TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/1 W150 2199160-1

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Veröffentlicht am 01.12.2020
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Entscheidungsdatum

01.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W150 2199160-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1993, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch RA Dr. Longin Josef KEMPF, Dr. Kempf/Dr. Maier Rechtsanwaltssozietät (GbR), gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz (BFA-OÖ-ASt Linz) vom 14.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 69/2020, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“), reiste spätestens am 13.10.2015 (Datum der Antragstellung) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am nächsten Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der LPDion OÖ die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab dieser zu seiner Person u.a. an, Dari als Muttersprache zu sprechen, Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, Moslem, ledig, zuletzt Büroangestellter gewesen zu sein und neun Jahre Grundschule absolviert zu haben. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass er aufgrund seiner Tätigkeit im Sicherheitsbereich zurück nach XXXX hätte müssen, dies aber nicht gewollt hätte aufgrund der ständigen Drohungen der Taliban in XXXX und deshalb Afghanistan verlassen hätten. Bei der Frage nach seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr in Ihren Heimatstaat gaben er an, dass sein Leben in Gefahr wäre.

2. Am 27.03.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab er zunächst an, physisch und psychisch in der Lage zu sein, der Einvernahme zu folgen, gesund zu sein, ohne rechtsfreundlichen Vertreter einvernommen werden zu wollen, und den Dolmetscher einwandfrei zu verstehen. Weiters gab er an, Familienreisepass in Kopie, Tazkira und Geburtsurkunde bereits vorgelegt zu haben und legte zahlreiche Unterlagen vor, nämlich Teilnahmebestätigungen, Deutschkurszertifikate und Nachweise zu Freiwilligentätigkeit und gemeinnütziger Tätigkeit.

Die weitere Befragung hinsichtlich der Fluchtgründe des BF gestaltete sich wie folgt:

„F: Beantworten Sie die nachstehenden Fragen mit „Ja“ oder „Nein“. Sie haben später

noch die Gelegenheit, sich ausführlich zu diesen Fragen zu äußern:

F: Sind Sie vorbestraft oder waren Sie in Ihrem Heimatland inhaftiert oder hatten Sie

Probleme mit den Behörden?

A: 3-Mal Nein.

F: Bestehen gegen Sie aktuelle staatliche Fahndungsmaßnahmen wie Haftbefehl,

Strafanzeige, Steckbrief, etc.?

A: Nein.

F: Sind oder waren Sie politisch tätig?

A: Nein.

F: Sind oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Sind oder waren Familienangehörige Mitglied einer politischen Partei?

A: Nein.

F: Hatten Sie in ihrem Herkunftsstaat aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses bzw. Ihrer

Volksgruppenzugehörigkeit Probleme?

A: Ja Religionsbekenntnis und nein Volksgruppe.

F: Hatten Sie gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte etc.)?

A: Nein.

F: Nahmen Sie in Ihrem Heimatland an bewaffneten oder gewalttätigen

Auseinandersetzungen aktiv teil?

A: Nein.

F: Schildern Sie nochmals die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen

Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig und

wahrheitsgemäß. Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die

Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können. Soweit Sie auf Ereignisse

Bezug nehmen, werden Sie auch aufgefordert, den Ort und die Zeit zu nennen, wann

diese stattfanden und die Personen, die daran beteiligt waren. Sie haben jetzt auch

Gelegenheit, sich zu den Fragen, die von ihnen mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet wurden,

zu äußern.

A: Die Datums weiß ich nicht aber die Personen die anwesend waren werde ich sagen.

Nachdem ich 1 Jahr im Flughafen gearbeitet habe bin ich zu einer Firma wo ich als

Security arbeitete. Nach 1,5 Jahre als ich in dieser Firma war kamen 4 Personen zu

meinen Nachbar – sie fragten wann diese Person heimkommen – die Nachbarn gaben

meiner Mutter Bescheid, dass ihr Sohn von 4 Personen gesucht wird – Dann erzählte mir

das meine Mutter – sie fragte mich ob ich diese Personen kenne und ich sagte, dass ich

sie nicht kenne – sie meinte wenn ich sie nicht kenne soll ich nicht mehr nach Hause

kommen –

nach einiger Zeit gab es das Zuckerfest – ich ging mit einen Freund einkaufen und dort

kam ein Auto, welches neben uns parkte – 2 Personen sind in eine Richtung und 2 in die

andere Richtung – dann versteckte ich mich in einem Geschäft – 2 Personen gingen

weiter und die anderen sind uns näher gekommen – Mein Freund und ich sind in unser

Auto gestiegen und zur Arbeit gefahren – unterwegs sahen wir das uns das Auto verfolgt

– Mein Arbeitsplatz war außerhalb von der Stadt und wir mussten durch einen

Checkpoint – Beim Checkpoint fragte uns der Polizist warum wir so schnell fuhren – ich

sagte, wegen dem Auto welches uns verfolgt – als diese Personen sahen, dass wir mit

den Polizisten diskutieren drehten diese wieder um und fuhren wieder Richtung Stadt. –

Ich habe das in der Firma meinen Chef erzählt und er meinte das unsere Tätigkeit auch

Risikoreich sein kann - einige Zeit arbeitete ich noch als Putzkraft – als ich mitbekam

das es nicht mehr geht - habe ich entschieden mit meinem Chef in XXXX zu arbeiten. –

Dann habe ich 2 Jahre in XXXX gearbeitet und sie wollten mich wieder nach XXXX

schicken (entweder ich gehe nach XXXX ansonsten werde ich gekündigt) – dies

akzeptierte ich nicht daher kündigte ich. – Das war mein Problem.

F: Welche Probleme hatten Sie aufgrund Ihres Religionsbekenntnisses?

A: wo ich arbeitete waren fast alle Sunniten, ich sagten niemanden, dass ich Schiit bin,

denn wenn ich das gesagt hätte, dann hätten sie mich gekündigt oder mich belästigt.

