TE OGH 2020/11/26 4Ob178/20k

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** H*****, vertreten durch Shamiyeh & Reiser Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei E***** R*****, vertreten durch Dr. Josef Broinger und Mag. Markus Miedl, Rechtsanwälte in Linz, wegen 10.720,14 EUR sA und Feststellung (Streitwert 500 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. Juli 2020, GZ 14 R 77/20x-13, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 23. April 2020, GZ 14 C 189/19f-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die Klägerin ist nach derzeitigem Grundbuchstand Eigentümerin des Grundstücks 1/1 in EZ ***** GB *****. Dieses Grundstück hat eine Größe von 21 m² und grenzt an das Grundstück 4/1 des J***** K***** und an das Grundstück 4/3 der Ehegatten S***** an.

[2]       Das Grundstück 1/1 wurde im Jahr 2011 aufgrund der Grenzziehung zu den Grundstücken 4/1 und 4/3 im Teilungsplan des DI L***** gebildet. Dieser orientierte sich dabei an dem im Jahr 1983 vom Rechtsvorgänger der Beklagten (ihrem verstorbenen Ehegatten) erstellten Teilungsplan. Bei diesem Teilungsplan handelt es sich um eine fehlerhafte Vermessungsurkunde: Durch die unrichtige Darstellung der Grenze wurde das Grundstück 1/1 als „Papierfläche“ geschaffen, die in der Natur nicht existiert. Aus diesem Grund ist die Löschung des Grundstücks 1/1 im Grundbuch in Vorbereitung.

[3]       Im Verfahren zu AZ 9 C 597/16t des Bezirksgerichts ***** führte die Klägerin einen Eigentumsstreit gegen die Ehegatten S*****; die Klägerin ist in diesem Rechtsstreit unterlegen. Derzeit behängt zu AZ 2 C 762/19k des Bezirksgerichts ***** zwischen den Nachbarn S***** und K***** einerseits und der Klägerin (als dortige Beklagte) andererseits ein Verfahren über die Abgabe einer Zustimmungserklärung zur Änderung der Grundstücksgrenzen.

[4]       Im hier vorliegenden Verfahren begehrte die Klägerin 10.720,14 EUR sA an Schadenersatz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden. Durch die erfolglose Prozessführung im Verfahren zu AZ 9 C 597/16t des Bezirksgerichts ***** seien ihr Gerichts-, Anwalts- und Sachverständigenkosten in Höhe von 9.720,14 EUR entstanden. Außerdem begehre sie für den Verlust des „fiktiven“ Grundstücks 1/1 1.000 EUR. Künftige Schäden seien nicht auszuschließen.

[5]       Die Beklagte erhob insbesondere den Einwand der Verjährung. Die Klägerin habe selbst vorgebracht, dass die dem verstorbenen Ehegatten der Beklagten angelastete Pflichtverletzung im Jahr 1981 erfolgt sei; die Erstellung der fraglichen Vermessungsurkunde liege mehr als 30 Jahre zurück.

[6]       Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung ab. Die lange Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginne mit dem schädigenden Ereignis zu laufen, ohne dass es darauf ankomme, wann der Schaden eingetreten sei sowie ob und wann der Geschädigte davon Kenntnis erlangt habe. Im Anlassfall sei die 30-jährige Verjährungsfrist bereits im Jahr 2011 abgelaufen.

[7]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Beurteilung des Erstgerichts zur Verjährung der geltend gemachten Ansprüche stehe mit der aktuellen Rechtsprechung im Einklang. Hinsichtlich des geltend gemachten Vermögensschadens, den die Klägerin im Verlust von 21 m² erblicke, sei zudem darauf hinzuweisen, dass die Klägerin mit dem Rechtsvorgänger der Beklagten in keiner Vertragsbeziehung gestanden sei und das bloße Vermögen keinen deliktischen Schutz genieße. Die ordentliche Revision sei wegen der nachhaltigen Kritik der Lehre an der Rechtsprechung zum Beginn der langen Verjährung nach § 1489 ABGB zulässig.

