TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/23 LVwG-VG-13/001-2020

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Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

LVergabenachprüfungsG NÖ 2003 §16 Abs1
BVergG 2018 §2 Z15
BVergG 2018 §141 Abs1 Z7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Vergabesenat 2 unter dem Vorsitz von HR Mag. Dr. Schwarzmann und HR Mag. Dr. Becksteiner und HR Mag. Marihart als weitere Berufsrichter sowie die fachkundigen Laienrichter DI Fröch (Auftragnehmerseite) und Mag. Spielhofer (Auftraggeberseite) über den Nachprüfungsantrag (Antrag auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung vom 16.09.2020 in Los 4) der Bietergemeinschaft bestehend aus A GmbH und B GmbH & Co KG (vertreten durch C Rechtsanwälte GmbH in ***, ***) im Vergabeverfahren „Implantate für Osteosynthese und Wirbelsäule“, Geschäftszahl: *** (öffentlicher Auftraggeber: NÖ Landesgesundheitsagentur, vormals: NÖ Landeskliniken-Holding, vertreten durch D Rechtsanwälte GmbH in ***, ***) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

1.   Der Antrag auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung des öffentlichen Auftraggebers in Los 4 vom 16.09.2020 betreffend das Angebot der Bietergemeinschaft bestehend aus A GmbH und B GmbH & Co KG wird abgewiesen.

2.   Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG

§§ 1, 4, 6, 10 und 16 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz

§§ 2, 141 Bundesvergabegesetz 2018 – BvergG 2018

§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG

Entscheidungsgründe:

Im Vergabeverfahren „Implantate für Osteosynthese und Wirbelsäule“, Geschäftszahl: ***, hat der öffentliche Auftraggeber mit Schriftsatz vom 16.09.2020 in Los 4 der Bietergemeinschaft bestehend aus A GmbH und B GmbH & Co KG mitgeteilt, dass ihr Angebot ausgeschieden werde.

Aufgrund dessen hat die genannte Bietergemeinschaft mit Schriftsatz vom 28.09.2020 nachfolgenden Nachprüfungsantrag beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eingebracht:

„1. Sachverhalt

1.1. Die Auftraggeberin führt derzeit ein Vergabeverfahren betreffend Rahmenverträge über „Implantate für Osteosynthese und Wirbelsäule“ durch. Die gemeinschaftsweite Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der europäischen Union zur Zahl *** vom 27. Jänner 2020 beschreibt den Leistungsgegenstand wie folgt: „Es werden Implantaten [sic!] für Osteosynthese und Wirbelsäule beschafft.“ Auf das Vergabeverfahren gelangen die Bestimmungen des BVergG 2018 zur Anwendung.

Als Verfahrensart wurde das offene Verfahren im Oberschwellenbereich nach vorheriger EU-weiter Bekanntmachung zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Unternehmen gemäß § 31 Abs. 2 und 7 BVergG 2018 idgF. mit anschließender elektronischer Auktion gemäß § 38 BVergG 2018 festgelegt. In den insgesamt 8 Losen erhält jeweils derjenige (verbleibende) Bieter den Zuschlag, dessen Angebot gemäß den bekannt gegebenen Zuschlagskriterien die höchste Punktezahl erhält.

Beweis:

EU-Bekanntmachung vom 27. Jänner 2020 (Anlage ./A);

Ausschreibungsunterlage (Anlage ./B);

beizuschaffender Vergabeakt;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

1.2. Für das gegenständliche Nachprüfungsverfahren ist ausschließlich Los 4 „Nagelversorgung Titan“ relevant. Los 4 umfasst die zu beschaffenden Produkte 11, 12a, 13 und 14, wie aus dem Screenshot der Tabelle unter Punkt 1.4.1. der Ausschreibungsunterlage ersichtlich ist:

Abbildung 1: Screenshot von Seite 6 der Ausschreibungsunterlage (Anlage ./B).

Beweis:

Ausschreibungsunterlage (Anlage ./B);

beizuschaffender Vergabeakt;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

Die Antragstellerin reichte fristgerecht und ausschreibungskonform bis 15. Mai 2020 ein Angebot in Los 4 ein, welches nach der elektronischen Auktion einen bewertungsrelevanten Gesamtpreis iHv. EUR *** aufwies.

Mit ihrem Angebot bot die Antragstellerin in Los 4 / Produkt 12a ein System bestehend aus einer Schraubenkomponente („*** U-Blade Schenkelhalsschraube“) und einer Klinge („U-Blade-Klinge“) an, welches sämtliche MUSS-Kriterien (insbesondere auch Nr. 12-a.2-15 und 12-a.2-16) erfüllt. Gleichzeitig wurden die dafür geforderten Nachweise (Operationsanleitungen) bereits mit dem Angebot übermittelt. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass der englische Begriff „Blade“ übersetzt „Klinge“ bedeutet.

Beweis:

Operationsanleitung „*** U-Blade Schenkelhalsschraube (OP-Technik)“

(Anlage ./C);

Operationsanleitung „*** Langer NagelR 1.5 und R2.0 (Anlage ./D);

Product Description Label für das angebotene *** System (Anlage ./E);

Ausgefülltes Leistungsverzeichnis (Anlage ./F);

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

1.3. Die Auftraggeberin teilte am 24. August 2020 den verbliebenen Bietern in Los 4 die Entscheidung über den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Los 4 mit, wonach nach Ablauf der Stillhaltefrist der Abschluss von Rahmenvereinbarungen mit folgendem Unternehmen geplant war: Mit der Antragstellerin als erstgereihter Bieterin war der Abschluss einer Rahmenvereinbarung über 65 % des Auftragsvolumens geplant; mit der E GmbH als zweitgereihter Bieterin war der Abschluss einer Rahmenvereinbarung über 35 % des Auftragsvolumens geplant.

Beweis:

Entscheidung über den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Los 4 vom

24.08.2020 (Anlage ./G);

beizuschaffender Vergabeakt;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

1.4. Die zweitgereihte E GmbH brachte am 3. September 2020 gegen diese Entscheidung einen Antrag auf Nichtigerklärung beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Zahl LVwG-VG-12/002-2020 ein. Gegen diesen Nachprüfungsantrag erhob die Antragstellerin fristgerecht am 14. September 2020 begründete Einwendungen gemäß § 8 Abs. 2 NÖ VNG.

Beweis: Verfahrensakt zur GZ LVwG-VG-12/002-2020.

1.5. Mit Schreiben vom 15. September 2020 teilte die Auftraggeberin mit, dass die Bekanntgabe der Entscheidung über den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Los 4 vom 24. August 2020 zurückgenommen werde.

Beweis:

Schreiben der Auftraggeberin vom 15. September 2020 (Anlage./H).

1.6. Mit Schreiben vom 16. September 2020 wurde der Antragstellerin die

anfechtungsgegenständliche Ausscheidensentscheidung in Los 4 bekanntgegeben. Begründet wurde diese im Wesentlichen damit, dass nach Ansicht der Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin die MUSS-Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16 nicht erfüllen würde, weil die von der Antragstellerin angebotene Nagelversorgung keine „Klinge“ enthalten würde.

