TE Bvwg Beschluss 2020/12/1 W150 1402910-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.12.2020
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Entscheidungsdatum

01.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z1
VwGVG §32 Abs3

Spruch


W150 1402910-3/10E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über den Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2019 auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens beschlossen:

A)

Gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 VwGVG wird die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E, rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens im Umfang des genannten Erkenntnisses des Asylgerichtshofes verfügt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Herr XXXX , geb. XXXX 1991, StA. Afghanistan, (in der Folge auch: „AG“ oder „Antragsgegner“) hatte am 26.11.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und damals unter Vorlage einer Geburtsurkunde als Geburtsdatum den XXXX .1991 angegeben. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, in Zuge dessen die Geburtsurkunde als Fälschung und das Geburtsdatum mit XXXX .1991 festgestellt wurde, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes (in der Folge auch: „BAA“) vom 11.11.2008, erlassen am 12.11.2008, der Antrag des AG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde dem AG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

2. Dagegen hatte der AG am 21.11.2008 fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben.

3. Mit Schriftsatz vom 30.11.2009 wurde vom AG die Taufbestätigung einer Baptistengemeinde in XXXX vorgelegt, nach der der Beschwerdeführer dort am XXXX getauft wurde.

4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E, wurde der Beschwerde des AG stattgegeben und ihm gemäß § 3 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass dem AG damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

5. Am 09.01.2019 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“) vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung in Kenntnis gesetzt, dass, der AG im Iran eine Ehe geschlossen habe und sich in weiterer Folge an die afghanische Botschaft in Teheran gewandt hätte um dort diese Ehe registrieren zu lassen.

6. Das BFA leitete daraufhin aufgrund des Verdachtes der Unterschutzstellung des AG bezüglich seines Heimatstaates ein Aberkennungsverfahren ein. Diesbezüglich gewährte das BFA dem AG 20.02.2019 Parteiengehör ein und führte zu diesem Zwecke eine Einvernahme durch. Dabei gab der AG u.a. und soweit verfahrensrelevant an, er habe in Teheran „geheiratet bei einem Mullah im Büro“, sein Bruder XXXX sei dabei anwesend gewesen. In weiterer Folge befragte das BFA den AG bezüglich seines Glaubens und dieser gab an, Katholik zu sein. Konfrontiert mit der Aktenlage, dass seine Taufbestätigung von einer Baptistengemeinde (evangelische Freikirche) stamme, antwortete er noch evangelisch zu sein aber mit vielen Leuten über Religion zu reden. Momentan gehe er nicht in die Kirche. Das letzte Mal wäre er regelmäßig dort vor zwei oder drei Jahren gewesen, nun gehe er alle zwei oder drei Monate dorthin. Christliche Feste feiere er nicht. Ergänzte danach aber „Weihnachtsfeier“. Befragt, was er dabei feiere, antwortete der AG „das neue christliche Jahr“. Die Adresse der Kirche, die er besuche, kenne er nicht. Deren Namen ebenso wenig. Die Taufe bedeute „Neues Leben“. Den Namen des Pfarrers konnte er nicht nennen. Die zehn Gebote habe er vergessen. Auf die Frage, ob er bete, antwortete er mit: „ja“. Besondere christliche Gebete konnte er nicht benennen („Nein, diese habe ich vergessen.“). Das Christentum bedeute für ihn persönlich und sein Leben: „Hoffnung“. Er sei missionarisch tätig. Seine Ehefrau wisse, dass er zum Christentum konvertiert sei, auch seine Mutter. Der AG gab noch an, dass er bei der österreichischen Botschaft in Teheran gewesen sei, weil er seine Frau nach Österreich bringen wolle, dort habe man ihm gesagt, dass er bei der afghanischen Botschaft seine Heiratsurkunde registrieren lassen müsse. Er sei persönlich bei der Botschaft gewesen, weil man seiner Frau gesagt habe, dass sie als Frau ihre Sache nicht weitermachen könne, der Ehemann müsse alles erledigen. Er sei aber nicht freiwillig zur afghanischen Botschaft in Teheran gegangen, sondern nur aufgrund der Auskunft, dass diese zur Registrierung der Eheschließung zuständig sei und dies für den Einreiseantrag seiner Ehefrau notwendig sei.

