TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/30 W119 2152295-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2020
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Entscheidungsdatum

30.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W119 2152295-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ZEIGE Zentrum für Europäische Integration u. Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1.3.2017, Zl. 1069811908 - 150530100, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 19.5.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am 21.5.2015 statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) am 18.1.2017.

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zunächst im Wesentlichen an, der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben anzugehören, in der Provinz Bamyan, Distrikt XXXX , geboren, verheiratet und zuletzt hilfsarbeiter am Bau gewesen zu sein. Die Grundschule habe er von 2000 bis 2007 in Mashad im Iran besucht.

Im Alter von sieben Jahren sei er gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester in den Iran gereist, wo er bis vor ca. einem Monat illegal gelebt habe. In der Zwischenzeit sei seine Mutter verstorben und er habe eine Frau geheiratet und mit dieser eine gemeinsame Tochter. Wegen seines legalen Aufenthaltes im Iran hätten ihn öfters Behörden aufgesucht und ihn dazu gedrängt, entweder das Land zu verlassen oder in Syrien gegen den IS zu kämpfen. Deshalb habe er sich zur Ausreise entschlossen.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt legte der Beschwerdeführer seine durch eine afghanische Behörde im Iran ausgestellte Heiratsurkunde vor und erklärte zunächst wie bisher, aus der Provinz Bamyan, Bezirk XXXX , zu stammen, der Volksgruppe der Hazara und dem muslimisch-schiitischen Glauben anzugehören. Er spreche Dari und Farsi und ein bisschen Deutsch. Weitere Identitätsdokumente habe er keine, im Iran sei er illegal aufhältig gewesen.

Seine Frau, eine im Iran geborene afghanische Staatsangehörige, habe er in Mashad geheiratet, nachdem sie schon drei Jahre vor der Eheschließung verlobt gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe seit seinem siebten Lebensjahr durchgehend in Mashad im Iran gelebt, wo sich seine Gattin, die Tochter und die Schwester noch aufhielten. Er selbst habe dort die afghanische Schule besucht und sei anschließend von 2007 bis 2015 auf Baustellen als Hilfsarbeiter tätig gewesen.

Die Mutter hätte im Jahr 2000 entschlossen, dass „wir“ Afghanistan verlassen. Grund dafür sei gewesen, dass die Taliban in diesem Jahr Bamyan übernommen und im Winter 2000 den Vater des Beschwerdeführers getötet hätten. Das genaue Datum der Ausreise wisse der Beschwerdeführer nicht, es sei zwei Tage nach dem Auffinden der Leiche seines Vaters gewesen. Anschließend habe der Beschwerdeführer 15 Jahre im Iran gelebt, den er 2015 Richtung Türkei verlassen habe, bevor er einen Monat später schlepperunterstützt in Österreich eingereist sei.

In Afghanistan habe der Beschwerdeführer keine Verwandten, die Eltern seiner Frau befänden sich in Teheran. An die Lebensumstände in der Heimat könne sich der Beschwerdeführer nicht erinnern und seine Mutter habe darüber nichts erzählen wollen.

Aufgefordert, alle Gründe, warum er sein Heimatland verlassen habe, vollständig zu schildern, brachte der Beschwerdeführer vor, dass im Jahr 1997 die Taliban an die Macht gekommen und stark geworden seien. 1999 seien sie nach Bamyan gekommen, wo sie viele Schiiten und Hazara getötet hätten, auch den Vater des Beschwerdeführers. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass dessen Leiche vor der Tür gelegen sei, zwei Tage später hätte sie beschlossen, dass die Familie Afghanistan verlasse. Sie habe nicht gewollt, dass sie wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit durch die Taliban getötet würden. Zudem habe die Mutter erzählt, dass der Vater landwirtschaftliche Grundstücke besessen habe, die die Taliban sich im Jahr 2000 hätten aneignen wollen. Da der Vater damit nicht einverstanden gewesen sei, hätten sie ihn getötet. Dies seien sämtliche Fluchtgründe, jedoch sei der Beschwerdeführer damals noch ein Kind gewesen.

