Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** Ö*****, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei D***** K*****, vertreten durch Mag. Robert Igáli-Igálffy, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Beseitigung, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. Mai 2020, GZ 39 R 83/20z-27, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 15. Jänner 2020, GZ 34 C 290/18s-22, samt dem vorangegangenen Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft samt dem darauf errichteten Zinshaus. Der Beklagte ist seit dem Jahr 2000 Mieter der Wohnung Top 2 in diesem Haus. Die Wohnung befindet sich im Erdgeschoß und grenzt außenseitig an den Lichthof des Hauses. Im schriftlichen Mietvertrag über diese Wohnung verpflichtete sich der Beklagte, die Zugänglichkeit zum Lichthof bei Bedarf zu ermöglichen, um Bauarbeiten oder Reinigungsarbeiten durchführen zu können. Weiters hat der Mieter laut Mietvertrag beabsichtigte Arbeiten am Mietgegenstand dem Vermieter schriftlich unter detaillierter Angabe von Art und Umfang sowie unter Benennung des in Aussicht genommenen befugten Gewerbetreibenden so rechtzeitig vorher anzuzeigen, dass der Vermieter auch die Interessen bezüglich des Hauses und dessen übriger Bewohner wahrnehmen kann. Soweit kein gesetzlicher Anspruch des Mieters auf Vornahme von Arbeiten besteht, dürfen diese Arbeiten nur mit Zustimmung des Vermieters durchgeführt werden.
[2] Im Jahr 2018 stellte die Hausverwaltung fest, dass der Beklagte im Lichthof einen Zubau errichtet hatte, in dem er ein Badezimmer eingebaut hatte. Eine Zustimmung der Klägerin oder der Hausverwaltung zu diesem Zubau lag und liegt nicht vor.
[3] Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Beseitigung der durchgeführten Baumaßnahmen im Lichthof, dessen Übergabe geräumt von eigenen Fahrnissen an die Klägerin sowie die künftige Unterlassung der hierdurch angemaßten Verwendung allgemeiner Teile der Liegenschaft. Sie bringt vor, der Beklagte habe durch den eigenmächtig ausgeführten Zubau gegen den Mietvertrag verstoßen und das Eigentum der klagenden Partei rechtswidrig in Anspruch genommen.
[4] Der Beklagte wendet ein, es liege die Zustimmung der Hausverwaltung vor. Im Fall des Rückbaus könne er die Wohnung nicht benützen.
[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es traf ua die wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, der Beklagte habe durch den eigenmächtig ausgeführten Zubau zumindest gegen den mit der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrag verstoßen. Es setzte sich weder im Spruch noch in der Begründung mit der Frage der Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs auseinander.
[6] Das Berufungsgericht erklärte aus Anlass der Berufung des Beklagten das erstgerichtliche Urteil samt dem vorangegangenen Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Nach dem Klagevorbringen gehe es um die Beseitigung und Unterlassung einer vom Beklagten vorgenommenen Vergrößerung des (Inneren des) Mietgegenstands unter Inanspruchnahme auch allgemeiner Teile des Hauses. Dieser Sachverhalt sei somit schon im Hinblick auf die Verbindung mit dem Inneren des Mietgegenstands § 9 MRG zu unterstellen. Gemäß § 37 Abs 1 Z 6 MRG sei über Anträge, die die Veränderung (Verbesserung) des Mietgegenstands (§ 9 MRG) betreffen, im Außerstreitverfahren zu entscheiden. Davon seien auch die hier geltend gemachten Unterlassungsansprüche des Vermieters erfasst. Eine Behandlung eines Klagebegehrens als Antrag im Verfahren außer Streitsachen (statt der Zurückweisung der Klage) sei nicht möglich, wenn – wie hier – eine Gemeindeschlichtungsstelle bestehe und daher vor der Anrufung der Gemeinde das außerstreitige Verfahren vor Gericht unzulässig sei.
[7] Der Rekurs der Klägerin ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO – unabhängig vom Wert des Entscheidungsgegenstands und unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne von § 502 Abs 1, § 528 Abs 1 ZPO – zulässig; er ist auch berechtigt.
