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E1ENorm
AVG §38Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revisionen 1. des R G in W und 2. der C GmbH in G, beide vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 22. April 2020, Zl. RV/7500101/2020, betreffend Aussetzung im Verfahren zu Verwaltungsübertretung der Verkürzung der Wettterminalabgabe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien - Abteilung 6 Rechnungs- und Abgabenwesen DII), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren eingestellt.
Der Bund hat den Revisionswerbern jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen ein Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien betreffend Verwaltungsübertretungen der Verkürzung der Wettterminalabgabe Beschwerden an das Bundesfinanzgericht. Dieses setzte das Verfahren gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Verfahrens zu Ro 2019/15/0029 aus. Der Verwaltungsgerichtshof hatte in diesem Verfahren mit Beschluss vom 3. September 2019 beim Gerichtshof der Europäischen Union in einem Vorabentscheidungsersuchen die Fragen vorgelegt, ob die Regelungen des Wiener Wettterminalabgabegesetzes als „technische Vorschriften“ im Sinne des Art. 1 der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 9. September 2015 zu beurteilen und daher notifizierungspflichtig seien, sowie ob die Unterlassung der Mitteilung der Bestimmungen des Wiener Wettterminalabgabegesetzes im Sinne der Richtlinie (EU) 2015/1535 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 9. September 2015 dazu führe, dass eine Abgabe wie die Wettterminalabgabe nicht erhoben werden dürfe.
2 Gegen den Aussetzungsbeschluss des Bundesfinanzgerichts richten sich die außerordentlichen Revisionen, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Aussetzung rechtswidrig sei, wenn das Verfahren nicht im Hinblick auf eine Entscheidung des EuGH unterbrochen, sondern im Spruch auf die Erledigung des Verfahrens vor dem vorlegenden innerstaatlichen Gericht Bezug genommen werde.
3 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Beurteilung der Revisionslegitimation ausschlaggebend, ob der Revisionswerber nach der Lage des Falles durch das bekämpfte Erkenntnis - ohne Rücksicht auf dessen Gesetzmäßigkeit - überhaupt in einem subjektiven Recht verletzt sein kann. Fehlt die Möglichkeit einer Rechtsverletzung in der Sphäre des Revisionswerbers, so mangelt diesem die Revisionsberechtigung. Die Rechtsverletzungsmöglichkeit wird immer dann zu verneinen sein, wenn es für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied macht, ob das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts aufrecht bleibt oder aufgehoben wird. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht zu einer rein abstrakten Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Erkenntnisses berufen. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt dann nicht vor, wenn eine Entscheidung lediglich über abstrakt-theoretische Rechtsfragen herbeigeführt werden soll, denen keine praktische Relevanz mehr zukommen kann (vgl. VwGH 2.9.2020, Ra 2019/15/0164).
4 Das Bundesfinanzgericht hat das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren Ro 2019/15/0029 ausgesetzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 21. Oktober 2020 über dieses Verfahren entschieden. Da zufolge des Wegfalls des dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Aussetzungsgrundes das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht fortzusetzen ist, kann die Rechtsstellung der Revisionswerber auch durch ein stattgebendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs im vorliegenden Verfahren nicht verbessert werden. Die revisionswerbenden Parteien haben auf Anfrage des Verwaltungsgerichtshofes bekannt gegeben, kein Interesse mehr an einer Sachentscheidung zu haben.
5 Die Revisionen sind daher mangels Rechtsschutzbedürfnisses gegenstandslos geworden, sodass die Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG mit Beschluss einzustellen waren.
6 Mangels formeller Klaglosstellung liegt die Voraussetzung für einen Kostenzuspruch gemäß § 56 VwGG nicht vor. Vielmehr kommt § 58 Abs. 2 VwGG zur Anwendung. Da im vorliegenden Fall die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand nicht erfordert, waren die Kosten jener Partei zuzusprechen, die bei aufrechtem Rechtsschutzinteresse der Revisionswerber obsiegt hätte:
7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne der §§ 38 und 69 Abs. 1 Z 3 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Gemäß § 38 AVG ist die Behörde berechtigt, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird (VwGH 24.4.2002, 2002/12/0011).
8 Das Bundesfinanzgericht hat das Verfahren nicht auf der Grundlage der Bestimmung des § 34 Abs. 3 VwGVG ausgesetzt. Auf der Grundlage des § 38 AVG können Verfahren bis zur (in einem anderen Verfahren beantragten) Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union ausgesetzt werden; eine dem EuGH zur Klärung vorgelegte Frage des Unionsrecht kann nämlich eine Vorfrage iSd § 38 AVG darstellen, die zufolge des im Bereich des Unionsrechts bestehenden Auslegungsmonopols des EuGH von diesem zu entscheiden ist (vgl. VwGH 11.11.2020, Ro 2020/17/0010; VwGH 19.12.2000, 99/12/0286).
9 Das Bundesfinanzgericht, das die Aussetzung nicht auf § 34 Abs. 3 VwGVG gestützt hat, hat das Beschwerdeverfahren nicht bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-711/19, Admiral Sportwetten u.a., ausgesetzt, sondern nach dem Spruch des angefochtenen Beschlusses unmissverständlich auf die Erledigung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof abgestellt. Dieses (innerstaatliche) Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist aber vorliegendenfalls nicht präjudiziell im Sinne des § 38 AVG (vgl. VwGH 19.12.2000, 99/12/0286). Somit wäre der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben gewesen.
10 Den revisionswerbenden Parteien war daher gemäß § 58 Abs. 2 iVm §§ 47 VwGG in Verbindung mit der Aufwandersatzverordnung 2014 der Ersatz des Aufwandes zuzuerkennen.
Wien, am 18. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020150059.L00Im RIS seit
14.05.2021Zuletzt aktualisiert am
14.05.2021