Zu seiner Rückkehrbefürchtung gab der Beschwerdeführer an, dass er niemanden und nichts in Afghanistan habe. Falls er zurückmüsste, würde er durch die Taliban getötet. Er wisse nicht, ob die Taliban jetzt die Landwirtschaft der Familie besäßen und weil der Hazara sei, glaube er, dass er wahrscheinlich umgebracht würde.

Ausdrücklich erklärte der Beschwerdeführer, dass er in Afghanistan nicht persönlich verfolgt oder bedroht worden sei.

Den Iran habe er deshalb verlassen, weil er dort illegal gelebt habe, bis ihn eine Woche vor seiner Ausreise eine Person auf der Baustelle aufgesucht und ihm mitgeteilt habe, dass die Behörde von seinem illegalen Aufenthalt wisse und es besser wäre, wenn er nach Syrien gehe. Dann würde auch seine Familie Geldleistungen bekommen. Zunächst sei der Beschwerdeführer damit einverstanden gewesen, später nicht mehr, weil er nicht im Krieg sterben habe wollen. Um nicht entweder nach Afghanistan oder Syrien gehen zu müssen, sei der Beschwerdeführer aus dem Iran geflüchtet.

Zu seiner Integration in Österreich legte der Beschwerdeführer ÖSD-Zertifikate A1 und A2, diverse Deutschkursbestätigungen, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten sowie diverse Empfehlungsschreiben und ein Schreiben des AMS vor.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch genannten, Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates führte die belangte Behörde aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine Verfolgung durch die Taliban drohe. Er sei in Afghanistan weder vorbestraft noch inhaftiert worden noch bestünden aktuell Fahndungsmaßnahmen gegen ihn. Der Beschwerdeführer sei weder politisch tätig, noch Mitglied einer politischen Partei gewesen, noch habe er aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit Probleme in Afghanistan. Es gebe auch keine Probleme mit Privatpersonen, wie Blutfehden oder Racheakte. Auch aus den sonstigen Umständen habe eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung nicht festgestellt werden können.

Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und vorgebracht, dass es im Jahr 1999 in seiner näheren Heimat Bamyan zur Verfolgung der Volksgruppe der Hazara und ethnischen Säuberungen durch die Taliban gekommen sei. Als diese auch in die Gegend des Beschwerdeführers vorgedrungen seien, hätten sie seiner Familie deren Grundstücke streitig machen wollen, weil sie sich gegenüber den für sie ungläubigen Schiiten im Nachteil gefühlt und sich genommen hätten, was sie haben wollten. Wer sich in den in den Weg gestellt habe, sei umgebracht worden. Als es auch seiner Familie so ergangen sei, sei der Beschwerdeführer gerade sieben Jahre alt gewesen und könne selbst nur das wiedergeben, was ihm seine Mutter erzählt habe. Sein Vater habe sich gegen die Aneignung der Grundstücke durch die Taliban zur Wehr gesetzt und sei deswegen ermordet und sein Leichnam vor der Haustür abgelegt worden. Da der ganzen Familie dasselbe Schicksal gedroht habe, habe die Mutter die Ausreise beschlossen. Dadurch, dass der Beschwerdeführer der älteste Sohn der Familie sei, wäre er im Falle einer Rückkehr mit denselben Problemen konfrontiert wie schon sein Vater.

Am 2.5.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Zunächst brachte der Beschwerdeführer dabei im Wesentlichen wie bisher vor, in der Provinz Bamyan, im Distrikt XXXX geboren zu sein und Afghanistan im Winter 2000 verlassen zu haben. Sein Vater sei vom Beruf Bauer gewesen und habe ein eigenes Grundstück bewirtschaftet. Verwandte in Afghanistan habe der Beschwerdeführer keine mehr.

