TE OGH 2020/12/17 6Ob117/20d

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Veröffentlicht am 17.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Hans Gradischnig, Mag. Hannes Gradischnig, Rechtsanwälte in Villach, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde T*, vertreten durch Mag. Alexander Jelly, Rechtsanwalt in Villach, wegen 5.857 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. April 2020, GZ 2 R 30/20v-12, mit dem das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Villach vom 3. Dezember 2019, GZ 9 C 805/19i-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird hinsichtlich des Zahlungsbegehrens dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts als Teil-Zwischenurteil lautet:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 5.857 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2019 zu zahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.“

Im Umfang des Feststellungsbegehrens werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe

und

Begründung:

[1]            Die Klägerin kam am 5. 2. 2019 auf einer schneebedeckten und vereisten Fläche im Bereich des von der Beklagten betriebenen Gemeindefriedhofs zu Sturz und erlitt Verletzungen.

[2]            Die Beklagte führt den Winterdienst seit Jahren derart durch, dass die von ihr betriebenen Gemeindefriedhöfe nur an Feiertagen und an bestimmten Tagen zwischen dem 24. und dem 31. Dezember sowie dann bestreut und geräumt werden, wenn eine Beerdigung, Verabschiedung oder Aufbahrung stattfindet. An den Eingangstüren zum Friedhofsareal sind Schilder mit der Aufschrift „Kein Winterdienst“ angebracht. Nach der vom Gemeinderat erlassenen Friedhofsordnung sind die Friedhöfe allgemein zugänglich.

[3]            Der Ehegatte der Klägerin ist Nutzungsberechtigter eines Grabes, in dem seine Mutter und die Mutter der Klägerin bestattet sind. Das Nutzungsrecht wird gegen Zahlung einer Gebühr mit Bescheid des Bürgermeisters eingeräumt. Die Klägerin besuchte diese Grabstätte fast täglich, obwohl ihr bekannt war, dass die Beklagte, abgesehen von besonderen Anlässen, keinen Winterdienst am Friedhof durchführte. Am Freitag vor dem Unfall der Klägerin (der an einem Dienstag stattfand) hatte es geschneit, in der Nacht von Samstag auf Sonntag heftig geregnet und in den Nächten auf Montag und Dienstag kam es zu starkem Frost. Das Friedhofsareal war nicht geräumt oder bestreut.

[4]            Die Klägerin macht – unter Anrechnung eines Mitverschuldens von 50 % – einen Schadenersatzanspruch von 5.857 EUR samt Verzugszinsen geltend und begehrt die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Folgen aus dem Vorfall vom 5. 2. 2019 im Umfang von 50 %.

[5]            Die Beklagte hält dem Klagebegehren entgegen, sie habe ihre Verkehrssicherungspflichten durch den „anlassbezogenen“ Winterdienst erfüllt. Eine darüber hinausgehende Winterbetreuung sei ihr personell und finanziell nicht zumutbar. Die Klägerin sei nicht von den Schutzwirkungen eines Vertrags zwischen ihrem Ehemann und der Beklagten erfasst, weil die Grabnutzungsberechtigung öffentlich-rechtlicher Natur sei. Die Klägerin hätte die Vereisung leicht erkennen können. Auch die Anspruchshöhe werde bestritten.

[6]            Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein und sprach aus, das Klagebegehren bestehe dem Grunde nach zu Recht.

[7]            Die Beklagte könne sich nicht durch einseitige Erklärung in Form des Hinweisschildes ihren Sorgfaltspflichten im deliktischen Bereich entziehen. Es könne offen bleiben, ob das Nutzungsrecht an der Grabstätte öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur sei, da die Beklagte in jedem Fall den Grabnutzungsberechtigten und ihren Angehörigen den gefahrlosen Zugang zu den Grabstätten ermöglichen müsse. Die bloß „anlassbezogene“ Winterbetreuung sei als grob fahrlässig zu beurteilen, weil es nicht angehe, den Zugang zum Friedhof auch im Winter zu ermöglichen, aber nur an einzelnen Tagen eine Schneeräumung durchzuführen. Die Beklagte hafte entweder gemäß § 1319a ABGB oder aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin. Diese habe sich ein Mitverschulden (ohnehin) anrechnen lassen.

