (AA 27.7.2019). Grundsätzlich respektiert die Regierung die Rechte der inländischen und ausländischen Bewegungsfreiheit, Emigration und Rückkehr von Bürgern, mit Ausnahme der zwei sensiblen Regionen Chittagong Hill Tracts und Cox’s Bazar. Die Regierung hat 2015 Restriktionen für ausländische Reisende in diese Gebiete, in denen viele nichtregistrierte Rohingyas außerhalb der zwei offiziellen Flüchtlingscamps in den Städten und Dörfern leben, angekündigt, allerdings war die Art der Umsetzung zum damaligen Zeitpunkt noch unklar (ÖB 8.2019).

Es liegen keine Einschränkungen hinsichtlich der Ein- oder Ausreise vor (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020; AA 27.7.2019). Personen, die in der Vergangenheit bereits ihren Pass verloren haben, bekommen allerdings oft nur Reisepässe, die nur für wenige Monate gültig sind, ausgestellt. Generell kommt es zu teils enormen Verzögerung bei der Reisepassausstellung (ÖB 8.2019). Auch manche Oppositionspolitiker berichten von langen Verzögerungen bei der Erneuerung von Reisepässen, zusätzlich von Belästigungen und Verzögerungen an Flughäfen (USDOS 11.3.2020). Ein Ausreiseverbot besteht für Verdächtige an den Kriegsverbrechen während des Unabhängigkeitskrieges 1971 (ÖB 8.2019; vgl. USDOS 11.3.2020).

Frauen brauchen keine Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner um zu reisen. Minderjährige über zwölf Jahre brauchen keinen gesetzlichen Vertreter um einen Pass zu beantragen. Sie dürfen auch alleine reisen, bedürfen dazu aber eines speziellen, von einem Elternteil unterschriebenen Formulars (ÖB 8.2019).

Ein staatliches Meldewesen oder Staatsangehörigkeitsregister besteht nicht (ÖB 8.2019; vgl. AA 27.7.2019). Neuankömmlinge fallen wegen fehlender familiärer Bindungen und aufgrund der engen Nachbarschaftsverhältnisse auf. Dies setzt der Anonymität auch in Städten gewisse Grenzen (AA 27.7.2019).

Grundversorgung

Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln hat sich in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert (AA 27.7.2019). Obwohl die Armutsquote in den letzten zwei Dekaden zurückging, leben weiterhin mindestens 11,3 % der Bevölkerung (circa 20 Millionen) unterhalb der extremen Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar. Unter- sowie Fehlernährung bleiben weit verbreitete Phänomene. Das Bevölkerungswachstum liegt bei 1,042 %, die Geburtenziffer je Frau bei 2,2 % (AA 1.10.2019).

Bangladeschs Wirtschaft ist seit 2005 jährlich um rund 6 % gewachsen, trotz politischer Instabilität, schlechter Infrastruktur, Korruption, unzureichender Stromversorgung und langsamer Umsetzung der Wirtschaftsreformen (CIA 13.3.2020). Der landwirtschaftliche Sektor beschäftigt knapp die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Die Landwirtschaft wird vom Reisanbau dominiert (GIZ 3.2020b; vgl. CIA 13.3.2020). Die Verarbeitung von Produkten der Landwirtschaft und die Textilindustrie sind die wichtigsten Zweige des industriellen Sektors (GIZ 3.2020b), auf den 2017 geschätzt 29,3 % des BIP gefallen sind. Der Export von Kleidungsstücken macht ca. 80 % der Exporte aus. Der Dienstleistungssektor erwirtschaftet 2017 mehr als die Hälfte des BIP (CIA 13.3.2020).

Über 10 % Anteil an der bangladeschischen gesamtwirtschaftlichen Leistung haben Geldüberweisungen von Arbeitsmigranten nach Bangladesch (GIZ 12.2018b), die im Finanzjahr 2016/17 ca. 13 Milliarden US-Dollar ausmachten (CIA 13.3.2020). Arbeitsmigration, vornehmlich in die Golfstaaten und Malaysia, ist stark ausgeprägt und wird von der Regierung gefördert. Etwa 10 Millionen bangladeschische Staatsangehörige arbeiten im Ausland. Die Migration wird durch das „Bureau of Manpower, Employment and Training“ (BMET) gesteuert. Daneben existieren weitere Organisationen, die sich der Bedürfnisse der Wanderarbeiter vor Ausreise und nach Rückkehr annehmen. (z.B. “BRAC”, “Welfare Association of Bangladeshi Returnee Employees“, “Bangladesh Migrant Centre“, “Bangladesh Women Migrants Association“). Dachverband ist das „Bangladesh Migration Development Forum“ (BMDF). Diese Organisationen werden aber auch bei zurückgeführten Personen aktiv (AA 27.7.2019).

