TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/17 L510 2121140-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.08.2020
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Entscheidungsdatum

17.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §56
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L510 2121140-3/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.04.2020, Zahl XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 56, § 10 Abs 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs 3 und Abs 9 sowie § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Armeniens, reiste am 06.12.2014 mit ihrem Ehemann unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Dieser Antrag wurde im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 04.12.2019 (schriftliche Ausfertigung vom 30.03.2020), GZ L515 2121140-2/21E, als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin auf das Fluchtvorbringen ihres Mannes gestützt hat und dieses aufgrund der Vorlage gefälschter Unterlagen nicht glaubhaft gemacht wurde (vgl. insb. L515 2121140-2/21E, S 51ff).

3. Am 13.09.2018 reisten die beiden gemeinsamen Söhne der Beschwerdeführerin und ihres Mannes in Österreich ein.

4. Am 03.03.2020 stellte die Beschwerdeführerin für sich und ihre Söhne jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG (Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen) (AS 1ff).

5. Mit Schreiben vom 12.03.2020 (AS 133ff) wurde der Beschwerdeführerin Parteiengehör samt Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt, welche die Beschwerdeführerin mit Stellungnahme vom 26.03.2020 (AS 145ff) wahrnahm.

6. Mit Bescheid vom 22.04.2020 wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 Asyl ab (I.). Gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG erlassen (II.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei (III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (IV.) (AS 153ff).

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 19.05.2020 (AS 219ff).

8. Auch die Anträge gemäß § 56 AsylG der Söhne der Beschwerdeführerin wurden vom BFA mit Bescheiden vom 22.04.2020 abgewiesen. Die diesbezüglichen Beschwerdeverfahren behängen hg. zu den Zahlen L510 2211478-2 und L510 2211477-2.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Armenien, gehört der Volksgruppe der Armenier und der christlichen Glaubensgemeinschaft an. Sie stammt aus Jerewan (EV 19.10.2015). Ihre Identität steht fest (AS 43.45). Die Beschwerdeführerin ist geschieden (OZ 5) und hat zwei minderjährige Söhne. Die Beschwerdeführerin ist gesund (VS 04.12.2019).

1.2. Zu ihren Lebensumständen in Österreich

Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann am 06.12.2014 nach Österreich ein, wo sie, wie auch ihr Mann, an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte (NS 07.12.2014). Dieser Antrag wurde im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 04.12.2019 (schriftliche Ausfertigung vom 30.03.2020), GZ L515 2121140-2/21E, als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführerin auf das Fluchtvorbringen ihres Mannes gestützt habe und dieses aufgrund der Vorlage gefälschter Unterlagen nicht glaubhaft gemacht wurde (vgl. insb. L515 2121140-2/21E, S 51ff). Die Anträge auf internationalen Schutz des (inzwischen) Exmannes und der beiden Söhne der Beschwerdeführerin wurden ebenfalls mit Erkenntnissen vom 04.12.2019 abgewiesen (älterer Sohn: L515 2211478-1/17E; jüngerer Sohn: L515 2211477-1/13E; Exmann: L515 2121139-2/27E und L515 2121139-2/28E).

Der Ehemann der Beschwerdeführerin wurde aufgrund einer am 31.03.2017 begangenen Straftat von einem österreichischen Landesgericht zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er befindet sich derzeit in Strafhaft.

Die Beschwerdeführerin wurde von einem österreichischen Bezirksgericht wegen des Vergehens des versuchten Diebstahles mit Urteil vom 28.09.2016, rechtskräftig seit 04.10.2016, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Wochen, bedingt nachgesehen, verurteilt.

Die beiden gemeinsamen Söhne der Beschwerdeführerin und ihres Mannes reisten am 13.09.2018 nach Österreich (EV Sohn vom 06.11.2018, S 5).

Die Ehe der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss eines österreichischen Bezirksgerichtes vom 08.06.2020 einvernehmlich geschieden (OZ 5).

XXXX hat für die Beschwerdeführerin eine notariell beglaubigte Patenschaftserklärung gemäß § 2 Abs 1 Z 26 AsylG für die Dauer von drei Jahren abgegeben (AS 19-25). Die Beschwerdeführerin wohnt mit ihren beiden minderjährigen Söhnen in einem Haus, für welches ihnen vom Paten ein Wohnrecht für die Dauer von vier Jahren eingeräumt wurde (AS 15). Die Beschwerdeführerin hat am 23.12.2019 die Integrationsprüfung Sprachniveau B1 absolviert (AS 73). Für die Beschwerdeführerin besteht eine aufrechte, alle Risiken abdeckende Krankenversicherung eines österreichischen Versicherungsinstitutes (OZ 2, 4, 5). Die Beschwerdeführerin verfügt über eine Arbeitszusage hinsichtlich einer Anstellung als Küchenhilfe, wobei der der Monatslohn etwa EUR 1.200 betragen würde (AS 61-63) und über eine Anstellung im Unternehmen ihres Paten, wobei der Monatslohn hier netto EUR 1.550,-- betragen würde (AS 93). Für die Beschwerdeführerin wurden mehrere Empfehlungsschreiben von Freunden und Bekannten verfasst, die überwiegend mehrjährige freundschaftliche Beziehungen zur Beschwerdeführerin, ihre sympathische Art, ihren Fleiß, ihre Wissbegierde und ihre Zuverlässigkeit bestätigen (AS 75-91). Die Beschwerdeführerin hilft einer kranken Frau täglich bei Hausarbeiten und unterstützt sie bei der Pflege (VS 04.12.2019).