[8]            Das Berufungsgericht änderte das Urteil über Berufung der Beklagten im klageabweisenden Sinn ab. Es ließ die Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer Haftungsfreizeichnung durch das Anbringen einer Tafel „Kein Winterdienst“ durch einen Friedhofsbetreiber fehle.

[9]            Rechtlich erörterte es, jeden, der auf einem seiner Verfügung unterstehenden Grund einen Verkehr eröffne, träfen grundsätzlich Verkehrssicherungspflichten im Sinn des § 1295 ABGB. Diese fänden ihre Grenze in der Zumutbarkeit und entfielen, wenn sich jeder selbst schützen könne, weil die Gefahr leicht erkennbar sei. Der Wegehalter könne seine Haftung durch den Hinweis, dass er den Weg nicht geprüft und gewartet habe, ausschließen.

[10]           Selbst wenn die Klägerin vom Schutzbereich eines Vertrags zwischen ihrem Ehemann und der Gemeinde erfasst wäre, würde eine Haftung wegen leichter Fahrlässigkeit aufgrund des Hinweisschildes entfallen. Grobe Fahrlässigkeit sei der Beklagten nicht vorwerfbar, weil sie sich darauf habe verlassen dürfen, dass allfällige Besucher infolge des Hinweisschildes das Betreten des Friedhofs bei Schnee- oder Eisesglätte unterlassen oder besondere Vorsicht an den Tag legen würden. Da die Gefahr erkennbar gewesen sei, sei die Eigenverantwortung der Klägerin entscheidend; ein „Mitverschulden“ der Beklagten liege nicht vor oder falle gegenüber der Sorglosigkeit der Klägerin nicht ins Gewicht.

[11]           Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung der klagestattgebenden Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich des Zahlungsbegehrens, sowie die Aufhebung hinsichtlich des Feststellungsbegehrens anstrebt.

[12]           Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13]           Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtswirkungen eines Warnschildes auf die Pflichten des Wegehalters zulässig, sie ist auch berechtigt.

[14]           1.1. § 1319a ABGB ist eine Sondervorschrift für die Haftung des Wegehalters für (unter anderem) die Verletzungen von Menschen am Körper oder der Gesundheit, die durch den mangelhaften Zustand eines Weges verursacht wurden. § 1319a ABGB privilegiert den Wegehalter im Vergleich zum allgemeinen Deliktsrecht im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab: Der Schadenersatzanspruch ist nur begründet, wenn der mangelhafte Zustand des Weges auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Halters oder seiner Leute beruht.

[15]           1.2. § 1319a ABGB regelt nur die deliktische Haftung des Wegehalters. Lag der Benutzung des Weges ein Vertrag oder ein vorvertragliches Schuldverhältnis zugrunde, kommt § 1319a ABGB nicht zur Anwendung. Bei Verletzung vertraglicher Pflichten oder vorvertraglicher Schutzpflichten wird auch der Halter eines Weges schon bei leichter Fahrlässigkeit ersatzpflichtig (RS0023459 [insb T7]).

[16]           Eine im öffentlichen Recht begründete Verkehrssicherungspflicht – etwa gegenüber Personen, die ein öffentliches Gebäude betreten, um an der Amtshandlung einer Behörde teilzunehmen oder deren Leistungen in Anspruch zu nehmen – ist einer (vor-)vertraglichen Verkehrssicherungspflicht gleichzuhalten (1 Ob 5/91; 1 Ob 55/09h).

[17]           1.3. Die Klägerin leitet die Haftung der Beklagten sowohl aus § 1319a ABGB als auch aus den Schutzpflichten der Beklagten aus der Grabnutzungsberechtigung ihres Ehemanns ab. Es ist daher zunächst der Inhalt der sich daraus ergebenden Pflichten zu untersuchen.