Die offizielle Arbeitslosenrate liegt 2018 geschätzt bei 4-6 %, jedoch mit verdeckter weit verbreiteter massiver Unterbeschäftigung. Vor allem in der Landwirtschaft ist Subsistenzwirtschaft ausgeprägt. Formelle und organisierte Beschäftigung gibt es lediglich im staatlichen Bereich, sowie bei größeren Unternehmen. 85 % der Beschäftigten arbeiten im informellen Sektor. Einen staatlichen Mindestlohn gibt es nicht. Die Durchsetzung von arbeitsrechtlichen Standards erfolgt lediglich sporadisch (ÖB 8.2019). Brände und Gebäudeeinstürze mit zahlreichen Toten kommen immer wieder vor; insbesondere in der Textilindustrie, wo Bauordnungen lax sind und gefährliche Chemikalien nicht ordnungsgemäß gelagert werden (Al Jazeera 21.2.2019).

Die Bevölkerung Bangladeschs erfährt seit einigen Jahren einen erhöhten Verteilungs- und Chancenkonflikt, aufgrund des Bevölkerungswachstums bei gleichzeitig abnehmenden Landressourcen und fehlenden Alternativen zur Landarbeit, sowie erhöhtem Druck durch Extremwetterereignisse und anderen Konsequenzen des Klimawandels. Die Slums der Städte wachsen, wenn auch im Vergleich zu anderen Ländern mit ähnlichen Bedingungen etwas langsamer. Ebenso konkurriert die Bevölkerung mit einem höheren Bildungsabschluss um Universitätsplätze und besser bezahlte Arbeitsplätze. Die Lebenshaltungskosten in den Städten steigen und die Versorgung mit Wasser und Elektrizität in den ländlichen Gebieten und kleineren Städten ist oft lückenhaft bzw. ist ein Anschluss an öffentliche Versorgungsnetzwerke noch nicht vollzogen. Die Strukturen werden zusätzlich temporär belastet, wenn Saisonarbeiter für einige Zeit in die Städte ziehen und dort Arbeitsplätze und Unterkünfte suchen. Die nötige Infrastruktur wird in vielen Gebieten ausgebaut, allerdings kann das Tempo dieses Ausbaus noch nicht mit der Bevölkerungsdynamik mithalten. Aktuell sind ungefähr 60 % aller Haushalte an das staatliche Stromnetz angeschlossen (GIZ 3.2020b).

Mit dem etwas höheren Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre kam es zu einer Beschleunigung der Inflation mit geschätzten 7 %, für 2018 sogar knapp 8 % kam es vor allem seit 2008 zu einer Beschleunigung der Inflation mit 5,6 % für 2018. Die Preissteigerungen bei Lebensmittel von bis zu 70 % treffen besonders den armen Teil der Bevölkerung. Die Regierungen versuchen, mit staatlichen Nahrungsmittel-, Düngemittel- und Treibstoffsubventionen gegenzusteuern, fördern damit aber hauptsächlich Ineffizienz. Allerdings verfügt Bangladesch über ein hervorragendes Netz an Mikrokreditinstitutionen, welche Millionen Bangladeschis effektiv bei ihrem Weg aus der Armut unterstützen (ÖB 8.2019).

Mikrokreditinstitute bieten Gruppen und Individuen ohne Zugang zum herkömmlichen Finanzsystem die Möglichkeit, einen Kredit aufzunehmen (GIZ 3.2020b). Das bekannteste davon ist die Grameen Bank, die 1976 in Bangladesch durch den späteren Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus gegründet wurde. Die Grameen Bank, deren Konzept von zahlreichen weiteren Institutionen aufgegriffen und auch in anderen Ländern umgesetzt wurde, gewährt Kredite ohne die banküblichen materiellen Sicherheiten und setzt stattdessen vor allem auf die soziale Komponente, um die Rückzahlung zu gewährleisten. Die Kreditnehmerinnen, die kaum unternehmerische Erfahrung und zumeist einen sehr niedrigen Bildungsstand haben, sollen auch langfristig beraten und unterstützt werden, um ein realistisches Konzept entwickeln und erfolgreich umsetzen zu können – so zumindest ist es vorgesehen. Bei seriösen Programmen sind auch Schulungen über Grundlagen der Unternehmensführung enthalten („finanzielle Alphabetisierung“) (IP 6.3.2018).