[8]       Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

[9]       Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

[10]     Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[11]     Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass auch die lange Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB so lange nicht zu laufen beginne, als noch kein Schaden eingetreten sei. Bei der kurzen Verjährungsfrist habe die Judikatur bereits erkannt, dass der Fristenlauf nicht vor Eintritt des Schadens beginne. In der Entscheidung zu 1 Ob 44/06m sei auch schon festgehalten worden, dass der Gesetzgeber eine Verjährungsregelung für untragbar halte, die die Verjährung eines Ersatzanspruchs ermögliche, obwohl noch kein Schaden eingetreten sei. Ähnliches ergebe sich aus der Entscheidung zu 2 Ob 58, 59/91. Darüber hinaus spreche sich die Lehre eindeutig dafür aus, dass der Beginn auch der langen Verjährungsfrist vom Eintritt des Schadens abhänge.

Rechtliche Beurteilung

[12]     Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

[13]            1.1 § 1489 ABGB lautet:

„Jede Entschädigungsklage ist in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schade und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde, der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein. Ist dem Beschädigten der Schade oder die Person des Beschädigers nicht bekannt geworden oder ist der Schade aus einer oder mehreren gerichtlich strafbaren Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, entstanden, so erlischt das Klagerecht nur nach dreißig Jahren.“

[14]     Nach § 6 ABGB darf einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Am Anfang jeder Gesetzesauslegung steht daher die wörtliche (sprachliche, grammatikalische) Auslegung, der nach ständiger Rechtsprechung große Bedeutung zukommt. Die Gesetzesauslegung darf aber nicht bei der Wortinterpretation stehenbleiben. Bleibt nach der Wortinterpretation und logischer Auslegung die Ausdrucksweise des Gesetzes dennoch zweifelhaft, so ist die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen und der Sinn einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung zu erfassen (RIS-Justiz RS0008788; RS0008836).

[15]            1.2 Schon nach dem logischen Verständnis des Wortlauts des § 1489 ABGB unterscheidet diese Bestimmung klar zwischen der dreijährigen subjektiven Verjährungsfrist, die von der Kenntnis von Schaden und Schädiger abhängt, und der 30-jährigen objektiven Verjährungsfrist. Nach Satz 2 leg cit erlischt das Klagerecht endgültig, wenn dem Geschädigten der Schaden oder der Schädiger innerhalb der 30-jährigen Frist nicht bekannt geworden ist. In diesem Fall ist die Verjährung, also die Befristung des Klagerechts, nicht nur kenntnisunabhängig, sondern auch absolut, das heißt, von keinen weiteren Voraussetzungen abhängig.

[16]     Im zweiten Halbsatz von Satz 1 leg cit wird klargestellt, dass es für die Anwendbarkeit des § 1489 ABGB gleichgültig ist, ob der mit Entschädigungsklage geltend gemachte Schaden durch eine Vertragspflichtverletzung oder sonst wie (vor allem deliktisch) verursacht wurde. Daraus, dass diese Bestimmung die Schadensverursachung als Anknüpfungspunkt wählt, folgt gleichzeitig, dass die 30-jährige Verjährungsfrist mit der schadensverursachenden Handlung zu laufen beginnt. Auf den „Eintritt“ des Schadens wird in dieser Bestimmung nicht abgestellt. Der angesprochene „Schaden“ ist jener, hinsichtlich dessen die Entschädigungsklage verjährt; dabei handelt es sich somit um den geltend gemachten und nicht um den „eingetretenen“ Schaden.

[17]     Damit ist schon nach der logischen Interpretation des Wortsinns geklärt, dass es für den Beginn der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nicht auf den Eintritt des Schadens ankommt. Ist der mit der Entschädigungsklage geltend gemachte Schaden innerhalb von 30 Jahren ab der schadensbegründenden Handlung nicht eingetreten, so ist er dem Geschädigten auch nicht innerhalb dieser Frist bekannt geworden. In diesem Fall sind die Voraussetzungen für die lange (objektive) Verjährung erfüllt und der geltend gemachte Ersatz des Schadens verjährt.

[18]            2.1 Dieses Ergebnis entspricht der ständigen Rechtsprechung: Danach beginnt die 30-jährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB bereits von dem Zeitpunkt an zu laufen, zu dem die den Schaden herbeiführende Handlung begangen wurde, mag der Eintritt des Schadens auch später erfolgt sein. Der Eintritt des Schadens kann demnach auch später als der Ablauf der Verjährungsfrist liegen (RS0034504). Der Beginn der 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB ist daher unabhängig davon, wann der Schaden eingetreten ist, sowie ob und wann der Geschädigte davon Kenntnis erlangt hat (RS0034502).

