TE Vwgh Erkenntnis 1988/3/16 87/01/0020

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Veröffentlicht am 16.03.1988
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Index

Polizeirecht - AsylG
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 1968 §1
AVG §37
AVG §45 Abs3
AVG §46
FlKonv Art1 AbschnA Z2
FlKonv Art33
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde der HC in A, vertreten durch Dr. Gerhard Eckert, Rechtsanwalt in Wien VI, Mariahilferstraße 1B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. November 1986, Zl. 214.854/3-II/6/86, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine tschechoslowakische Staatsangehörige, reiste am 19. November 1985 legal in das Bundesgebiet ein. Am 2. Dezember 1985 stellte sie Asylantrag, den sie wie folgt begründete:

Sie sei im Jahre 1985 nach einem Frankreich-Urlaub von der Polizei vorgeladen und über ihren Auslandsaufenthalt befragt worden. In der Folge sei sie nicht mehr vorgeladen worden. Da sie nicht Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen sei, habe sie keine Möglichkeit gehabt, beruflich aufzusteigen. Im Jahre 1980 habe sie nebenberuflich eine Fachmittelschule besuchen wollen, doch sei ihr dies, weil sie nicht Parteimitglied gewesen sei, von ihrem Betrieb nicht bewilligt worden. Vor ihrer Ausreise nach Österreich habe man seitens der Polizei über sie Erkundigungen eingeholt. Sie sei zwar keinen konkreten Verfolgungen ausgesetzt gewesen, habe aber doch „gespürt“, in einem Polizeistaat zu leben. So sei sie zum Beispiel im November 1985 am Weitergehen gehindert worden, weil der Staatspräsident anläßlich der Neueröffnung der Metro erwartet worden sei. Da sie nicht Parteimitglied sei, würde auch ihr Sohn in Zukunft keine Höhere Schule besuchen dürfen. Sie habe ohne nennenswerte Schwierigkeiten die Erlaubnis für einen 8-tägigen Aufenthalt in Österreich bekommen und sei auch ihrem Sohn seitens der Schulleitung eine Freistellung für die Reise bewilligt worden. Sie habe nach Abschluß der Berufsschule durchgehend bis zu ihrer Ausreise in Berufen gearbeitet, die ihrer Bildung und ihren Fähigkeiten entsprochen hätten.

Mit Bescheid vom 26. März 1986 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974 fest, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes und daher gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit. auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei.

Dagegen berief die Beschwerdeführerin und führte ergänzend an, sie sei durch ständig diskriminierende Maßnahmen unter Druck gesetzt worden, der Kommunistischen Partei beizutreten. In ihrer „Kaderbeschreibung“ habe man sie als regimekritisch bezeichnet; dies habe negativen Einfluß auf ein beabsichtigtes Studium ihres Sohnes gehabt. Im Jahre 1975 habe man ihr die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert, Reisepässe und Ausreisebewilligungen seien ihr abgenommen worden.

Im Nachhang zur Berufung legte die Beschwerdeführerin ein Urteil des Distriktgerichtes für Prag I vom 30. Juli 1986 vor, aus dem hervorgeht, daß sie in Abwesenheit gemäß § 109 Abs. 2 des tschechoslowakischen Strafgesetzbuches verurteilt worden sei.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid. Sie vertrat zur Begründung nach Darstellung der maßgeblichen Bestimmungen der Flüchtlingskonvention die Auffassung, die Beschwerdeführerin habe keine Verfolgungen im Sinne der Flüchtlingskonvention erlitten. Die Vorgangsweise der Polizei gegenüber der Beschwerdeführerin nach ihrer Frankreich-Reise im Jahre 1985 stelle keinen Einzelfall dar, sondern sei eine durchaus übliche Begleiterscheinung von Auslandsreisen, welche von allen Staatsangehörigen von Ländern des Ostblocks, die sich für längere Zeit im Ausland aufgehalten hätten, hinzunehmen sei. Auch die von der Beschwerdeführerin behaupteten Benachteiligungen in beruflicher Hinsicht stellten keine Verfolgungshandlungen dar. Schließlich sei auch der Umstand, daß die Beschwerdeführerin im Jahre 1985 am Weitergehen gehindert worden sei, weil der Staatspräsident mit der Metro erwartet worden sei, keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention. Auch in westlichen Staaten würden für Staatsoberhäupter derartige Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Ebensowenig stelle die Behauptung, der Sohn der Beschwerdeführerin könne in Zukunft keine Höhere Schule besuchen, weil die Beschwerdeführerin nicht Mitglied der Kommunistischen Partei sei, eine berücksichtigungswürdige Verfolgungshandlung dar.