Sozialbeihilfen

Bei regionaler Nahrungsmittelknappheit werden von der Regierung Bezugsscheine für staatliche Nothilferationen ausgegeben. Sonstige staatliche Hilfe für bedürftige Personen gibt es nicht (AA 27.7.2019). Aufgrund des Fehlens eines staatlichen Sozialversicherungssystems muss allgemein auf Hilfe innerhalb von Familienstrukturen zurückgegriffen werden. Dies gilt auch für die Absicherung alter und behinderter Menschen (ÖB 8.2019). Nicht staatliche Unterstützung durch religiös ausgerichtete Wohltätigkeitsvereine und andere NGOs findet statt (AA 27.7.2019; vgl. ÖB 8.2019), kann aber in Anbetracht der hohen Bevölkerungszahl nur einem kleinen Teil der Bedürftigen geleistet werden. Eine flächendeckende soziale Absicherung besteht nicht (AA 27.7.2019).

Eine Alterspension in der Höhe von 500 Taka [5,5 Euro] wird an Männer über 65 und Frauen über 62 Jahren mit Wohnsitz in Bangladesch ausgezahlt, wobei nur ein Familienmitglied eine Pension beziehen kann. Eine Behindertenpension beträgt monatlich 700 Taka, wobei die Bezugsberechtigung durch eine Kommission festgestellt wird. Im Falle einer Krankheit wird das Gehalt zu 100 % für insgesamt 14 Tage jährlich ausbezahlt. Mütter erhalten den Durchschnitt ihres Gehalts der letzten drei Monate vor der Ankündigung der Schwangerschaft für den Zeitraum von acht Wochen vor bis acht Wochen nach der Geburt, für insgesamt zwei Lebendgeburten, ausbezahlt; ab der dritten Geburt ist keine Unterstützung vorgesehen. Bei temporärer Behinderung nach einem Arbeitsunfall werden 100 % des Gehaltes für zwei Monate, danach 2/3 für die nächsten zwei Monate, danach die Hälfte des Gehaltes bis zu einem Zeitraum von zwei Jahren bezahlt. Bei permanenter Behinderung in Folge eines Arbeitsunfalles wird ein Fixbetrag von 125.000 Taka bezahlt. Es gibt keine staatliche Arbeitslosenunterstützung, Unternehmen müssen eine Kündigungsabfindung in der Höhe von 30 Tagesgehältern pro Jahr Firmenzugehörigkeit bezahlen (USSSA 3.2019).

Medizinische Versorgung

Die Bereitstellung der Gesundheitsfürsorge liegt im Verantwortungsbereich der Regierung (DFAT 22.8.2019). Die medizinische Versorgung in Bangladesch ist mit Europa nicht zu vergleichen und ist vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. Die Ausstattung der örtlichen Krankenhäuser ist ungenügend (AA 22.3.2020; vgl. DFAT 22.8.2019, AA 27.7.2019). Wegen des Mangels an Ärzten und Rettungsfahrzeugen kann bei Unfällen nicht mit schneller Hilfe gerechnet werden (AA 22.3.2020). Medizinische Einrichtungen in Bangladesch sind äußerst selten und von schlechter Qualität (ÖB 8.2019; vgl. DFAT 22.8.2019). Es herrscht ein eklatanter Mangel an ausgebildeten Doktoren, Krankenschwestern und Spitalsbetten. Schätzungsweise lediglich 12 % aller schweren Krankheitsfälle erreichen das staatliche Gesundheitssystem (ÖB 8.2019). In der Praxis stellen der Privatsektor und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) einen erheblichen Teil der Gesundheitsdienste zur Verfügung (DFAT 22.8.2019).