Beweis:

Anfechtungsgegenständliche Ausscheidensentscheidung vom

16. September 2020 (Anlage ./I).

1.7. Das zu beschaffende Produkt 12a ist eine Nagelversorgung für den Oberschenkelhals. Die konkrete Bezeichnung im Leistungsverzeichnis lautet: „Proximale Femur - Nagelversorgung: anatomisch vorgeformter Nagel, statische und dynamische Verriegelungsmöglichkeit, Titan-Legierung“. Gemäß Punkt 12-a.2-15 und Punkt 12-a.2-16 des Leistungsverzeichnisses sind folgende MUSS-Kriterien nachzuweisen:

• „Die Schraubenkomponente und die Klinge sind durchbohrt und haben ein anatomisch laterales Design.“ (12-a.2-15)

• „Das System, bestehend aus einem anatomisch vorgeformten Nagel, Schrauben und Klinge, ist statisch und dynamisch verriegelbar.“ (12-a.2-16)

Beweis:

Ausgefülltes Leistungsverzeichnis (Anlage ./F);

beizuschaffender Vergabeakt;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

1.8. Mangels Verständigung geht die Antragstellerin als noch im Verfahren (mangels rechtskräftiger Ausscheidensentscheidung) verbliebene bzw. nicht berücksichtigte Bieterin davon aus, dass die Auftraggeberin bislang noch keine neuerliche Entscheidung über den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Los 4 bekanntgegeben hat.

Beweis:

Beizuschaffender Vergabeakt;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

2. Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes NÖ – Zulässigkeit der Anträge

2.1. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ist gemäß § 4 Abs. 1 NÖ Vergabe Nachprüfungsgesetz („NÖ VNG“) zur Durchführung des gegenständlichen Nachprüfungsverfahrens betreffend des Vergabeverfahrens der Auftraggeberin NÖ Landesgesundheitsagentur (vormals: NÖ Landeskliniken-Holding) zuständig. Auch in Punkt 1.3. der Ausschreibungsunterlage (Anlage ./B) wird das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich als zuständige Stelle „für allfällige Vergabekontrollverfahren“ angeführt.

2.2. Die Antragstellerin bekämpft die mit Schreiben der Auftraggeberin vom 16. September 2020 (elektronisch zugestellt am 16. September 2020) bekanntgegebene, gesondert anfechtbare Ausscheidensentscheidung („das Ausscheiden eines Angebotes“ gemäß § 2 Z 15 lit a sublit jj BVergG 2018).

2.3. Der Nachprüfungsantrag gegen die elektronisch bekanntgemachte angefochtene

Ausscheidensentscheidung wurde rechtzeitig innerhalb der 10-tägigen Anfechtungsfrist gemäß § 12 Abs. 1 NÖ VNG elektronisch eingebracht. Der 10. Tag ist ein Samstag, weshalb die Nachprüfungsfrist erst am Montag, dem 28. September 2020 abläuft.

2.4. Die Antragstellerin macht die Verletzung

• in ihrem Recht auf Unterbleiben des Ausscheidens,

• in ihrem Recht auf Verbleib im Vergabeverfahren,

• in ihrem Recht auf Gleichbehandlung und Transparenz im Vergabeverfahren und

gesetzeskonforme Interpretation der MUSS-Kriterien nach den §§ 914 und 915 ABGB,

• in ihrem Recht auf gesetzeskonforme, vollständige und transparente Angebotsprüfung (inkl. ausreichender Dokumentation),

• in ihrem Recht auf Unterbleiben einer einseitigen Angebotsprüfung und einer diskriminierenden Prüfung des Vorliegens der MUSS-Kriterien zugunsten des – wegen Nichterfüllung derselben MUSS-Kriterien auszuscheidenden – Angebotes der E GmbH, sowie

• in ihrem Recht auf gesetzeskonforme und nicht-diskriminierende Durchführung und

Beendigung des Vergabeverfahrens

geltend.

2.5. Da die Antragstellerin bei vergaberechtskonformer Bewertung ihres Angebotes (und des Angebotes der E GmbH) nicht ausgeschieden werden dürfte und in weiterer Folge den „Zuschlag“ erhalten müsste, droht ihr als Schaden gemäß § 6 Abs. 1 NÖ VNG, dass sie durch die behauptete Vergaberechtsverletzung keinen Auftrag (keine Abrufe aus der Rahmenvereinbarung) erhalten und keinen entsprechenden Gewinn aus dem Auftrag (aus den Abrufen der Rahmenvereinbarung) lukrieren könnte.

Ferner beabsichtigt die Antragstellerin, sich auch in Zukunft an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Durch den Nicht-Erhalt eines Referenzprojektes droht der Antragstellerin daher ein zusätzlicher Schaden zu entstehen, weil sie zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit Referenzprojekte, die von der öffentlichen Hand beauftragt worden sind, regelmäßig vorweisen können muss. Gerade dieser Schaden ist nur durch die Nichtigerklärung der rechtswidrigen Ausscheidensentscheidung zu verhindern.

2.6. Ihr Interesse am Vertragsabschluss gemäß § 6 Abs. 1 NÖ VNG hat die Antragstellerin bereits durch Legung eines ordnungsgemäßen Angebots, durch die Bekämpfung des Nachprüfungsantrages der E GmbH gegen die Bekanntgabe der Entscheidung über den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Los 4 vom 24. August 2020 sowie durch die Bekämpfung der anfechtungsgegenständlichen Ausscheidensentscheidung hinreichend dargetan.

2.7. Die Antragstellerin hat den Antrag durch Überweisung der Pauschalgebühr in der Höhe von EUR 1.600,- vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens am 24. September 2020 ordnungsgemäß vergebührt (vgl. dazu § 21 Abs. 1 NÖ VNG iVm § 1 Abs. 1 Z 12 NÖ Vergabe-Pauschalgebührenverordnung).

Beweis:

Überweisungsbeleg vom 24. September 2020 (Anlage ./J).

3. Zur Rechtswidrigkeit der Ausscheidensentscheidung

3.1. Zusammenfassung der Rechtswidrigkeit

Die angefochtene Ausscheidensentscheidung ist rechtswidrig, weil das Angebot der

Antragstellerin alle in den Ausschreibungsunterlagen für das Los 4 geforderten MUSS-Kriterien und insbesondere das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16) erfüllt. Insbesondere hat die Auftraggeberin weder in den Ausschreibungsunterlagen noch in den Fragebeantwortungen eine dahingehend weitergehende Einschränkung festgelegt, wonach etwa nur eine „Klinge, die kein Zusatzelement ist“ oder „eine nicht zylindrische Klinge“ gefordert gewesen wäre. Eine allenfalls undeutliche Festlegung in den MUSS-Kriterien geht nach den allgemeinen Auslegungsregeln aber insbesondere auch zur Sicherstellung eines ausreichenden Bieterwettbewerbs hier zu Lasten der Auftraggeberin.

Da das Erfüllen dieser MUSS-Kriterien gemäß den Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen durch Vorlage aussagekräftiger und eindeutiger Nachweise nachgewiesen wurde, ist das Angebot der Antragstellerin für Los 4 ausschreibungskonform und wäre folglich nicht gemäß § 141 Abs 1 Z 7 BVergG 2018 auszuscheiden gewesen.

3.2. Rechtliche Rahmenbedingungen für die Auslegung von MUSS-Kriterien

Nach ständiger Rechtsprechung sowie nach dem einschlägigen Schrifttum hat die Auslegung von Ausschreibungsbestimmungen (als rechtsgeschäftliche Erklärungen) auch im Vergaberecht nach den Regeln der §§ 914f ABGB zu erfolgen. Demnach haben der Verwaltungsgerichtshof und diesem folgend die Vergabekontrollbehörden und Gerichte wiederholt zur Auslegung von Ausschreibungsbestimmungen ausgesprochen, dass diese nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen sind (stRspr, ua VwGH 18.03.2015, Ra 2015/04/0017; VwGH 22.11.2011, 2006/04/0024; VwGH 01.07.2010, 2006/04/0139, mwN).

