TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 G313 2211744-1

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Veröffentlicht am 10.06.2020
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Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G313 2211744-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Kroatien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 23.10.2019 zu Recht erkannt:

A)       

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 u. Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt (Spruchpunkt I.) und der BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.)

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Dabei wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben, und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

3. Am 28.12.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) der Verwaltungsakt ein. Die Beschwerde samt Unterlagen langte am 11.01.2019 beim BVwG ein.

Am 17.09.2019 wurde eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumt, aufgrund der Vertagungsbitte des vormaligen RV DR. XXXX auf 23.10.2019 vertagt.

Die Vollmacht Dr. XXXX wurde am 19.09.2019 aufgelöst.

4. Am 11.10.2019 langte beim BVwG eine Vertreterbekanntgabe XXXX samt psychologischer Stellungnahme des klinischen Psychologen und SV XXXX ein.

5. Am 23.10.2019 wurde vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine mündliche Verhandlung durchgeführt, wobei der BF im Beisein seiner Rechtsvertretung und auch seine Lebensgefährtin als Zeugin einvernommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der BF ist kroatischer Staatsangehöriger.

1.2. Er lebt seit 1995 in Österreich und hat in Österreich sämtliche Familienangehörigen, darunter seine bosnische Lebensgefährtin, die er im Jahr 2014/2015 in Österreich kennen gelernt hat, und mit der er eine Lebensgemeinschaft führt und zu heiraten beabsichtigt. Am XXXX .2016 wurde der gemeinsame Sohn XXXX geboren und erfolgte die Gründung eines gemeinsamen Haushalts. Die Eltern und weitere Verwandte des BF, leben ebenfalls in Österreich. In Kroatien hat der BF keine Verwandten.

Der BF spricht ausgezeichnet Deutsch da er bereits die VS in Österreich absolviert hat. Auch die kroatische Sprache spricht der BF, sowie dessen Lebensgefährtin ebenfalls auch Kroatisch und Deutsch spricht. Der Sohn spricht Deutsch, Kroatisch und besucht einen englischsprachigen Privatkindergarten.

1.3. Der BF weist im Bundesgebiet seit 1995 eine Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf. Der BF lernte seine Lebensgefährtin 2015 kennen. Seit 22.09.2017 ist er mit seiner Lebensgefährtin an einer gemeinsamen Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet

1.4. Der BF verfügt über einen Daueraufenthalt EU Bürger.

Er hat in Österreich die ordentliche Schullaufbahn mit durchwegs gutem Zeugnis abgeschlossen und die Lehrabschlussprüfung „Metallarbeiter“ am 17.05.2011 abgelegt. Weiters hat er Zusatzausbildungen am WIFI zum Bautechniker absolviert und am 19.05.2018 abgeschlossen. Weiters verfügt er über eine Zusatzausbildung zum Fräser. Aktuell besuchte der BF Module zum Bauleiter.

1.5. Der BF war im Bundesgebiet immer wieder erwerbstätig jedoch auch arbeitslos und Bezieher von Notstandshilfe. Zuletzt war er bei der XXXX GmbH als Arbeiter beschäftigt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG wurde eine Einstellungszusage der XXXX vorgelegt, zu einer Einstellung ist es aber offenbar nicht gekommen da der BF sich seit 22.06.2019 zuerst im Arbeitslosengeldbezug und seither in Notstandshilfe Bezug befindet.

Vom Verein XXXX wurde ein positiver Bericht für die strafrechtliche HV am XXXX .2018 abgegeben.

1.6. Der BF wurde im Bundesgebiet rechtskräftig mit Urteil vom XXXX .2018 strafrechtlich verurteilt wegen von 2014 bis Ende 2015 begangener Erpressung und schwerer Erpressung, Nötigung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Er befand sich von XXXX .2016 bis XXXX .2017 in U Haft.

Danach wurde dem Antrag des BF auf Vollzug mit Fußfessel entsprochen.

1.7. Beim Strafrechtsurteil wurde bei der Strafbemessung der bisher ordentliche Lebenswandel, mildernd und „das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen, erschwerend gewertet. Der Strafrahmen von 1-10 Jahren wurde im unteren Drittel ausgeschöpft.

1.8. Der BF hat nach seiner rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung von Juni 2018 keine Straftaten mehr begangen, sondern berufliche Weiterbildungsmaßnahmen wie oa. gesetzt.

