TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 L515 2228743-2

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Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
StVO 1960 §29b

Spruch


L515 2228743-1/6E

L515 2228743-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hermann LEITNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER und den fachkundigen Laienrichter RR Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumsservice, Landesstelle XXXX , vom 03.12.2019, OB: XXXX , in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF stattgegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen hinsichtlich der Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

I.1. Die beschwerdeführende Partei (nachfolgend auch als „bP“ bezeichnet) ist Inhaberin eines bis 31.10.2021 befristeten Behindertenpasses (GdB 50 v.H.) und beantragte am 17.09.2019 (eingelangt am selben Tag) unter Beifügung eines Befundkonvolutes die Ausstellung eines Parkausweises gem. § 29b StVO.

I.2. Die bP wurde am 16.10.2019 einer Begutachtung durch eine medizinische Sachverständige (Fachärztin für Psychiatrie) zugeführt und darüber ein Gutachten erstellt. Dieses ergab einen Gesamtgrad der Behinderung vom 50 v.H.; die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde bejaht. Angeregt wurde eine Nachuntersuchung 10/2021.

I.3. Mit Schreiben vom 25.10.2019 wurde der bP das eingeholte Gutachten sowie eine Stellungnahme eines Sachverständigen des ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 25.10.2019 zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen drei Wochen ab Zustellung zu äußern. Eine Stellungnahme langte nicht ein.

I.4. Mit angefochtenem Bescheid wurde der Antrag der bP auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen; die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung liegen nicht vor. Die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 25.10.2019 wurde dem Bescheid beigelegt.

I.5. Gegen diesen Bescheid erhob die bP mit Schreiben vom 17.12.2019 Beschwerde.

I.6. Im Verfahren zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung wurde ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Chirurgie und Allgemeinmediziners eingeholt. In diesem Gutachten vom 17.02.2020 (Begutachtung am 13.02.2020) wurde ausgeführt, „Aufgrund des hochgradigen Schmerzsyndroms mit Einschränkungen der Mobilität, ist der Patientin derzeit eine Gehstrecke von 300 - 400 m nicht möglich. Zur Fortbewegung werden 2 Stützkrücken und ein Rollator verwendet. Auch das Ein-und Aussteigen aus einem öffentlichen Verkehrsmittel sowie die Standsicherheit sind erheblich reduziert.“

I.7. Da im Beschwerdevorentscheidungsverfahren die bB nicht über die Beschwerde entschied, wurde die Beschwerde samt Akt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerdevorlage langte am 19.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der ho. Gerichtsabteilung L517 zugewiesen. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die Rechtssachte der Gerichtsabteilung L517 abgenommen und der Gerichtsabteilung L515 zugewiesen.

I.8. Die Beratung und Abstimmung im nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte am 28.10.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.0.    Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die bP ist österreichische Staatsangehörige und an der im Akt ersichtlichen Adresse wohnhaft.

1.2. Die bP ist seit 17.09.2019 im Besitz eines bis 31.10.2021 befristeten Behindertenpasses (GdB 50 v.H.).

1.3. Am 16.10.2019 erfolgte im Auftrag des Sozialministeriumservice eine Begutachtung durch eine medizinische Sachverständige (FA f. Psychiatrie). Das betreffende Gutachten vom 18.10.2019 ergab einen GdB von 50 %. Die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde verneint.

1.4. In der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der belangten Behörde vom 25.10.2019 wurde ausgeführt: „Nach Begutachtung und Einschätzung durch Frau Dr. […] (Gutachten vom 15.10.2019) liegen keine Einschränkungen im Bewegungsapparat bzw. keine Schmerzbelastung in dem Ausmaß vor, dass ein Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar wäre. […] Nach dem Gutachten und nach Rücksprache mit der Gutachterin besteht ein regelrechtes Gangbild, zur Untersuchung werden Stützkrücken mitgebracht und benutzt, deren zwingend notwendiger Einsatz klinisch nicht nachvollziehbar ist. Voraussetzungen für den Zusatzeintrag einer Unzumutbarkeit liegen aus ärztlicher Sicht nicht vor.“ Im Rahmen des gewährten Parteiengehörs erfolgte keine Stellungnahme.