[8] Die Klägerin macht geltend, die vom Berufungsgericht angeführten Beispiele aus der Rechtsprechung für die Zuordnung in das außerstreitige Verfahren (Kabelverlegung, Gasleitungsanlage, Beheizungsanlage, Alarmanlage) seien mit dem vollständigen Zubau eines nicht mitvermieteten Lichthofs nicht vergleichbar. Die Klägerin stütze sich nicht auf § 9 MRG, sondern auf eine konkrete Verletzung einer vertraglichen Vereinbarung im Mietvertrag.
Rechtliche Beurteilung
[9] Hierzu wurde erwogen:
[10] 1. Ob eine Angelegenheit im streitigen oder außerstreitigen Rechtsweg zu behandeln ist, richtet sich nach dem Wortlaut des Begehrens und dem anspruchsbegründenden Tatsachenvorbringen (RS0013639; RS0005896). Dabei ist von den Behauptungen des Antragstellers, nicht aber von den Einwendungen des Antragsgegners oder den Feststellungen auszugehen, die das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweise trifft (RS0013639 [T5, T8, T9, T10, T18, T20]; RS0005896 [T17, T19, T23]). Maßgebend für die Bestimmung der Art des Rechtswegs sind der Wortlaut des Begehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Sachverhaltsbehauptungen. Dabei ist vor allem der innere Zusammenhang des jeweils geltend gemachten Anspruchs mit einer entweder in die streitige oder in die außerstreitige Gerichtsbarkeit verwiesenen Materie von Bedeutung (RS0013639 [T15, T17, T23]).
[11] 2. Die Klägerin stützt ihre Begehren – wie ausgeführt – einerseits auf den zwischen den Parteien geltenden Mietvertrag und andererseits auf die Beeinträchtigung ihres Eigentums. Mit der zuletzt genannten Anspruchsgrundlage behauptet die Klägerin eine titellose Benützung eines allgemeinen Teils (RS0069976&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False&ResultFunctionToken=b098fa4a-fc16-42d8-a5ad-9dda44405669&Dokumentnummer=JJR_19910409_OGH0002_0050OB00022_9100000_001">) der Liegenschaft, die sich in ihrem Eigentum befindet. Ansprüche, die sich auf titellose Benützung gründen, sind aber grundsätzlich im streitigen Rechtsweg durchzusetzen (vgl nur ).
[12] 3. Dass sich die Klägerin nicht ausdrücklich auf § 9 MRG beruft, bedeutet aber noch nicht, dass die Bestimmung nicht doch anwendbar sein könnte, weshalb dies zu prüfen ist.
[13] 3.1. Der Anwendungsbereich des § 9 MRG betrifft nur Veränderungen innerhalb des Mietgegenstands (RS0069646), ausgenommen der Veränderungen im Rahmen des § 9 Abs 2 Z 5 MRG (RS0069646 [T1]). In der Rechtsprechung und der Lehre (A. Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht, § 9 Rz 11 ff) ist jedoch eine Tendenz erkennbar, den Anwendungsbereich etwas weiter zu ziehen (RS0069646 [T4]): So wurden etwa eine Kabelverlegung zur Erreichung des Anschlusses am Kabelfernsehnetz (5 Ob 31/86), das Anbringen einer Videokamera (5 Ob 69/13b) oder der Sirene einer Alarmanlage (5 Ob 115/11i) außerhalb des Bestandobjekts nach § 9 MRG beurteilt. Auch das Anbringen einer Videoüberwachungsanlage, die sich teilweise innerhalb (digitales Aufzeichnungsgerät) und teilweise außerhalb (Videokamera) des Mietgegenstands befand (6 Ob 229/11m), oder die Errichtung von Gasleitungsanlagen und Beheizungsanlagen (5 Ob 307/01k) wurden dem § 9 MRG unterstellt. Gleiches gilt grundsätzlich für die Zusammenlegung von Wohnungen (RS0069617).