F: Wer war Ihr Arbeitgeber in XXXX ?

A: XXXX

F: Als was arbeiteten Sie in XXXX und als was hätten Sie in XXXX arbeiten müssen?

A: Als Logistiker und in XXXX als Security wenn ich zurückgegangen wäre.

F: Von wem ging das aus, dass Sie nach XXXX zurückgehen sollten?

A: von meinem Chef XXXX

F: Hatte dieser eine Security Firma oder warum wollte er, dass Sie nach XXXX als

Security arbeiten?

A: Es gab noch einen höheren Chef und dieser war für eine Security Firma und auch für

die Logistik Firma zuständig.

F: Wie lange vor der Ausreise haben Sie gekündigt?

A: ca. 6 Monate.

F: Wo lebten Sie in diesen 6 Monaten?

A: In Herat bis ich mich vorbereitet habe und mein Visum bekam. Nachgefragt: lebte ich

dort in einem Hotel in XXXX . Direkt nach der Kündigung.

F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen,

vollständig geschildert?

A: Ja das waren meine Fluchtgründe.

F: Was würde Sie konkret erwarten, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren

müssten?

A: In XXXX habe ich keinen Platz mehr zum Leben, ich kann auch nicht von einer zur

anderen Provinz reisen, ich bin jung und ich habe Hoffnungen und ich möchte mein

Leben aufbauen und eine Familie gründen.

F: In welchen anderen Provinzen Ihres Heimatstaates waren Sie schon in Ihrem Leben?

A: XXXX , XXXX und XXXX .

F: Sie könnten in eine sichere, derzeit ungefährliche Provinz in Afghanistan gehen. Was

sagen Sie dazu?

A: Es gibt keine sichere Provinz in Afghanistan, das ist mein privates Problem und ich will

auch nicht, dass meine Familie wegen mir in eine andere Provinz kommt.
[…]

F: Warum gaben Sie bei der Erstbefragung an, dass Sie Tajik sind und jetzt wussten Sie

nicht zu welcher Volksgruppe Sie gehören?

A: Ja es stimmt, aber ich habe meinen Vater gefragt und er meinte, dass wir keine

Tajiken sind das diese eher im Nordafghanistan leben. Nachgefragt: gehöre ich den

Paschtunen an da diese in XXXX sind.

F: Wie lautet Ihr Geburtsdatum im afghanischen Kalender?

A: XXXX

F: Warum lautet Ihr Geburtsjahr XXXX auf Ihrer Tazkira?

A: Ich weiß nicht warum aber das hat vielleicht mein Vater angegeben damit ich schneller

oder früher zur Arbeit gehen kann.

F: Warum hat die afghanische Botschaft angegeben, dass Sie am XXXX geboren

sind?

A: Im Familienreisepass stand dieses Geburtsdatum.

F: Was ist Ihr richtiges Geburtsdatum?

A: XXXX

F: Wer hat Ihnen das Geburtsdatum genannt?

A: Meine Mutter.

F: Wann Ihre Mutter das genannt?

A: vor einem Jahr.

F: Es ist sehr ungewöhnlich, dass Sie Ihre Volksgruppe nicht kennen?

A: Wir sind so aufgewachsen, unter der Volksgruppe Paschtunen, ich habe auch nicht

meinen Vater gefragt.

F: Warum gaben Sie, dann bei der Erstbefragung Tajik an?

A: Ich dachte weil ich Dari spreche gehöre ich zu den Tajiken.

F: Ist Ihnen bewusst, dass auf dem von Ihnen vorgelegten Geburtszertifikat der

afghanischen Botschaft das Geburtsdatum falsch ist?

A: Ich habe dort dieses Datum XXXX angegeben. Nachgefragt: Nein ich wusste

nicht, dass es falsch ist.

F: Wissen Sie wer die 4 Personen waren die bei Ihren Nachbarn waren?

A: Nein, das weiß ich nicht ich war nicht dabei.

F: Warum haben Sie diese Personen gesucht?

A: Weil ich in dieser Firma als Security in XXXX gearbeitet habe und ich wusste viel

über diese Firma. Sie wollten mich vielleicht deswegen verschleppen.

F: Inwiefern wurden Sie von diesen Personen bedroht?

A: Es gab keine besonderen Bedrohungen aber ich dachte sie werden mich

verschleppen. Auch die Sicherheitssituation von XXXX war schlecht. Es wurden

einige Menschen die in verschiedenen Firmen gearbeitet haben entführt und getötet. Ich

wollte das nicht.

F: Was war der Grund, dass diese Menschen entführt und getötet wurden?

A: Weil die Leute mit der Regierung gearbeitet haben oder für Ausländer gedolmetscht

haben. Die aussagen von den Taliban war, wenn jemand mit Fremden zusammen

arbeitet sind sie ungläubig und müssen deswegen getötet werden.

F: Was hat das mit Ihrer Situation zu tun?

A: Weil ich als Security für die Amerikaner gearbeitet habe, wenn ich dort

weitergearbeitet hätte würde ich nicht lange in XXXX überleben.

F: Wo und für wen genau haben Sie als Security gearbeitet?

A: In XXXX für XXXX Nachgefragt: heißt die Firma: XXXX

F: War diese Firma von dem Amerikaner?

A: Nein das war eine private Firma aber ich bekam Aufträge von Ausländern.

F: Schildern Sie so einen Auftrag für die Ausländer?

A: Wir mussten von einem Stützpunkt zu dem anderen Stützpunkt Waren transportieren

für internationale Truppen.

F: Warum haben Sie als Security Waren transportiert?

A: Das waren Container welche wir transportierten und wir sind als Security mit weiteren

Autos mitgefahren.

F: Wie lange arbeiteten Sie dort?