[19]            2.2 An diesen Grundsätzen hat der Oberste Gerichtshof trotz Kenntnis der ablehnenden Stellungnahmen in der Literatur festgehalten. So wurde etwa in den Entscheidungen zu 1 Ob 258/15w und 1 Ob 183/16t ausgeführt, dass die 30-jährige Verjährung nach § 1489 ABGB bereits von dem Zeitpunkt an zu laufen beginnt, zu dem die Handlung begangen wurde, die den Schaden herbeigeführt hat. Die lange Verjährungszeit von 30 Jahren bildet eine absolute kenntnisunabhängige Höchstfrist.

[20]            2.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es nach der ständigen und auch aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs für den Beginn der langen (objektiven) Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB auf den Eintritt des Schadens nicht ankommt. Dem liegt die Wertung zugrunde, dass nach einem bestimmten zeitlichen Abstand zur schadensverursachenden Handlung Rechtsfriede herrschen soll und der Schuldner darauf vertrauen darf, dass ihn der Gläubiger nicht mehr in Anspruch nimmt. Außerdem dient das Rechtsinstitut der Verjährung dem Schuldnerschutz vor der sich verschlechternden Beweissituation und der Prozessökonomie durch Vermeidung eines unverhältnismäßigen Beweiserhebungsaufwands. Schließlich ist die objektive Verjährung auch von öffentlichen Interessen geprägt, die vor allem in § 1502 ABGB zum Ausdruck gelangen (siehe dazu die grundlegenden Erwägungen in 1 Ob 1/00d).

[21]            3.1 Soweit sich die Klägerin zur Stützung ihres Standpunkts auf die Entscheidungen zu 2 Ob 58, 59/91 und 1 Ob 44/06m beruft, ist Folgendes zu entgegnen:

[22]     In dem der Entscheidung zu 2 Ob 58, 59/91 zugrunde liegenden Fall erwirkte die dortige Klägerin gegen die Erstbeklagte zunächst ein Feststellungsurteil über die Haftung für die künftigen Schäden aus einem Verkehrsunfall (ab dem 27. 6. 1963) und erhob trotzdem in der Folge ein weiteres Feststellungsbegehren über die Haftung für künftige Schäden (ab dem 27. 6. 1993). In diesem Zusammenhang führte der Oberste Gerichtshof aus:

„Die Erwägung, die dreißigjährige Verjährungsfrist solle das absolute Höchstmaß eines Ersatzanspruchs sein, findet daher in den gesetzlichen Vorschriften über die Verjährung keine Stütze. Der Oberste Gerichtshof hat in einer Vielzahl von Entscheidungen jeweils ausgesprochen, dass zur Vermeidung der Einrede der Verjährung eines Anspruchs ein rechtskräftiges Feststellungsurteil erwirkt werden kann, das – abgesehen von wiederkehrenden Leistungen – die Verjährung für die Dauer von 30 Jahren grundsätzlich ausschließt. Er hat insbesondere die Ansicht widerlegt, dass trotz Vorliegens eines Feststellungsurteils die Verjährungsfrage für in Zukunft entstehende Ansprüche immer wieder gesondert nach den für solche Ansprüche anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen beurteilt werden müsse; vielmehr ist der durch ein Judikat festgestellte Anspruch durch eine damit bewirkte dreißigjährige Verjährungsfrist gesichert. Dies bedeutet aber noch nicht, dass die Wirkung des Feststellungsurteils nach 30 Jahren erlischt. Verjähren kann immer nur ein Anspruch, nicht aber ein rechtskräftiges Feststellungsurteil über einen Anspruch.“

[23]     Diese Entscheidung betrifft den Sonderfall, dass im Hinblick auf zukünftig eintretende Schäden ein Feststellungsurteil besteht (vgl dazu 2 Ob 116/16x). Die darin zum Ausdruck gebrachten Überlegungen haben mit dem Anlassfall nichts zu tun.