Die Bedeutung der Ausschreibung richtet sich demnach weder nach den Motiven des Auftraggebers noch danach, wie diese der Bieter subjektiv verstanden hat, sondern allein danach, wie der Text der Ausschreibung unter Berücksichtigung aller Umstände objektiv verstanden werden musste.

Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen (stRspr, ua VwGH 09.09.2015, Ra 2014/04/0036; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/04/0017; BVwG 12.03.2020, W139 2224102-2). Im Zusammenhang mit der gebotenen vergaberechtskonformen Interpretation ist auf Folgendes hinzuweisen: Nach Marktkenntnis der Antragstellerin (die durch das Ergebnis des Vergabeverfahrens bestätigt wird) ist sie – neben der E GmbH – die einzige Bieterin, welche die MUSS-Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16 für das Los 4 erfüllen kann. Würde man nun der – unzutreffenden – Rechtsansicht folgen und die Anforderung „und Klinge“ restriktiv interpretieren, käme für den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Los 4 von Anfang an nur die E GmbH in Betracht. Eine solche Auslegung wäre daher mit dem vergaberechtlichen Diskriminierungsverbot bzw. Wettbewerbsgrundsatz unvereinbar.

Für die Auslegung der verfahrensgegenständlichen MUSS-Kriterien folgt daraus, dass die Anforderung „und Klinge“ keinesfalls nachträglich so streng ausgelegt werden darf, dass dies eine dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz widersprechende und diskriminierende Einengung des Vergabewettbewerbs auf lediglich einen verbleibenden Bieter zur Folge hätte.

Schließlich ist für die Auslegung von MUSS-Kriterien im gegebenen Zusammenhang auch die Zweifelsregelung des § 915 letzter Halbsatz ABGB von besonderer Bedeutung: Demnach ist eine undeutliche Äußerung zum Nachtheile desjenigen auszulegen, der sich dieser Erklärungen bedient. Nach der Rechtsprechung der Vergabekontrollbehörden (statt vieler vgl. LVwG Wien 05.03.2015, VGW-123/061/33675/2014) ist diese Regelung auch auf undeutliche Ausschreibungsbedingungen anzuwenden, die daher im Zweifel zu Lasten des Auftraggebers auszulegen sind.

3.3. Mangelnde Festlegungen der Auftraggeberin zum Begriffsgehalt des MUSS-Kriteriums „und Klinge“ (Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16)

Für Produkt 12a sind gemäß Punkt 12-a.2-15 und Punkt 12-a.2-16 des Leistungsverzeichnisses folgende MUSS-Kriterien nachzuweisen:

• „Die Schraubenkomponente und die Klinge sind durchbohrt und haben ein anatomisch laterales Design.“ (12-a.2-15)

• „Das System, bestehend aus einem anatomisch vorgeformten Nagel, Schrauben und

Klinge, ist statisch und dynamisch verriegelbar.“ (12-a.2-16)

Weder in den Ausschreibungsunterlagen noch im Rahmen der Beantwortung der Bieterfragen legte die Auftraggeberin eindeutig fest, wie der Begriff „Klinge“ zu verstehen sei. Insbesondere traf die Auftraggeberin keine Festlegung dahingehend, dass dem Begriff „Klinge“ eine vom allgemeinen Sprachgebrauch bzw. vom medizinischen Sprachgebrauch abweichende, einschränkende Bedeutung zukomme.

Beweis:

Ausschreibungsunterlage (Anlage ./B);

beizuschaffender Vergabeakt;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

3.4. Durch Auslegung zu ermittelnder Begriffsgehalt des MUSS-Kriteriums „und Klinge“ (Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16)

Mangels Festlegungen der Auftraggeberin kann der Begriff „Klinge“ nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt nur dahingehend auszulegen sein, dass er dem allgemeinen Sprachgebrauch bzw. dem medizinischen Sprachgebrauch entspricht. Nach Branchenkenntnis der Antragstellerin besteht hinsichtlich des Begriffsgehalts von „Klinge“ keine Divergenz zwischen allgemeinem und medizinischem Sprachgebrauch:

Im allgemeinen und medizinischen Sprachgebrauch ist unter einer „Klinge“ ein flacher, geschliffener Teil eines zum Schneiden oder Stechen dienenden Werkzeugs oder Gerätes zu verstehen.

Beweis:

Screenshot von Duden Online zum Begriff „Klinge“ (Anlage ./K).

3.5. Antragstellerin erfüllt das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16)

Wie die Auftraggeberin in der anfechtungsgegenständlichen Ausscheidensentscheidung korrekt darstellt, hat die Antragstellerin für das in Los 4 ausgeschriebene Produkt 12a das „***“ Nagelsystem angeboten. Konkret hat die Antragstellerin als Produkt 12a neben en Komponenten „Proximaler Femurnagel“ und „Sonstiges Systemzubehör“ in der Komponente „Schenkelhalsschraube/Klinge“ Folgendes angeboten:

• „*** SHS Ø10.5X95MM L:70 - 130mm = gleicher Preis“

• „*** U BLADE SHS SET, TI DM10.5X95MM L:70 - 130mm = gleicher Preis“

Das Angebot der Antragstellerin erfüllt das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (MUSS-Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16), weil die angebotene „*** U-Blade Schenkelhalsschraube“ (im Angebot bezeichnet als „*** U BLADE SHS SET“) auch den Bestandteil „U-Blade-Klinge“ umfasst.

Unter einer „Klinge“ ist ein flacher geschliffener Teil eines Werkzeuges zu verstehen, mit dem man schneidet oder sticht, beides trifft auf die „U-Blade-Klinge“ zu: Bei ihrer Verwendung wird die „U-Blade-Klinge“ mit ihren scharfen Kanten an der Vorderseite über die Schenkelhalsschraube angebracht, indem sie in die beiden Führungen der Schraubenkomponente (Schenkelhalsschraube) vorgedrückt wird und dadurch mit ihren flach geschliffenen Kanten die noch ungebohrte Spongiosa (das Knochengewebe) stechend bzw. schneidend verdrängt.

Die „U-Blade-Klinge“ wird händisch soweit vorgedrückt, bis die Klinge stoppt, weil sie den Knochen erreicht hat (dies ist ca. 25 mm vor ihrer Endposition). Um die „U-Blade-Klinge“ in die Endposition zu bewegen, ist der „U-Blade-Klingeneindrücker“ erforderlich. Für diesen Vorgang ist ein höherer Kraftaufwand erforderlich, daher kann er nicht händisch durchgeführt werden. Durch mehrmaliges Drücken des „U-Blade-Klingeneindrücker“ wird die Kraft bereitgestellt, damit die flach geschliffenen Spitzen (bzw. die scharfen Kanten) der „U-Blade-Klinge“ schneidend bzw. stechend in den Knochen vordringen können. Beim Eindringen in den Knochen werden die Klingen aufgespreizt. Der Vorgang der „Insertion der *** U-Blade-Klinge“ wird detailliert auf den Seiten 10 – 14 der als Nachweis zum Angebot beigelegten Operationsanleitung „*** U-Blade Schenkelhalsschraube (OP-Technik)“ (Anlage ./C) dargestellt. Am proximalen Femur ist mit der Verwendung der „U-Blade-Klinge“ eine erhöhte Rotationsstabilität und ein Verdichtungseffekt der Spongiosa

verbunden. Das bedeutet vereinfacht dargestellt, dass durch die Kombination aus Schraube

und Klinge eine unerwünschte Rotation weitgehend ausgeschlossen werden kann.

