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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §145;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. August 1996, Zl. SD 872/96, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. August 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer, der sich seit November 1992 in Österreich aufhalte, sei am 20. März 1996 vom Jugendgerichtshof Wien wegen Vergehens der Nötigung sowie wegen des Verbrechens der Vergewaltigung und des gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Demnach liege der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG vor. Das der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit im hohen Maße, sodaß vorliegend (auch) die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. In einem solchen Fall sei gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 19 und 20 FrG entgegenstünden.
Auf Grund der Tatsache, daß der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter und seiner Schwester lebe, sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessenungeachtet sei die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes auf Grund des Dringend-geboten-seins dieser Maßnahme zu bejahen. Angesichts der Schwere der der gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrunde liegenden Straftaten sowie der darin zum Ausdruck kommenden krassen Mißachtung der körperlichen Sicherheit und des Eigentums anderer Menschen sei das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch diesen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) als notwendig zu erachten.
Die vom Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht ändere daran nichts. Denn abgesehen davon, daß dieser Umstand keinesfalls - wie der Beschwerdeführer offenbar meine - Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers sein könne, habe die Behörde die Frage der Erforderlichkeit des Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen, ohne an die Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht veranlaßt hätten, die Strafe bedingt nachzusehen. Im Fall des Beschwerdeführers komme hinzu, daß dieser die Diebstähle nicht nur gewerbsmäßig, sondern vor allem während des bereits gegen ihn anhängigen Strafverfahrens begangen habe und somit schon allein aus diesem Grund eine Zukunftsprognose für ihn nicht positiv ausfallen könne.
Ebenso habe die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausschlagen müssen. Dabei sei einerseits zu bedenken gewesen, daß sich der Beschwerdeführer erst seit November 1992 in Österreich befinde und bislang jede begonnene Berufsausbildung abgebrochen habe, sodaß er sich nicht mit Erfolg auf einen hohen Grad seiner Integration berufen könne, andererseits darauf Bedacht zu nehmen gewesen, daß die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch die schwerwiegenden Straftaten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Hinzu komme, daß der Beschwerdeführer - wie der Jugendgerichtshof Wien in dem angesprochenen Urteil festgestellt habe - nach wie vor zu seinem in der Türkei lebenden Vater Kontakt habe.
Die belangte Behörde sei jedenfalls zur Auffassung gelangt, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer vorerst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluß vom 25. November 1996, B 3856/96, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragte der Beschwerdeführer, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, daß im Beschwerdefall der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Der Verwaltungsgerichtshof hegt auf der Grundlage der unbestritten gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen gegen diese rechtliche Beurteilung keine Bedenken. Gleiches gilt für die Auffassung der belangten Behörde, es sei im Hinblick auf das der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme (in Ansehung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt.
2.1. Die Beschwerde bekämpft die Beurteilung der belangten Behörde nach den Bestimmungen der §§ 19 und 20 FrG. Die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß der Mutter des Beschwerdeführers das alleinige Sorgerecht für ihn zukomme. Der Beschwerdeführer habe eine intensive Bindung zu Österreich, da er "ein Viertel seines bisherigen Lebens" in Österreich zugebracht habe. Er habe hier drei Klassen Hauptschule und den Polytechnischen Lehrgang besucht und anschließend eine "Schnupperlehre als Autospengler" absolviert. Weiters sei für den Beschwerdeführer - der, wie seine Straftaten bewiesen hätten, "noch eine gewisse psychische Labilität" aufweise - "besonders wichtig, ... im Umkreis der Familie" aufzuwachsen, um "ein ordentliches Mitglied einer demokratischen Gesellschaft zu werden"; die Verhängung des Aufenthaltsverbotes würde geradezu das Gegenteil bewirken. Der Jugendgerichtshof Wien habe im Rahmen des gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens bereits die zum Schutz der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele erforderlichen Maßnahmen gesetzt und sei dabei zur Auffassung gelangt, daß "eine 10-monatige bedingte Freiheitsstrafe" ausreiche, um den Schutz dieser Ziele zu sichern.
2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Die belangte Behörde hat zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers angenommen. Ebenfalls zutreffend kam sie aber zu dem Ergebnis, daß das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot im Lichte des § 19 FrG zulässig sei. Aus der Sicht des Gerichtshofes kann es nämlich nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde auf Grund des der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden wiederholten und gravierenden Fehlverhaltens gegen Rechtsgüter wie die körperliche Integrität von Personen und das Eigentum zu dem Ergebnis gelangt ist, daß das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen, dringend geboten sei. Der Beschwerdeeinwand, die (bedingte) gerichtliche Verurteilung reiche aus, um diesen Zielen gerecht zu werden, ist nicht zielführend. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Lichte des § 19 FrG dringend geboten sei, kommt es nicht auf den Umstand der gerichtlichen Verurteilung, sondern auf das vom Beschwerdeführer in Ansehung von im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zielen gesetzte Fehlverhalten an, wobei die belangte Behörde - was der angefochtene Bescheid zutreffend festhält - ihre diesbezügliche Beurteilung eigenständig aus der Sicht des Fremdengesetzes vorzunehmen hatte, ohne etwa an die Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht zur Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe veranlaßt haben (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0150).
Wenn die belangte Behörde im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG angenommen hat, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, so bestehen dagegen ebenfalls keine Bedenken. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers sind nämlich im Hinblick auf seinen Aufenthalt von bloß etwa 3 Jahren und 10 Monaten in Österreich, die - unbestritten gebliebene - Feststellung, daß er "bislang jede begonnene Berufsausbildung" abgebrochen habe, sowie auf die erhebliche Beeinträchtigung der für eine Integration wesentlichen sozialen Komponente durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht so stark ausgeprägt, daß sie als gewichtiger einzustufen wären als das besagte maßgebliche öffentliche Interesse. Auch wenn man zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt, daß seiner Mutter in Österreich das alleinige Sorgerecht für ihn zukommt, ändert dies nichts an dieser Beurteilung, da das Fehlverhalten des Beschwerdeführers als besonders schwerwiegend einzustufen ist und im Lichte des Aufenthaltsverbotes (erforderlichenfalls) eine andere Regelung getroffen werden kann (vgl. die bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, ersichtliche Darstellung der Rechtslage im Heimatstaat des Beschwerdeführers). Gleichfalls ohne Einfluß auf das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG ist auch die von der Beschwerde ins Treffen geführte "psychische Labilität" des Beschwerdeführers, weil dieser Umstand angesichts seines gravierenden Fehlverhaltens nicht gegen das Bestehen der genannten im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen spricht.
3. Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997180004.X00Im RIS seit
11.07.2001