1.5. Mit Schreiben vom 17.12.2019 erhob die bP Beschwerde. Sie gehe mit 2 Krücken und benutze auch einen Rollator. Auf Grund der starken Schmerzen sei ihre Reha unterbrochen worden.

1.6. Im Hinblick auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung erfolgte am 13.02.2020 im Auftrag des Sozialministeriumservice eine Begutachtung durch einen ärztlichen Sachverständigen (Facharzt für Chirurgie und Allgemeinmediziner). Das betreffende Gutachten vom 17.02.2020 weist nachfolgenden relevanten Inhalt auf:

„…

Derzeitige Beschwerden:

Die Patientin kommt alleine und mit 2 Stützkrücken mit dem eigenen Fahrzeug zur Untersuchung. Sie berichtet, dass sie Zuhause einen Rollator verwendet. Sie berichtet über erhebliche Schmerzen im gesamten Bewegungsapparat und sei bereits 2x plötzlich gestürzt. Die Ursache der Stürze sind unbekannt. Sie könne sich oft auch gar nicht bewegen und habe Schmerzen am gesamten Körper. Derzeit leide sie auch unter Atemnot. Medikamente werden nicht eingenommen da diese laut ihren eigenen Aussagen nicht helfen. Morphin-Infusionen beim Hausarzt 2-3x/pro Monat. Eine Gehstrecke könne sie nicht angeben. Es gebe Zeiten da könne sie überhaupt nicht gehen. Stufen könne sie nicht überwinden. Weiters berichtet sie, dass sie im Alter von 13-und 21 Jahren vergewaltigt wurde.

[…]

Gesamtmobilität – Gangbild:

Die Mobilität ist eingeschränkt - Gehstrecke von 300-400 m ist nicht möglich. Einbeinstand beiderseits nicht durchführbar. Zehen- und Fersengang beiderseits nicht möglich. Das Gangbild ist kleinschrittig und hochgradig unsicher.

[…]

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung: Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Mittelgradige depressive Episode-Angststörung.

2) Chronisches Schmerzsyndrom.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum Vorgutachten vom 16.10.2019 ist aufgrund des "Chronischen Schmerzsyndroms" eine deutliche Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes eingetreten. Durch den Ganzkörperschmerz ist eine erhebliche Einschränkung im Alltag vorhanden.

Nachuntersuchung 02/2022 - weil durch eine forcierte Psychotherapie ist eine Besserung der Schmerzsymptomatik möglich bzw. zu erwarten.

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Aufgrund des hochgradigen Schmerzsyndroms mit Einschränkungen der Mobilität, ist der Patientin derzeit eine Gehstrecke von 300-400 m nicht möglich. Zur Fortbewegung werden 2 Stützkrücken und ein Rollator verwendet. Auch das Ein-und Aussteigen aus einem öffentlichen Verkehrsmittel sowie die Standsicherheit sind erheblich reduziert. Aus medizinischen Gründen ist daher die Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises bis zum Ablauf der Heilsbewährung (02/2022) zu gewähren.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Derzeit liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor, die laut den Richtlinien der EVO zu einer Ausstellung eines Parkausweises führt. Auch eine laufende Chemo-und Radiotherapie ist keine Indikation zur Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises.

Gutachterliche Stellungnahme:

Derzeit sind die Voraussetzung zur Eintragung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises laut den Bestimmungen der EVO vorliegend. Sowohl die Gehstrecke, Ein-und Aussteigen und die Standsicherheit sind aufgrund der erheblichen Schmerzsymptomatik deutlich eingeschränkt.

…“

Der gutachterlich festgestellte Gesundheitszustand der bP wird zu den ho. Feststellungen zum Gesundheits- bzw. Leidenszustand der bP erhoben.