A: 2010 bis ca. 2012 in XXXX

F: Wie handelten Sie nachdem Sie von Ihrer Mutter die Info bekamen?

A: Ich habe keine Reaktion gezeigt, aber ich dachte mir irgendwann passiert noch was,

getan habe ich nichts.

F: Wann war dann der nächste Vorfall?

A: ca. nach 3-4 Monaten.

F: Wie lange vor der Ausreise war der zweite Vorfall?

A: 2,5 Jahren.

F: Wo fand dieser zweite Vorfall genau statt?

A: In der Stadt XXXX dort werden Lebensmittel verkauft und von dort wurde

ich bis zur Stadtgrenze verfolgt.

F: Wo wollten Sie hinfahren?

A: Ich wollte dort einkaufen danach bin ich gleich zu meinen chef gefahren, konnte nicht

mehr nach Hause zurück.

Frage wird wiederholt und erklärt

A: wir wollten eigentlich einkaufen und wieder zurück nach Hause fahren dann sahen wir

das dieses Auto neben uns parkte danach bin ich aber gleich zu meinen Chef gefahren.

F: Kannten Sie die 4 Personen die ihnen mit dem Auto folgte?

A: Nein.

F: Waren Sie alleine als Ihnen das Auto folgte?

A: Nein ein Freund war mit mir mit. Nachgefragt heißt er XXXX , er war ein

XXXX .

F: Wer fuhr mit dem Auto?

A: Ich selber. Nachgefragt: Nein ich hatte keinen Führerschein aber wenn man einen

Personalausweis hatte durfte man fahren.

F: Warum wissen Sie, dass dieses Auto Ihnen folgte und warum sollte es Ihnen folgen?

A: Ich weiß nicht warum, sie sind uns dann bis zum checkpoint nachgefahren und dann

haben sie umgedreht ansonsten wären sie, ja einfach durch den Checkpoint gefahren.

F: Gab es noch andere Fälle in denen Sie bedroht oder verfolgt wurden.

A: Nein danach gab es keinen Vorfall mehr. Nach einiger Zeit sind ich und mein Chef

nach XXXX gegangen.

F: Wie lange waren Sie noch in XXXX ?

A: 3-4 Monate blieb ich noch dort und danach sind wir nach XXXX .

F: Hatte Ihre Familie aufgrund Ihrer Probleme, Probleme?

A: Nein weil mein Vater freiberuflich ist und er auch nicht bei der Regierung arbeitet.

F: Wurden Sie persönlich verfolgt oder bedroht?

A: Ja dieser Vorfall, da sie zu meinen Nachbar gekommen sind und nach mir fragten.“