1.3. Zu ihren Lebensumständen in Armenien

Die Beschwerdeführerin wurde in Jerewan geboren und lebte dort bis Dezember 2014. Sie wurde dort sozialisiert und ihre Muttersprache ist die dortige Landessprache. Die Beschwerdeführerin besuchte die Schule und für zwei Jahre einen Universitätslehrgang in Jerewan im Bereich Umwelt. Zudem verfügt sie über eine Ausbildung als Friseurin. Von 2003 bis zur Ausreise im Dezember 2014 lebte die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern bei ihren Schwiegereltern in Jerewan. Die letzten eineinhalb Jahre vor der Ausreise arbeitete die Beschwerdeführerin in einem Kleidungsgeschäft als Verkäuferin und Beraterin. Die Mutter, der Bruder und die Schwiegereltern der Beschwerdeführerin leben nach wie vor in Jerewan (EV 19.10.2015).

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat

Bei Armenien handelt es sich um einen sicheren Herkunftsstaat iSd § 19 BFA-VG iVm § 1 der Verordnung der Bundesregierung, mit der Staaten als sichere Herkunftsstaaten festgelegt werden. Insbesondere wird auf folgende Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation hingewiesen, die bereits im angefochtenen Bescheid des BFA beinhaltet sind:

Sicherheitslage

Hinsichtlich Bergkarabach - das sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan beansprucht wird - besteht die Gefahr erneuter Feindseligkeiten aufgrund des Scheiterns der Vermittlungsbemühungen, der zunehmenden Militarisierung und häufiger Verletzungen des Waffenstillstands. Im Oktober 2017 trafen sich die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe, einer von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleiteten Vermittlungsgruppe, in Genf und begannen eine Reihe von Gesprächen über eine mögliche Lösung des Konflikts. In den letzten Jahren haben Artilleriebeschüsse und kleinere Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen Hunderte von Toten gefordert. Anfang April 2016 gab es die heftigsten Kämpfe seit 1994. (CFR 20.3.2019). Die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach dauern an. Die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan ist geschlossen. Im Jahr 2018 fanden mehrere Waffenstillstandsverletzungen entlang der Kontaktlinie zwischen den gegnerischen Streitkräften und anderswo an der zwischenstaatlichen Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien statt, die zu einer Reihe von Todesfällen und Verlusten führten (FCO 17.3.2020, vgl. EDA 2.3.2020).

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan vereinbarten bei ihrem ersten Treffen am Rande des Gipfels der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, der am 27. und 28. September 2018 in Duschanbe stattfand, mehrere Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Streitkräften, wie z.B. die Installierung einer direkten "operativen" Kommunikationslinie zwischen den beiden Seiten und die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts (Eurasianet 1.10.2018). In Folge kam es zu mehreren weiteren Treffen. Der laufende Prozess trug dazu bei, die Häufigkeit der Verletzungen des Waffenstillstandes deutlich zu reduzieren (ACLED 20.2.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwälten über die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze durch Gerichte. Die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehör nicht gewährt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Nach bisher vorliegenden Informationen hat sich die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis seit Mitte 2018 verbessert. Die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter wurde bisher durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert. Es gibt Anzeichen, dass allein der Regierungswechsel im Mai 2019 zu weniger Korruption in der Justiz geführt hat. Hinsichtlich des Zugangs zur Justiz gab es bereits Fortschritte, dass die Zahl der Pflichtverteidiger erhöht wurde und einer breiteren Bevölkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 7.4.2019). Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewährt werden, doch führt der Mangel an Pflichtverteidigern außerhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 11.3.2020).

Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehörden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fühlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwälten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freisprüchen ist extrem niedrig (FH 4.2.2019). Allerdings entließen viele Richter nach der "Samtenen Revolution" im Frühjahr 2018 etliche Verdächtige in politisch sensiblen Fällen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestätigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdächtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 11.3.2020).

Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhängiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort und einige Menschenrechtsanwälte erklärten, es gebe keine rechtlichen Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch körperliche Übergriffe erzwungen worden, routinemäßig ignorieren. Die Korruption unter Richtern ist weiterhin ein Problem. Die am 10. Oktober 2019 verabschiedete Strategie für die Justiz- und Rechtsreform 2019-2023 zielt darauf ab, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz und das Justizsystem zu stärken und die Unabhängigkeit der Justiz zu fördern (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess vor, aber die Justiz setzt dieses Recht nicht durch. Ebenso sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdächtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse öffentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der "Moral", der nationalen Sicherheit und des "Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer". Gemäß dem Gesetz können Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise präsentieren und den Behördenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwälte kaum Möglichkeiten, die Aussagen von Behördenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen währenddessen dazu, routinemäßig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusätzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 11.3.2020).

Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist für die innere Sicherheit zuständig, während der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) für die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitäten und die Grenzkontrolle zuständig ist (USDOS 11.3.2020, vgl. AA 7.4.2019). Beide Behörden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD dürfen auch Verhaftungen durchführen. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 7.4.2019).

Der Sonderermittlungsdienst führt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausüben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Fälle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behörden (USDOS 11.3.2020).

Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begründeten Verdachts für die Festnahme, nahmen die Behörden gelegentlich Verdächtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begründeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen über ihre Rechte aufzuklären. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festgehalten, eher wichtige Zeugen denn Verdächtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeräumt wird (USDOS 11.3.2020).

Frauen

Verfassung und Gesetze schreiben die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fest und verbieten die Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts. Die Rolle der Frau in Armenien ist gleichwohl durch das in der Bevölkerung verankerte patriarchalische Rollenverständnis geprägt (AA 7.4.2019, vgl. USDOS 11.3.2020).

Frauen sind in Führungspositionen im öffentlichen Sektor deutlich unterrepräsentiert. Im Jahr 2018 lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Frauen in Armenien bei 17,3%. Auch in der Exekutive bleibt die Beteiligung von Frauen auf den höchsten Entscheidungsebenen, auf regionaler und lokaler Ebene sowie im diplomatischen Dienst gering. Ungleichheit im Bereich der Löhne ist besonders offensichtlich (CoE-CommDH 29.1.2019, vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.2.2019).

Vergewaltigung ist eine Straftat. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre. Allgemeine gesetzliche Bestimmungen zur Vergewaltigung gelten für die Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe. Häusliche Gewalt wird nach allgemeinen Gesetzen über Gewaltanwendung verfolgt, obwohl die Behörden die meisten Vorwürfe häuslicher Gewalt nicht wirksam untersuchen oder verfolgen (USDOS 11.3.2020). Es gibt Berichte, dass die Polizei, insbesondere außerhalb von Jerewan, in Fällen häuslicher Gewalt nur ungern tätig wird und Frauen davon abhält, Beschwerden einzureichen. Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden per Gesetz als Vergehen von geringer oder mittlerer Schwere betrachtet und die Regierung stellt nicht genügend weibliche Polizeibeamte und Ermittlerinnen für die Arbeit vor Ort ein, um diese Verbrechen zu untersuchen (USDOS 11.3.2020). Trotzdem hat Armenien seit 2015 bedeutende Fortschritte bei der Schaffung und Verbesserung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gemacht. Wichtige gesetzgeberische Maßnahmen wurden von Sensibilisierungskampagnen begleitet, die zu einer öffentlichen Debatte und einem spürbaren Einstellungswandel zum Thema häusliche Gewalt führen. Trotz dieser begrüßenswerten Entwicklungen und sehr lobenswerten Bemühungen bleibt die häusliche Gewalt in Armenien ein schwerwiegendes, weit verbreitetes und teilweise noch unterschätztes Phänomen (CoE-CommDH 29.1.2019). Das neue Gesetz über häusliche Gewalt hat einige Elemente und Normen des Istanbuler Übereinkommens übernommen, verschiedene Formen häuslicher Gewalt definiert und den staatlichen Behörden eine positive Verpflichtung auferlegt, solche Gewalt zu verhindern und ihre Opfer zu schützen. Es verpflichtet die Behörden auch, eine nationale Strategie zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu entwickeln und umzusetzen, Unterkünfte für Opfer von Gewalt einzurichten, ihnen kostenlose medizinische Versorgung zu bieten und regelmäßige Schulungen für alle in diesem Bereich tätigen Fachleute durchzuführen (CoE-CommDH 29.1.2019).

Das Gesetz verlangt, dass bestimmte Dienstleistungen für diejenigen erbracht werden, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, es sieht aber keine Maßnahmen für monetäre Entschädigungen der Opfer vor. Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen - Verwarnungen und Schutzanordnungen - reichen möglicherweise nicht aus, um die Menschenrechtsverpflichtungen des Landes zum Schutz der Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt zu erfüllen, dies infolge des Umfanges des Ermessensspielraum für die Strafverfolgungsbehörden und Richter, der vorgesehenen limitierten Fristen (z.B. Wegweisung) sowie der schwachen Konsequenzen, die Täter häuslicher Gewalt zu erwarten haben. Das Gesetz enthält zudem keine Details hinsichtlich der Beweislast, die für die Erlangung von Verwarnungen oder Schutzanordnungen oder für die strafrechtliche Verfolgung von Tätern häuslicher Gewalt erforderlich ist. Es ist letztendlich nicht klar, ob das Gesetz für alle Paare gilt, oder nicht registrierte Ehen bzw. Lebensgemeinschaften ausnimmt (OHCHR 29.3.2019).

