TE OGH 2020/12/17 9ObA60/20v

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KAD Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** E*****, vertreten durch HEGH Hawel - Eypeltauer - Gigleitner - Huber & Partner, Rechtsanwälte GesbR in Linz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Oberbichler & Kramer, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 2.511,12 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Februar 2020, GZ 11 Ra 78/19y-18, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Oktober 2019, GZ 6 Cga 19/19w-14, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]             1. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Frage zugelassen, ob der Oberste Gerichtshof seine zu § 4 AÜG ergangene Rechtsprechung zur Differenzierung zwischen Werkvertrag und Arbeitskräfteüberlassung nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rs C-586/13, Martin Meat, aufrecht hält.

Rechtliche Beurteilung

[2]             2. Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit dann wieder weg, wenn sie durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Zwischenzeit bereits geklärt wurde (RS0112769 [T9, T11, T12]). Dies ist hier der Fall.

[3]             3.1. Der Oberste Gerichtshof hat sich mit der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage zwischenzeitig in der eingehend begründeten Entscheidung 8 ObA 63/20b vom 23. 10. 2020 mit seiner Vorjudikatur (8 ObA 7/14h), der Judikatur des EuGH (EuGH 18. 6. 2015, Rs C-586/13, Martin Meat) und des VwGH (insbesondere VwGH 22. 8. 2017, Ra 2017/11/0068) sowie den unterschiedlichen Meinungen in der Literatur (s Pkt. 4. in 8 ObA 63/20b) umfassend auseinandergesetzt.

[4]             3.2. Dabei gelangte er zum Ergebnis, dass grundsätzlich keine Veranlassung bestehe, von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 4 Abs 2 AÜG abzugehen. Der Wortlaut der Vorschrift sei eindeutig. Aus dem Wort „oder“ in Verbindung mit der Wendung, dass Arbeitskräfteüberlassung „insbesondere auch vor[liegt], wenn …“, ergebe sich zwingend, dass jeder der vier im Folgenden vom Gesetzgeber aufgezählten Tatbestände (Fälle) zur Annahme von Arbeitskräfteüberlassung führe. Dieses Verständnis sei – wie aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich – auch jenes des historischen Gesetzgebers. § 4 Abs 2 AÜG konkretisiere zur Verhinderung von Umgehungskonstruktionen die wirtschaftliche Betrachtungsweise. Dass in jedem dieser Fälle dieser Faktor „wirtschaftlich“ (§ 4 Abs 1 AÜG) so relevant sein müsse, dass dies die Gleichstellung rechtfertige, erfordere noch nicht eine Gesamtbetrachtung, schließe diese aber auch nicht aus. Gleichgültig, ob die in der Literatur verbreitete Forderung, eine Arbeitskräfteüberlassung nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der vier Fälle des § 4 Abs 2 AÜG erfüllt sei, sondern nur dann, wenn sie nach einer Gesamtbetrachtung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliege, methodisch auf einer richtlinienkonformen oder – zur Vermeidung einer allenfalls unzulässigen Inländerdiskriminierung – verfassungskonformen Interpretation beruhen sollte, vermöge der Oberste Gerichtshof aufgrund des strikten Wortlauts von § 4 Abs 2 AÜG dieser Forderung de lege lata nicht näherzutreten. Eine richtlinienkonforme oder verfassungskonforme Auslegung dürfe einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keinen durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbaren abweichenden oder gar entgegengesetzten Sinn geben (Pkt. 8.). Dieses Ergebnis führe auch nicht zu einer Inländerdiskriminierung, weil die Anordnung der Geltung der für das Gewerbe der Leiharbeitsunternehmen geltenden kollektivvertraglichen Mindestlöhne in § 6 Abs 3 LSD-BG bei dauerhaften Beschäftigungen wie den vorliegenden schon aufgrund des Art 3 Abs 1 lit c der RL 96/71/EG (Entsende-RL) mit der Dienstleistungsfreiheit in Übereinstimmung steht (Pkt. 10.).