2.0. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der vorliegenden Akte und dem seitens des ho. Gerichts durchgeführten ergänzenden Ermittlungsverfahrens.

2.2. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

Zu prüfen ist im gegenständlichen Fall die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014). Auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren, wie z.B. ein längerer Weg vom Wohnort zur nächsten Haltestelle oder Bahnhof, kommt es nicht an (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0258).

Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen und dem nicht widerlegten Vorbringen der bP kann wohl davon ausgegangen werden, dass die bP derzeit nicht in der Lage ist, eine Strecke von 300 – 400 zu Fuß zurückzulegen. Auch ist davon auszugehen, dass sie erhebliche Schwierigkeiten im Zuge des Überwindens von Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen sowie bei der Standsicherheit hat.

3.0. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:

- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF

- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF

- Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF

- Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 idgF

- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF

- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF

Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.

3.2. Gemäß Art. 130 Abs 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1.       gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, weshalb im gegenständlichen Fall gem. § 45 Abs. 3 und 4 BBG der Senat in der im Spruch ersichtlichen Zusammensetzung zu entscheiden hat.

3.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Das Sachverständigengutachten vom 17.02.2020 wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26.02.2020 im Rahmen des Parteiengehörs übermittelt. In der Stellungnahme hatte die bP folglich – i.S. der obigen Ausführungen – die Möglichkeit, sich dazu zu äußern, was sie jedoch nicht nützte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.

3.4. Gemäß § 1 Abs 1 BBG soll Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.

Gemäß § 1 Abs 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn […]

Gemäß § 1 Abs 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen [….]

Gemäß Abs 4 leg cit ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen: [.…]


3.         die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-         erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-         erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-         erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-         eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-         eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.

Gemäß Abs 5 leg cit bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Gemäß § 3 Abs 1 leg cit ist dem Behindertenpassinhaber/der Behindertenpassinhaberin, zum Nachweis, dass er/sie über die Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügt, die im § 29b Abs 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 (StVO), genannten Berechtigungen in Anspruch nehmen kann, ein Parkausweis auszustellen. Die in einem gültigen Behindertenpass enthaltene Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder Blindheit“ ist der Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gleichzuhalten.

Gem. § 29b StVO ist den Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses …, die über die Zusatzeintragung „Unzumubarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ … ein Ausweis auszufolgen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080). Auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren, kommt es nicht an (VwGH vom 22.10.2002, GZ 2001/11/0258).

Die Prüfung, ob die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" vorzunehmen ist, hat entlang der Kriterien der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF, (konkret: ob bei der bP

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit

vorliegen) zu erfolgen; die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen erweisen sich in dieser Hinsicht als ausreichend.

Wie bereits festgestellt wurde, ist es der beschwerdeführenden Partei nicht möglich, eine Wegstrecke von 300 bis 400 m zurückzulegen. Sie hat auch beim Überwinden von Niveauunterschieden beim Aus- und Einsteigen erhebliche Schwierigkeiten und auch die Standsicherheit im Verkehrsmittel während der Fahrt, ist erheblich reduziert. Aus der Sicht des ho. Gerichts erweist sich schon aus diesen Gründen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für die beschwerdeführende Partei als nicht zumutbar.

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel um keine vom medizinischen Sachverständigen zu lösende Tatsachen-, sondern eine von der Behörde bzw. dem Gericht zu lösende Rechtsfrage handelt.


3.5. Da der Beschwerde stattgegeben wurde, konnte eine Verhandlung unterbleiben.

3.6. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Diesbezüglich ist die vorliegende und im gegenständlichen Erkenntnis zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Darüber hinaus stellt sich der anzuwendende Gesetzestext als eindeutig dar. Die wesentliche Problemstellung liegt im gegenständlichen Fall in der Auslegung des Rechtsbegriffs des Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, welche seitens des ho. Gerichts im Lichte der zitierten, einheitlichen höchstgerichtlichen Judikatur gelöst wurde.

Auf Grundlage der obigen Ausführungen war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behindertenpass Parkausweis Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L515.2228743.2.00

Im RIS seit

04.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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