[18]           2.1. Welche Maßnahmen ein Wegehalter im Einzelnen zu ergreifen hat, richtet sich gemäß § 1319a Abs 2 letzter Satz ABGB danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, seiner geographischen Situierung in der Natur und das daraus resultierende Maß seiner vernünftigerweise zu erwartenden Benutzung (Verkehrsbedürfnis) für seine Instandhaltung angemessen und nach objektiven Maßstäben zumutbar ist (RS0087605 [T2]; RS0087607 [T6]). Das Merkmal der Zumutbarkeit erfordert die Berücksichtigung dessen, was nach allgemeinen und billigen Grundsätzen erwartet werden kann. Zwar ist kleineren Gemeinden als Wegehalter weniger zuzumuten als großen, doch wird generell der öffentlichen Hand, also auch Gemeinden, gegenüber der Allgemeinheit mehr Verantwortung aufgebürdet als Privaten (2 Ob 235/15w). Es kommt im jeweils zu prüfenden Einzelfall darauf an, ob der Wegehalter die ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die gefahrlose Benützung gerade dieses Weges sicherzustellen (RS0087607; RS0030202 [T3]; RS0030088 [T4]).

[19]           2.2. Hier ist zu beurteilen, ob die Beklagte ihre aus § 1319a ABGB entspringenden Sorgfaltspflichten als Wegehalter durch die Warnhinweise „Kein Winterdienst“ bereits zur Gänze erfüllt hat, oder ob ihr über das Anbringen der Schilder und den „anlassbezogenen“ Winterdienst hinaus eine weitergehende Betreuung der Wege im Friedhofsareal zumutbar war.

[20]           2.3. Die Rechtsprechung anerkennt, dass die dauernde Herstellung eines gefahrlosen Zustands dem Wegehalter nicht hinsichtlich jeglichen Weges objektiv zumutbar ist. So wurde etwa für im Hochgebirge gelegene Wege ausgesprochen, dass es so gut wie ausgeschlossen ist, diese stets in einem völlig gefahrlosen Zustand zu halten (4 Ob 536/87; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 1319a ABGB Rz 22). In einem solchen Fall kann aber das Aufstellen eines Warnschildes, das konkret auf die Gefahr hinweist, erforderlich sein (4 Ob 536/87; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 1319a ABGB Rz 22).

[21]           2.4. Ein Warnschild ist aber nicht jedenfalls ausreichend, um weitergehende Pflichten des Wegehalters auszuschließen. Es liegt, mit anderen Worten, nicht im Belieben des Wegehalters, entweder die Gefahrenquelle zu beseitigen oder bloß auf sie hinzuweisen. Ist dem Halter die Beseitigung der Gefahr zumutbar, dann wird er allein durch das Aufstellen eines Warnschildes nicht von der Haftung befreit (4 Ob 536/87; 2 Ob 275/68 SZ 41/146; Koziol, Haftpflichtrecht II³ [2018] Rz B/2/53; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1319a Rz 15; vgl Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 1295 Rz 55).

[22]           2.5. Klarzustellen ist, dass damit noch keine Aussage darüber getroffen ist, inwiefern durch einen Warnhinweis im konkreten Fall zu einem Handeln auf eigene Gefahr „übergeleitet“ wird (Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 1295 Rz 55), indem der Benutzer des Weges zu erhöhter Vorsicht aufgerufen ist, deren Verletzung im Rahmen seines Mitverschuldens zu berücksichtigen ist. Dies wird im Zusammenhang mit der Verschuldensabwägung behandelt.

[23]           2.6. In der Rechtsprechung wurde die Streupflicht des Friedhofsbetreibers grundsätzlich bejaht (2 Ob 275/68). Zu den Wirkungen eines Warnhinweises wurde anlässlich der Verletzung einer Teilnehmerin an einem Begräbnis zunächst bloß ausgesprochen, dass ein Warnschild (nach dem der Friedhofsbesuch bei Glatteis auf eigene Gefahr geschehe) zumindest gegenüber Begräbnisteilnehmern die Streupflicht nicht ausschließe (8 Ob 57/64 JBl 1964, 421). In der Folge wurde klargestellt, dass die Streupflicht „selbstverständlich“ nicht nur gegenüber Begräbnisteilnehmern gilt, sondern gegenüber sämtlichen Friedhofsbesuchern (2 Ob 275/68). In der Entscheidung 2 Ob 275/68 wurde auch ausgeführt, dass ein Warnschild („Bei Glatteis nur bestreute Wege betreten“) die Verkehrssicherungspflichten nicht unter das Maß des Zumutbaren einschränken kann. Zu beachten ist aber, ob der Friedhofsbesucher einen anderen Weg wählen kann, weil zwar nicht alle, aber immerhin einzelne Wege am Friedhof bestreut und die übrigen abgesperrt sind (2 Ob 275/68).