In Dhaka bestehen wenige moderne kommerzielle Großkliniken, die Behandlungen nach internationalem Ausstattungsstand und eine gesicherte medizinische Versorgung anbieten. Die Behandlung in diesen Krankenhäusern ist den zahlungsfähigen Patienten vorbehalten (AA 27.7.2019; vgl. ÖB 8.2019). Ferner bestehen private Arztpraxen, deren Inhaber häufig im Ausland ausgebildet wurden. Wohlhabende Bangladescher und westliche Ausländer ziehen bei Erkrankungen häufig das regionale Ausland vor (AA 27.7.2019). Lokale Kliniken gibt es auf Gemeinde- oder Dorfebene. Diese Einrichtungen unterstützen größere Distrikt- oder Zentralkrankenhäuser (DFAT 22.8.2019). Obwohl staatliche Gesundheitsleistungen kostenlos sein sollen, berichten die Patienten, dass sie im Allgemeinen für den Zugang zu den Diensten zahlen müssen. Die Beratungsgebühren sind oft exorbitant und für die Armen unerschwinglich. Ärzte neigen Berichten zufolge auch dazu, ihre Kunden "übermäßig zu behandeln" und unnötige Tests anzuordnen, um ihr Einkommen zu erhöhen (DFAT 22.8.2019. So ist der Großteil der armen Landbevölkerung auf Selbsthilfe oder private Hilfsinitiativen angewiesen (ÖB 8.2019).

Bangladesch produziert preisgünstige Medikamente (Generika) für den lokalen Markt sowie für den Export. Der heimische Markt wird weitgehend von den lokalen Produzenten bedient. Die Versorgung mit Medikamenten ist aber auch durch Importmöglichkeiten gewährleistet (AA 27.7.2019).

Ärztlichen Auskünften zufolge sind, im Gegensatz zu ambulanten Behandlungen, längerfristige psychologische und psychiatrische Behandlungen und Betreuungen in Bangladesch nur schwer zu gewährleisten. Nach Erfahrungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind diese Behandlungen sehr teuer. In ländlichen Gebieten sind sie nicht möglich (AA 27.7.2019). Vor allem NGOs und Entwicklungshilfeinstitutionen sind um Verbesserungen der medizinischen Versorgung bemüht, z.B. durch Impfprogramme für Kinder gegen weit verbreitete Krankheiten wie Tuberkulose. Bangladesch hat nur eine niedrige Rate an HIV/Aids-Infizierten, gilt aber als potenziell stark gefährdetes Land (ÖB 8.2019).

Neben einer Reihe medizinischer Hilfsprojekte von NGOs gibt es eine rudimentäre, kostenlose medizinische Versorgung durch staatliche Gesundheitsstationen auf dem Land sowie Krankenhäuser. Eine beitragsabhängige medizinische Versorgung niedrigen Standards ist zudem gewährleistet (AA 27.7.2019). Staatliche Gesundheitseinrichtungen, soweit vorhanden, behandeln Patienten gratis oder gegen minimale Gebühren (ÖB 8.2019).

Ein staatliches Sozial- und Krankenversicherungssystem existiert, bis auf geringe Beihilfen zum Existenzminimum an Senioren, nicht (AA 27.7.2019). Das Arbeitsrecht 2006 sieht vor, dass Firmen mit mindestens 300 Arbeitnehmern vor Ort medizinische Einrichtungen bereitstehen sollten. Der Arbeitnehmer zahlt keine Prämie, die gesamten Kosten werden vom Arbeitgeber getragen (USSSA 3.2019).

Rückkehr

Die Rückkehr bangladeschischer Staatsangehöriger unterliegt keinen rechtlichen Beschränkungen (AA 27.7.2019) und es ist bisher nicht bekannt geworden, dass sich Rückkehrer aufgrund der Stellung eines Asylantrages staatlichen Maßnahmen ausgesetzt sahen (AA 27.7.2019). Sofern es sich um Opfer von Schlepperei handelt, können sie allerdings auch nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Problematisch ist, dass „erfolglose Rückkehrer“ von ihren Familien und lokalen Gemeinschaften als Schandfleck betrachtet werden. Soweit Kritiker der Regierung oder rivalisierender politischer Parteien in Bangladesch selbst gefährdet waren, gilt dies auch für ihre eventuelle Rückkehr (ÖB 8.2019).