3. Mit Bescheid vom 14.05.2018, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant aus, dass nicht festgestellt hätte werden können, dass der BF zukünftig in Afghanistan durch die von ich, genannten Personen verfolgt werde. Nicht festgestellt hätte werden können, dass er in Afghanistan einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliege. Es hätte auch aus den sonstigen Umständen keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, festgestellt werden können. Weiters hätte nicht festgestellt hätte werden können, Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr durch die von ihm genannten Personen verfolgt werde, im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan im Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären. Er sei gesund und arbeitsfähig, habe Familienangehörige und Verwandte in Afghanistan. Er könne daher finanzielle Unterstützung bekommen. Er verfüge über eine 5-jährige Schulbildung und haben eine 2-jährige Berufserfahrung bei einem Bäcker, eine 1-jährige Berufserfahrung in einer Produktionsfirma, eine 1-jährige Berufserfahrung als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, eine insgesamt 4-jährige Berufserfahrung als Logistiker. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne für seinen Unterhalt grundsätzlich sorgen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde. Außerdem würde er dort nicht Gefahr laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können. Es liege in seinem Fall eine relevante Gefährdungslage in Bezug auf seine unmittelbare Heimatprovinz – nicht aber Afghanistan allgemein – vor. Die Sicherheitslage in XXXX sei hingegen ausreichend sicher.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde weiter aus, dass im Fall des BF keine Verfolgung in seinem Heimatland Afghanistan festgestellt hätte werden können, da er keine aktuelle personenbezogene Verfolgung seiner Person vorgebracht habe. Die von ihm vorgebrachten Verfolgungen durch die von ihm genannten Personen würden von der Behörde als keine aktuell relevante personenbezogene Verfolgung gewertet. Eine Verbindung zu einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung könne daraus nicht abgeleitet werden. Weiters werde auch seine persönliche Glaubwürdigkeit in Frage gestellt, da er während seines Verfahrens bereits vier verschiedene Geburtsdaten angegeben habe bzw. würden sich die Geburtsdaten in den von Ihnen vorgelegten Dokumenten deutlich voneinander unterscheiden und er hätte auch diesbezüglich den Sachverhalt nicht aufklären können bzw. wollen. Der vom BF erwähnte Vorfall wonach unbekannte Personen bei seinen Nachbarn nach ihm gesucht hätten, könne als keine Bedrohung gewertet werden - da dies nur eine Information vom Nachbarn seiner Eltern gewesen wäre und es nicht nachvollziehbar sei, wer ihn gesucht hätte und warum. Dieser erste Vorfall habe beinahe 3 Jahre vor Ihrer Ausreise aus Afghanistan stattgefunden – in den darauf folgenden 3-4 Monaten hätte er gemäß seinen Aussagen keine weiteren Probleme in XXXX gehabt. Die zweite Drohung hätte 2,5 Jahre vor seiner Ausreise aus Afghanistan stattgefunden - er wären von unbekannten Personen mit dem Auto bis zur Stadtgrenze von XXXX verfolgt worden, dann hätten diese Unbekannten wieder umgedreht. Auch nach diesem Ereignis wäre er noch weitere 3-4 Monate in XXXX geblieben – erst dann sei er, seinen Angaben nach, nach XXXX um den Problemen zu entgehen. Die Behörde könne aufgrund des zeitlichen Abstandes zwischen diesem zweiten Vorfall und seines Umzuges nach XXXX , ebenfalls keine aktuelle oder personenbezogene Verfolgung erkennen. Weiters seien auch seine Familienangehörigen weder verfolgt oder bedroht worden, auch nicht nach seiner Ausreise, somit könne auch in diesem Zusammenhang keine aktuelle oder personenbezogene Verfolgung oder Bedrohung erkannt werden. Sein Entschluss zur Ausreise aus Afghanistan sei aufgrund der geplanten Versetzung von seiner Arbeitsstelle in XXXX wieder zurück nach XXXX entstanden. Dies hätte er einerseits nicht aufgrund der Probleme die er in XXXX gehabt hätte, andererseits nicht aufgrund der dort vorherrschenden Sicherheitslage. Er sei jedoch noch 6 Monate in Afghanistan geblieben, um seine Ausreise vorzubereiten. Sein Problem hätte er mit einem Job-Wechsel ändern können und somit nicht aus Afghanistan ausreisen müssen. Die vom BF vorgelegten Beweismittel aus Afghanistan könnten lediglich beweisen, dass er als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes gearbeitet habe - darüber hinaus könnten Sie nichts beweisen. Im gegenständlichen Fall sei auch darauf hinzuweisen, dass die geschilderten Vorfälle bei weitem nicht die relevante Intensität der Verfolgung erreicht hätten, da ihm persönlich nie jemand gedroht hätte. Es gebe nur Vermutungen, dass nach ihm gesucht worden sei oder er eventuell verfolgt worden sei. Auch habe er mit seinem vormaligen Job-Wechsel von XXXX nach XXXX bereits selbst Schritte unternommen, seinen angegebenen Problemen zu entgehen. Weiters werde auch darauf hingewiesen, dass ihm außer diesen beiden genannten Vorfällen, die mit seiner Ausreise in keinem zeitlichen Zusammenhang stünden, nichts mehr passiert sei. Weiters komme es zwar in Afghanistan bekanntermaßen zur Diskriminierung von Schiiten, mit ca. 19% der Bevölkerung seien diese aber die größte religiöse Minderheit und von einer Verfolgung von Schiiten könne nicht die Rede sein. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten seien im Alltagsleben in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat seien auch Schiiten vertreten; beide Gremien hätten betont, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (Länderfeststellungen). Eine Verfolgung des BF aufgrund seines schiitisch-moslemischen Religionsbekenntnisses sei somit nicht nachvollziehbar.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF über seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und – unterstützt mit mehreren Eventualanträgen - der Beschwerde Folge zu geben. Er brachte dabei im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant vor, dass der BF wegen seiner beruflichen Tätigkeit Bedrohungen ausgesetzt gewesen wäre. Nachdem an seinem Wohnort nach ihm von vier verdächtigen Personen nach ihm gefragt worden sei, habe er es vorgezogen, fortan an seinem Arbeitsplatz zu wohnen. Auch kurz danach sei er, gemeinsam mit einem Freund im Auto unterwegs, von vier Personen in einem Auto verfolgt worden, das aber aufgrund des Passierens des BF eines Checkpoints der Polizei die Verfolgung abbrachen. Auch nach einem Wechsel des Arbeitgebers nach XXXX sei er im Security-Bereich tätig gewesen. Aufgrund eines vorgesehenen Wechsels der Arbeitsstelle nach XXXX , hielt das der BF jedoch für zu gefährlich, da sein Unternehmen für Amerikaner gearbeitet hätte. Er wäre dort ständig der Gefahr ausgesetzt gewesen, in die Gewalt der Taliban zu geraten. Hinsichtlich der unterschiedlichen Geburtsdaten in Dokumenten brachte der BF vor, er habe schon mehrere Schritte, auch über die afghanische Botschaft unternommen, dies amtlich korrigieren zu lassen. Im Zuge dessen sei von der Botschaft bestätigt worden, dass die Geburtsurkunde des BF echt sei und wäre infolge dessen auch das Geburtsdatum auf seiner Aufenthaltsberechtigungskarte richtiggestellt worden.

5. Am 26.06.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“) unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari und in Anwesenheit eines rechtsfreundlichen Vertreters für den BF statt. Das BFA war entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die Fluchtgründe, die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des Rechtsmittelwerbers und seine Integrationsschritte erörtert. Zu den Länderberichten gaben der BF und sein Vertreter keine Stellungnahme ab.

Der BF gab an, gesund und verhandlungsfähig zu sein und nicht regelmäßig Medikamente zu nehmen. Seine vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben entsprächen grundsätzlich der Wahrheit aber er sei nicht so detailliert befrag worden wie jetzt vor dem BVwG.

Die weitere Befragung des BF gestaltete sich wie folgt:

„RI: Führen Sie Ihren Namen seit Ihrer Geburt?

BF: Ja.

RI: Wo sind Sie geboren?

BF: In der Provinz XXXX , in XXXX .

RI: Wann sind Sie geboren?

BF: Ich bin am XXXX (afghanischer Kalender) geboren.

RI: Sind Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan unter anderen Namen, Spitznamen, Kampfnamen, Rufnamen bekannt?

BF: Nein.

RI: Sind Sie in anderen Ländern dieser Erde, einschließlich Österreich, unter anderen Namen bzw. Identitäten in Erscheinung getreten?

BF: Nein.

RI: Haben Sie irgendwelche Dokumente (Ausweise, Bestätigungen, etc.) die Ihre Person oder Familienangehörige betreffen, die noch nicht im Akt enthalten sind, die Sie mir heute vorweisen wollen?

BF: Neues habe ich nichts, nein.

RV: Wir haben die Original-Tazkira, die Geburtsurkunde von der Botschaft und eine Kopie des Familienreisepasses vorgelegt.