Für den Schutz von Opfern häuslicher Gewalt beinhaltet das Gesetz die Anwendung von Schutzmaßnahmen, einschließlich Warnung, Notfallintervention und Schutzanordnung. Die Anwendung dieser Maßnahmen kann dazu führen, dass folgende Einschränkungen gelten: die sofortige und gewaltsame Entfernung des Gewalttäters aus dem Wohnort des Opfers und das Verbot seiner Rückkehr bis zum Ablauf der durch die Anordnung vorgesehenen Frist; Verbot für den Täter, das Opfer und gegebenenfalls die in Obhut des Opfers befindlichen Personen sowie Orte, an denen sie arbeiten, studieren oder leben oder andere Orte, zu besuchen; Verbot für den Täter, sich dem Opfer in einer Entfernung zu nähern, die beim Opfer eine nachvollziehbare Angst um die persönliche Sicherheit hervorruft. Trotz der im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen wurden nach den Daten aus dem Gerichtsinformationssystem nur vier Fälle mit Anträgen auf Schutzanordnung zur Prüfung angenommen. Im Rahmen dieses Gesetzes wurden 413 Verwarnungen durch die Polizei ausgesprochen, in 128 Fällen wurde eine Entscheidung über ein sofortiges Eingreifen getroffen und Registrierungskarten für 541 Täter ausgefüllt (HCA 1.2019).

Der Untersuchungsausschuss der Republik Armenien hat 519 Straftaten von häuslicher Gewalt im Jahr 2018 bearbeitet, im Vergleich zu 458 Straftaten im Jahr 2017. Die meisten Strafsachen beziehen sich auf Gewaltanwendung durch den Ehemann. Im Jahr 2018 wurden in Armenien rund 990 Fälle von häuslicher Gewalt registriert, in 413 Fällen wurde eine Verwarnung ausgesprochen, während 128 Fälle eine sofortige Einmischung der Strafverfolgungsbehörden erforderten (CSVaW 2019). Laut diversen Studien sind 30% der armenischen Frauen Opfer körperlicher Gewalt in der Familie, während Zwei-Drittel Opfer psychischer Gewalt sind (HCA 1.2019).

Im World Gender Gap Index 2018 nahm Armenien Rang 98 von 149 Ländern ein (2017: 97 von 144; 2016: 102 von 144). Insbesondere in den Subkategorien Gesundheit (Rang 148) und politische Teilhabe (Rang 115) schnitt das Land besonders schlecht ab, wohingegen in der Unterkategorie „Teilhabe an der Bildung“ mit dem 35. Rang, der entsprechende Wert überdurchschnittlich gut war (WEF 2019).

Grundversorgung und Wirtschaft

Über ein Viertel der armenischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, d.h. es stehen weniger als 75 Euro pro Monat zur Verfügung. Die registrierte Arbeitslosenquote liegt bei 20%. Mehr als ein Drittel der Jugendlichen ist weder in Ausbildung noch in der Beschäftigung. Die Schattenwirtschaft macht über 30% des Bruttoinlandsprodukts aus. Die Wirtschaft wird nach wie vor von den sogenannten "Oligarchen" dominiert, Geschäftsleuten, die in bestimmten Wirtschaftszweigen Monopole gegründet und in der Vergangenheit erheblichen Einfluss auf die Politik ausgeübt haben (FriEnt 23.4.2019).

Das Durchschnittseinkommen betrug im ersten Quartal 2019 rund AMD 174.000 [ca. EUR 323] (ArmStat 2019), während die monatliche Durchschnittspension 2017 AMD 40.634 [ca. EUR 74] ausmachte. Das Mindesteinkommen beträgt AMD 55.000 [EUR 100], die Mindestpension AMD 16.000 [EUR 29] (ArmStat 2018).

Der UNDP Human Development Index, ein Messwert zur Beurteilung der Humanentwicklung und der Ungleichheit, ergab 2017 für Armenien einen Wert von 0.757 [Statistischer Bestwert ist 1] (im Vergleich der HDI von Österreich beträgt 0.908). Damit belegte Armenien, dessen Wert sich seit 1990 kontinuierlich verbesserte, Platz 83 von 189 Staaten (UNDP 15.7.2018).

Für 2018 wird in Armenien ein Wirtschaftswachstum von 5% erwartet. Im Vergleich zu den Vorjahren ist es ein etwas moderaterer Wert. 2017 stieg das armenische BIP um 7,5%, was mit der Überwindung der Wirtschaftskrise Russlands, des wichtigsten Partners Armeniens, zusammenhängt. Rohstoffgewinnung und deren Verarbeitung dominieren die armenische Industrie. Auch der Landwirtschaftssektor spielt eine wichtige Rolle, vor allem in Exporten des Landes. Der 8.5.2018 schlug ein neues Kapitel in der jüngeren Geschichte Armeniens auf. Der neue armenische Premierminister Pashinyan erklärte den Kampf gegen die alle Bereiche umfassende Korruption. Seine weiteren Ziele sind die Verbesserung der Lebensbedingungen der in großen Teilen verarmten Bevölkerung und der Wirtschaftsaufschwung (WKO 23.7.2018).

Sozialwesen

Das Sozialsystem in Armenien ist wie folgt aufgebaut:

?        Staatliches Sozialhilfeprogramm, z.B. Unterstützung von Familien, einmalige Geburtenzuschüsse, sowie Kindergeld bis zum Alter von zwei Jahren

?        Sozialhilfeprogramme für Personen mit Behinderung, Veteranen, Kinder, insbesondere medizinische und soziale Rehabilitationshilfe, Altersheime, Waisenhäuser, Internate

?        staatliches Sozialversicherungsprogramm, welches aus Alters- und Behindertenrente, sowie Zuschüssen bei vorübergehender Behinderung und Schwangerschaft.