Staatliche Repressionen nach Rückkehr wegen oppositioneller Tätigkeiten im Ausland (z.B. Demonstrationen und Presseartikel) sind nicht bekannt. Der „International Organization for Migration“ (IOM) ist kein Fall bekannt, in dem eine rückgeführte Person misshandelt wurde. In einigen seltenen Fällen wurden die Rückkehrer zu einem sogenannten „General Diary“ gebeten. Nach IOM Angaben handelt es sich dabei um ein ca. halbstündiges Gespräch mit der Immigrationsbehörde, die die Daten des Rückkehrers aufnimmt und ihn zum Auslandsaufenthalt befragt. IOM sind bislang keine Fälle bekannt geworden, in denen dem Rückkehrer ein Nachteil entstanden ist. Besondere Vorkommnisse sind anlässlich der Durchführung der Einreisekontrollen nicht bekannt geworden (AA 27.7.2019).

IOM betreut nur Personen, die freiwillig zurückkehren und ist am Flughafen Dhaka mit einem Büro und Mitarbeitern präsent und kann im Rahmen von Betreuungs- und Integrationsvereinbarungen die Betreuung vor Ort übernehmen. Diese Hilfe umfasst die Betreuung und Begleitung anlässlich der Ankunft, soweit erforderlich die Vermittlung von Kontakten zur Familie des Rückkehrers und die Vermittlung von Kontakten zu anderen Organisationen, die weiterführende Hilfe leisten können.

Ferner leistet IOM praktische Reintegrationsbetreuung und -begleitung. IOM bestätigt, dass in Bangladesch familiäre und verwandtschaftliche Unterstützung letztendlich für die Rückkehrer maßgeblich sind und dem Rückkehrer als Auffangnetz in einer kritischen Lebensphase dienen. Rückkehrer sind, auch ohne die oben genannten Institutionen, aufgrund der großen Familien, enger, weit verzweigter Verwandtschaftsverhältnisse und noch intakter nachbarschaftlicher bzw. dörflicher Strukturen in der Regel nicht auf sich allein gestellt (AA 27.7.2019).

Dokumente

Echte Dokumente unwahren Inhalts und Gefälligkeitsbescheinigungen von Behörden, Privatpersonen und Firmen sind problemlos gegen Zahlung erhältlich (AA 27.7.2019; vgl. UKHO 9.2017). Die Fälschung von Personenstandsurkunden ist eigentlich nicht notwendig, da jegliche Art von Standesfall sehr einfach (nach-)beurkundet werden kann. Beglaubigungen durch das Außenministerium erfolgen in der Regel ohne weitere Prüfung der Dokumente. Ihre Aussagekraft bezüglich Echtheit oder inhaltlicher Richtigkeit steht daher infrage (AA 27.7.2019).

Verfälschungen, Fälschungen und Handel mit jeder Art von Dokumenten sind weit verbreitet und mittels persönlicher Beziehungen oder Bestechung ohne größeren Aufwand zu beschaffen (AA 27.7.2019; vgl. UKHO 9.2017). Grundsätzlich werden alle Arten von Dokumenten gefälscht: Reisepässe, Geburts- und Heiratsurkunden, Schul- und Universitätszeugnisse (ÖB 12.20188.2019). Es handelt sich nach lokaler Anschauung um Kavaliersdelikte, die strafrechtlich ungenügend verfolgt werden (AA 27.7.2019). Die Überprüfungspraxis ist schwierig, da es kaum Kooperation der Behörden in Bangladesch gibt. Außerdem verfügen die wenigsten Dokumente über ein einheitliches Layout (ÖB 8.2019).

Mit der Einführung des maschinenlesbaren Reisepasses sind Fälle von Passmanipulationen deutlich zurückgegangen. Von allen Passantragstellern werden Fingerabdrücke genommen (AA 27.7.2019). Bei sonstigen Dokumenten, hauptsächlich Personenstandsurkunden, werden häufig Abweichungen der Bezeichnung der Behörde in Stempeln, Siegeln und Briefkopf, bei Unterschriften und Formpapier (AA 27.7.2019), sowie bei Rechtsanwälten fehlende Adressenangabe und Aktenzeichen festgestellt (ÖB 8.2019). In vielen Asylfällen legen Antragsteller die übersetzten Abschriften angeblicher justizieller Dokumente wie z.B. „First Information Report“, „Charge Sheet“ oder Haftbefehl vor (AA 27.7.2019). Beliebt ist die Anfertigung falscher oder unvollständiger Übersetzungen (ÖB 8.2019). In der Vergangenheit haben sich die vorgelegten Dokumente in fast allen Fällen als gefälscht erwiesen (AA 27.7.2019; vgl. ÖB 8.2019).