RV legt vor:

•        Zwei Unterstützungserklärungen

•        Eine Darstellung „Flüchtlinge in Afghanistan“ der UNO-Flüchtlingshilfe

und erklärt, den BF unentgeltlich zu vertreten.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF: Ich schiitischer Moslem.

RI: Wie äußert sich Ihre religiöse Überzeugung? Woran können Außenstehende erkennen, dass Sie schiitischer Moslem sind?

BF: Man kennt mich vom Verrichten des Gebetes, dass ich schiitischer Moslem bin.

RI: Wie merkt man das?

BF: Ja, ich verrichte täglich dreimal – zur Erklärung, es ist eigentlich fünfmal – man darf das Mittagsgebet und Nachmittagsgebet zusammen verrichten und das Abend- und Spätabendgebet zusammen verrichten.

RI: Gibt es da einen Unterschied zu sunnitischen Moslems?

BF: Ich glaube, der wesentliche Unterschied ist dieses: Dreimal und fünfmal. Diese müssen es fünfmal verrichten, bei uns kann man es dreimal verrichten. Es gibt auch einen anderen Unterschied. Die stehen beim Gebet mit verschränkten Händen vor der Brust und wir lassen die Hände dabei hinunterhängen.

RI: Ist es Ihnen gestattet, auch die Hände beim Gebet zu verschränken oder ist das eine schlimme Sache?

BF: Unter nur einem Umstand, wenn man das tun muss. Wenn einem entweder tatsächlich die Hände gebunden sind oder man spürt eine Gefahr. In dem Fall darf man es.

RI: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

BF: Es ist so, dass meine Mutter Tadschikin ist und mein Vater Paschtune. Ja, ich bin Paschtune.

RI: Schildern Sie konkret wo Sie in Afghanistan vor Ihrer Flucht gelebt haben, Stadt, Provinz, Distrikt etc.

BF: Ich habe in XXXX , XXXX und XXXX gelebt.

RI: Gleichzeitig mehrere Wohnsitze?

BF: Bis gegen 2012 war ich in XXXX . ‚Von 2012 bis 2015 war ich in XXXX . Von XXXX hat man mich wieder nach XXXX geschickt. Dann bin ich nach XXXX . Zwischen sechs und sieben Monaten war ich auch in XXXX .

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Afghanistan?

BF: Meine Eltern, zwei Brüder von mir und eine Schwester von mir sind in Afghanistan.

RI: Wie heißen diese?

BF: Mein Vater heißt XXXX .

RI: Haben Sie noch Verwandte in Österreich oder anderen Ländern dieser Erde?

BF: Ja, in Deutschland sind meine Großeltern.

RI: Sind Sie ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, in Lebensgemeinschaft oder in einer eingetragenen Partnerschaft?

BF: Ja, ich bin verlobt.

RI: Wohnen Sie zusammen?

BF: Nein.

RI: Mit wem sind Sie verlobt?

BF: Ich sage, die Tochter meines Onkels mütterlicherseits, sie ist eine sehr weite Verwandte, aber ich bezeichne sie als die Tochter meines Onkels mütterlicherseits. Sie lebt in Deutschland.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Nein.

RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildungen haben Sie?

BF: Meinen Sie hier oder in Afghanistan?

RI: Erzählen Sie.

BF: In Afghanistan habe ich keine spezielle Ausbildung genossen. Hier habe ich eine Teillehre gehabt.

RI: Sind Sie in Afghanistan zur Schule gegangen?

BF: Ich bin nur fünf Jahre in Afghanistan zur Schule gegangen.

RI: Können Sie Persisch lesen und schreiben?

BF: Ja, ein bisschen.

RI: Welchem Beruf sind Sie vor Ihrer Flucht nachgegangen?

BF: Ich war in einer Transportfirma tätig. Unsere Firma hat speziell amerikanische Gegenstände und amerikanisches Eigentum von einer Stadt zur anderen transportiert.

RI: Was haben Sie da gemacht? Waren Sie Telefonist, Buchhalter oder Fahrer?

BF: Es war so, dass diese Transporte, die da getätigt worden sind, auch eine Art Schutz gebraucht haben und deshalb war ich auch als Securitymann tätig.

RI: Waren Sie auch oder nur als Securitymann tätig?

BF: Meine Aufgabe war nur als Securitymann für den Schutz der Transporte.

RI: Durften Sie in Afghanistan Autofahren?

BF: Ja, schon. Ich muss ehrlich sagen, in XXXX braucht man nicht unbedingt einen Führerschein.

RI: Haben Sie in Afghanistan einer Miliz oder bewaffneten Gruppe angehört oder eine Kampfausbildung erhalten?

BF: Nein.

RI: Wieso konnten Sie dann als Security arbeiten?

BF: Es war eine Privatfirma, in der ich tätig war.

RI: Wo haben Sie da diese Fähigkeiten erlernt? Sie werden ja als Security auch tätig gewesen sein und nicht nur zugeschaut haben.

BF: Es war so, dass alle paar LKW einen Chef-Security gehabt haben. Dieser Chef- Security hat die Aufgaben für die anderen Mitglieder des Teams verteilt und besprochen und das bedeutet, dass, wenn unterwegs eine Gefahr vorgekommen wäre, dann musste man auch kämpfen um den Weg freizubekommen und wenn nicht, dann musste man, ohne anzuhalten, weiter durchfahren.

RI: Womit hätten Sie gekämpft, mit Gewehren, Faustfeuerwaffen? Was für Waffen hatten Sie dabei?

BF: Ja, wir haben als Securitymänner sowohl Kalaschnikows als auch PK gehabt.

RI: Ich komme zurück zu meiner vorherigen Frage. Wo haben Sie diese Kampfausbildung erhalten?

BF: In Afghanistan brauchst du keine Ausbildung, um zu kämpfen, um weiter überleben zu können. Keiner genießt eine Ausbildung, aber fast jeder beherrscht die Kunst des Kampfes.

