TE OGH 2020/12/18 8ObA105/20d

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Veröffentlicht am 18.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 22.163,32 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2020, GZ 10 Ra 45/20s-19, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 20. Februar 2020, GZ 32 Cga 94/19f-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.700,40 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Der Kläger ist beim Bundesministerium für Landesverteidigung als Vertragsbediensteter beim Entminungsdienst tätig. Dem Entminungsdienst obliegt die Bergung, Untersuchung und notwendigenfalls Entschärfung von aufgefundenem Kriegsmaterial aus der Zeit vor dem Jahr 1955. Hauptdienststelle des Entminungsdienstes ist in Wien (Zuständigkeitsbereich: Wien, Niederösterreich, nördliches und mittleres Burgenland); Außenstellen befinden sich in Graz (Zuständigkeitsbereich: Steiermark, Kärnten, südliches Burgenland und Osttirol) und in Hörsching (Zuständigkeitsbereich: Oberösterreich, Salzburg, Nordtirol und Vorarlberg). Der Kläger befindet sich an 21 Wochen pro Jahr (je sieben Wochen in Wien, Hörsching und Graz) von Montag bis Freitag außerhalb seiner Normaldienstzeit (7:30 Uhr bis 15:30 Uhr) in einem angeordneten Bereitschaftsdienst. Dabei muss er, wenn er zu einem Einsatz gerufen wird, von dem von ihm gewählten Aufenthaltsort zunächst zum Dienstort anreisen, um von dort mit einem zweiten Bediensteten im Dienstfahrzeug zum Einsatzort zu fahren. Es gibt keine ausdrückliche Dienstanweisung, wie weit (räumlich oder zeitlich) von der zugeteilten Dienststelle man sich entfernen kann. Die faktische Dringlichkeit ergibt sich aus den Begleitumständen des jeweiligen Einsatzes und der zurückzulegenden Strecke zum jeweiligen Einsatzort.

[2]       Im Falle eines Einsatzes wird die Arbeit während der Bereitschaftszeit ab dem Erreichen der Dienststelle bis zur Rückkehr zur Dienststelle als Mehrdienstleistung abgegolten. Der Bereitschaftsdienst selber wird von der Beklagten als Rufbereitschaft iSd § 50 Abs 3 BDG (iVm § 20 VBG) abgegolten.

[3]       Der Kläger begehrte für seine Bereitschaftsdienste in Graz und in Hörsching von Juli 2016 bis Juni 2019 die Differenz zwischen der erfolgten Entlohnung als Rufbereitschaft (iSd § 50 Abs 3 BDG) und der von ihm begehrten Entlohnung als Dienststellenbereitschaft (iSd § 50 Abs 1 BDG) sowie die Feststellung einer Entlohnung der zukünftigen Bereitschaftsdienste in Graz oder Hörsching als Dienststellenbereitschaft.

[4]            Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Bei den Bereitschaftsdiensten des Klägers handle es sich um eine Rufbereitschaft und nicht um eine Dienststellenbereitschaft. Er müsse sich während der Bereitschaftsdienste an keinem bestimmten Ort aufhalten, und es gebe auch keine ausdrückliche Dienstanweisung, wie weit er sich von der zugeteilten Dienststelle entfernen dürfe. Aus der Sicht des Dienstgebers bestehe offensichtlich keine Notwendigkeit, ein kurzfristiges Eintreffen der in Bereitschaft stehenden Bediensteten an der jeweiligen Dienststelle durch Festlegung eines bestimmten Aufenthaltsorts oder -bereichs sicherzustellen. Dies sei auch insofern nachvollziehbar, als der Entminungsdienst nur für die Entschärfung von Kriegsrelikten und nicht für Sprengstoffgefährdung im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen zuständig sei, und bei diesen Einsätzen teilweise keine besondere Dringlichkeit vorliege (zB Auffinden einer Granate in einem Wald oder Feld; Abgabe einer alten Patrone bei der Polizei), teilweise auch infolge polizeilicher Sicherungsmaßnahmen (Umgebungssperren) ohnehin eine gewisse Vorlaufzeit bestehe. Jedenfalls verlange die Dienststellenbereitschaft iSd § 50 Abs 1 BDG die Vorgabe eines bestimmten Aufenthaltsorts oder zumindest eines bestimmten relativ engen Aufenthaltsbereichs, welche Voraussetzung hier nicht vorliege. Auch die Häufigkeit der Bereitschaftsdienste begründe das Klagebegehren nicht. Die Einschränkung, dass der Beamte nur fallweise zu Rufbereitschaften verpflichtet werden dürfe, finde sich nur in § 50 Abs 3 BDG, nicht aber in der Entlohnungsregelung des § 17b Abs 3 GehG. Eine mehr als fallweise erfolgte Einteilung zur Rufbereitschaft sei daher unzulässig, führe jedoch nicht zu einer Entschädigung dieser Bereitschaftszeiten als Dienststellenbereitschaft nach § 17b Abs 1 GehG. Ob die Rufbereitschaftseinteilung des Klägers über das nach § 50 Abs 3 BDG zulässige Ausmaß hinausgegangen sei, sei daher nicht entscheidungswesentlich.