Eine Echtheit von Dokumenten kann mit wenigen Einschränkungen überprüft werden, da ausgestellte Dokumente von der zuständigen Behörde als Original mittels Amtsstempel und Unterfertigung beglaubigt werden. Aufgrund von Gegenzeichnungsprozessen und der Tatsache, dass alle Dokumente mittels einer Datenbank geprüft werden können, sind Fälschungen von Polizei- oder Gerichtsdokumenten erschwert. Ein Fehlen von Amtsstempel und Unterschrift legt den Schluss nahe, dass es sich bei dem entsprechenden Dokument um eine Fälschung handeln könnte. Jedoch kann es sich selbst bei Erfüllung aller angeführten Qualitätskriterien um ein gefälschtes Dokument handeln, da echte Dokumente unwahren Inhalts und Gefälligkeitsbescheinigungen von Behörden, Privatpersonen wie auch Firmen problemlos gegen Zahlung erhältlich sind, und der Zugang zu gefälschten Dokumenten Verfälschungen, Fälschungen und Handel mit jeder Art von Dokumenten weit verbreitet und ohne größeren Aufwand zu beschaffen sind (ÖB 17.12.2018)

[Beweisquelle: BFA LIB Mai 2020 mit weiteren Quellennachweisen]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

[Beweisquelle:
www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/]

2. Beweiswürdigung

2.1 Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft des Beschwerdeführers (oben 1.1) ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen auf Grund seiner Sprach- und Ortskenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Mangels Vorlage amtlicher Identitätsdokumente konnten der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers jedoch nicht abschließend festgestellt werden.

2.2 Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen Lebensverhältnissen in Bangladesch und Österreich und seiner Einreise nach Österreich (oben 1.2 und 1.3) beruhen auf seinen Angaben im Verfahren (AS 13, 46 - 49), welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätte, sowie auf den Auszügen aus von österreichischen Behörden geführten Datenregistern. (Zentrales Melderegister (ZMR), Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) und Strafregister der Republik Österreich (SA)).

2.3 Zum Vorbringen und mangelnden Gefährdung im Falle der Rückkehr (oben 1.4 – 1.5)

2.3.1 Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahmen vor dem BFA und auf seinen schriftlichen Eingaben.

2.3.2 Die Feststellungen dazu, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund und seiner Rückkehrbefürchtung nicht glaubhaft ist sowie zu einer mangelnden Gefährdung seiner Person im Falle seiner Rückkehr nach Bangladesch (oben 1.5) waren aus den folgenden Gründen zu treffen:

In der Erstbefragung am 18.04.2016 führte der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz aus, sein Vater sei „ein wenig Terrorist“ und Anhänger der BNP gewesen. Der Vater habe viele organisatorische Tätigkeiten gemacht und öfter als Terrorist verschiedene Sachen ausgeübt. Es seien politische Versammlungen gestört und Personen attackiert worden. Seit die AL an der Macht ist, habe der Vater Probleme bekommen, er sei bedroht und geschlagen worden, weswegen er bettlägerig geworden sei. Wegen seines Vaters habe auch der Beschwerdeführer Probleme bekommen, auch er sei von der AL bedroht worden und er sei einmal mit Säure übergossen worden. Der Beschwerdeführer habe davon Flecken. Seit die AL an der Macht sei, das sei seit zwei Jahren, sei der Beschwerdeführer nicht mehr zu Hause gewesen, da diese ihn jederzeit umbringen würden. Die AL habe eine falsche Anzeige gegen den Beschwerdeführer erstattet, was dies für eine Anzeige sei, wisse der Beschwerdeführer nicht, aber die Polizei habe den Beschwerdeführer gesucht. ER habe auch ein paar Jahre im Malergeschäft des Vaters gearbeitet. Der Beschwerdeführer sei mit seinem Vater nicht politisch tätig gewesen. Die AL habe die vier Geschäfte des Beschwerdeführers weggenommen. Da er sich nicht mehr sicher fühle, habe er seine Heimat verlassen (AS 21).

Bei der Einvernahme vor dem BFA am 17.02.2017 machte der Beschwerdeführer zunächst Fehler in der Niederschrift der Erstbefragung geltend: Der Vater des Beschwerdeführers sei ein großes Mitglied der BNP gewesen, unter ihm würden zehn bis zwölf Personen gearbeitet haben und er habe immer Protestkundgebungen durchgeführt. Terrorist sei er aber nicht gewesen (AS 46).