RI: Sie wurden durch das BFA am 27.03.2018 ausführlich zu Ihren Erlebnissen, Lebensumständen und Fluchtgründen befragt. Waren ihre damaligen Angaben zutreffend?

BF: Ich habe nur die Wahrheit gesagt, aber ich muss dazusagen, dass ich an diesem genannten Tag nicht so ausführlich gefragt wurde, wie zum Beispiel heute, wo Sie mich gefragt haben, welche Waffe, welche Ausbildung. Sie haben mich nur gefragt, was für einen Beruf ich gehabt habe. Ich habe ihnen allen gesagt, dass ich als Securitymann tätig war.

RI: Wie sind Sie von Afghanistan nach Österreich gelangt? Schildern Sie bitte die Stationen Ihrer Reise.

BF: Ich war in Herat und habe auf mein Visum für den Iran gewartet. Als ich mein Visum bekommen habe, bin ich in den Iran und nachher …

RI unterbricht: Sind Sie direkt in den Iran von Herat aus?

BF (auf Deutsch): Ja.

BF weiter: Von dort weiß ich es nicht genau, denn wir sind schlepperunterstützt weitergefahren.

RI: Weiter gefahren bis?

BF: Wir sind zuerst in die Türkei. Bis in die Türkei weiß ich es. Nachher sind wir, wie gesagt, schlepperunterstützt weitergefahren.

RI: Sind Sie auch noch in die Türkei legal eingereist?

BF: Auf illegale Weise.

RI: Schlepperunterstützt?

BF: Ja.

RI: Was haben Sie für den Schlepper bezahlt?

BF: Ungefähr 4.000 USD.

RI: Warum sind Sie aus Afghanistan geflüchtet?

BF: Es war dort das Leben sehr schwer. Man kann doch nicht immer mit der Angst weiterleben. Ich war auch jung ich wollte auch eine Zukunft haben, ich wollte auch meinen Weg finden.

RI: Gab es sonst noch Gründe für Ihre Flucht?

BF: Der Hauptgrund war, dass ich dort nicht mehr weiterleben konnte. Besonders in XXXX war es sehr schwer, weiterzuleben. Ich konnte doch mein ganzes Leben immer unterwegs sein und immer von einer Provinz zu einer anderen Provinz gehen. Das war eigentlich der Grund.

D stellt dem BF die Frage nochmals.

BF: Damit meine ich meine eigene persönliche Sicherheit. Damit meine ich auch, da ich als Securityperson in dieser genannten Firma gearbeitet habe und durch meine Arbeit natürlich auch einige Informationen gehabt habe, deshalb wollten mich die Taliban, wenn notwendig lebendig, in der Hand haben und deshalb konnte ich auch nicht weiter in XXXX leben.

RI: Sie haben immer als Security gearbeitet? Wann haben Sie mit dieser Arbeit begonnen, in welchem Alter?

BF: Ich glaube, ich muss XXXX Jahre alt gewesen sein, als ich mit dieser Arbeit begonnen habe. Aber in dieser Firma habe ich nur zwei Jahre gearbeitet.

RI: Seit dem XXXX Lebensjahr haben Sie in Afghanistan als Security gearbeitet, ist das richtig?

BF: Ja.

RI: Sie haben mir gesagt, dass die Taliban Sie „lebendig in der Hand haben“ wollten. Warum glauben Sie das?

BF: Weil es zwei Ereignisse oder Vorfälle gab. Ich habe nach diesen zwei Vorfällen bemerkt, dass sie mich lebendig haben wollten. Ich habe es bemerkt, weil, wenn sie mich töten hätten wollen, hätten sie es schon längst getan.

RI: Wann war denn der erste Vorfall ungefähr?

BF: Als ich in dieser Firma begonnen habe, ca. ein bis eineinhalb Jahre danach.

RI: Wie hieß diese Firma?

BF: Die Firma heißt XXXX und der Chef der Firma hat XXXX geheißen.

RI: Das heißt, Sie haben bei dieser Firma gearbeitet, als es diesen ersten Vorfall gab, ist das richtig?

BF: Ja.

RI: Was ist da genau passiert?

BF: Während meiner Tätigkeit in dieser besagten Firma wohnten wir in jener Gasse, dass am Anfang dieser Gasse war ein neues Haus zu bauen, das einem guten Freund oder einem weiten Verwandten meines Vaters gehört hat. Da wir in XXXX besonders gefühlsmäßig kennen, wer wer ist und wer zum Beispiel Mitglied eines Securityteams und wer ein Talib ist, also kurz gesagt, sind eines Tages vier Leute auf dieser Baustelle, von der ich gerade gesprochen habe, gekommen und dort haben die Leute nach mir gefragt. Sie fragten, wo der XXXX , nämlich ich, wäre. Sie fragten auch, um wie viel Uhr ich aus dem Haus herauskommen bin und um wie viel Uhr ich wieder zurückkomme. Die Leute, die auf der Baustelle tätig waren, sagten denen, dass sie überhaupt nichts wussten. Dann haben diese Leute die Geschichte meiner Mutter erzählt. Als ich an diesem Tag zurück nach Hause kam, sagte mir meine Mutter: „Bitte kommt nicht mehr zurück nach Hause.“ Ehrlich gesagt, habe ich das nicht wirklich für so wichtig gehalten, ich habe es nicht ernst genommen. Nach ca. zwei bis drei Monaten ist unser Ramadan-End-Fest gewesen. Besonders vor dem Fest geht es dem Basar sehr gut, weil viele Leute einkaufen.

RI: Das Zuckerfest?

BF: Nein, das Ramadanfest.