?        Privilegien für Personen, die im Jahr 1999 signifikante Notlagen durchlebten, vor allem für Veteranen des Zweiten Weltkriegs.

Alle armenischen Staatsbürger sind berechtigt, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.

Anmeldeverfahren: RückkehrerInnen können in einem der 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (10 in Jerewan und 41 in der anderen Regionen) Sozialhilfe beantragen oder online ein Formular einreichen: http://www.ssss.am/arm/e-reception/send-application/

Schutzbedürftige Personen

Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Behinderte, ältere Personen, RentnerInnen, Waisen, Opfer von Menschenhandel, Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM 2018).

Rückkehr

Rückkehrer werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration. Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 7.4.2019).

Das offizielle Internet-Informationsportal „Tundarc“ bietet potenziellen armenischen Rückkehrern, auch Doppelstaatsbürgern, wichtigen Informationen zu den zu beachtenden Formalitäten bei einer Rückkehr sowie den wichtigsten Themenbereichen, wie Gesundheitsfürsorge, Pension, Bildung oder Militärdienst an. Überdies findet sich eine Orientierung zu bestehenden Hilfsprogrammen (Tundarc o.D.).

[Beweisquelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA mit Stand vom 25.06.2020]

Zur aktuell vorherrschenden Pandemie aufgrund des Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2)

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

(Beweisquelle: www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html; www.oesterreich.gv.at/)

In Armenien wurden bei rund 3 Millionen Einwohner laut Situation Report 178 der WHO bis zum 16.07.2020 insgesamt 33.559 von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 607 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

(Beweisquelle: www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports)

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem aktuellen Verwaltungsverfahrensakt des BFA, dem aktuellen Gerichtsakt sowie den Akten der Behörde und des Gerichts zum Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz.

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin ergeben sich aus deren eigenen, diesbezüglich glaubhaften Angaben vor dem BFA bzw. vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die feststehende Identität der Beschwerdeführerin ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde (AS 43-45).

Die Feststellungen zu den Lebensumständen in Österreich ergeben sich ebenfalls aus den eigenen, diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin, welche in Einklang stehen mit den vorgelegten Unterlagen betreffend ihre Integration. Die Feststellungen zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz sowie der Anträge des (inzwischen) Exmannes und der Söhne der Beschwerdeführerin und die Verfahrensausgänge ergeben sich aus den unzweifelhaften diesbezüglichen Akten des BFA und des Bundesverwaltungsgerichtes. Die Verurteilung des Exmannes und die Haftstrafe sind dem Strafregisterauszug betreffend den Exmann zu entnehmen. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin ergibt sich aus deren unzweifelhaften Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich. Die Einreise der Söhne ergibt sich aus deren Niederschriften zur Antragstellungen auf internationalen Schutz. Die Scheidung der Ehe der Beschwerdeführerin ergibt sich aus dem vorgelegten Beschluss eines österreichischen Bezirksgerichtes. Die Feststellungen zur Patenschaftserklärung, zum Wohnrecht, zur abgelegten Sprachprüfung, zur Krankenversicherung, zu den beiden Arbeitszusagen, den Empfehlungsschreiben und der Hilfestellungen für eine kranke Frau ergeben sich aus den im Akt einliegenden Unterlagen, an deren Echt- und Richtigkeit keine Zweifel hervorkamen.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen in Armenien ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin. Es sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben hervorgekommen.

Die festgestellte aktuelle Lage in Armenien beruht auf den vom BFA im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen (Bescheid, S 7-40). Die Beschwerde ist diesen Feststellungen nicht entgegengetreten und es ergeben sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, diese Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Feststellungen zur Lage in Armenien in Bezug auf das Coronavirus werden aufgrund der übereinstimmenden Feststellungen einer Vielzahl von öffentlich zugänglichen Quellen als notorisch bekannt angesehen.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Zum Aufenthaltstitel gemäß § 56 AsylG

3.1. Gemäß § 56 Abs 1 Asyl kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, auch wenn er sich in einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor dem Bundesamt befindet, eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige jedenfalls (1.) zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist, (2.) davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines feststellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist und (3.) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.

Gemäß § 56 Abs 3 AsylG hat die Behörde den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 60 Abs 2 Z 1 bis 3 kann auch durch Vorlage einer einzigen Patenschaftserklärung (§ 2 Abs 1 Z 26) erbracht werden.