Im Jahr 2000 hätten die Taliban ihr Dorf angegriffen und die Bewohner getötet, darunter zum Beispiel seine Tante mütterlicherseits. Sie hätten auch seinen Vater umgebracht. Ca. zwei Tage nach dessen Tod sei die Mutter mit den Kindern in den Iran geflüchtet. Über seine Verwandten wisse der Beschwerdeführer nichts, über die Umstände der Flucht bzw. deren Organisation habe der Beschwerdeführer keine Kenntnis, weil er erst sieben Jahre alt gewesen sei.

Im Iran habe der Beschwerdeführer fünf Jahre lang eine inoffizielle Schule besucht, weil sie dort illegal aufhältig gewesen wären. Danach sei er Bauarbeiter gewesen, seine Mutter Putzfrau.

Die Schwester halte sich derzeit in Griechenland auf, weil sie nach seiner Flucht im Iran vergewaltigt worden sei. Die Ehefrau befinde sich noch im Iran und kümmere sich um das gemeinsame Kind. Der Beschwerdeführer arbeite und schicke ihr Geld. Die Eltern seiner Gattin lebten auch im Iran, jedoch in einer anderen Stadt. Seine eigene Mutter sei inzwischen verstorben.

In Österreich sei der Beschwerdeführer bei einem Verlag tätig.

Zu seiner Rückkehrbefürchtung gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht lange in Afghanistan gelebt habe und ihm daher die dortige Kultur, die Sprache und die Menschen fremd seien. In Afghanistan habe er niemanden mehr. Außerdem sei er Schiite, diese seien in Afghanistan nicht sicher. Bei einer Rückkehr müsste er in sein Heimatdorf zurück, weil sich dort das Grundstück seines Vaters, dass ihm nach seinem Tod geblieben sei, befinde. Er wisse zwar nicht, in wessen Besitz der Grund derzeit wäre, aber es sei klar, dass diese Leute nicht bereit wären, ihm das Land zu überlassen, weshalb er Probleme bekäme. Außerdem würde er im Falle einer Rückkehr als Ausländer angesehen. Unter den Taliban gebe es Leute, die sich über Personen, welche lange Zeit im Ausland gelebt hätten, informierten. Sie würden solche Leute verfolgen und töten. Die Dolmetscherin bestätigte, dass der Beschwerdeführer eine für den Iran typische Sprachfärbung habe.

Der Beschwerdeführer sei zwar in Kabul gewesen, könne jedoch dort nicht leben, weil auch dort keine Sicherheit herrsche.

Nachgefragt, welche Probleme er als Schiite befürchte, erwiderte der Beschwerdeführer, er wisse, dass diese in Afghanistan nicht in Sicherheit leben könnten. Bei einer Rückkehr müsste er in sein Heimatdorf zurückkehren, weil sich dort einerseits das Grundstück seines Vaters befinde und es andererseits ein von Schiiten bewohntes Gebiet sei. Er glaube aber nicht, dass er das Grundstück zurückerhalte und befürchte sogar, deswegen auch getötet zu werden.

Im Iran habe er auch Schwierigkeiten gehabt, sei von den Behörden aufgegriffen und vor die Wahl gestellt worden, nach Afghanistan abgeschoben zu werden oder nach Syrien zu gehen und dort zu kämpfen. Für den Fall, dass er nach Syrien gehe, würde seine Familie auf Dauer vom Staat unterstützt werden. Der Beschwerdeführer habe keinen anderen Weg gehabt, als sich einverstanden zu erklären. Als man ihn aufgefordert habe, in einer Woche zur Registrierung wiederzukommen, habe er am nächsten Tag den Iran verlassen.

Am 10.8.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schriftsatz samt diversen Integrationsunterlagen des Beschwerdeführers ein: Aktuelle Strafregisterbescheinigung, Bestätigung eines Fußballklubs über die Mitgliedschaft und ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers, ÖSD Zertifikat B1 von Februar 2017, Lohn- und Gehaltsabrechnungen von April bis Juli 2020. Zudem wurde angemerkt, dass das Bundesamt die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis XXXX verlängert habe.

Am 31.8.2020 setzte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung fort.