7. Aufgrund der Ergebnisse der Ermittlungen stellte das BFA nun am 26.02.2019 den gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag und begründete diesen damit, dass der AG nicht aus tiefster innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Er habe auf grundlegenden Fragen zu seinem Glauben keine Angaben machen können, so habe er nicht einmal die wichtigsten christlichen Feste nennen können, nicht den Namen seines Pfarrers, nicht die Zehn Gebote und auch nicht den Namen der Kirche, die er besuche und auch nicht zumindest ein- oder zwei christliche Gebete, nicht einmal das „Vater-Unser“. Das BFA gehe daher davon aus, dass der AG nur Wissen erlernt hätte, das seinerzeit zur Taufe notwendig gewesen sei, er es aber nicht in sein tägliches Leben übernommen hätte und er. Dass er – seinen eigenen Angaben zufolge – missionarisch tätig sei, ließe sich nicht erkennen. Das deutlichste Zeichen, dass die Konversion nicht wirklich erfolgt sei, liege in der Tatsache, dass er seine Frau nach muslimischem Ritual in Teheran geehelicht hätte. Es sei nicht nachvollziehbar, dass jemand, der sich zum Christentum zugewandt hätte, das wichtige Ritual der Eheschließung nicht nach christlichen Regeln und Wertvorstellungen ausführen wolle. Das BFA schließe aus all dem auf eine Scheinkonversion, mit der der AG sich den Status des Asylberechtigten seinerzeit erschlichen hätte. Es beantragte daher binnen offener Frist, das gegenständliche Verfahren wieder aufzunehmen und die erstinstanzliche Entscheidung in allen Punkten zu bestätigen.

7. Am 18.08.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“) unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari und in Anwesenheit das AG statt. Das BFA war entschuldigt nicht erschienen.

Der AG gab an, gesund und verhandlungsfähig zu sein und nicht regelmäßig Medikamente zu nehmen. Seine vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 20.02.2019 getätigten Angaben entsprächen grundsätzlich der Wahrheit aber der Dolmetscher habe das Ganze nicht richtig übersetzen können.

Zum Sachverhalt hinsichtlich der Eheschließung gab der AG an:

„RI: Nach welchem Ritus haben Sie geheiratet?

AG: Unsere Heirat war nach der islamischen Art und Weise, weil meine Frau Muslimin ist, aber sie weiß natürlich gleichzeitig, dass ich Christ bin.“

Der AG legte unter anderem die Kopie einer Seite der afghanischen Heiratsurkunde und die Kopie der amtlich beglaubigten Übersetzung der afghanischen Heiratsurkunde, „abgekürzte Ausfertigung“, datiert mit XXXX 2017 vor, aus der u.a. hervorgeht, dass der AG am XXXX 2017 in Teheran mit XXXX , geb. XXXX in XXXX , Art der Ehe: Dauerehe, Morgengabe: XXXX münzen, die Ehe geschlossen habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf Wiederaufnahme vom 26.02.2019, der seinerzeitigen Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des BAA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, der Entscheidung des Bundesasylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E und des dazugehörigen Voraktes, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

1.2.    Zur Person des Antraggegners und den Wiederaufnahmegründen:

Der AG ist afghanischer Staatsangehöriger, ist volljährig und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache ist Farsi. Er ist im erwerbsfähigen Alter und gesund.

Der AG lebt in Österreich als Konventionsflüchtling aufgrund einer Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E. Entscheidungsmaßgeblich war für diesen seinerzeit der Nachfluchtgrund der Konversion zum Christlichen Glauben des AG.

Der AG hat am 15.08.2017 in Teheran mit einer afghanischen Staatsangehörigen die Ehe in der Form der Dauerehe nach islamischem Ritus geschlossen.

Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 13.08.2015, 014 HV 92/2015k wegen § 28 Abs. 1 SMG (Vorbereitung von Suchtgifthandel) und §§ 27 Abs. 1 8. Fall, 27 Abs. 3 SMG (gewerbsmäßiges Anbieten von Suchtgiften) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, davon 8 Monate bedingt, Probezeit 3 Jahre, verurteilt.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang sowie die unter Punkt II.1.1. und 1.2. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes (W150 1402910-3) und des Bundesasylgerichtshofes (C2 402910-1/2008), dem Verfahrensakt des BAA (nunmehr: BFA 771097807/3142505, vormals: 07 10.978 – BAG), sowie insbesondere aus dem Verlauf der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18.08.2020 vor dem BVwG in dessen Verlauf der AG selbst zugegeben hat, am 15.08.2017 in Teheran nach islamischem Ritus geheiratet zu haben und auch eine Kopie der beglaubigten Übersetzung der diesbezüglichen Heiratsurkunde vorgelegt hat. Somit erscheint es dargetan, dass der AG seinerzeit nicht ernstlich zum christlichen Glauben konvertiert ist. Dafür spricht auch der Umstand der Steigerung seines seinerzeitigen Vorbringens, hatte er doch im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht seine Hinwendung zum Christlichen Glauben behauptet und hatte sich zudem erst nach Erhebung seiner seinerzeitigen Beschwerde taufen lassen. Das vom AG anlässlich seiner Vernehmung vor dem BFA am 20.02.2019 deutlich demonstrierte Nichtwissen bezüglich grundlegender christlicher Glaubensinhalte und Feste, des Namens seiner Kirche, deren Adresse und des Namens des Pfarrers vervollständigen dieses Bild. Dass der AG anlässlich der Vernehmung in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 18.08.2020 mit besserem Wissen aufwarten konnte, vermag dies nicht aufzuwiegen, hatte er doch ein halbes Jahr Zeit, sich darauf (besser) vorzubereiten.