Bereits mit dem Angebot legte die Antragstellerin zum Nachweis der Erfüllung der geforderten MUSS-Kriterien als Nachweis diese Operationsanleitung „*** U-Blade Schenkelhalsschraube (OP-Technik)“ (Anlage ./C) vor. Vor allem diese Operationsanleitung ist für die Bewertung der MUSS-Kriterien durch die Auftraggeberin maßgeblich. Auf Seite 4 dieses Produkthandbuches wird das „*** U-Blade Schenkelhalsschraubenset“ wie folgt beschrieben:

„Das *** U-Blade Schenkelhalsschraubenset besteht aus einer Kombination aus einer standardmäßigen Gamma Schenkelhalsschraube und einer sich aufspreizenden Klinge.

Diese sind für die Verwendung mit *** Trochanternägeln (Abb. 2) und langen *** Nägeln vorgesehen.

Das Insertionsverfahren der *** U-Blade Schenkelhalsschraube ähnelt dem der standardmäßigen *** Schenkelhalsschraube. Die Insertion der *** U-Blade-

Klinge in die *** U-Blade Schenkelhalsschraube erfolgt durch Vorschieben der Klinge in die beiden Führungen auf der Schenkelhalsschraube und vollständige Insertion ohne Einschlagen.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser)

Bereits aus dieser für den EU-Raum (v.a. Österreich) gültigen Operationsanleitung aber auch aus dem hier gültigen „Product Description Label“ für das angebotene „*** System“ (Anlage ./E) ist klar ersichtlich, dass das von der Antragstellerin für das Produkt 12a angebotene System auch eine Klinge umfasst.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Klingen-Eigenschaft der „U-Blade-Klinge“ auch in der medizinischen Fachliteratur anerkannt ist: In einem Fachartikel der Medizinischen Universität *** „Lang et al (2016)“ (Anlage ./L) wird ausdrücklich vorgebracht, dass die „*** U-Blade Schenkelhalsschraube“ aus einer Schraube und einer zusätzlichen Anti-Rotations-Klinge besteht:

„In 2008, the U-Blade lag screw was introduced to address previous mentioned problems, combining a screw with an additional antirotation blade.“ (Hervorhebung durch den Verfasser; siehe Anlage ./L, Seite 5, Absatz 2).

Angesichts der Tatsache, dass die Klingen-Eigenschaft der „U-Blade-Klinge“ auch von der medizinischen Fachliteratur nachweislich bestätigt wird, erweist sich die anfechtungsgegenständliche Ausscheidensentscheidung („Die in den Nachweisen erwähnte „U-Blade-Klinge“ ist keine Klinge […]“) als vergaberechtswidrig.

Beweis:

Operationsanleitung „*** U-Blade Schenkelhalsschraube (OP-Technik)“ (Anlage ./C);

Operationsanleitung „*** Langer NagelR 1.5 und R2.0 (Anlage ./D);

Product Description Label für das angebotene *** System (Anlage ./E);

Lang et al (2016) (Anlage ./L);

Bevollmächtigte sachkundige Person F p.A. A/B;

weitere Beweise ausdrücklich vorbehalten.

3.6. Ausscheidensentscheidung ist vergaberechtswidrig

Die Antragstellerin hat vergaberechtskonform und ausschreibungskonform mit dem Angebot beigelegten Produkthandbüchern den Nachweis erbracht, dass ihr Angebot das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16) erfüllt. Die Auftraggeberin traf keine spezifischen Festlegungen dahingehend, dass dem Begriff „Klinge“ in diesem Vergabeverfahren ein vom allgemeinen bzw. medizinischen Sprachgebrauch abweichender Begriffsgehalt zukomme. Darüber hinaus hegt auch die medizinische Fachliteratur keine Zweifel an der „Klingen-Eigenschaft“ der angebotenen „*** U-Blade Schenkelhalsschraube“; vielmehr werden die mit der „U-Blade-Klinge“ einhergehenden Vorteile in der Versorgung betont.

Allenfalls hat sich die Auftraggeberin mit dem Begriff „Klinge“ einer undeutlichen Formulierung bedient, die nicht nachträglich im Wege einer Ausscheidensentscheidung einschränkend ausgelegt werden darf. Die Auftraggeberin hat sich einer nicht näher bestimmten Formulierung bedient, deren Begriffsgehalt sich auch nach der für Ausschreibungsunterlagen gebotenen Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt. Folglich sind die undeutlichen Ausschreibungsbedingungen im Zweifel zu Lasten der Auftraggeberin auszulegen, was gegenständlich bedeutet, dass das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (Kriterien

12-a.2-15 und 12-a.2-16) tendenziell weiter auszulegen, jedoch keinesfalls restriktiv

auszulegen ist.

Daher ist die anfechtungsgegenständliche Ausscheidensentscheidung vergaberechtswidrig, weil das ausschreibungskonforme Angebot der Antragstellerin nicht gemäß § 141 Abs. 1 Z 7 BVergG 2018 auszuscheiden gewesen wäre.

3.7. Angebot der E GmbH wäre auszuscheiden gewesen

Lediglich der Vollständigkeit halber weißt die Antragstellerin darauf hin, dass das Angebot der Bieterin E GmbH die MUSS-Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16 nicht erfüllt.

Bereits aus dem Vorbringen im 1. Nachprüfungsverfahren (Punkt 8.2.2 und 8.2.3 des Nachprüfungsantrages) erschließt sich, dass die E GmbH lediglich ein System angeboten hat, bei welchem entweder eine Schraube oder eine Klinge implantiert wird. Das von der der E GmbH angebotene System besteht daher aus Schraube oder Klinge, jedoch nicht wie gefordert aus Schraube und Klinge.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die von E GmbH angebotene „TFNA Helix-Klinge“ nicht als Klinge, sondern vielmehr als eine

Schraube zu qualifizieren ist: Wie aus den grafischen Darstellungen in Punkt 8.2.2. und 8.2.3. des Nachprüfungsantrag der E GmbH sowie aus der vorstehenden Abbildung 3 eindeutig ersichtlich ist, handelt es sich der angebotenen „TFNA Helix-Klinge“ tatsächlich um eine Schraube mit einem spiralförmigen Gewinde, welches eine hohe Steigung aufweist. Wenn daher eine restriktive Auslegung des MUSS-Kriteriums „und Klinge“ rechtlich geboten wäre, hätte die Auftraggeberin daher nur das Angebot der einzigen verbliebenen Mitbewerberin ausscheiden müssen.