[24]           2.7. Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen ist für die Beurteilung der von der Beklagten im vorliegenden Fall geschuldeten Sorgfaltspflichten daher zunächst zu untersuchen, ob sie mit der Aufstellung des allgemein gehaltenen Warnhinweises samt „anlassbezogenem“ Winterdienst ihren Sorgfaltspflichten, die sich im Wesentlichen aus dem Verkehrsbedürfnis der Friedhofsbesucher einerseits und der Zumutbarkeit andererseits ergeben, bereits nachgekommen ist, oder ob sie zu darüber hinausgehenden Maßnahmen verpflichtet war.

[25]           2.8. Die Fläche, auf der die Klägerin stürzte, bildet einen Teil des direkten Zugangs zu jenem Bereich des Friedhofs, in dem sich die Gräber befinden. Die Möglichkeit, auf einen anderen, gestreuten, Weg auszuweichen, bestand nicht.

[26]           2.9. Hinsichtlich der Widmung des Weges und des Verkehrsbedürfnisses ist davon auszugehen, dass Friedhöfe in Österreich nicht nur als Ort der Bestattung genutzt werden, sondern es vielmehr üblich ist, zum Andenken an verstorbene Familienmitglieder deren Grab zu besuchen. Solche Besuche finden typischerweise nicht ausschließlich an bestimmten Feiertagen statt. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, dass es stets Personen gibt, denen ein regelmäßiger Besuch des Grabes von Angehörigen zumindest einmal, oft auch mehrmals pro Woche ein persönliches Anliegen ist. Dass gerade am Friedhof der Beklagten außerhalb der besonderen Feiertage üblicherweise niemand die Gräber besucht hätte, ist nicht zu erwarten und wurde von der Beklagten auch nicht behauptet.

[27]           Das typische Verkehrsbedürfnis der Öffentlichkeit hinsichtlich eines in Benützung stehenden, also nicht rein historischen Friedhofs erfordert es daher, auch außerhalb von Feiertagen, Begräbnissen oder Verabschiedungen einen gefahrlosen Besuch der Gräber zumindest in regelmäßigen, im Vorhinein bekannten Abständen zu ermöglichen.

[28]           2.10. Ein bloß „anlassbezogener“ Winterdienst bedeutet, dass zwischen den Feiertagen am 1. und 2. November und dem 24. Dezember, oder zwischen dem Dreikönigstag am 6. Jänner (hier wird unterstellt, dass dieser von der Beklagten als Anlass zur Schneeräumung herangezogen wird) und dem Ende der winterlichen Verhältnisse überhaupt keine Betreuung der Wege innerhalb des Friedhofsareals stattfindet, sofern nicht ein Begräbnis, eine Aufbahrung oder eine Einsegnung in diesen Zeitraum fallen. Dies wird dem Verkehrsbedürfnis der Öffentlichkeit nicht gerecht. Die Beklagte hat daher die ihr objektiv (vgl Reischauer in Rummel, ABGB³, § 1319a Rz 6, 14; Koziol, Haftpflichtrecht II³ Rz B/1/30) zuzumutenden Maßnahmen nicht eingehalten.

[29]           2.11. Wenn der Beklagten eine ständige Betreuung der Wege aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen subjektiv nicht möglich ist, bedeutet dies daher nicht, dass sie außerhalb von konkreten „Anlässen“ von jedem Winterdienst absehen kann. Die Beklagte wäre vielmehr verhalten, die Zugänge zu den Gräbern zumindest in regelmäßigen Zeitabständen derart zu streuen oder zu räumen, dass jedenfalls unmittelbar danach ein gefahrloser Besuch des Friedhofs ermöglicht wird; zusätzlich wären die Friedhofsbesucher – etwa durch entsprechend konkrete Hinweisschilder – über die Zeiten, zu denen sie mit bestreuten oder geräumten Wegen rechnen können, zu informieren, sodass sie ihr Verhalten danach ausrichten können.