[14] 3.2. Auch die zweitinstanzliche Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich des § 9 MRG in Fällen, in denen Teile der begehrten oder durchgeführten Änderungen außerhalb des Mietgegenstands lagen, unter § 9 MRG subsumiert: Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat etwa die Montage einer Attrappe einer Videokamera oberhalb einer Wohnungseingangstüre § 9 Abs 1 MRG unterstellt (MietSlg 58.229), ebenso die Installation von Entlüftungsrohren an der Hausfassade (MietSlg 38.285) oder das Aufstellen eines Klimageräts im Hof oder auf dem Flachdach (MietSlg 40.270).
[15] 3.3. Nicht dem Anwendungsbereich des § 9 MRG unterstellt wurde der Fall, in dem eine Mieterin Videokameraattrappen an der Außenwand des Hauses im Bereich des mitgemieteten Gartens und an der Innenwand der Garage bei dem von ihr gemieteten Kfz-Abstellplatz montierte (8 Ob 47/14s).
[16] 3.4. Alle soeben (3.1. bis 3.3.) erwähnten Fälle sind jedoch mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar: In keinem dieser Fälle fand nämlich eine Erweiterung des Mietgegenstands dergestalt statt, dass ein nicht mitgemieteter allgemeiner Teil der Liegenschaft (der Lichthof, vgl RS0069976) vollständig zugebaut und einem Mietgegenstand einverleibt wurde.
[17] 3.5. Nach ständiger Rechtsprechung fallen jene Fälle, in denen der Hauptmieter beabsichtigt, den Umfang des Mietgegenstands zu verändern, nicht in den Anwendungsbereich des § 9 MRG (RS0069635). Ein Mieter ist zur Ausdehnung der ihm eingeräumten Bestandrechte nicht berechtigt, sodass er Veränderungen des Umfangs des Mietgegenstands nicht einseitig herbeiführen kann (RS0069635 [T1]; 7 Ob 613/93; vgl auch Pletzer in GeKo Wohnrecht I § 9 MRG Rz 39). So wurde in folgenden Fällen die Ausdehnung des Mietrechts bejaht und daher die Anwendung des § 9 MRG verneint: Neuerrichtung eines über zwei Geschoße reichenden Geschäftsportals samt Fassadenverkleidung, Zumauerung bzw Durchbrechung von Fenstern, Verschmälerung eines Pfeilers auf nicht mitgemieteten Fassadenteilen (LGZ Wien, 48 R 425/93 MietSlg 45.246); Einverleibung eines Gang-WC´s (7 Ob 613/93); Einbau eines Plattformtreppenlifts zum Transport gebrechlicher Patienten von ebenerdigen Ordinationsräumen in bislang nicht als Ordination genutzte Kellerräume (5 Ob 310/04f).
[18] 3.6. Der vorliegende Fall ist mit den zuletzt genannten Beispielen aus der Rechtsprechung vergleichbar: Wenn schon die Absicht, den Umfang des Mietgegenstands zu erweitern, nicht in den Anwendungsbereich des § 9 MRG fällt, muss das umso mehr für die Fälle gelten, in denen – wie hier – der Umfang des Mietgegenstands tatsächlich geändert wird.
[19] 3.7. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts reicht bei einer solchen Erweiterung des Mietgegenstands der bloße Umstand, dass diese Erweiterung mit einer Verbindung mit dem Inneren des Mietgegenstands verbunden ist, für eine Subsumtion unter § 9 MRG nicht aus.
[20] 4. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die gegenständliche Erweiterung des Mietgegenstands unter Verwendung eines ganzen Lichthofs nicht unter § 9 MRG fällt. Da die Klägerin ihre Ansprüche (auch) auf titellose Benützung ihres Eigentums stützt, sind sie im streitigen Rechtsweg durchzusetzen. Die Frage, ob die von der Klägerin behauptete Vertragsverletzung für sich allein ausreichte, den streitigen Rechtsweg zu begründen (vgl RS0114143; RS0069665 [T6, T8, T10, T11]; RS0005948 [T11]; vgl auch RS0006066; 5 Ob 105/13x) muss daher nicht beantwortet werden.
[21] 5. Damit hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs für das Klagebegehren angenommen, sodass seine Entscheidung aufzuheben war. Das Berufungsgericht hat über die Berufung des Beklagten zu entscheiden.
[22] 6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E130535European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00175.20H.1217.000Im RIS seit
04.02.2021Zuletzt aktualisiert am
21.06.2021