4. Anträge

 

Aus den dargelegten Gründen werden gestellt die

ANTRÄGE,

das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich möge

• nach möglichst zeitnaher Verständigung der Auftraggeberin vom Eingang des Nachprüfungsantrages ein Nachprüfungsverfahren einleiten und eine mündliche Verhandlung durchführen;

• die angefochtene Ausscheidensentscheidung vom 16. September 2020 für nichtig erklären;

• die Auftraggeberin gemäß § 21 Abs. 8 NÖ VNG dazu verpflichten, die von der Antragstellerin gemäß § 21 Abs. 1 NÖ VNG entrichteten Pauschalgebühren zu ersetzen;

• der Antragstellerin Akteneinsicht in sämtliche Bestandteile des Vergabeaktes gewähren;

• die Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der Antragstellerin sicherstellen und allfälligen weiteren Parteien dieses Nachprüfungsverfahrens (Bieter, die begründete Einwendungen gegen diesen Nachprüfungsantrag erheben) insbesondere keine Produktunterlagen und keine sonstigen Unterlagen zum Angebot der Antragstellerin übermitteln. Dies trifft insbesondere auch auf die Ausführungen in diesem Nachprüfungsantrag und sämtliche eingereichten produktbezogenen Anlagen zu, da bei einer Übermittlung dieser (ungeschwärzten) Eingabe bzw. der angeschlossenen Anlagen an allfällige weitere Parteien dieses Nachprüfungsverfahrens Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Antragstellerin verletzt würden;

• die Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der Antragstellerin auch im Falle der Gewährung von Akteneinsicht an allfällige weitere Parteien dieses Nachprüfungsverfahrens im selben Maße sicherstellen und allfälligen weiteren Parteien dieses Nachprüfungsverfahrens insbesondere keine Einsicht in Dokumente gewähren, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Antragstellerin beinhalten könnten.“

Nach Zustellung des Nachprüfungsantrages an den öffentlichen Auftraggeber hat dieser durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 08.10.2020 wie folgt Stellung genommen:

„1. Nicht Erfüllung des MUSS-Kriterium 12-a.2-16

Das Muss-Kriterium 12-a.2-16 lautet: „Das System, bestehend aus einem anatomisch vorgeformten Nagel, Schrauben und Klinge, ist statisch und dynamisch verriege/bar.“

Das System muss demnach zwingend über eine Klinge verfügen.

Die Antragstellerin hat die „***“-Naqelversorqunq“ angeboten und im Leistungsverzeichnis Nachweise angegeben, anhand derer die Erfüllung der Muss-Kriterien zu überprüfen war. Zum Nachweis für diese Muss-Kriterien wird auf – Seite 4 des Dokuments „***—ST-3 DE Rev 2 *** Long Nail R1.5 and R2.0 Op-Tech_WEß“ und - auf das Dokument „***-ST-2 DE Rev 0 ***_RC-OpTech“ verwiesen.

Nach Prüfung dieser Nachweise kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass das „***“-Nagelsystem“ über keine Klinge verfügt.

Die in den Nachweisen erwähnte „*** U-Blade-Klinge“ ist keine Klinge, sondern eine Vorrichtung, die auf die U-Blade-Schenkelhalsschraube entlang der Nuten (Führungen) als Zusatzelement aufgesteckt wird, wie die Antragstellerin selbst ausführt. Man kann sich die Funktion vorstellen, wie die eines Spreizdübels.

Die Antragstellerin selbst bewirbt diese Komponente in der Fachpublikation ***, dem ***, Ausgabe ***, als „Klingenschraube“ und damit im Wesentlichen als eine Schraube, keine Klinge.

Beweis: - ***, Anzeige auf Seite 4 Beilage ./20

Auch aus dem von der Antragstellerin vorgelegten medizinischen Artikel Lang et al (Anlage ./L) geht hervor, dass die „U-Blade (RC) lag screw“ im Vergleich zur „standard lag screw“ unter die Kategorie Schrauben (lag screw = Zugschraube) fällt und nicht unter die Kategorie Klinge (blade = Klinge). Immerhin wird sie „U-Blade (RC) lag screw“ genannt und stellt damit eine Spezialschraube dar. Die gesamte Studie untersucht ihre Verwendung im Verhältnis zu einer Standardschraube (siehe Seite 2, Patients and methods, zweiter Absatz).

Beweis: - medizinischen Artikel Lang et al Beilage ./L des Nachprüfungsantrags

Allein der Name „*** U-Blade-Klinge“ macht aus dieser Komponente keine Klinge. Es handelt sich um einen registrierten Produktnamen, der jedoch das „Wesen des Produkts“ nicht bestimmt, das keine Klinge im eigentlichen Sinne darstellt, sondern nur ein zusätzliches Feature zu einer Schraubenversorgung. Im Englischen wird dieselbe Vorrichtung „U-Clip“ genannt, was der Funktion des Produkts eher entspricht als die Bezeichnung „U-Blade-Klinge“.

Beweis: - Screenshot der Webseite Beilage ./21

***

Der Auftraggeber wollte unzweideutig ein System, welches aus dem Nagel (dem Hauptimplantat) und aus Schrauben und Klingen besteht.

Ein Operateur, der ein Nagelimplantat verwendet, nimmt je nach Erfahrung und persönlicher Präferenz entweder eine Klinge, die er einschlagen kann oder eine Schraube zum Eindrehen. Wenn daher ein System, bestehend aus einem anatomisch vorgeformten Nagel, Schrauben und Klinge verlangt wird - wie in gegenständlicher Ausschreibung - dann muss der Operateur Schrauben und Klingen zur Verfügung haben, die er wahlweise verwenden kann.

Von der Antragstellerin wurden ein Nagel und eine dazugehörige Schraube mit einer extra Vorrichtung in Form eines U-Clips angeboten, welche zur Erhöhung der Rotationsstabilität auf die Schraube gesteckt und dann aufgespreizt wird. Die Tatsache, dass dieses Teil scharfe Kanten hat macht daraus keine Klinge.

Das U-Clip der Antragstellerin ist keine Klinge, sondern eine Ergänzung zur Schraube (so geht es auch aus dem gelb hervorgehobenem Text in der Anlage ./L zum Nachprüfungsantrag hervor). Diese Ergänzung zur Schraube erfüllt daher nicht die Anforderungen an eine Klinge.

Der Aufraggeber hätte - hätte er das gewollt - nicht „Nagel, Schrauben und Klinge“ ausgeschrieben, sondern einen „Nagel samt Schraube mit Antirotationssystem“ oder ähnliches.

Wenn man die Produkte anderer Anbieter ansieht, sieht man deutlich, was unter einer Klinge (im Gegensatz zu einer Schraube) zu verstehen ist, die bei einer Nagelversorgung zum Einsatz kommt:

Die Klinge für einen proximalen Femurnagel von K stellt 25 das dar, was sich der Auftraggeber unter eine Klinge vorstellt, siehe das Bild in Beilage ./22.

Beweis: - Screenshot der Webseite ***- Beilage ./22

***

Auch zum Gleitnagel von G für Femurschaftfrakturen gibt es eine solche Klinge, wie da Bild in Beilage ./22 zeigt.

Beweis: - Screenshot der Webseite *** Beilage ./23

***

Nicht zuletzt ist auch die Klinge des verbleibenden Bieters in Los 4 eine Klinge wie sie in der Ausschreibung verlangt war.

Beweis: - Produkthandbuch von E zu Beilage ./24

***, Seite 9

Aus diesen Produktvergleichen geht hervor, dass die von der Antragstellerin angebotene Spezialschraube bzw das U-Clip für den Proximalen Femurnagel im Produkt 12a nicht die Anforderung erfüllt, die in den genannten Muss-Kriterien nach dem allgemeinen Verständnis für eine Klinge im medizinischen Sprachgebrauch zum Ausdruck kommt.

Beweis: - Parteieneinvernahme:

H, ***

Leiter Klinische Abteilung für Unfallchirurgie

p.A. Universitätsklinikum ***

- Parteieneinvernahme:

I.

