TE OGH 2020/12/21 1Ob218/20w

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. DI Dr. J*****, 2. B*****, und 3. Dr. G*****, alle vertreten durch Dr. Paul Bauer und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. (FH) R*****, vertreten durch Dr. Nikola Tröthan, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen Unterlassung und Entfernung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. August 2020, GZ 4 R 80/20a-67, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 23. Februar 2020, GZ 41 Cg 73/19g-62, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Berufungsgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1]       Die Kläger begehrten als Eigentümer einer Liegenschaft mit ihrer Eigentumsfreiheitsklage, den beklagten Nachbarn schuldig zu erkennen, 1. jede Störung ihres Eigentums an ihrem Grundstück zu unterlassen und insbesondere 2. die in ihrem Grundstück befindliche Wasserleitung, 3. die im Grenzbereich vorhandene Regenwasserableitung laut einer Planskizze und 4. die an der Grundgrenze befindlichen Zaunfundamente zu entfernen. Sie bewerteten ihr Unterlassungsbegehren mit 12.000 EUR, und die drei Entfernungsbegehren (Wasserleitung, Regenabwasserleitung samt Schacht, Betonfundamente) mit jeweils 4.000 EUR.

[2]       Das Erstgericht wies die Begehren ab.

[3]       Mit der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung strebten die Kläger die Abänderung dahin, dass „dem Klagebegehren zur Gänze Folge gegeben werde“, an.

[4]       Das Berufungsgericht gab der Berufung aber (in der Hauptsache) nur teilweise Folge und bloß dem Begehren auf Entfernung der Wasserleitung statt; im Übrigen bestätigte es das Ersturteil. Obwohl es im Kopf der Entscheidung zum Streitgegenstand anführte „wegen Unterlassung (EUR 12.000,--) und Entfernung (Streitwert: 3 x je EUR 4.000,--), sprach es aus, dass „der Entscheidungsgegenstand“ 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die Revision nicht zulässig sei.

[5]       Über Antrag des Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit der Revision allein gegen den (abgeänderten) Ausspruch über seine Verpflichtung zur Entfernung der Wasserleitung änderte das Berufungsgericht den Unzulässigkeitsausspruch ab und erklärte die Revision nachträglich (doch) für zulässig. Nach Einlangen der Revisionsbeantwortung legte es die Akten dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

[6]       Eine Entscheidung über die Revision kommt (derzeit) nicht in Betracht, weil der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts der Klarstellung bedarf, welchen Wert es insbesondere dem Entscheidungsgegenstand des Revisionsverfahrens zuschreibt.

[7]       Eine gemeinsame Bewertung kommt nur bei iSd § 55 Abs 1 JN zusammenzurechnenden Begehren in Betracht. Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzusammenrechnung (vgl RIS-Justiz RS0110872 [T8]) anzusehen (RS0122950). Bei selbständigen Begehren bedarf es aber – weil die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand zu beurteilen ist (§ 55 Abs 4 JN) – einer gesonderten Bewertung. Es kann sonst die für jeden selbständigen Streitgegenstand gesondert vorzunehmende Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (RS0130936; RS0042642) nicht erfolgen.

[8]       Eine Zusammenrechnung kommt nach § 55 Abs 1 Z 1 JN nur in Frage, wenn die einzelnen Ansprüche – nach den Klageangaben (RS0042741 [insbes T7]) – in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen.

[9]       Ein tatsächlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn allen Ansprüchen derselbe Klagegrund zugrunde liegt und keiner der Ansprüche die Behauptung eines ergänzenden Sachverhalts – zumindest zum Grund des Anspruchs –erfordert (vgl RS0037899 [T3]). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037648). Ein innerer tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz verschiedenes rechtliches Schicksal haben kann (RS0037899). So stehen nach der Rechtsprechung etwa mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen stützen, nicht in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN (1 Ob 185/18i mwN).

[10]     Dass die Begehren auf Entfernung der hier in Rede stehenden Einbauten und Anlagen (Wasserleitung, Regenabwasserleitung samt Schacht, Zaunfundamente) in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang stünden, ist nicht erkennbar; sie können, wie gerade das vorliegende Verfahren zeigt, unterschiedliche rechtliche Schicksale haben.

[11]     Das Berufungsgericht, das offenbar eine gemeinsame Bewertung aller Begehren vorgenommen hat, wird daher die fehlende Einzelbewertung zumindest insoweit nachzuholen haben, als sie den noch verbliebenen Revisionsgegenstand betrifft. Sollte dessen Wert 5.000 EUR nicht übersteigen, wäre die Revision als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen (§ 502 Abs 2 ZPO), andernfalls neuerlich vorzulegen.

Textnummer

E130506

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00218.20W.1221.000

Im RIS seit

03.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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