[24]            3.2 Die Entscheidung zu 1 Ob 44/06m betraf die Frage der Zulässigkeit der in den zugrunde liegenden allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftsprüfer vorgesehenen Verkürzung der objektiven Verjährungsfrist für vertragliche Schadenersatzansprüche gegen einen Abschlussprüfer nach § 275 UGB. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte der Senat 1 des Obersten Gerichtshofs im gegebenen Zusammenhang aus:

„Die Rechtsprechung zu § 275 UGB, wonach die fünfjährige Verjährungsfrist mit dem Eintritt des Schadens beginnt, verdeutlicht, dass der Gesetzgeber – selbst für den Wirtschaftstreuhänder als Abschlussprüfer – die Verkürzung der objektiven Verjährung nach § 1489 zweiter Satz ABGB von 30 Jahren auf die wesentlich kürzere Frist von fünf Jahren unter der Voraussetzung für sachgerecht hält, dass die Verjährung erst mit dem Eintritt eines durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten (Primär-)Schadens beginnt. Dem liegt offenkundig die Erwägung zugrunde, dass gegen den Beginn der objektiven Verjährung mit dem schädigenden Ereignis ungeachtet der Frage nach dem Eintritt eines Schadens sowie des Zeitpunkts der Schädigung die gleichen Bedenken bestehen, die Anlass für die – mit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 1 Ob 621/95 eingeleiteten – Wende der Rechtsprechung zur subjektiven Verjährung nach § 1489 erster Satz ABGB war. Danach wird die Verjährung vor dem Eintritt eines (Primär-)Schadens nicht in Gang gesetzt.“

[25]     Aus dieser Entscheidung mögen angedeutete Bedenken gegen die Rechtsprechung zum Beginn der objektiven Verjährung nach § 1489 ABGB ableitbar sein. Diese Zweifel dienten jedoch nur als Begründungselement für die Beurteilung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine gesetzliche Verkürzung der objektiven Verjährung von 30 Jahren auf fünf Jahre als zulässig anzusehen ist. Eine Korrektur des Beginns der langen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB ist durch diese Entscheidung nicht erfolgt. Hinzu kommt, dass (auch) der Senat 1 diese Bedenken in der Folge nicht aufrecht erhalten hat und in zahlreichen Folgeentscheidungen an der ständigen Rechtsprechung zum Beginn der langen Verjährung nach § 1489 ABGB festgehalten hat (vgl die schon zitierten Entscheidungen 1 Ob 258/15w und 1 Ob 183/16t).

[26]            3.3 Die in der Entscheidung zu 1 Ob 44/06m angesprochenen Bedenken wurden durchaus auch in der Entscheidung zu 2 Ob 59/19v aufgegriffen, indem ausgeführt wurde, es könne offen bleiben, ob § 1489 ABGB tatsächlich in dem Sinn auszulegen ist, dass Schadenersatzansprüche auch dann 30 Jahre nach dem schädigenden Ereignis verjähren, wenn der Schaden erst mehr als 30 Jahre nach diesem Ereignis eintritt, zumal die praktisch einhellige Lehre dagegen sei.

[27]     Diese Entscheidung betrifft wiederum einen Sonderfall, nämlich die Verjährung erbrechtlicher Ansprüche nach § 1487a ABGB. Die Frage nach dem Beginn der langen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB hat sich in dieser Entscheidung nicht gestellt und wurde auch nicht beantwortet.

[28]            4.1 Die Literatur wendet sich nicht etwa einhellig gegen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Nach R. Welser (Schadenersatz statt Gewährleistung [1994] 87), R. Welser/Jud (Die neue Gewährleistung [2001] § 933a Rz 37) und I. Welser (Die lange Verjährungsfrist als zeitliche Haftungsschranke, ecolex 1993, 657) gehen davon aus, dass es bei der langen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB nicht auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts ankomme. Auch Klang (in Klang2 VI [1951] 637) führte aus, dass die lange Verjährung von dem schädigenden Ereignis an laufe, weil es mit dem Zweck der 30-jährigen Verjährung nicht vereinbar sei, dass der Schadenseintritt für die Verjährung maßgebend ist. Schließlich war auch Rebhahn (Zur neuen Regelung der Verjährung im BGB und zur langen Verjährung von Schadenersatzansprüchen, in FS Welser [2004] 849) der Ansicht, dass der Regelungszweck bei der objektiven Verjährung ein anderer als bei der subjektiven Verjährung sei und das Gesetz die Möglichkeit von Streitigkeiten nach 30 Jahren beenden wolle.