Gemäß § 60 Abs 2 dürfen Aufenthaltstitel gemäß § 56 einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn (1.) der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird, (2.) der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist, (3.) der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte und (4.) durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

3.2. Zweck des § 56 AsylG 2005 ist es, bei Vorliegen eines besonders hohen Integrationsgrades "Altfälle" mit einer fünf Jahre übersteigenden Aufenthaltsdauer zu "bereinigen". Den betroffenen Drittstaatsangehörigen soll in diesen Fällen die Möglichkeit zur Legalisierung ihres Aufenthalts durch Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben werden, wobei hiervon jene Konstellationen erfasst sein sollen, in denen die Schwelle des Art 8 MRK, sodass gemäß § 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0255). Unabdingbare Voraussetzung (arg.: "jedenfalls") ist allerdings, dass der Aufenthalt in einem Zeitraum, der mindestens die Hälfte der gesamten durchgehenden Aufenthaltsdauer beträgt, rechtmäßig war; bei einem Aufenthalt bis zur Antragstellung zwischen fünf und sechs Jahren muss dessen Rechtmäßigkeit zumindest drei Jahre gegeben gewesen sein. Dem Sinn dieser Bedingung widerspricht es aber, wenn die notwendige Dauer der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht (etwa) durch ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht während eines längeren Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz erreicht wird, sondern durch bewusst wahrheitswidrige Identitätsangaben mit dem zugestandenen Ziel, eine Abschiebung zu verhindern (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0032).

Eine Interessensabwägung nach Art 8 EMRK wird bei der Prüfung der Voraussetzungen hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG nicht vorgenommen, sondern nur auf die integrationsbegründenden Aspekte in Österreich abgestellt (Gachowetz, Schmidt, Simma, Urban, Asyl- und Fremdenrecht im Rahmen der Zuständigkeit des BFA, S 366).

Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge können bei der Prüfung, ob ein besonders berücksichtigungswürdigender Fall vorliegt, auch die in § 11 Abs 3 NAG [entspricht nunmehr § 9 Abs 2 BFA-VG] genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte in die Beantwortung der Frage einfließen. Dies aber nur in dem Maße, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben (VwGH 18.03.2014, 2013/22/0191).

3.3. Nach dem festgestellten Sachverhalt hält sich die Beschwerdeführerin seit 06.12.2014 in Österreich auf. Sie hält sich somit seit mehr als fünf Jahren in Österreich auf. Von der Antragstellung auf internationalen Schutz am 06.12.2014 bis zur rechtskräftigen Entscheidung jenes Antrages am 04.12.2019 (somit für fast genau fünf Jahre) hielt sich die Beschwerdeführerin, wenn auch auf das Asylgesetz gestützt, so doch rechtmäßig in Österreich auf. Die Beschwerdeführerin hat auch die Integrationsprüfung Sprachniveau B1 bestanden, weshalb sie somit grundsätzlich die Voraussetzung des § 56 Abs 1 AsylG erfüllt.

Dadurch, dass die Beschwerdeführerin eine Patenschaftserklärung vorgelegt hat und ihr zusätzlich ein Wohnrecht hinsichtlich einer jedenfalls ortsüblich großen Unterkunft eingeräumt wurde, sie über eine Krankenversicherung verfügt und es aufgrund dieser Umstände auch nicht ersichtlich ist, dass die Beschwerdeführerin zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte und es auch nicht ersichtlich ist, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels für die Beschwerdeführerin die Beziehungen Österreichs zu anderen Staaten oder Völkerrechtssubjekten wesentlich beeinträchtigen könnte, erfüllt die Beschwerdeführer auch die Voraussetzungen des § 60 Abs 2 AsylG.

Der bereits oben wiedergegebene Zweck des § 56 AsylG 2005 ist es, bei Vorliegen eines besonders hohen Integrationsgrades "Altfälle" mit einer fünf Jahre übersteigenden Aufenthaltsdauer zu "bereinigen". Gemäß § 56 Abs 3 AsylG hat die Behörde den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen.

Unbestritten verfügt die Beschwerdeführerin über gute Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1, sie ist gesund und ob der ihr ausgestellten Einstellungszusagen hinkünftig auch selbsterhaltungsfähig und selbsterhaltungswillig. Es bestehen in den drei Jahren ab Jänner 2020 auch keine Gefahren finanzieller Nachteile für eine Gebietskörperschaft aufgrund der der Beschwerdeführerin ausgestellten Patenschaftserklärung. Die Beschwerdeführerin hat Freunde und Unterstützer. Die Beschwerdeführerin ist jedoch zum Entscheidungszeitpunkt nicht in den Arbeitsmarkt integriert, sie hat – abgesehen von den Deutschkursen – keine Aus- und Weiterbildungen während ihres Aufenthaltes in Österreich absolviert, sie ist nicht in einem Verein tätig und ist auch in einer sonstigen Institution nicht Mitglied. Die Hilfstätigkeiten für eine kranke Frau sind nicht als Erwerbstätigkeit anzusehen, sie stellen Freundschaftsdienste dar. Von Dezember 2014 bis Jänner 2020 war die Beschwerdeführerin auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich angewiesen. Ein besonders berücksichtigungswürdigender Fall kann angesichts der von der Beschwerdeführerin inzwischen erreichten Integration nicht erkannt werden. Die am schwersten wiegende Bindung der Beschwerdeführerin wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in der schulischen Ausbildung der Söhne der Beschwerdeführerin erkannt. Diese Bindung betrifft jedoch ausschließlich die Söhne der Beschwerdeführerin und deren Anträge auf Aufenthaltstitel gemäß § 56 AsylG wurden mit hg. Erkenntnissen vom heutigen Tag mangels Erfüllung der Voraussetzung des § 56 Abs 1 Z 1 AsylG abgewiesen (vgl. GZ L510 22114782 und Z L510 2211477-2). Den Söhnen kommt somit kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Österreich zu und deren schulische Integration kann sich daher nicht auf die Integration der Beschwerdeführerin auswirken. Vergleichsweise wird betreffend die Beschwerdeführerin auf jene höchstgerichtliche Rechtsprechung verwiesen, wonach ein Fremder mit siebenjährigem Aufenthalt in Österreich, der Absicht eine Ehe mit einer Österreicherin zu schließen, einem in Österreich geborenen Sohn, einer nahezu durchgehenden Beschäftigung, perfekten Deutschkenntnissen, Unbescholtenheit und vielfacher sozialer Vernetzung und Integration keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale zugebilligt (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