Eines Tages 2012 bzw 2014, als der Beschwerdeführer mit seinem Vater auf dem Weg zu ihrem Geschäft gewesen seien, würden sie überfallen und auf ein Feld gezerrt worden seien. Sechs Personen würden den Vater zusammengeschlagen haben und über den Beschwerdeführer sei etwas Säureähnliches geworfen worden. Der Vater könne seither nur noch im Bett liegen (AS 50). Die „Gelenksknochen“ des Vaters des Beschwerdeführers seien gebrochen, weswegen er seit 2012 bettlägerig sei und nur noch seine Hände bewegen könne (AS 54f). Nach 2012 habe der Vater das Geschäft telefonisch weiterführen können (AS 53).

Einmal habe der Beschwerdeführer den Sohn eines Politikers geschlagen, da dieser seine Mutter beschimpft habe. In der darauffolgenden Nacht seien zehn bis zwölf Personen gekommen und würden den Beschwerdeführer „arg geschlagen“ und alles kaputt gemacht haben. Diese Personen haben ihn töten wollen (AS 51). Mit der Hilfe seiner Mutter, die um Hilfe gerufen habe, habe der Beschwerdeführer fliehen können. In derselben Nacht sei der Beschwerdeführer von zu Hause weg und seither auch nicht mehr zu Hause gewesen (AS 52f). Er sei gesucht, aber nicht gefunden worden, weswegen die Gegner des Beschwerdeführers Anzeige erstattet haben würden, sodass er von der Polizei erschossen werde (AS 51).

Bis Ende 2014 sei der Beschwerdeführer im Malergeschäft des Vaters tätig gewesen (AS 55). Zwischen Ende 2014 und der Ausreise habe der Beschwerdeführer zunächst drei Monate in XXXX und dann in XXXX gelebt (AS 53).

Das BFA führte im angefochtenen Bescheid im Rahmen der Beweiswürdigung aus (AS 98ff), dass das Vorbringen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers sehr unglaubhaft gewesen sei. Die Geschehnisse in jener Nacht Ende 2014, das genau Datum würde der Beschwerdeführer nicht kennen, seien emotionslos und oberflächlich vorgetragen worden. Der Beschwerdeführer habe dargetan, dass er „so arg geschlagen“ worden sei und dass die Schläger ihn hätten toten wollen (AS 52). Trotz dieser Misshandlungen, habe er noch in derselben Nacht sein Elternhaus verlassen können. Es sei nicht glaubhaft gewesen, dass eine Person, die in Tötungsabsicht massive Schläge erlitten habe, im Stande sei, ihre Sachen zu packen und sich auf den Weg in einen anderen Landesteil von Bangladesch zu machen. Dass die Polizei oder die Rettung gerufen worden sei, was nur logisch gewesen wäre, habe der Beschwerdeführer nicht berichtet. Es sei auch ganz und gar nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer das Datum dieses Vorfalls nicht wisse, sondern stets Ende 2014 angegeben habe, obwohl der Vorfall die weitrechende Konsequenz des Verlassens des Heimatortes und auch des Heimatlandes für den Beschwerdeführer nach sich gezogen habe. Der Beschwerdeführer bestätigte in der Einvernahme die Annahme des BFA, dass dieser Vorfall nicht politisch motiviert gewesen sei, indem er angab: „Das stimmt, aber sie haben meine Mutter beschimpft.“ (AS 53). Dabei sei aufgefallen, dass der Beschwerdeführer plötzlich von mehreren Personen gesprochen habe, die seine Mutter beschimpft haben würden, während er zunächst angab: „Einmal habe ich einen geschlagen, weil er meine Mutter beschimpft hat.“ (AS 51).

Des Weiteren nahm das BFA Bezug auf das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der gegen ihn erstatteten Anzeige. Dass überhaupt gegen den Beschwerdeführer Anzeige erstattet worden wäre, beruhe auf reinen Spekulationen, da der Beschwerdeführer weder den Grund der Anzeige kenne, noch sich sicher sei, ob eine solche gemacht worden sei. Dazu befragt habe der Beschwerdeführer angegeben, lediglich von einem Freund zu wissen, dass es eine Anzeige gebe. Der Freund wisse es vom Vater des Beschwerdeführers.