[29]            4.2 Richtig ist allerdings, dass das überwiegende Schrifttum die höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Beginn der langen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB ablehnt.

[30]     Koziol (Österreichisches Haftpflichtrecht I4 [2020] 842) ist der Ansicht, dass bei spät eintretenden Schäden die lange, kenntnisunabhängige Frist vor der kurzen, kenntnisabhängigen Frist ablaufen könne und dieses Ergebnis sicherlich nicht der Absicht des Gesetzgebers entspreche. Außerdem gingen § 6 Abs 1 AHG und § 20 AtomHG ausdrücklich davon aus, dass der Schaden bereits entstanden sei. Insgesamt sei der Geschädigte schutzwürdiger als der Schädiger, und auch das Argument des öffentlichen Interesses, Rechtsstreitigkeiten zügig zu erledigen, solle nicht zu Lasten des Geschädigten ausschlagen.

[31]     F. Bydlinski (Schadensentstehung und Verjährungsbeginn im österreichischen Recht, in FS Steffen [1995] 65) verwies unter Bezugnahme auf § 1478 ABGB auf das „Zentralprinzip“ des Verjährungsrechts, wonach ein Anspruch erst zu verjähren beginnen könne, wenn seine Ausübung möglich sei.

[32]     Auch P. Bydlinski/Vollmaier (Österreichisches Verjährungsrecht in Remien, Verjährungsrecht in Europa – zwischen Bewährung und Reform [2011] 221) sowie Riedler (Glosse zu 5 Ob 64/09m, wobl 2010/64) knüpfen an § 178 ABGB an und führen dazu aus, dass man einen Schaden nur dann kennen und einen Schadenersatzanspruch erst dann ausüben könne, wenn der Schaden bereits eingetreten sei, und die Anspruchsausübung einen klagbaren und damit entstandenen Anspruch voraussetze.

[33]     Auch Madl (Beginn der langen Verjährung nach § 1489 Satz 2 ABGB unabhängig vom Eintritt eines Schadens? in FS Koziol [2010] 759) argumentiert, dass von dem vom Gesetzgeber in § 1478 ABGB festgelegten Verständnis der Verjährung als Nichtausübung eines Rechts, das an sich schon hätte ausgeübt werden können, auszugehen sei. Außerdem verweist Madl auf § 20 AtomHG.

[34]     Brandstätter (Verjährung und Schaden [2017] 258) resümiert, dass jene Meinung, die die lange Verjährungsfrist als zeitliche Haftungsschranke interpretiere, für sich habe, im Sinn des Rechtsfriedens und des Schuldnerschutzes zu einem absehbaren Ende der Anspruchsdurchsetzungsmöglichkeit zu führen. Die Förderung dieser Zwecke des Verjährungsrechts vermöge allerdings weder das damit einhergehende Schutzdefizit auf Seiten des Schadenersatzgläubigers wettzumachen, noch lasse sich eine solche Regelung mit § 1478 Satz 2 ABGB vereinbaren.

[35]     Für den Beginn der langen Verjährungsfrist ab dem Eintritt des Schadens sprechen sich zudem (allerdings ohne eigenständige Begründung oder nur unter Hinweis auf den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist) Holzinger/Machold, Glosse zu 5 Ob 64/09m, Zak 2010/105), Vollmaier (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3 § 1489 Rz 48), Mader/Janisch (in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1489 Rz 25), M. Bydlinski (in Rummel, ABGB3 § 1489 Rz 6), Ertl (Die Verjährung künftiger Schadenersatzansprüche, ZVR 1993, 33) und Mayrhofer (Das Recht der Schuldverhältnisse [1986] 350) aus.