3.4. In einer Gesamtbetrachtung und nach einem Vergleich mit der Rechtsprechung ist somit davon auszugehen, dass hinsichtlich der Beschwerdeführerin kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall vorliegt, sodass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG zu erteilten wäre.

3.5. Zusätzlich zur soeben vorgenommenen Beurteilung, wonach kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall vorliegt, ist nochmals auf den Sinn der Bestimmungen des § 56 Abs 1 Z 1 und 2 AsylG (mindestens dreijährig rechtmäßiger Aufenthalt bei einem Mindestaufenthalt von fünf Jahren) einzugehen. Nach der oben zitierten Rechtsprechung widerspricht es dem Sinn dieser Bedingung, wenn die notwendige Dauer der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts durch bewusst wahrheitswidrige Identitätsangaben mit dem zugestandenen Ziel, eine Abschiebung zu verhindern erreicht wurde (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0032).

Im gegebenen Fall wurden zwar keine wahrheitswidrigen Identitätsangaben, die zur Verlängerung des Verfahrens und damit zur Verzögerung einer Abschiebung geführt hätten, abgegeben. Jedoch wurden im Verfahren hinsichtlich des Antrages der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gefälschte Unterlagen vorgelegt die das Fluchtvorbringen des damaligen Ehemannes der Beschwerdeführerin, auf dessen Fluchtgründe sich die Beschwerdeführerin bezog, belegen hätten sollen. Im Erkenntnis betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz (L515 2121140-2/21E) hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin vorbrachte, deshalb bedroht zu sein, da dessen Vater an der Festnahme des XXXX involviert gewesen sei. Nach den Recherchen des Vertrauensanwaltes in Armenien (vgl. zur Glaubhaftigkeit dessen Angaben die ausführliche Beweiswürdigung des hg. Erkenntnisses GZ L515 2121140-2/21E) stellen jene Dokumente der armenischen Polizei, mit denen die Ausreisegründe bzw. die Rückkehrhindernisse bewiesen hätten werden sollen, Totalfälschungen dar. Die Festnahme des XXXX , zum vom Ehemann der Beschwerdeführerin behaupteten Zeitpunkt sowie aufgrund der behaupteten Umstände, hat nach den Ermittlungsergebnissen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht stattgefunden. Es steht somit ebenso fest, dass sich jene Ereignisse, welche sich in Reaktion auf diese Festnahme behauptetermaßen zugetragen hätten, ebenfalls nicht stattgefunden haben.

Für das gegenständliche Verfahren ist dies insofern von Relevanz, da das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin von Beginn an auf falschen Angaben fußte und mit der Vorlage von gefälschten Dokumenten belegt hätte werden sollen. Aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht zu veranlassenden Ermittlungen (vgl. Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit), kam es zu einer wesentlichen Verlängerung des Verfahrens hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz und somit zu einer wesentlichen Verlängerung des rechtmäßigen, auf das Asylrecht gestützten Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet. Diesbezüglich führte auch das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 04.12.2019 (schriftliche Ausfertigung vom 30.03.2020) aus, dass „sich ein wesentlicher Teil der Aufenthaltsdauer aus dem Vorbringen und dem hierauf aufbauenden aufwendigen und zeitintensiven Ermittlungsverfahren ergibt“ und davon auszugehen sei, „dass die Aufenthaltsdauer als wesentlich kürzer anzunehmen ist, wenn die bP1 im Verfahren durchgehend wahre Angaben gemacht hätte“. Der Sinn der Bestimmung des § 56 AsylG, die Legalisierung von zumindest zur Hälfte legalen Aufenthalten von über fünf Jahren, wurde mit der Vorlage gefälschter Unterlagen massiv untergraben. Hierbei ist auch noch darauf hinzuweisen, dass sich die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung gerade einmal fünf Jahre, zwei Monate, drei Wochen und fünf Tage im Bundesgebiet aufgehalten hat, weshalb durch die Vorlage der Totalfälschungen der Polizeidokumente zur Glaubhaftmachung des Asylvorbringens, somit zweifelsohne eine Verfahrensverzögerung einhergegangen ist, besonderes Gewicht zukommt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen ist somit auch aufgrund der Untergrabung des Sinnes der Bestimmung des § 56 AsylG nicht möglich.