BF weiter: In der Nacht vor dem Fest, dass, bedeutet, dass der Tag danach das Fest gewesen ist, bin ich hinausgegangen, um einzukaufen. Als ich und mein Freund in dieses Geschäft hineingegangen sind, haben wir bemerkt, dass ein Auto neben uns gestoppt hat. Wir waren in diesem Moment im Geschäft. Vier Leute sind aus dem Auto ausgestiegen. Zwei Leute sind in eine Richtung und zwei in die andere Richtung gegangen. Ich habe mich sofort an die Worte meiner Mutter erinnert, dass sie von vier Leuten gesprochen hat, die nach mir gefragt hätten. In diesem Moment hat mir der Geschäftsbesitzer seine Hilfe angeboten und sagte, ich könnte doch einige Minuten in einem ziemlich geschützten Raum im Geschäft verbringen. Nach einer kurzen Zeit ist der Besitzer des Geschäftes zu uns gekommen und sagte, er glaube, die vier Leute sind schon weg. Dann nachher sind mein Freund und ich schnell zum Auto gegangen, ins Auto gesprungen und weggefahren. Als wir die erste Kurve zur Hauptstraße hineingefahren sind, habe ich bemerkt, dass die vier Leute da sind.

RI: Wo ist „da“?

BF: Sie waren auch im Auto, sie waren mit dem Auto hinter uns. Sie fuhren praktisch hinter uns.

BF weiter: Da unsere Firma sowohl von dem Platz aus als auch von der Ausrüstung aus ein sicherer Platzt ist – gemeint ist, dass diese Firma sehr geschützt ist – wollten wir in die Firma fahren. Unterwegs, als wir aus der Stadt hinaus zur Firma fahren wollten, gab es auch an einer Stelle einen Checkpoint. Als wir zwei vor dem Checkpoint gestoppt haben, habe ich sofort den anwesenden Polizisten gesagt, dass uns ein Auto verfolgen würde. Als sie bemerkt haben, dass ich bereits mit den Polizisten spreche, sind sie dann wiederum in die Stadt hinein zurückgefahren. So bin ich dann weiter in die Firma. Ich habe die Geschichte auch bereits meinem Chef erzählt. Sein Vorschlag war, dass ich doch einige Zeit nicht in die Stadt hineinfahren, sondern in der Firma bleiben sollte. So gesehen habe ich drei bis vier Monate in der Firma nur drinnen gearbeitet. Ich habe mich zum Beispiel in der Firma um alles gekümmert, alles saubergemacht. Eines Tages hat mir mein Chef gesagt, dass er nach XXXX fahren wollte und hat mir auch vorgeschlagen, dass ich doch nach XXXX mitfahren und mit ihm in XXXX weiterarbeiten sollte. Ich habe mir auch gedacht, dass es in XXXX besser als in XXXX wäre. Aus diesem Grund bin ich mit ihm nach XXXX gefahren. Zwei Jahre war ich in dieser Firma tätig. Irgendwann wollte mich die Firma wieder nach XXXX schicken, um dort weiterzuarbeiten, aber ich wollte das nicht. Da ich nach XXXX nicht gehen wollte und da ich auch nicht mehr aus diesem besagten Grund in XXXX weiterleben konnte, bin ich dann nach XXXX gefahren, um mich um meinen Reisepass usw. zu kümmern. Die Geschichte des Visums hat ehrlich auch ca. sechs Monate gedauert.

RI: Bevor Sie bei der Firma XXXX gearbeitet habe, waren Sie da am Flughafen beschäftigt?

BF (auf Deutsch): Ja.

RI: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie insgesamt vier Jahre für XXXX gearbeitet, zwei Jahre in XXXX und danach zwei Jahre in XXXX .

BF: Ja. Die zwei Jahre, wo ich für die Firma in XXXX gearbeitet habe, war ich als Escorte tätig. Als Escorte meine ich, dass ich die LKWs begleitet habe, ich war dabei.

RI: Und in XXXX , was haben Sie da gemacht?

BF: In XXXX , wie gesagt, war es dieselbe Firma, sogar der Chef war derselbe Chef. In diesen zwei Jahren, in denen ich weiter für diese Firma gearbeitet habe, war ich als Escort-Person nicht unterwegs und ich habe nur drinnen in der Firma gearbeitet. Da heißt, wir haben amerikanische Waren in die LKWs geladen, dann sind sie mit anderen Securityleuten weitergefahren.

RI: Jetzt muss ich Ihnen aber vorhalten, dass Sie beim BFA das genau umgekehrt erzählt haben, dass Sie nämlich zwei Jahre als Logistiker gearbeitet haben und danach zwei Jahre in XXXX gearbeitet haben.

BF: Das habe ich nicht gesagt, nein. Ich habe an diesem Tag auch gesagt, dass die ersten zwei Jahre, in denen ich in XXXX tätig gewesen bin, ich als Escort, Begleitung tätig gewesen bin und die zwei Jahre, die ich in XXXX gearbeitet habe, bin ich in der Logistik tätig gewesen.

RI: Vorhalt: Ich habe Sie vorhin gefragt, was Sie bei der Firma gemacht haben.

„Waren Sie Telefonist, Buchhalter oder Fahrer?

BF: Es war so, dass diese Transporte, die da getätigt worden sind, auch eine Art Schutz gebraucht haben und deshalb war ich auch als Securitymann tätig.

RI: Waren Sie auch oder nur als Securitymann tätig?

BF: Meine Aufgabe war nur als Securitymann für den Schutz der Transporte.“

RI: Wie erklären Sie mir diesen Widerspruch zu der jetzigen Aussage, dass Sie auch jahrelang als Logistiker gearbeitet haben?

BF: Diese zwei Jahre, in denen ich in XXXX gearbeitet habe, war ich ja nur als Securitymann tätig, außer die besagten drei bis vier Monate, in denen ich drinnen in der Firma arbeiten musste.

RI: Bezüglich der beiden Begebenheiten mit diesen vier Männern haben Sie mir vorhin gesagt, dass die zweite Begebenheit beim Einkaufen mit einem Freund war, als Sie vor einem Fest einkaufen wollten. Ist das richtig?