Der BF ist in Österreich seit seiner Kindheit in Österreich integriert und konnte daher in der mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG, Außenstelle Graz, ohne Dolmetscher für die kroatische Sprache einvernommen werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des nunmehr dem BVwG vorliegenden Gerichtsakts.

2.2. Zur Person der BF und ihren individuellen Verhältnissen

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

2.2.2. Die Feststellungen zu den Wohnsitzmeldungen der BF beruhen auf einem dem Akt einliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen der BF beruhen auf ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben im Zuge seiner Beschwerde und der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Dass der BF vorhat, seine Lebensgefährtin auch standesamtlich zu ehelichen hat er in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt.

Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet und seinen Bezug von AL-Geld und Mindestsicherung beruhen auf einem Auszug aus dem AJ WEB-Auskunftsverfahren.

Die Feststellungen zur rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung des BF beruhen auf dem aktuellen Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u.a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z. 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8.Hauptstück des FPG (Z. 3).

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 2013/10 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG entscheidet das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis.

Im Abs. 2 wird angeführt, dass das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden hat, wenn

•        der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

•        die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Anzuwendendes Recht:

§ 67 FPG lautet:

"(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(…)."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

der Grad der Integration,

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

3.1.1. Da vom BF, der aufgrund seiner kroatischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, die Voraussetzung eines Aufenthalts im Bundesgebiet seit zehn Jahren erfüllt ist, kommt für ihn der Prüfungsmaßstab des
§ 67 Abs. 1 Satz 4 FPG für Unionsbürger zu Anwendung.

Gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigter EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieses Aufenthaltsverbot stützte sich auf die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF von Juni 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten.

Hinsichtlich dieser strafrechtlichen Verurteilung weist das erkennende Gericht der Vollständigkeit halber darauf hin, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen unabhängig und eigenständig, von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Bei der Stellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 67 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, Zl. 2012/18/0230).

Fest steht im gegenständlichen Fall, dass der BF im Zeitraum 2014 bis 2015 Straftaten begangen hat und im Juni 2018 wegen schwerer Erpressung und Nötigung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung strafrechtlich verurteilt wurde, danach jedoch keine weiteren strafbaren Handlungen gesetzt hat, sondern im Gegenteil sich beruflich versuchte neu zu orientieren und weitere Zusatzausbildungen absolviert hat. Dem Urteil ist zu entnehmen dass der BF, im Gegensatz zu anderen Mitgliedern dieser kriminellen Vereinigung keine gleichwertig bedeutsame Rolle bei den Straftaten gespielt hat und selbst nur kurzfristig aktiv an den Strafhandlungen mitgewirkt hat. Dieses Verhalten steht auch im Widerspruch zum bisherigen Werdegang des BF und seiner bis dahin bestandenen Unbescholtenheit. Dadurch ist es auch zu einem Strafausmaß im unteren Drittel bei einer Strafdrohung von 1 – 10 Jahren gekommen.

Der BF hat seit der letzten Tathandlung im Dezember 2015 kein weiteres strafrechtliches Verhalten mehr gesetzt.

Auch ist aus seinen Schilderungen in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Ausbildungsmodulen ersichtlich, dass der BF sich stets um berufliches Weiterkommen bemühte und bislang nicht wieder straffällig geworden ist.

Der BF gab in der mündlichen Verhandlung befragt an, diese Straftaten begangen zu haben, weil er im Rahmen der Vereinigung dabei „irgendwie hineingezogen“ wurde, aber sich möglichst schnell versucht hat selbst aus der Mitgliedschaft zurückzuziehen indem er sich einen Job suchte und danach auch seine –Lebensgefährtin kennenlernte. Die Ausführungen zu Straftaten verleitet worden zu sein, ist aufgrund des Strafaktes nachvollziehbar, feststellbar und glaubwürdig. Ein krimineller negativer Einfluss durch die abgesondert ebenfalls strafrechtlichen Mitglieder der kriminellen Vereinigung besteht jedenfalls nicht mehr, hat der BF zu diesen doch seit 2014 keinen Kontakt mehr.