[5]            4. Damit ist für den Kläger auf Grund der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls (vgl 8 ObA 6/16i) aber nichts gewonnen. Die übereinstimmende Beurteilung der Vorinstanzen, dass im Anlassfall weder einer der in § 4 Abs 2 Z 1–4 AÜG normierten Tatbestände zur Gänze verwirklicht sei noch nach einer Gesamtbeurteilung des Sachverhalts das zwischen der Beklagten und dem K***** (Auftraggeber) bestehende Vertragsverhältnis als Arbeitskräfteüberlassung, sondern vielmehr als „echter“ Werkvertrag zu beurteilen sei, und der Kläger daher sein Klagebegehren nicht auf den Kollektivvertrag für Arbeitskräfteüberlasser stützen könne, bewegt sich im Rahmen des den Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums.

[6]            5.1. Der Kläger war vom 19. 4.2018 bis 27. 11. 2018 bei der Beklagten, die für Krankenhäuser, private Unternehmen und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes Dienstleistungen im Bereich der Reinigung, des Caterings und der Sicherheit erbringt, als Arbeiter beschäftigt. Er wurde für die Abfallentsorgung des K***** (kurz: K*****) einem Großkrankenhaus, eingesetzt.

[7]            5.2. Nach den bindenden Feststellungen erfolgte die Einschulung der im K***** eingesetzten Mitarbeiter der Beklagten grundsätzlich durch eigene Mitarbeiter. Auch die Sicherheitsanweisungen und die Kontrolle der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften erfolgten grundsätzlich durch die Beklagte. Die Beklagte entschied auch, wie viele Mitarbeiter sie für die Abfallentsorgung im K***** einsetzte und sie war auch alleine für die Erstellung der Dienstpläne dieser Mitarbeiter zuständig. Urlaubswünsche und Krankenstände wurden der Beklagten bekannt gegeben. Gegebenenfalls setzte die Beklagte andere Mitarbeiter ersatzweise ein. Vom K***** gab es lediglich in Bezug auf den strikt einzuhaltenden zeitlichen Plan der Touren sowie deren Ablauf Vorgaben, um einen reibungslosen Ablauf aller Vorgänge im K***** zu gewährleisten. Das K***** erteilte keine Weisungen an den Kläger; es führte vorwiegend lediglich Kontrollen der Arbeitsgeschwindigkeit durch. Bei Beanstandungen der Müllentsorgung erfolgte jeweils eine Kontaktaufnahme des K***** mit den zuständigen Objektbetreuern der Beklagten, die dann die Probleme mit den Mitarbeitern abklärten. An Arbeitskleidung erhielt der Kläger vom K***** lediglich schnittfeste Arbeitshandschuhe. Die Mitarbeiter der Beklagten verfügten in den Räumen des K***** weder über einen Umkleideraum noch über einen Spind und durften auch die vorhandenen Duschen nicht in Anspruch nehmen. Zwischen dem K***** und der Beklagten waren ein im Vorhinein für ein Jahr festgelegtes Pauschalentgelt, dem ein Preis pro Durchführung von Touren zugrunde lag, und Vertragsstrafen für (unentschuldigtes und entschuldigtes) Fernbleiben der von der Beklagten eingesetzten Mitarbeiter vom Arbeitsplatz vereinbart.

[8]            6.1. Im vorliegenden Fall liegt die Leistung der Beklagten in der Verrichtung von bestimmten Touren zur Müllentsorgung. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass damit eine Dienstleistung erbracht worden sei, die sich von jenen des Werkbestellers, des K*****, unterscheide, und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 Z 1 AÜG nicht erfüllt seien, ist nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall ist nicht entscheidend, dass die zeitliche Einteilung der Touren vom K***** vorgegeben wurde, weil damit primär der reibungslose Ablauf der Müllentsorgung unter Berücksichtigung der komplexen Gesamtsituation in einem Großkrankenhaus gewährleistet werden sollte. Damit kam es aber noch zu keiner Eingliederung des Klägers in den Gesamtarbeitsablauf des Krankenhausbetriebs der Beklagten. Die Beklagte verrichtet lediglich die vom K***** an ihr Unternehmen ausgelagerte Müllentsorgung. Die Rechtsauffassung, dass es sich dabei nicht um einen einzelnen Arbeitsvorgang in einem verketteten Produktionsablauf handle, ist vertretbar.