[30]           2.12. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der älteren Rechtsprechung anerkannt, dass durch konkrete Hinweise, an denen die Benutzer vernünftigerweise ihr Verhalten ausrichten können, den Sorgfaltspflichten des Wegehalters entsprochen werden kann, wohingegen ganz allgemeine Warnungen dazu nicht ausreichen. So wurde das Hinweisschild „Nur für Geübte“ bei einem Wanderweg, auf dem geübte Bergsteiger die vorhandenen Seilsicherungen üblicherweise nicht benutzten, nicht als ausreichend beurteilt; erforderlich wäre etwa der Hinweis gewesen, dass die Seilsicherungen schadhaft sein könnten, weil sie schon seit einem (bestimmt anzugebenden) Zeitpunkt nicht mehr kontrolliert worden seien (4 Ob 536/87).

[31]           2.13. Die von der Beklagten gewählte Vorgangsweise, der Öffentlichkeit außerhalb von besonderen Anlässen gar keinen regelmäßigen gefahrlosen Friedhofsbesuch zu ermöglichen und lediglich auf die Nichtdurchführung des Winterdienstes hinzuweisen, entspricht nicht dem objektiv Zumutbaren hinsichtlich eines Weges auf einem öffentlich zugänglichen Friedhof, mag es auch ein Friedhof einer kleinen Gemeinde sein. Dies begründet die Mangelhaftigkeit des Weges im Sinn des § 1319a ABGB.

[32]           Dass ihr eine Betreuung der Wege im Friedhofsareal in zumindest regelmäßigen, vorhersehbaren Zeitabständen subjektiv gar nicht möglich gewesen wäre, kann allein aus der Angabe der von der Beklagten zu räumenden Straßenkilometer und der Anzahl der Mitarbeiter des Bauhofs nicht abgeleitet werden.

[33]           2.14. Die Klägerin stützt die Haftung der Beklagten neben § 1319a ABGB auch auf das von ihrem Ehemann erworbene Grabnutzungsrecht. Ein solches ist bei kommunalen Friedhöfen, wie jenem der Beklagten, öffentlich-rechtlicher Natur (vgl 1 Ob 289/99b = RS0046162 [T2]). Ob eine solche im öffentlichen Recht wurzelnde Sonderbeziehung geeignet ist, gleich einem Vertrag Schutzwirkungen auch zugunsten jener Personen zu entfalten, deren Kontakt mit der (vertraglichen) Hauptleistung voraussehbar war und die der Interessenssphäre des (Vertrags-)Partners angehören (vgl RS0017195 [T6, T12]; RS0021557 [T2]; RS0037785 [T5, T45]), kann im Hinblick auf den Umfang der hier geschuldeten Sorgfaltspflichten der Beklagten dahin stehen. Im vorliegenden Fall bestehen nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich aus dem Grabnutzungsvertrag weitergehende Sorgfaltspflichten der Beklagten ergäben. Dass die Beklagte die ihr obliegenden Pflichten verletzt hat, indem sie keinerlei regelmäßigen Winterdienst durchführte, ergibt sich bereits aus der Beurteilung nach § 1319a ABGB.

[34]           3.1. Unter grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 1319a ABGB ist eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlicher Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist (RS0030171; vgl RS0030644).

[35]           3.2. Ein Friedhofsbetreiber muss damit rechnen, dass sich unter den Personen, die den Friedhof regelmäßig, das heißt unabhängig von Feiertagen und konkreten Anlässen, besuchen, ältere Personen befinden, die in ihrer Gangsicherheit gegenüber jüngeren Personen typischerweise eingeschränkt sind.

[36]           Das bewusste Belassen der Wege in einem vereisten und verschneiten Zustand, ohne jeden regelmäßigen Winterdienst, also ohne den Friedhofsbenutzern die Möglichkeit zu eröffnen, zumindest in regelmäßigen Abständen gefahrlos den Friedhof zu besuchen, wenn gleichzeitig mit dem Besuch des Friedhofs durch betagte Personen zu rechnen ist, lässt den Eintritt eines Schadens als geradezu wahrscheinlich erscheinen.

[37]           3.3. Im vorliegenden Fall ergibt sich daher die Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin bereits aus der Anwendung des § 1319a ABGB. Auf die Erwägungen des Berufungsgerichts, das Hinweisschild „Kein Winterdienst“ schließe die Haftung der Beklagten für leicht fahrlässig verursachte Schäden aus, muss daher nicht eingegangen werden.