Das Zusammenleben des BF mit seiner Lebensgefährtin und offenbar auch die Tatsache, dass er kurz nach der Geburt seines Sohnes in U-Haft kam was eine einjährige Trennung von Frau und Kind bedeutete, der BF sich danach aber ebenfalls maßgeblich um das Kind kümmert und eine starke Bindung zu ihm aufgebaut hat, war offensichtlich für seine kriminelle Enthaltsamkeit ebenso positiv förderlich. Auch hat der BF jedenfalls einige berufliche Integrationsschritte in Form von mehreren Weiterbildungsmaßnahmen gesetzt. Der BF und seine Lebensgefährtin haben unterstütz durch die Familien ein ausreichendes Einkommen.

Die strafrechtliche Verurteilung und danach das Tragen von Fußfesseln und die Beziehung zur Frau und dem erst kurz vor Beginn der U Haft geborenen Sohn und das aktive Mitwirken an seiner Erziehung hat den BF spätestens zur Gesinnungsumkehr bewogen.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde auch eine psychologische Stellungnahme vom 07.10.2019 zur Gefährlichkeitsprognose vorgelegt und wurde diesbezüglich seitens des Psychologen eine positive Entwicklung attestiert und eine positive Wohlverhaltensentwicklung prognostiziert.

Es ist in Gesamtbetrachtung aller Umstände eine familiäre Nahebeziehung des BF zu seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn iSv Art. 8 EMRK seit 2014/2016 zu erkennen und aufgrund des bisher, nachgegangenen Erwerbstätigkeit und nunmehr beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen –von einer beruflichen bzw. wirtschaftlichen Integration und Selbsterhaltungsfähigkeit des BF auszugehen.

Abgesehen davon hat konnte sich die BF auch sprachlich gut im Bundesgebiet integrieren lebt er doch seit seiner Kindheit in Österreich. Sämtliche familiäre Anknüpfungspunkte des BF befinden sich in Österreich, beginnend mit den Eltern, Großeltern, Bruder usw.

Auch die Geburt seines nunmehr vierjährigen Sohnes und dadurch benötigter familiärer gemeinsamer Haushalt mit dem Vater und der Mutter, die keine kroatische Staatsbürgerin ist und ebenfalls in Österreich aufgewachsen ist, würde eine nicht bloß vorübergehende Trennung bedeuten. Da es der Lebensgefährtin, einer bosnischen Staatsbürgerin die in Österreich seit ihrer Kindheit verwurzelt ist, nicht zumutbar ist nach Kroatien für Jahre zu gehen und die Aufrechterhaltung des Kontaktes über soziale Medien erscheint in diesem Fall gerade nicht zielführend, die Beziehung eines Vaters zu einem Kleinkind über moderne Medien führen zu wollen (vgl. dazu VfGH, 11.06.2018, E345/2018) erschiene lebensfremd. Während der mündlichen Verhandlung konnte sich die erkennende Richterin durch den Gesamteindruck des BF ein positives Bild machen und konnte der BF glaubwürdig von einem Gesinnungswandel überzeugen, zumal die Straftaten im Jahre 2014 nunmehr bereits 6 Jahre zurückliegen und der BF seit dieser Zeit eine persönliche Gesinnungsänderung durchgemacht hat. Eine vom BF ausgehende maßgebliche und nachhaltige Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit kann nicht festgestellt werden. Bei Abwägung aller Interessen sind daher den privaten Interessen des BF am Verbleib in Österreich der Vorzug zu geben.

Angesichts des sich darüber hinaus aus dem Akteninhalt ergebenden Gesamtverhaltens des BF im Bundesgebiet, die nur einmal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt wurde, eine familiäre Beziehung zu seiner Lebensgefährtin, die er 2014/2015 kennen gelernt und mit welcher er zusammen lebt, führt, seit 2016 mit ihr auch einen gemeinsamen Sohn hat und seit dieser Zeit versucht beruflich durch Weiterbildungen aufzusteigen, ist bei einem weiteren Verbleib des BF im Bundesgebiet nicht von einer von diesem ausgehenden tatsächlichen, gegenwärtigen maßgeblichen und nachhaltigen Gefahr iSv § 67 Abs. 1 und 2 FPG auszugehen, weshalb spruchgemäß von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen ist.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden, der Beschwerde stattzugeben und der gegenständlich angefochtene Bescheid zu beheben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Berufsausbildung Berufsausübung ersatzlose Behebung EWR-Bürger Gefährdungsprognose Gefährlichkeitsprognose Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben Sachverständigengutachten strafrechtliche Verurteilung Wohlverhalten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G313.2211744.1.00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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