[5]       Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil es – soweit überblickbar – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einem Anspruch eines Vertragsbediensteten auf eine Entschädigung für eine Dienststellenbereitschaft im Falle mehr als fallweise eingeteilter Rufbereitschaften gebe.

[6]            Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

[7]            1. Nach dem (hier iVm § 20 VBG sinngemäß zur Anwendung gelangenden) § 50 Abs 1 BDG kann der Beamte aus dienstlichen Gründen verpflichtet werden, sich außerhalb der im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden in einer Dienststelle oder an einem bestimmten anderen Ort aufzuhalten und bei Bedarf oder auf Anordnung seine dienstliche Tätigkeit aufzunehmen (Dienststellenbereitschaft, Journaldienst). § 50 Abs 3 BDG bestimmt, dass, soweit es dienstliche Rücksichten zwingend erfordern, der Beamte fallweise verpflichtet werden kann, in seiner dienstfreien Zeit seinen Aufenthalt so zu wählen, dass er jederzeit erreichbar und binnen kürzester Zeit zum Antritt seines Dienstes bereit ist (Rufbereitschaft). Rufbereitschaft gilt nicht als Dienstzeit.

[8]            § 17b GehG „Bereitschaftsentschädigung“ (hier iVm § 22 VBG) regelt die Abgeltung der Bereitschaftsdienste auszugsweise wie folgt:

„(1) Dem Beamten, der sich außerhalb der im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden auf Anordnung in einer Dienststelle oder an einem bestimmten anderen Ort aufzuhalten hat, um bei Bedarf auf der Stelle seine dienstliche Tätigkeit aufnehmen zu können, gebührt hiefür an Stelle der in den §§ 16 bis 17a bestimmten Nebengebühren eine Bereitschaftsentschädigung, bei deren Bemessung auf die Dauer der Bereitschaft Bedacht zu nehmen ist.

[...]

(3) Dem Beamten, der sich außerhalb der im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden erreichbar zu halten hat (Rufbereitschaft), gebührt hiefür an Stelle der in den §§ 16 bis 17a bestimmten Nebengebühren eine Bereitschaftsentschädigung, deren Höhe nach der Dauer der Bereitschaft zu bemessen ist.“

[9]            2.1 Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm gebühre für die angeordneten Bereitschaftsdienste in Graz und Hörsching anstelle einer Entschädigung für Rufbereitschaft nach § 17b Abs 3 GehG eine Bereitschaftsentschädigung nach § 17b Abs 1 GehG. Er argumentiert zunächst, dass nach dem festgestellten Sachverhalt eine eindeutige rechtliche Qualifikation der von ihm geleisteten Bereitschaftsdienste entweder als Dienststellenbereitschaft nach § 50 Abs 1 BDG oder als Rufbereitschaft nach § 50 Abs 3 BDG nicht möglich sei.

[10]           2.2 Der Oberste Gerichtshof hat zu 8 ObA 44/18f – im Anschluss an die Judikatur des VwGH – klargestellt, dass eine Anordnung nur dann einen Anspruch auf Entschädigung nach § 17b Abs 1 GehG begründet, wenn aus ihr zwei außerhalb der „Normdienstzeit“ zu erfüllende Verpflichtungen abzuleiten sind, nämlich die Verpflichtung zum Aufenthalt an einem bestimmten Ort, zu der die Verpflichtung hinzutreten muss, bei Bedarf auf der Stelle einen bestimmten Dienst aufzunehmen (Bereitschaftspflicht im engeren Sinn). Zwischen beiden Verpflichtungen bestehe ein Zusammenhang (VwGH 86/12/0054 = VwSlg 13444 A/1991). Eine Aufenthaltspflicht nach § 17b Abs 1 GehG diene („um zu“) dem Zweck, die Aufnahme des Dienstes auf der Stelle zu gewährleisten. Sie sei iSd § 17b Abs 1 GehG deswegen sofort möglich, weil der Bedienstete sich schon an dem vorgegebenen Ort befinde.