[38]           4.1. Zutreffend haben die Vorinstanzen aber die „besondere Eigenverantwortung“ der Klägerin betont, die sich aus dem von der Beklagten angebrachten Hinweisschild sowie daraus ergibt, dass der Klägerin die Nichtdurchführung eines regelmäßigen Winterdienstes bekannt war. Die Klägerin hat, indem sie dennoch den Friedhof aufsuchte, eine Gefährdung ihrer körperlichen Integrität in Kauf genommen. Das führt hier jedoch nicht zum Entfall der Haftung der Beklagten.

[39]           4.2. Wenn sich jemand einer ihm bekannten oder zumindest erkennbaren Gefahr aussetzt, so handelt er auf eigene Gefahr (vgl RS0023006). Dabei ist zwischen dem echten und dem unechten Handeln auf eigene Gefahr zu unterscheiden. Ein echtes Handeln auf eigene Gefahr ist nur gegeben, wenn dem Gefährder keine Schutzpflichten gegenüber jenem obliegen, der die Gefahr kannte oder erkennen konnte, und dem daher eine Selbstsicherung zugemutet werden konnte (RS0023101). Beim echten Handeln auf eigene Gefahr ist aufgrund einer umfangreichen Interessenabwägung zu beurteilen, ob die Rechtswidrigkeit des Handelns des Gefährders entfällt (RS0023006 [T5]). Unechtes Handeln auf eigene Gefahr liegt dagegen dann vor, wenn den Gefährder Schutzpflichten gegenüber der sich selbst gefährdenden Person treffen. Bei Nichteinhaltung dieser Pflichten handelt der Gefährder rechtswidrig. Beim unechten Handeln auf eigene Gefahr ist Selbstgefährdung nur im Rahmen des Mitverschuldens zu prüfen (RS0023101 [T4]; 7 Ob 59/16a).

[40]           4.3. Wie ausgeführt, war die Beklagte gegenüber der Klägerin zur Einhaltung von Schutz- und Sorgfaltspflichten als Wegehalterin verpflichtet. Die grob schuldhafte Verletzung dieser Pflichten begründet ihre Haftung. Der Klägerin ist als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen, in Kenntnis der Witterungsverhältnisse und in dem Wissen, dass am Friedhof keine Schneeräumung oder Streuung stattfanden, den Friedhof aufgesucht zu haben. Dem Hinweisschild der Beklagten kommt hier insofern Bedeutung zu, als es jedem Friedhofsbesucher die besondere Gefahr, die sich daraus ergibt, dass über Tage hinweg keine Streuung oder sonstige Betreuung der Wege stattfindet, besonders vor Augen geführt wurde. Der Klägerin ist auch das Wissen zu unterstellen, dass eine vorsichtige Gehweise die Gefahr zu stürzen bei eisigen Verhältnissen zwar reduzieren, aber nicht zur Gänze ausschließen kann.

[41]           Bei dieser Sachlage erscheint die von der Klägerin selbst zugrunde gelegte Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 angemessen. Es ist daher daher das Urteil des Erstgerichts in seinem Punkt 1 (Zahlungsbegehren) wiederherzustellen.

[42]           5. Das Interesse auf Feststellung der Haftung für künftige Schäden setzt voraus, dass weitere Schäden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können (RS0038976 [T27, T41]). Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, dass bei Feststellungsbegehren über die Haftung für künftige Schäden kein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs gefällt werden darf, weil für die Bejahung des Anspruchsgrundes alle Anspruchsvoraussetzungen feststehen müssen, dann aber schon eine Endentscheidung über den Feststellungsanspruch gefällt werden kann (RS0039037; 6 Ob 187/05a).

[43]           Die Vorinstanzen haben zum Eintritt künftiger Unfallschäden keine Feststellungen getroffen. Das angefochtene Urteil ist daher im Umfang des Feststellungsbegehrens aufzuheben; das Erstgericht wird das Verfahren in diesem Sinn zu ergänzen haben.

[44]     6. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 393 Abs 4 ZPO und § 52 ZPO.

Textnummer

E130513

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:E130513

Im RIS seit

03.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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