Vorstand der Abteilung für Unfallchirurgie

p.A. Landesklinikum ***

Es trifft auch nicht zu, dass die Auslegung für den Begriff „Klinge“ - wie vom Auftraggeber verstanden und wie oben beschrieben - unsachlicherweise markteinschränkend wäre. In der vom Auftraggeber durchgeführten Markterkundung haben zumindest zwei weitere Unternehmen angegeben, über ein Produkt mit den geforderten Merkmalen zu verfügen. Vielmehr wäre eine Auslegung für den Begriff „Klinge“ iS der von der Antragstellerin geltend gemachten U-BIade-Klinge markteinschränkend.

Im Übrigen könnte selbst im Falle eines diskriminierenden Kriteriums (welches jedoch bestritten wird) dem Vorbringen der Antragstellerin nicht gefolgt werden, da die Ausschreibungsunterlagen nicht angefochten und bereits bestandfest geworden sind.

2. Nicht Erfüllung des MUSS-Kriterium 12-a.2-15

Das Muss-Kriterium 12-a.2-15 lautet: „Die Schraubenkomponente und die Klinge sind durchbohrt und haben ein anatomisch laterales Design.“

Die von der Antragstellerin angebotene „*** U-BIade-Klinge“ ist nicht durchbohrt und erfüllt damit auch nicht das Muss-Kriterium 12-a.2-15, welches verlangt, dass Schraube und Klinge durchbohrt sind.

Unter einer durchbohrten Klinge versteht man eine der Länge nach durchbohrte Klinge. Das hat den Zweck, die Klinge über einen Führungsdraht genau an den Platz setzen zu können, der vom Operateur gewählt wurde.

Die Klinge läuft sozusagen über den vorab eingeführten Führungsdraht entlang an die ihr zugewiesenen Stelle.

Aus diesem Kriterium wird in Ergänzung zum oben angeführten Kriterium 12a.2-16 ersichtlich, was unter einer Klinge gemeint ist. Sowohl die Klinge als auch die Schraubenkomponente müssen durchbohrt sein und daher vom Operateur wahlweise verwendet und jeweils über einen Führungsdraht eingeführt werden können.

Das von der Antragstellerin angebotene „U-Clip“ erfüllt dieses Kriterium nicht. Es mag ein wirksames Tool sein, um eine Schraube - wie mit einer Art Spreizdübel - zu fixieren. Es stellt aber keine Klinge dar, wie sie in der Ausschreibung gefordert war. Das Angebot in Los 4 war daher richtigerweise mangels Erfüllung der Muss-Kriterien auszuscheiden.

3. Anträge

Da, wie sich aus den oben angeführten Gründen ergibt, die Anträge inhaltlich nicht zutreffen, stellt der Auftraggeber den

ANTRAG,

das LVWG NÖ möge die Anträge der Antragstellerin im Nachprüfungsantrag vom 28.9.2020 zur Gänze ab- bzw. zurückweisen.“

In Vorbereitung auf die öffentliche mündliche Verhandlung hat die antragstellende Bietergemeinschaft eine replizierende Stellungnahme mit Datum 11.11.2020 wie folgt eingebracht:

„1. Auch eine „Spreizklinge“ ist eine „Klinge“

Entgegen dem Vorbringen der Auftraggeberin erfüllt das Angebot der Antragstellerin das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (MUSS-Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16), weil das angebotene System (das „U-Blade Schenkelhalsschraubenset“) auch eine Klinge (die „U-Blade-Klinge“) umfasst. Für Produkt 12a ist gemäß Punkt 12-a.2-16 des Leistungsverzeichnisses nur folgendes MUSS-Kriterium zu erfüllen:

„Das System, bestehend aus einem anatomisch vorgeformten Nagel, Schrauben und

Klinge, ist statisch und dynamisch verriegelbar.“ (12-a.2-16)“

Entsprechend dieser Festlegung hat die Antragstellerin ein System angeboten, welches als Kombination einer Schraube und einer Klinge sämtliche MUSS-Anforderungen erfüllt. Die Behauptung, die angebotene „*** U-Blade-Klinge“ wäre keine „Klinge“ ist mit den Festlegungen der Ausschreibungsunterlagen nicht vereinbar, da ihr konkreter normativer Bedeutungsgehalt nach den – bereits im Nachprüfungsantrag dargestellten – Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln ist.

Die Auftraggeberin traf weder in den Ausschreibungsunterlagen noch im Rahmen der Beantwortung der Bieterfragen eine konkretisierende Festlegung, wie der Begriff „Klinge“ zu verstehen sei. Insbesondere traf die Auftraggeberin keine Festlegung dahingehend, dass dem Begriff „Klinge“ eine vom allgemeinen Sprachgebrauch bzw. vom medizinischen Sprachgebrauch abweichende, einschränkende Bedeutung zukomme.

Der Begriff „Klinge“ kann nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Medizinproduktehändler bzw. -hersteller bei Anwendung der üblichen Sorgfalt nur dahingehend auszulegen sein, dass er dem allgemeinen Sprachgebrauch bzw. dem medizinischen Sprachgebrauch entspricht. Mangels einer anerkannten medizinischen Definition ist sowohl im allgemeinem als auch im medizinischen Sprachgebrauch unter einer „Klinge“ ein flacher, geschliffener Teil eines zum Schneiden oder Stechen dienenden Werkzeugs oder Gerätes zu verstehen.

Die angebotene „U-Blade-Klinge“ ist eine u-förmige und wahlweise verwendbare Komponente des „U-Blade Schenkelhalsschraubensets“, mit welcher der Nagel (das Hauptimplantat) fixiert wird. Die angebotene „U-Blade-Klinge“ besteht aus einem durchbohrten Anschlussteil und zwei länglichen Bauteilen mit scharfen Kanten auf der Vorderseite. Diese scharfen Kanten fungieren als Klinge: Die „U-Blade-Klinge“ wird in den beiden seitlichen Führungen der Schraubenkomponente vorgedrückt und schneidet bzw. sticht dabei mit ihren flach geschliffenen Kanten durch die noch ungebohrte Spongiosa (dies ist ein „schwammartiges“ Knochengewebe innerhalb der Knochenwände). Die „U-Blade-Klinge“ wird händisch soweit vorgedrückt, bis die harte Knochenwand erreicht wird.

Um die „U-Blade-Klinge“ in die aufgespreizte Endposition im Knochen zu bewegen, wird ein „U-Blade-Klingeneindrücker“ verwendet, der die notwendige Kraft für diesen Vorgang bereitstellt. Die flach geschliffenen Spitzen (bzw. die scharfen Kanten) der „U-Blade-Klinge“ dringen dabei beim Einschlagen schneidend bzw. stechend in aufspreizender Form in den Knochen vor. Es handelt sich daher um eine „Spreizklinge“ und entgegen dem Vorbringen der Auftraggeberin keinesfalls um einen „Spreizdübel“ (ein solcher verdrängt Material, schneidet aber nicht).

Die Antragstellerin hat dem Angebot als Nachweis der Erfüllung des gegenständlichen MUSS-Kriteriums das gesamte Dokument „***-ST-3 DE Rev 0 ***_RC-OpTech“ (Operationsanleitung *** U-Blade Schenkelhalsschraube; Anlage ./C des Nachprüfungsantrages) beigelegt. In diesem Dokument wird auf den Seiten 10-14 der vorstehend vereinfacht dargestellte Vorgang der Einführung der „U-Blade-Klinge“ detailliert dargestellt. Die Antragstellerin hat somit vergaberechtskonform und ausschreibungskonform mit den dem Angebot beigelegten Operationsanleitungen den Nachweis erbracht, dass ihr Angebot das MUSS-Kriterium „und Klinge“ (Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16) erfüllt. Auch bei einer „Spreizklinge“ handelt es sich mangels einer restriktiveren Festlegung der Auftraggeberin um eine „Klinge“.