[9]            6.2. Auch die Beurteilung der Vorinstanzen, der Tatbestand des § 4 Abs 2 Z 2 AÜG sei nicht vollständig erfüllt, weil der Kläger nach den Sachverhaltsfeststellungen die Arbeit nicht vorwiegend mit Material und Werkzeug des K***** als Werkbestellerin verrichtet habe, ist nicht weiter korrekturbedürftig.

[10]           6.3. Der Fall des § 4 Abs 2 Z 3 AÜG spricht die Eingliederung in den Betrieb des Beschäftigers an, wobei konkret die Arbeitskraft zumindest einer eingeschränkten Dienst- und Fachaufsicht des Beschäftigers zu unterstehen hat, um die Tatbestandsvoraussetzungen der Z 3 zu erfüllen (vgl Schindler in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 4 AÜG Rz 10). Die Vorinstanzen hielten dazu fest, dass der Kläger nicht in den Betrieb des K***** eingegliedert gewesen sei. Die Diensteinteilung sei ausschließlich durch die Beklagte erfolgt. Auch im Falle einer Dienstverhinderung sowie für Urlaubsvereinbarungen habe der Kläger stets an die Beklagte herantreten müssen, der es zudem auch völlig frei gestanden sei, wie viele Arbeitnehmer oder auch wechselnde Arbeitnehmer sie täglich für die Müllentsorgung im K***** einsetzte. Der Kläger habe entgegen den Stammmitarbeitern des K***** keinen Umkleideraum, keinen Spind sowie keine Möglichkeit gehabt, die vorhandenen Duschen zu verwenden. Soweit der Kläger damit argumentiert, dass die Erstellung eines „Grundsatzdienstplanes“ sowie die Kontrolle der zeitlichen Arbeitsabläufe durch das K***** erfolgen würden, wurde bereits darauf hingewiesen, dass die zeitliche Planung der einzelnen Touren der Müllentsorgung primär der komplexen Gesamtsituation in einem Großkrankenhaus geschuldet ist und noch keine Eingliederung in einen „Produktionsablauf“ bedeutet.

[11]           6.4. Der Kläger gesteht in seiner Revision zu, dass der Tatbestand des § 4 Abs 2 Z 4 AÜG nach dem vorliegenden Sachverhalt nicht erfüllt ist. Die (auch im Zusammenhang mit dem Tatbestand des § 4 Abs 2 Z 1 AÜG) behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen schon deshalb nicht vor, weil dazu im Verfahren erster Instanz kein entsprechendes Tatsachenvorbringen erstattet wurde (RS0053317 [T2, T4]).

[12]           6.5. Letztlich ist auch die vom Berufungsgericht angestellte Gesamtbetrachtung des Vertragsverhältnisses zwischen der Beklagten und dem K***** und die daraus resultierende Qualifikation als Werkvertrag und nicht, wie in der Revision des Klägers gewünscht, als Arbeitskräfteüberlassungsvertrag, nicht zu beanstanden. Den Argumenten des Berufungsgerichts, der Kläger sei nicht in das K***** eingegliedert gewesen, weil lediglich zeitliche Vorgaben für die Müllentsorgung bestanden hätten und das K***** dem Kläger weder die gesamte Arbeitskleidung noch in ihren Räumlichkeiten einen Spind oder eine Duschmöglichkeit zur Verfügung gestellt habe, die konkreten Dienstpläne sowie individuelle Anweisungen von der Beklagten erstellt worden seien, der Kläger auch unter deren Dienstaufsicht gestanden sei und letztlich zwischen dem K***** und der Beklagten ein Pauschalhonorar (Preis pro Durchführung der Touren sowie deren Anzahl) im Vorhinein vereinbart worden sei und damit im Zusammenhang eine Vertragsstrafe für unentschuldigtes oder entschuldigtes Fernbleiben der eingesetzten Mitarbeiter der Beklagten, hält die Revision des Klägers nichts Entscheidendes entgegen.

[13]           Da der Kläger damit insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufweist, ist die Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

[14]     Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E130493

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00060.20V.1217.000

Im RIS seit

03.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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