Die belangte Behörde wies des weiteren darauf hin, daß die Beschwerdeführerin nicht als politisch unzuverlässig angesehen worden sei, weil sie ohne Schwierigkeiten Bewilligungen für Auslandsaufenthalte erhalten habe. Überdies habe die Beschwerdeführerin bei ihrer erstinstanzlichen Befragung selbst angegeben, keinen Verfolgungen ausgesetzt gewesen zu sein. Das Berufungsvorbringen können demgegenüber nicht als glaubwürdig erachtet werden. Dazu komme, daß man keineswegs versucht hätte, auf die Beschwerdeführerin Druck auszuüben, der Kommunistischen Partei beizutreten, wenn man sie als regimekritisch eingestuft hätte. Sie sei auch im vorgelegten „Republikfluchturteil“ als gewissenhafte und vorbildliche Angestellte bezeichnet worden. Eine Bestrafung wegen Übertretung paßrechtlicher und den Aufenthalt von Staatsbürgern im Ausland regelnder Vorschriften stelle für sich allein noch keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention dar.

Zuletzt wies die belangte Behörde noch darauf hin, daß auch das Amt des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge, das gemäß § 9 Abs. 3 des Asylgesetzes gehört worden sei und der in Aussicht genommenen Abweisung der Berufung zugestimmt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Asylgesetz ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974 erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt.

Daß in bezug auf die Person der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z. 1 der Flüchtlingskonvention erfüllt seien, hat weder die Beschwerdeführerin behauptet noch sind im Zuge des Verfahrens Tatsachen hervorgekommen, die in eine solche Richtung wiesen. Da die belangte Behörde auch nicht Ausschließungsgründe nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention im angefochtenen Bescheid festgestellt hat, hatte der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob sich die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Flüchtlingskonvention ableiten läßt. Damit eine Person als Flüchtling im Sinne der genannten Bestimmungen angesehen werden kann, ist unter anderem Voraussetzung, daß sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die Beschwerde erschöpft sich in Ausführung des Beschwerdegrundes der Rechtswidrigkeit des Inhaltes nach Darstellung des Art. 1 und des Art. 31 Z. 1 der Konvention darin, daß der belangten Behörde vorgeworfen wird, auf die genannten Bestimmungen keinen Bezug genommen und daher das Gesetz denkunmöglich angewendet zu haben.

Dieser Vorwurf ist schon deshalb unbegründet, weil die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die hier maßgebliche Bestimmung des Art.1 Abschnitt A der Flüchtlingskonvention zur Darstellung gebracht und in gedanklich nachvollziehbarer Art und Weise aufgezeigt hat, warum der dort umschriebene Verfolgungstatbestand durch die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente nicht erfüllt ist.

Da darüberhinaus auf Grund der von der belangten Behörde getroffenen Tatsachenfeststellungen und unter Berücksichtigung des eigenen Vorbringens der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren konkrete gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgungshandlungen zu verneinen sind, kann der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick darauf, daß nach ständiger Judikatur die bloß ablehnende Haltung eines Asylwerbers gegenüber dem in seinem Heimatstaat herrschenden politischen System allein noch keinen Grund dafür bildet, ihn als Konventionsflüchtling anzuerkennen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 7. Mai 1986, Zl. 84/01/0275) im vorliegenden Fall nicht erkennen, daß die belangte Behörde die Bestimmungen der Flüchtlingskonvention unrichtig angewendet hätte. Ein Eingehen auf Art. 33 der Flüchtlingskonvention war entbehrlich, weil Fragen dieser Bestimmung erst von Bedeutung sind, wenn einem Asylwerber die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist.

Schließlich hat die belangte Behörde auch durch die von ihr vertretene Ansicht, daß die Übertretung von paßrechtlichen und den Aufenthalt im Ausland regelnden Vorschriften bei der Beurteilung, ob eine Verfolgungshandlung im Sinne der Flüchtlingskonvention gegeben ist, rechtlich bedeutungslos ist, das Gesetz nicht verletzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1987, Zl. 87/01/0136 u.a.).

Die von der Beschwerde behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liegt somit nicht vor.

In Ausführung des Beschwerdegrundes der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften greift die Beschwerde die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung an. Diesbezüglich ist, weil nach ständiger Judikatur den ersten Angaben eines Asylwerbers gegenüber seinen späteren Angaben erhöhte Beweiskraft zukommt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. April 1987, Zl. 85/01/0299, vom 9. Juli 1987, Zl. 86/01/0024 und 0025 sowie vom 2. März 1988, Zl. 87/01/0153), die Beweiswürdigung durchaus schlüssig. Da schließlich die in der Beschwerde geforderten weiteren Einvernahmen der Beschwerdeführerin mit Rücksicht darauf, daß die Beschwerdeführerin sowohl im erstinstanzlichen Verfahren (am 3. Dezember 1985) als auch im Berufungsverfahren (am 25. September 1986) niederschriftlich vernommen worden ist, entbehrlich waren, ist der angefochtene Bescheid auch frei von der von der Beschwerde behaupteten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die Beschwerde war daher insgesamt als unbegründet abzuweisen (§ 42 Abs. 1 VwGG).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 16. März 1988

Schlagworte

Ablehnung eines Beweismittels Beweismittel fehlerhafte Niederschrift Parteiengehör Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Parteienvernehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1988:1987010020.X00

Im RIS seit

03.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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