Beweis:

Kurzgutachten von J, *** und Ehrenmitglied der *** (Anlage ./M);

Meeting *** vom Oktober 2017 (Anlage ./N);

bereits als Anlage ./C vorgelegte Operationsanleitung;

Produktpräsentation in der mündlichen Verhandlung

2. Fachliteratur und Homepage belegen Kombination aus Schraube „und Klinge“

Die Auftraggeberin versucht auf Seite 2 ihrer Stellungnahme ihr Vorbringen auf verschiedene Bezeichnungen des von Antragstellerin angebotenen Systems (das „U-Blade Schenkelhalsschraubenset“) in unterschiedlichen Kontexten zu stützen.

Die vorgebrachte Bezeichnung des „U-Blade Schenkelhalsschraubensets“ als „Klingenschraube“ (Beilage ./20 der Stellungnahme) in einer medizinischen Fachzeitschrift („Fachpublikation ***“) stellt lediglich eine als Marketingmaßnahme gewählte Bezeichnung dar, aus der selbst beide Elemente dieser Kombination hervorgehen. Klarstellend wird hier darauf hingewiesen, dass es sich um ein System „bestehend aus einem anatomisch geformten Nagel, Schrauben und Klinge“ handelt. Diese Bezeichnung streicht daher vielmehr die Klingeneigenschaft der „U-Blade Klinge“ hervor. Diese Bezeichnung ändert nichts an der Tatsache, dass das angebotene Produkt aus einer innovativen Kombination besteht, und zwar – neben dem Knochennagel – aus (i.) aus einer Klinge („U-Blade Klinge“) und (ii.) aus einer Schraube („U-Blade Schenkelhalsschraube“).

Die Auftraggeberin bringt weiters unter Verweis auf nicht mehr aktuelle US-Website von *** vor, dass die „U-Blade Klinge“ im Englischen „U-Clip“ genannt werde.

Abgesehen davon, dass die Bezeichnung auf Websites für amerikanische Märkte völlig unerheblich für das gegenständliche Vergabeverfahren ist und dass ausschließlich die als Nachweise eingereichten Operationsanleitungen maßgeblich sind, ist dazu folgendes festzuhalten: Die US-Website von *** (***) unterliegt anderen Regularien und Freigabeprozessen als die jeweiligen Websites für die EU-Länder (worauf auch ein Disclaimer beim ersten Zugriff auf die Seite hinweist). Aus diesen Gründen können spezifische Ausdrücke (wie etwa von spezifischen Produktbestandteilen) den lokalen Märkten angepasst sein bzw. international nicht einheitlich sein. Die kurzzeitig am amerikanischen Markt verwendete Bezeichnung ist schlichtweg darauf zurückzuführen, dass der Begriff „Klinge“ am amerikanischen Markt erheblich negativ besetzt ist.

Es ist jedoch hervorzuheben, dass auf der US-Website von *** (genau unter dem als Screenshot in der Beilage ./21 der Stellungnahme angeführten Link) die aktuelle Produktinformation (Operationsanleitung mit Stand 2020) öffentlich verfügbar ist, in der das gesamte System eindeutig als „*** U-Blade lag screw“ und die darin enthaltene Klinge als „U-Blade“ bezeichnet werden.

Die Auftraggeberin versucht unter Bezugnahme auf den medizinischen Fachartikel „***“ (Beilage ./L des Nachprüfungsantrages) zu argumentieren, dass das von der Antragstellerin angebotene „U-Blade Schenkelhalsschraubenset“ nicht unter die Kategorie „Klinge“, sondern unter die Kategorie „Schraube“ fallen würde. Auch hier übersieht die Auftraggeberin, dass das „U-Blade Schenkelhalsschraubenset“ – wie in den verfahrensgegenständlichen MUSS-Kriterien gefordert – als ein „Set“ sowohl eine Schraube („U-Blade Schenkelhalsschraube“) als auch eine Klinge („U-Blade Klinge“) enthält.

Beweis:

Kurzgutachten von J, *** und Ehrenmitglied der *** (Anlage ./M);

Meeting *** vom Oktober 2017 (Anlage ./N);

wie bisher.

3. Nachträglich gewünschte Interpretation widerspricht Auslegungsregeln und Wettbewerbsgrundsatz

In der Stellungnahme der Auftraggeberin vom 8. Oktober 2020 wird vorgebracht, dass aus dem MUSS-Kriterium 12-a.2-16 hervorgehe, dass die Auftraggeberin „unzweideutig“ ein System wollte, „welches aus dem Nagel (dem Hauptimplantat) und aus Schrauben und Klingen besteht.“ In der weiteren Argumentation versucht die Auftraggeberin darzulegen, dass das MUSS-Kriterium 12-a.2-16 so verstanden werden musste, dass ein System angeboten werden musste, dass zusätzlich zum Nagel (dem Hauptimplantat) für den Operateur je nach Erfahrung und persönlicher Präferenz die alternative Versorgungsmöglichkeiten Schraube oder Klinge ermögliche. Dies, obwohl im MUSS-Kriterium 12-a.2-16 ausdrücklich von einem System mit „Schrauben und Klinge“, nicht aber von „Schrauben oder Klinge“ die Rede ist.

Offenbar wurde die nunmehr nachträglich „gewünschte“ Auslegung in der Ausschreibung aufgrund des wettbewerbsbeschränkenden Effektes so nicht festgelegt. Entscheidend ist, dass sich die nunmehr gebotene Auslegung der Ausschreibungsunterlagen – und somit auch der verbindlich festgelegten MUSS-Kriterien – nicht nach den Motiven der Auftraggeberin, sondern allein danach richtet, wie der Wortlaut in den Ausschreibungsunterlagen unter Berücksichtigung aller Umstände von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter objektiv verstanden werden musste. Ausgehend vom Wortlaut der MUSS-Kriterien spielt gerade in vorliegender Fallkonstellation das Gebot einer vergaberechtskonformen Interpretation eine besondere Rolle. MUSS-Kriterien dürfen daher nicht so eng ausgelegt werden, dass sie im Ergebnis einen wirksamen Bieterwettbewerb verhindern und auf einen (verbleibenden) Bieter zugeschnitten sind. Gerade dies wäre jedoch – wie das laufende Vergabeverfahren in Los 4 eindrucksvoll belegt – bei einer restriktiven Interpretation der Anforderung „und Klinge“ der Fall, zumal nur noch ein Bieter für den Abschluss der Rahmenvereinbarung in Betracht käme.

Der objektive Erklärungswert der Festlegung („Das System, bestehend aus einem anatomisch vorgeformten Nagel, Schrauben und Klinge, […]“) liegt schlicht darin, dass das angebotene System aus allen drei Komponenten (i.) anatomisch vorgeformter Nagel, (ii.) Schrauben und (iii.) Klinge bestehen muss. In welchem Verhältnis diese Komponenten zueinanderstehen müssen, wurde jedoch nicht festgelegt. Insbesondere wurde keine Festlegung getroffen, dass der Nagel alternativ mit einer Schraube oder eine Klinge fixiert werden können muss oder dass eine Klinge kein Zusatzelement für eine Schraubenversorgung darstellen dürfe. Eine solche – einschränkende – Interpretation lässt sich aus dem Wortlaut nicht ableiten; vielmehr hätte eine solche weitergehende Einschränkung ausdrücklich in den Ausschreibungsunterlagen festgelegt werden müssen.