[11]           2.3 Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass nach den Feststellungen keine Dienststellenbereitschaft iSd § 50 Abs 1 BDG angeordnet wurde, ist nicht zu beanstanden: Der Kläger konnte seinen Aufenthalt während des Bereitschaftsdienstes frei wählen. Es gab keine ausdrückliche Dienstanweisung, wie weit er sich (räumlich oder zeitlich) von der zugeteilten Dienststelle entfernen kann. Demgemäß kommt eine Honorierung des Bereitschaftsdienstes nach § 17b Abs 1 GehG nicht in Betracht (siehe auch VwGH Ra 2020/12/0043 mwN).

[12]           3.1 Der Kläger argumentiert, er sei im Fall der Verrichtung von Bereitschaftsdienst an den Außendienststellen in Graz und Hörsching aufgrund der Distanz zu seinem Wohnort „quasi gezwungen“, seinen Aufenthalt in der Kaserne zu nehmen, weil jede Heimfahrt unter der Woche „unzweckmäßig, unerwünscht und unbezahlt“ sei.

[13]           3.2 In der bereits zitierten Entscheidung 8 ObA 44/18f hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass es sich bei einer (faktischen) räumlichen Beschränkung des Aufenthaltsorts des dortigen Klägers, die sich aus der Notwendigkeit ergab, seine Dienststelle während eines Bereitschaftsdienstes innerhalb von längstens eineinhalb Stunden erreichen zu können, was ihm bei einem Aufenthalt innerhalb von Wien, Niederösterreich oder einem Teil des Burgenlandes möglich gewesen wäre, ohne dass ihm zugleich ein bestimmter Aufenthaltsort vorgegeben worden wäre, nicht um einen „bestimmten anderen Ort“ iSd § 17b Abs 1 GehG handelt. Umso mehr muss das für den vorliegenden Fall gelten, in dem dem Kläger nicht einmal konkret vorgegeben wurde, innerhalb welcher Zeit er die Außendienststellen im Einsatzfall zu erreichen hat.

[14]           4.1 Letztlich führt der Kläger ins Treffen, dass Rufbereitschaften quantitativ limitiert seien. Von einer bloß fallweisen Verpflichtung könne aber bei der Vielzahl an im Voraus geplanten Bereitschaftsdiensten (21 Wochen im Jahr, davon 14 an den Außendienststellen) keine Rede sein. Wegen missbräuchlicher Verwendung des Instituts Rufbereitschaft stehe ihm eine Bereitschaftsentschädigung nach § 17b Abs 1 GehG zu.

[15]           4.2 Das Berufungsgericht hat dem Kläger entgegengehalten, dass auch eine allfällige Unzulässigkeit der angeordneten Rufbereitschaft nicht zu einer Entschädigung der Bereitschaftszeiten als Dienststellenbereitschaft führen würde.

[16]           Diese Beurteilung steht in Einklang mit den Ausführungen des VwGH in dem jüngst ergangenen Beschluss zu Ra 2020/12/0043, dem ein gleichgelagerter Sachverhalt („Entminungsdienst des österreichischen Bundesheeres“) ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis betreffend zugrunde lag und in dem der Beschwerdeführer mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung des jeweiligen Bereitschaftsdienstes mangels unmittelbarer gehaltsrechtlicher Konsequenzen auf ein dienstrechtliches Feststellungsverfahren verwiesen wurde.

[17]     Der Kläger vermag weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Grundlage für die von ihm behauptete Rechtsfolge (Abgeltung der angeordneten Rufbereitschaft als Dienststellenbereitschaft) zur Darstellung zu bringen.

[18]           5. Insgesamt gelingt es ihm daher nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, die die Revision zulässig machen würde, aufzuzeigen.

[19]           6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihrer Revisionsbeantwortung hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979 [T16]).

Textnummer

E130517

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00105.20D.1218.000

Im RIS seit

03.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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