Dabei erklärte der Beschwerdeführer bezüglich einer hypothetischen Rückkehr, 20 Jahre lang nicht in Afghanistan gewesen zu sein und keine Kenntnis der dortigen Lebensumstände zu haben. Im Alter von sieben Jahren sei er ausgereist und nie wieder zurückgekehrt. Zudem habe es ein Problem mit seinem Vater gegeben, der getötet worden sei. Die Taliban wären noch immer hinter den Beschwerdeführer her, sollten sie ihn finden, würden sie ihn auf der Stelle töten.

Nachgefragt, woher er wisse, dass die Taliban noch immer hinter ihm her wären, antwortete der Beschwerdeführer, sollte er zurückkehren, würde er jetzt wieder in seinen Herkunftsort kommen, denn dort habe er Grundstücke von seinem Vater, die jetzt in den Händen der Taliban seien. Er habe dort keinerlei Hoffnung, ein Leben führen zu können, es gebe keine Sicherheit und sei gefährlich.

Alle Hazara würden grundsätzlich getötet und sie gehörten zu der ärmsten Volksgruppe Afghanistans. Nachgefragt bejahte der Beschwerdeführer, dass er aufgrund seines langen Aufenthaltes im westlichen Ausland Verfolgungen befürchte. Taliban, bewaffnete Personen oder andere Gruppierungen würden ihn sofort töten, sobald sie erführen, dass er aus dem Westen zurückgekehrt sei. Er hätte gar keine Chance zu überleben. Der Beschwerdeführer spreche einen anderen Dialekt und wisse nicht, wie die Sprache dort sei.

Weiters gefragt, weshalb die Taliban ihn bei einer Rückkehr töten wollten, wenn er auf die Grundstücke seines Vaters verzichten wolle, erwiderte der Beschwerdeführer, nicht nur die Taliban. Er sei auch 20 Jahre lang nicht dort gewesen und habe niemanden und nichts, sodass er sich kein Leben aufbauen könnte. Sollten bewaffnete Personen bemerken, dass er ein Hazara und von woanders zurück sei, werde es problematisch. Nachgefragt, ob er auf die Grundstücke verzichte, erklärte der Beschwerdeführer nochmals, er wisse nur, dass die Taliban seinen Vater getötet hätten und habe nicht die Entscheidungsfreiheit gehabt, von dort weg zu gehen. Er wisse nicht, in welchen Händen die Grundstücke derzeit seien und was mit ihnen geschehen sei, um sie wieder zurückerlangen zu können. Die Taliban hätten die Grundstücke.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichts wurde unter anderem vorgelegt:

?        das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11. 2019, letzte Information am 21. 7. 2020

?        Auszug aus der EASO-Country Guidance zu Afghanistan von Juni 2020,

?        Asylmagazin 3/2017; EASO-Bericht über Netzwerke in Afghanistan von Jänner 2018

?        UNHCR-Richtlinien vom August 2018

?        Auszüge aus weiteren Quellen

Ein Auszug der Quellen wurde den Beschwerdeführer von der Dolmetscherin übersetzt. Seitens der Beschwerdeführer-Vertretung wurde auf das am 10.8.2020 eingelangte Schreiben verwiesen.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist verheiratet und Vater einer minderjährigen Tochter.

Der Beschwerdeführer wurde im Distrikt XXXX in der Provinz Bamyan geboren wuchs dort zunächst mit seinen Eltern und seiner Schwester auf und reiste nach dem Tod des Vaters im Alter von sieben Jahren mit seiner Mutter und seiner Schwester in den Iran aus, wo er bis 2015 illegal lebte, fünf Jahre eine afghanische Schule besuchte und anschließend als Bauarbeiter tätig war.

Die Ehegattin und die Tochter des Beschwerdeführers sind im Iran aufhältig, die Schwester Richtung Europa weitergereist. Laut eigenen Angaben hat der Beschwerdeführer keine weiteren Verwandten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde persönlich niemals von den Taliban verfolgt oder bedroht.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara und wegen seiner Religionszugehörigkeit zu den Schiiten konkret und individuell weder physischer noch psychischer Gewalt ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 21.7.2020 (Auszug):

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten „Geldbußen“ und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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