Das Abstellen auf das Motiv der Auftraggeberin („wollte“) impliziert bereits, dass in den Ausschreibungsunterlagen nicht das verbindlich festgelegt wurde, was die Auftraggeberin nachträglich im Nachprüfungsverfahren gerne festgelegt hätte. Die – wohl erst im Zuge der Nachprüfungsverfahren kommunizierte – auftraggeberseitige Präferenz, bei der Nagelversorgung eines Oberschenkelhalsknochens zur Fixierung des Nagels frei zwischen Schrauben und Klingen wählen zu können, wurde bei der Festlegung der MUSS-Kriterien offensichtlich nicht berücksichtigt. Die Bedeutung von Ausschreibungsunterlagen richtet sich aber nach ständiger Rechtsprechung nicht nach den Motiven des Auftraggebers; schon gar nicht, wenn diese erst nachträglich kommuniziert werden und eine unzulässige Beschränkung des Wettbewerbs bewirken würden.

4. Bei restriktiver Auslegung gäbe es keinen Wettbewerb

Die Auftraggeberin versucht auf Seite 3 mit einem Produktvergleich zu den Producten der Hersteller „K“ und „G“ das Vorliegen eines ausreichenden (verbleibenden) Wettbewerbs anzudeuten. Dabei verschweigt sie jedoch, dass beide Produkte für gegenständlichen Wettbewerb für Los 4 keinesfalls in Frage kommen:

Bei dem Produkt von „K“ handelt es sich nach Marktkenntnis der Antragstellerin nicht um ein selbständig entwickeltes Produkt, sondern um einen exakten, am österreichischen Markt nicht vertriebenen Nachbau des von E GmbH angebotenen Produkts (ein „chinesisches Plagiat“). Dass es sich um einen exakten Nachbau handelt, ist auch eindeutig aus Beilage ./22 der Stellungnahme bzw. dem in der Stellungnahme enthaltenen Link1 ersichtlich. Der Verweis auf einen exakten Nachbau des von E GmbH angebotenen Produkts kann nicht belegen, dass die von E GmbH angebotene Klinge dem Verständnis einer „Klinge“ am österreichischen Markt entspricht. Darüber hinaus hat „K“ in Österreich weder eine Vertretung noch einen Vertriebspartner und keinen Femur-Nagel aus Titan mit Klingenoption (in Los 4 gefordertes Produkt 13).

Schließlich verfügt „K“ nach Marktkenntnis der Antragstellerin auch über keinen Humerus-Nagel (für den Oberarm) im Portfolio (in Los 4 gefordertes Produkt 11). Auch aus diesem Grund kam diese Herstellerin von Vornherein für eine Angebotslegung in Los 4 nicht in Betracht.

Beweis:

Gutachten von J, *** und Ehrenmitglied der *** (Anlage ./M);

PV Herr F (zuständiger Vertriebsleiter), p.A. Antragstellerin; Ergebnis des Vergabeverfahrens in Los 4.

Bei dem Produkt von „G“ handelt es sich nach Marktkenntnis der Antragstellerin definitiv um ein Produkt, das nicht aus Titan, sondern nur aus Stahl angeboten wird, weshalb das MUSS-Kriterium 12-a.1-01.a (Material: Titan) nicht erfüllt werden könnte. Darüber hinaus kann „G“ ausschließlich eine Klinge, nicht aber eine Schraube (wie gefordert in den verfahrensgegenständlichen MUSS-Kriterien 12-a.2-15 und 12-a.2-16) anbieten. Außerdem fehlt es diesem Anbieter generell am notwendigen vollständigen Portfolio, um das gesamte Los 4 anbieten zu können. Somit ist festzuhalten, dass auch der Vergleich mit dem Produkt von „G“ in mehrfacher Hinsicht völlig hinkt.

 

Beweis:

Gutachten von J, *** und Ehrenmitglied der *** (Anlage ./M)

PV Herr F (zuständiger Vertriebsleiter), p.A. Antragstellerin;

Ergebnis des Vergabeverfahrens in Los 4.

Da die Antragstellerin durch Vorlage aussagekräftiger und eindeutiger Nachweise (konkret: zwei Operationsanleitungen) das Erfüllen der verfahrensgegenständlichen MUSS-Kriterien gemäß den Vorgaben der Ausschreibungsunterlagen nachgewiesen hat, ist das Angebot der Antragstellerin für Los 4 ausschreibungskonform und wäre folglich nicht gemäß § 141 Abs 1 Z 7 BVergG 2018 auszuscheiden gewesen. Dies behaftet die anfechtungsgegenständliche Ausscheidensentscheidung mit Rechtswidrigkeit.

5. Auch die „Klinge“ ist „durchbohrt“

Für Produkt 12a ist gemäß Punkt 12-a.2-15 des Leistungsverzeichnisses folgendes MUSS-Kriterium nachzuweisen:

„Die Schraubenkomponente und die Klinge sind durchbohrt und haben ein anatomisch laterales Design.“ (12-a.2-15)

In der Stellungnahme der Auftraggeberin vom 8. Oktober 2020 wird unzutreffender Weise vorgebracht, die von der Antragstellerin angebotene „U-Blade-Klinge“ wäre nicht durchbohrt und könnte damit auch nicht das MUSS-Kriterium 12-a.2-15 erfüllen, welches verlangt, dass Schraube und Klinge durchbohrt sind.

Dieses Vorbringen ist schlichtweg falsch: Die „U-Blade Schenkelhalsschraube“ ist zunächst der Länge nach durchbohrt und läuft über den eingeführten Führungsdraht an die ihr zugewiesene Stelle (Gegenteiliges wird auch von der Auftraggeberin nicht behauptet). Entgegen dem Vorbringen der Auftraggeberin ist jedoch auch die „U-Blade-Klinge“ durchbohrt, und zwar der Länge nach im Anschlussbereich. Da die Klinge über die Nuten der Schraube schneidend eingeführt wird (und später mit dem Klingeneindrücker eingedrückt bzw. eingeschlagen wird), läuft sie über den in die Durchborung eingeführten Führungsdraht und die eingeführte „U-Blade Schenkelhalsschraube“ an die vorgesehene Stelle.

Das nachgeschobene Vorbringen der Auftraggeberin, dass die angebotene Klinge nicht durchbohrt sei, erweist sich daher als völlig haltlos, zumal auch diese Klinge „vom Operateur wahlweise verwendet und jeweils über einen Führungsdraht“ eingeführt werden kann.

Beweis:

Gutachten von J, *** und Ehrenmitglied der *** (Anlage ./M);

PV Herr F (zuständiger Vertriebsleiter), p.A. Antragstellerin;

Produktpräsentation in der mündlichen Verhandlung.

6. Anträge

Aus den dargestellten Gründen werden die verfahrenseinleitenden Anträge aufrechterhalten.“

Am 13.11.2020 hat das erkennende Verwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der eine Beweisaufnahme durch Einsicht in den gesamten Vergaberechts- und Nachprüfungsakt erfolgte, ebenso durch weiteres Parteienvorbringen und Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem B

Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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