Außerdem sprechen weder der Versuch des AG im erstinstanzlichen Verfahren, sich mittels einer gefälschten Urkunde jünger darzustellen, noch der Umstand, dass der AG anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 18.08.2020 entgegen der Aktenlage zunächst behauptet hatte, nicht vorbestraft zu sein oder der Umstand, dass sich der AG bezüglich des genauen Ablaufes der Registrierung der Heirat in Teheran in Widersprüche verwickelte, für die Glaubwürdigkeit der Angaben des AG. So hatte er beispielsweise vor dem BFA angegeben, persönlich bei der Afghanischen Botschaft in Teheran gewesen zu sein, seine Frau hätte ihre Sache nicht weitermachen können, der Ehemann müsse alles erledigen, vor dem BVwG gab er dann allerdings diesbezüglich verschiedene anderen Versionen an: „Nur meine Frau ist zur Botschaft gegangen.“ „Man hat mich nicht reingelassen, man hat mich rausgeschmissen, weil man der Meinung war, dass ich kein Afghaner sei.“ Insbesondere auf den Vorhalt: „Nach dieser amtlich beglaubigten Übersetzung hat das aber die Botschaft der islamischen Republik Afghanistan bestätigt, unterschrieben und gestempelt, dass Sie die Ehe vor der afghanischen Botschaft geschlossen haben. Sind die Angaben in dieser Urkunde falsch?“ antwortete er: „AG: Nein, sie sind nicht falsch. Weil meine Frau vor der Botschaft alles selbst zu Ende gebracht hat, ob es um eine Unterschrift oder um einen Fingerabdruck ging, sie war da.“ Auf der Kopie der Urkunde sind allerdings bei beiden mit Lichtbildern versehenen Personendaten der Brautleute in den dafür vorgesehenen Feldern Fingerabdrücke angebracht, die sich sowohl in Größe als auch in Form deutlich voneinander unterscheiden. Damit konfrontiert gestaltete sich die Befragung wie folgt: „RI: Sie wollen jetzt mir gegenüber behaupten, dass Ihre Frau ihren Fingerabdruck in der Botschaft abgegeben hat, an Ihrer Stelle? - AG: Das heißt, dass meine Frau die Formalitäten drinnen erledigt hat, dann mit zwei Personen vor die Türe der Botschaft kam, dort draußen habe ich meinen Fingerabdruck daruntergesetzt.“ Konfrontiert mit der Absurdität der Fingerabdruckleistung seiner Frau anstelle seiner selbst vor einer ausländischen Vertretungsbehörde, flüchtete sich der BF in die offensichtliche Schutzbehauptung, die Botschaftsbeamten hätten den Schutz der Vertretungsbehörde verlassen, um draußen auf der Straße ihm zuliebe, den sie seinen eigenen Worten zufolge zuvor hinausgeschmissen hätten, eine Amtshandlung durchzuführen. Es ist dies als absolut unglaubwürdig zu erachten. Es ist somit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Angaben des AG, er wäre in Teheran nicht in der afghanischen Botschaft gewesen, falsch sind und er sich sehr wohl in der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistans in Teheran zum Zwecke der Registrierung seiner Ehe zum fraglichen Zeitpunkt, nämlich am XXXX 2017, aufgehalten hat, dies aber aus nicht unberechtigter Sorge vor dem Vorwurf der Unterschutzstellung unter sein Heimatland zu verheimlichen versucht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Zu A)

Gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Erkenntnis nicht mehr zulässig ist und 1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder 2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder 3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder 4. Nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann gemäß § 32 Abs. 3 VwGVG die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

Gemäß § 32 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind gemäß § 32 Abs. 5 VwGVG die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (2009 der Beilagen, XXIV. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen.

Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können.