[36]            4.3 Demnach werden die referierten Literaturmeinungen, wonach die lange Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst ab dem Eintritt des Schadens zu laufen beginne, im Wesentlichen auf die allgemeine Verjährungsregel des § 1478 ABGB sowie auf die Spezialbestimmungen des § 6 AHG und § 20 AtomHG gestützt. Diesen Überlegungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

[37]     Richtig ist, dass die Verjährung nach § 1478 Satz 2 ABGB grundsätzlich (Besonderes gilt jedoch für Werklohnforderungen: vgl RS0021887) mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in welchem das Recht an sich schon hätte ausgeübt werden können, seiner Geltendmachung also kein rechtliches Hindernis (zB mangelnde Fälligkeit) mehr entgegensteht (RS0034343). Die Möglichkeit, den Anspruch einzuklagen, ist im objektiven Sinn zu verstehen; maßgebend ist die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung. Subjektive Gründe, aus denen ein Gläubiger einen Anspruch nicht geltend macht (zB Irrtum), sind für den Beginn der Verjährung grundsätzlich irrelevant (1 Ob 78/18d; 1 Ob 40/20v). § 1478 ABGB betrifft allerdings die Verjährung durch den bloßen Nichtgebrauch eines Rechts durch 30 Jahre. Diese Verjährungsregel wird als Auffangtatbestand bzw als allgemeine Verjährungsregel verstanden. Sie gilt – und dies ist vollkommen unstrittig – aber nur insoweit, als in keiner Ausnahmevorschrift eine kürzere Verjährungsfrist normiert ist oder keine sonstige Sonderregelung besteht. § 1478 ABGB gilt daher in erster Linie für Rechte aus einem Vertrag, also für Erfüllungsansprüche, aber auch für den bereicherungsrechtlichen Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB oder für den Aufwandersatzanspruch bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 1036 f ABGB (Madl in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1478 Rz 6 und 10 f).

[38]     Für Schadenersatzansprüche normiert das Gesetz in § 1489 ABGB aber eine Sonderregel. § 1478 ABGB gilt für Schadenersatzansprüche daher nicht. Beide Bestimmungen betreffen unterschiedliche Anspruchskategorien, für die das Gesetz jeweils unterschiedliche Verjährungsregeln vorsieht.

[39]     In diesem Sinn wurde etwa in der Entscheidung zu 10 Ob 33/14x ausgeführt, dass unter dem Begriff der Entschädigungsklage im Sinn des § 1489 ABGB alle Schadenersatzansprüche zu verstehen sind, und zwar sowohl deliktische als auch vertragliche und daher auch Ersatzforderungen wegen Nicht- oder Schlechterfüllung, mag auch der Erfüllungsanspruch selbst erst in 30 Jahren verjähren. Dabei komme es auf den Rechtsgrund der Entschädigungsklage ebenso wenig an wie auf den Gegenstand des Ersatzes oder den Grad des Verschuldens. § 1489 ABGB sei jedoch jedenfalls nicht auf solche Ansprüche anzuwenden, die auf keiner Schadenszufügung beruhen, daher zB nicht auf Aufwandsersatzansprüche wegen Geschäftsführung ohne Auftrag, Bereicherungsansprüche oder Enteignungsentschädigungen. Auch in den Entscheidungen zu 7 Ob 10/20a und 7 Ob 11/20y wurde zu versicherungsvertraglichen (Rückabwicklungs-)Ansprüchen darauf hingewiesen, dass der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich – von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 1489 ABGB abgesehen – an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung geknüpft sei. Ähnlich wurde etwa in den Entscheidungen zu 8 Ob 14/19w und 5 Ob 35/19m festgehalten, dass in § 1489 ABGB für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen grundsätzlich eine Ausnahme bestehe.

[40]            4.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Verjährungsvorschriften des § 1478 ABGB und des § 1489 ABGB unterschiedliche Fälle betreffen und aus der allgemeinen Regel des § 1478 ABGB für die Verjährung nach § 1489 ABGB daher nichts abgeleitet werden kann. Die gegenteiligen Literaturmeinungen werden abgelehnt.