Für das BFA sei weiters merkwürdig, dass der Vater trotz der Behinderung, die er vom Überfall 2012 davongetragen habe und seither bettlägerig sei, bis Ende 2014 die Leitung des Farbengeschäftes innegehabt habe. Die Frage, ob der Beschwerdeführer immer mit dem Vater zusammengearbeitet habe, beantwortete der Beschwerdeführer mit: „Ja. Er hat verkauft und hat die Sachen auch eingekauft.“ (AS 53). Das BFA schlussfolgerte, dass der Vater des Beschwerdeführers wohl kaum diese Tätigkeiten durchführen hätte können, wenn er seit dem Vorfall 2012 bettlägerig gewesen wäre und hätte der Beschwerdeführer zumindest erwähnt, dass fortan er es gewesen wäre, der die letzten Jahre das Geschäft führte, was der Beschwerdeführer aber nicht getan habe. Aufgrund der vorgebrachten gesundheitlichen Einschränkung des Vaters sei dieser eindeutig nicht in der Lage gewesen, sich in den letzten Jahren politisch einzubringen, der Beschwerdeführer habe auch nicht vorgebracht, dass der Vater eine politische Führungsrolle innegehabt habe, weder regional noch national. Es sei auch nicht erkennbar gewesen, dass der Beschwerdeführer selbst politisch tätig gewesen sei – er sei zwar ein Sympathisant der BNP, jedoch kein Mitglied gewesen und habe sich auch in keiner anderen Partei engagiert.

Das BFA legte ebenso dar, dass es am zeitlichen Zusammenhang zwischen den Vorfällen in den Jahren 2012 und 2014 und der Ausreise des Beschwerdeführers [Anfang 2016] sowie an der geforderten Eingriffsintensität mangle.

Zur Begründung der Beschwerde wurde das Vorbringen des Beschwerdeführers in den wesentlichen Punkten wiederholt (AS 139), es wurde dabei keinem der vom BFA dargestellten Argumente konkret entgegengetreten. In der Beschwerde wurde auch nicht die Gelegenheit wahrgenommen, zum bisherigen Vorbringen des Beschwerdeführers individuelle, nähere und präzisere Angaben zu machen. Die bloße Wiederholung eines bestimmten Tatsachenvorbringens in der Beschwerde stellt jedoch weder ein substantiiertes Bestreiten der behördlichen Beweiswürdigung noch eine relevante Neuerung dar (VwGH 27.05.2015, Ra 2015/18/0021).

In der Beschwerde wurde in allgemeiner Form gerügt, dass das Absprechen der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde nicht in einer Art und Weise erfolgte, die den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht entsprochen habe. Die Beschwerde unterlässt es aber aufzuzeigen, welche beweiswürdigenden Argumente des BFA nicht korrekt wären bzw welche
(Ermittlungs-)Fehler dem BFA konkret unterlaufen wären. Es wurden in der Beschwerde, wie bereits angeführt, auch keine individuellen, näheren und präziseren Angaben zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers dargelegt, aus denen eine Unrichtigkeit der Beweiswürdigung des BFA hervorgehen hätte können. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer diesbezüglich tatsächlich kein verfahrensrelevantes Vorbringen mehr zu erstatten hat, andernfalls dies wohl in der Beschwerde erstattet worden wäre, sowie dass sowohl das Ermittlungsverfahren vom BFA insofern ausreichend korrekt durchgeführt als auch der entscheidungsrelevante Sachverhalt - unter nachvollziehbarer und logischer Beweiswürdigung - vollständig erhoben wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher den soeben dargestellten beweiswürdigenden Argumenten des BFA an, welche von diesem in schlüssiger, vertretbarer sowie vom Beschwerdeführer letztlich unwidersprochen gebliebener Weise dargelegt wurden. Angesichts dieser Erwägungen gelangte das Bundesverwaltungsgericht ebenso wie bereits das BFA zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete und auch keine aktuellen Bedrohungen glaubhaft gemacht hat.

Vor dem Hintergrund der hier insgesamt getroffenen Ausführungen hat der Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft dargelegt, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin einer solchen ausgesetzt wäre.

2.4 Zur allgemeinen Lage in Bangladesch (oben 1.6)
Die Feststellungen zur Lage in Bangladesch ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Mai 2020. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Bangladesch Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnest

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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