So hat der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Bestimmung des § 69 AVG ausgesprochen, dass, sofern mit einem rechtskräftigen Bescheid mehrere Verfahren abgeschlossen wurden - was nicht nach der formalen Zusammenfassung im Spruch des Bescheides, sondern nach dem Inhalt der erledigten Angelegenheiten zu beurteilen ist - eine Durchbrechung der Rechtskraft des früheren Bescheides nur insoweit in Betracht kommt, als für die einzelnen Angelegenheiten je für sich die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens bestanden und deshalb die Wiederaufnahme verfügt wurde. Maßgebend dafür, welche Verfahren betreffend rechtskräftig abgeschlossene Angelegenheiten in einem konkreten Fall wieder aufgenommen wurden, ist der Spruch des Wiederaufnahmebescheides (VwGH 26.01.2006, 2005/16/0256; 05.04.1991, 89/17/0226 (mwN); überdies Stoll, BAO-Kommentar, S. 2958, zum sog. "Bescheidbündel", sowie Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetz I2, E 6 zu § 70 AVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, wobei Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG zu werten (VwGH 29.01.2004, 2001/20/0346, 13.12.2005, 2003/01/0184, 08.06.2006, 2004/01/0470).

Mit Irreführungsabsicht hat die Partei dann gehandelt, wenn sie vorsätzlich, also wider besseren Wissens, falsche Angaben gemacht oder entscheidungsrelevante Umstände verschwiegen hat (VwGH 25.4.1995, 94/20/0779) und damit das Ziel verfolgte, daraus einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH 10.09.2003, 2003/18/062; 29.01.2004, 2001/20/0346; 08.06.2006, 2004/01/0470). Die Behörde hat aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen in freier Beweiswürdigung auf das eventuelle Vorliegen einer solchen Absicht zu schließen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 14).

Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat nach herrschender Ansicht absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich ein anders lautender Bescheid ergangen wäre (VwGH 08.06.2006, 2004/01/0470; vgl. auch VwGH 25.09.1990, Zl. 86/07/0071, VwGH 6.11.1972, 1915/70; siehe weiters Hengstschläger/Leeb, AVG, § 69 Rz 27). Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts hat die Bewilligung bzw. Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht allein die Zulässigkeit einer neuerlichen Entscheidung der schon einmal entschiedenen Sache zur Folge, sondern darüber hinaus auch die Aufhebung der seinerzeitigen Entscheidung (VwGH 21.11.2002, 2001/07/0027). Der das vorangegangene, das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid tritt bereits im Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung) der Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme des Verfahrens außer Kraft (VwGH 23.03.1977, 1341/75 [verstärkter Senat], VwGH 13.11.1986, 86/08/0163, VwGH 17.11.1995, 93/08/0114).

Im gegenständlichen Fall zeigt sich, wie oben in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, dass der AG hinsichtlich vieler seiner Angaben unglaubwürdig ist, so zB die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte gefälschte Geburtsurkunde, die ein um ca. 6 Monate jüngeres Alter hätte nachweisen sollen. Weiters seine wechselnden und im Endeffekt falschen Angaben hinsichtlich der Umstände der Registrierung der Heiratsurkunde in der Afghanischen Botschaft in Teheran (das Leugnen seiner Anwesenheit dort, obwohl auf der Urkunde der Fingerabdruck des Bräutigams, also seiner angebracht ist). In Verbindung mit dem eklatanten Nichtwissen über grundlegende Glaubensinhalte und dem Nichtwissen über Name, Adresse und Namen des Pfarrers der Kirche, die er vorgab zu besuchen anlässlich seiner Vernehmung vor dem BFA und auch dem Umstand, dass der AG in Steigerung seines Vorbringens sich erst nach der seinerzeitigen Beschwerdeerhebung in einer Freikirche taufen ließ, erweisen deutlich, dass die damalige Konversion nicht ernstlich aus innerer Überzeugung erfolgt ist, sondern Mittel zum Zweck war, um – als Konvertit - ein für ihn günstiges Ergebnis im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesasylgerichtshof zu erzielen, was ihm damals damit auch gelungen ist.

Aufgrund der objektiv unrichtigen Angaben kann somit von einer Irreführungsabsicht des AG ausgegangen werden.

Das Bundesverwaltungsgericht nimmt daher das mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E, rechtskräftig abgeschlossene Verfahren über den Antrag des AG auf internationalen Schutz von Amts wegen wieder auf.

Mit Erlassung des gegenständlichen Beschlusses tritt das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.01.2010, AZ. C2 402910-1/2008/13E ex tunc außer Kraft (vgl. Hengstschläger-Leeb, AVG § 70 AVG Rz 6).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Glaubwürdigkeit Irreführung Religion Scheinkonversion strafgerichtliche Verurteilung Suchtgifthandel Wiederaufnahme Wiederaufnahmeantrag Wiederaufnahmegrund

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W150.1402910.3.00

Im RIS seit

04.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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