[41]            4.5 Das Gleiche gilt für jene Stimmen, die auf spezielle Vorschriften zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen Bezug nehmen, weil diese mit § 1489 ABGB ebenfalls nicht vergleichbar sind und die dazu vom Gesetzgeber getroffenen Anordnungen daher nicht auf § 1489 ABGB übertragen werden können. So beträgt etwa die objektive Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche gegen Abschlussprüfern gemäß § 275 UGB nur fünf Jahre (vgl 1 Ob 44/06m). Nach § 6 AHG beträgt die lange Verjährungsfrist nur zehn Jahre. Dazu hat der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen, dass die Verjährungsbestimmungen des AHG im Gegensatz zur Regelung des § 1489 zweiter Satz ABGB nicht auf das schädigende Ereignis (die Handlung), sondern auf die Entstehung des Schadens abstellen (RS0050376; vgl auch RS0109755).

[42]     Auch bei § 20 AtomHG (30 Jahre seit dem Eintritt des Schadens) handelt es sich um eine Spezialbestimmung, die mit § 1489 ABGB nicht vergleichbar ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem besonderen Regelungsgegenstand, sondern auch aus dem letzten Satz in § 20 AtomHG, wonach „im Übrigen für die Verjährung die Vorschriften des ABGB gelten“. Hätte der Gesetzgeber § 1489 ABGB in Bezug auf die objektive Verjährungsfrist schlicht übernehmen wollen, so hätte insgesamt ein bloßer Verweis auf diese Bestimmung genügt. Außerdem wird in den Gesetzesmaterialien zu § 20 AtomHG (RV 1357 BlgNR 20. GP 36) lediglich davon gesprochen, dass die in Rede stehende Bestimmung im Wesentlichen der allgemeinen Regelung des § 1489 ABGB entsprechen solle.

[43]            4.6 Soweit sich die Klägerin mit Madl (Zur Notwendigkeit und Reichweite einer Reform des österreichischen Verjährungsrechts, ÖJZ 2020/19) auf die Entscheidung des EGMR vom 11. 3. 2014, Bsw 5206/10 und 41072/11, beruft, ist sie darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung den Ablauf einer zehnjährigen Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt der schädigenden Handlung nach schweizerischem Recht betroffen hat. Der EGMR bejahte eine Verletzung des in Art 6 EMRK verbürgten Rechts auf Zugang zu den Gerichten mit der Begründung, dass Asbestfälle typischerweise hohe Latenzzeiten aufwiesen und eine pauschale Anwendung der zehnjährigen Verjährungsfrist daher problematisch sei.

[44]     Diese Entscheidung ist für die hier in Redestehende lange Verjährungsfrist nicht maßgebend, weil § 1489 ABGB eine wesentlich längere Verjährungsfrist vorsieht. Für besondere langzeitgeprägte Schädigungsfälle, wie etwa für solche durch atomare Strahlung, enthält das österreichische Recht zudem Sonderregelungen.

[45]            4.7 Schließlich kann die Klägerin auch aus der Judikatur zur dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nichts für ihren Standpunkt ableiten, weil diese Bestimmung explizit einer kurzen subjektiven Verjährungsfrist eine lange objektive Verjährungsfrist mit unterschiedlichen Voraussetzungen zur Seite stellt (vgl dazu RS0087615; RS0034366).

[46]            5.1 Zusammenfassend ergeben sich folgende Grundsätze:

[47]     Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB beginnt bereits von dem Zeitpunkt an zu laufen, zu dem die den Schaden verursachende Handlung begangen wurde. Auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts kommt es nicht an. Mit Ablauf dieser langen, objektiven Verjährungsfrist ist der späteste Zeitpunkt für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs verstrichen. An dieser ständigen Rechtsprechung ist weiterhin festzuhalten. Die dazu geäußerten kritischen Literaturmeinungen überzeugen nicht und werden abgelehnt.

[48]            5.2 Davon ausgehend sind die von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzansprüche verjährt. Den in der Revision geltend gemachten sekundären Feststellungsmängeln zur Kenntniserlangung der Klägerin von den Anspruchsvoraussetzungen (nach ihren Behauptungen im Dezember 2016), zum Entstehen der den Ansprüchen zugrunde liegenden Schäden (nach ihren Behauptungen im Oktober 2017) sowie zur Höhe des geltend gemachten Schadens kommt keine Bedeutung zu.

[49]     Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren damit zu Recht abgewiesen. Der Revision der Klägerin war daher der Erfolg zu versagen.

[50]     Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E130533

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00178.20K.1126.000

Im RIS seit

04.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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