BF: Ja, das stimmt.

RI: War das dieses Fest am Ende des Ramadan?

BF: Ja, das meine ich.

RI: War es das Zuckerfest?

BF: Ich weiß nicht. Wenn Sie das Zuckerfest nennen, dann ist das richtig.

[…]

RI: Haben Sie diese vier Männer auch in XXXX und in XXXX getroffen?

BF: Nein.

RI: Warum fürchten Sie sich dann vor diesen vier Männern?

BF: Es ist nicht nur die Angst vor dem Sterben, sondern es ist noch tiefer und gefährlicher. Wenn die Taliban jemanden erwischen würden, würde diese Person jede Sekunde den Allmächtigen um seinen Tod bitten.

RI: Und das befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr?

BF: Genau das, ja.

RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle einer Rückkehr befürchten?

BF: Nein, ich glaube nicht.

RI: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?

BF: Nein.

RI: Waren Sie persönlich sonst in irgendeiner Weise politisch aktiv?

BF: Nein.

R ersucht die beiden Vertrauenspersonen, die zur Integration des BF gerne aussagen möchten, für eine kurze Weile den Saal zu verlassen.

RI: Wurden Sie in Afghanistan wegen Straftaten verurteilt?

BF: Nein.

RI: Wurden Sie in Afghanistan einmal verhaftet?

BF: Nein.

RI: Wurden Sie in Österreich oder einem anderen Staat dieser Erde wegen Straftaten verurteilt?

BF: Ich bin zwar nicht verurteilt worden, aber ich habe eine Geldstrafe bekommen.

RI: Weswegen?

BF: Wegen des Autos. Entweder habe ich falsch geparkt oder aus welchem Grund auch immer. Ich habe einige Male eine Geldstrafe bekommen.

RI: War das nur so Falschparken oder war das 150 km auf der Südosttangente?

BF: Nein, nicht so schnell, höchstens 10 kmh.

RI: Wie verbringen Sie in Österreich normalerweise den Tag?

BF: Darf ich diesen Teil auf Deutsch erzählen?

RI: Ja.

BF: Ja, ich stehe jeden manchmal früher auf, manchmal später auf. Am frühtesten stehe ich um vier Uhr, nehme das Firmenauto, normalerweise dusche ich nicht so in der Früh, aber Gesicht waschen und Hände waschen nach dem Aufstehen.

RI: Sie gehen also zur Arbeit?

BF: Ja.

RI: Das ist Ihre eigene Firma, ist das richtig?

BF: Nein, ich bin nur Fahrer, Angestellter.

RI: Aber ich habe doch hier eine Gewerbeberechtigung.

BF: Ja, stimmt. Das war vor der Corona-Krise. Ich hatte selber eine Firma mit drei angestellten Fahrern, drei Bussen und dann ganz normal gearbeitet. Wir haben Aufträge gehabt von XXXX . Nachtfahrer habe ich auch gehabt. Das war die XXXX XXXX .

RI: Das heißt, Sie sind sozusagen ein „Corona-Opfer“?

BF: Ja, das kann man so sagen. Ich habe den letzten Auftrag gehab von XXXX . Hier habe ich auch gearbeitet und wir haben die Abholung von den Geschäften und ungefähr XXXX Kunden waren das. Ich habe zuerst so gerechnet, dass ich pro Kunde XXXX habe, da verdiene ich sehr viel Geld und einmal schaue Ende des Monats und das ist nicht so viel wie ich gedacht habe und ich habe nur 5.000 verdient und hatte aber drei Fahrer. Dann war ich im Minus. Zwei Monate war es so, ich habe gar nichts verdient, da konnte ich auch nichts aufholen, da hatte ich Schulden. Dann kam Corona, dann habe ich meine Firma stillgelegt.

RI: Unternehmen Sie irgendwelche bei Sport- oder Kulturaktivitäten?

BF: Ich bin nicht sportlich. Wenn ich Zeit habe, schaue ich Filme, auch deutsche Filme.

RV: Ich kenne den BF schon seit er in Österreich ist. Meine Frau hat ihn jahrelang in Deutsch unterrichtet. Ich glaube, er hat auch dadurch ganz gut Deutsch gelernt, weil er bei einer Firma als Kellner war und dort nur Deutsch gesprochen hat. Das kann man ja ganz offen sagen, die Schule ist nicht unbedingt seins. Er hat eine Lehre begonnen und die Berufsschule wollte er nicht machen. Jetzt hat er eine Teilqualifikation begonnen und da hat er auch die praktische Prüfung bestanden. Er hätte auch jetzt wieder bei dieser Firma XXXX anfangen können. Er wäre auch bereit gewesen, auch samstags und sonntags zu arbeiten. Die hätten jemanden für 40 Wochenstunden gebraucht und das war neben der anderen Beschäftigung nur Teilzeit möglich gewesen. Ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass er viel Deutsch spricht und, soweit ich das abschätzen kann, schon relativ gut Deutsch kann..“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz vom 13.10.2015, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“) trägt den im Spruch angeführten Namen und ist zu den im Spruch angeführtem Datum geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zum muslimisch-schiitischen Glauben.

Der BF ist volljährig und ledig. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Am 14.10.2015 stellte er den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF wurde im Afghanistan, in XXXX , geboren.

Der BF ist in Österreich unbescholten.

Der BF spricht sehr gut Deutsch.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF hat in Afghanistan seit seinem ca. 17. Lebensjahr bei Sicherheitsunternehmen gearbeitet, die zum Teil auch für amerikanische Organisationseinheiten tätig waren. Der BF würde im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan, aufgrund dieser beruflichen Tätigkeiten von den Taliban verfolgt werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information 21.07.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Neueste Ereignisse:

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, dieTaliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a). Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b). Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Per

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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