3.6. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist somit als unbegründet abzuweisen.

Zur Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien (§ 10 AsylG; § 52 FPG; § 9 BFA-VG)

3.7. Gemäß § 10 Abs 3 AsylG ist eine Entscheidung, wonach ein Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG abgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG zurück- oder abgewiesen wird.

3.8. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich als armenische Staatsangehörige um eine Drittstaatsangehörige und der von ihr gestellte Antrag gemäß § 56 AsylG wurde abgewiesen.

3.9. Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens in Österreich käme.

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Art 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

3.10. Wie bereits ausgeführt, kommt eine Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen dann in Betracht, wenn die Schwelle eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG aus Gründen des Art 8 EMRK noch nicht erreicht wird (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0255).

3.11. Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG (auch) deshalb abgewiesen, da das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles nicht als gegeben erachtet wurde (vgl. Ausführungen oben). Daraus resultiert, dass die Integration der Beschwerdeführerin die Schwelle des Art 8 EMRK nicht erreicht. Dies auch unter Berücksichtigung folgender Interessenabwägung:

Die Beschwerdeführerin befindet sich seit etwa fünf Jahren und sieben Monaten in Österreich. Gegen ihren weiteren Aufenthalt in Österreich spricht, dass sie unrechtmäßig einreiste, dass sie von einem österreichischen Bezirksgericht wegen versuchten Diebstahls zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Wochen verurteilt wurde, dass sie sich seit der rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz am 04.12.2019 unrechtmäßig in Österreich aufhält und sich der ausgesprochenen Ausreiseverpflichtung widersetzte. Zudem ist sie in Österreich nicht erwerbstätig und war von ihrer Einreise im Dezember 2014 bis zum Jänner 2020 auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen. Die für den Verbleib der Beschwerdeführerin in Österreich sprechenden Umstände betreffend ihr Privatleben (Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1, Einstellungszusagen, gesicherte Unterkunft und Krankenversicherungsschutz, Freunde und Förderer) erreichen nicht, wie bereits oben ausgeführt, ein solches Gewicht, als dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die seit der Antragstellung gesetzten integrationsbergründenden Schritte setzte schließlich auch die Beschwerdeführerin in einem Zeitraum, in dem sie sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste und die erreichte Integration muss deshalb entsprechend relativiert werden (zB VwGH 28.03.2019, Ro 2019/01/0003).

Hinsichtlich ihres Familienlebens in Österreich wird darauf hingewiesen, dass sich in Österreich ihr geschiedener Mann befindet, welcher in Strafhaft ist und zur Ausreise aus Österreich verpflichtet ist. Weiters lebt die Beschwerdeführerin mit ihren beiden minderjährigen Söhnen in Österreich zusammen; da mit hg. Erkenntnissen vom heutigen Tage auch gegen die Söhne eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde und sich keine weiteren Familienmitglieder der Beschwerdeführerin in Österreich befinden, greift die Rückkehrentscheidung nicht in das Familienleben der Beschwerdeführerin ein.

Es deutet auch nichts darauf hin, dass sich die Beschwerdeführerin nicht erneut in die Gesellschaft Armeniens integrieren könnte, zumal sie dort sozialisiert wurde, die Landessprache spricht, den Großteil ihres Lebens dort verbrachte, mehrere Ausbildungen dort absolvierte und auch beruflich tätig war. Auch ihre Mutter und ihr Bruder leben nach wie vor in Armenien. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass selbst bei einem etwa acht Jahre dauernden inländischen Aufenthalt ein Fremder dadurch nicht gehindert ist, sich wieder eine existenzielle Grundlage im Herkunftsland aufzubauen (VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162).

Insofern die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 12.03.2020 darlegte, dass sie sich aufgrund der Scheidung in Armenien nicht mehr reintegrieren könnte und sie mit den Kindern nicht mehr bei den Schwiegereltern wohnen könne, da diese ihr aufgrund der Scheidung nun feindlich gestimmt wären und ihre Sicherheit durch ihren Exmann gefährdet sei (AS 145ff), so wird darauf hingewiesen, dass die armenische Gesellschaft zwar von patriarchalen Verhältnissen geprägt ist, dass aber aufgrund der getroffenen Feststellungen der Situation der Frauen im Allgemeinen nicht von einer Stigmatisierung geschiedener Frauen ausgegangen werden kann. Seit 2015 hat Armenien bei der Schaffung und Verbesserung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung häuslicher Gewalt bedeutende Fortschritte gemacht. Es wird hg. nicht verkannt, dass dadurch nicht jeder Vorfall verhindert werden kann oder tatsächlich aufgeklärt wird. Es kam in der öffentlichen Debatte zu einem spürbaren Einstellungswandel zum Thema häuslicher Gewalt und es wurde den staatlichen Behörden eine positive Verpflichtung auferlegt, solche Gewalt zu verhindern und die Opfer zu schützen. Es verpflichtet die Behörden auch, eine nationale Strategie zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu entwickeln und umzusetzen, Unterkünfte für Opfer von Gewalt einzurichten, ihnen kostenlose medizinische Versorgung zu bieten und regelmäßige Schulungen für alle in diesem Bereich tätigen Fachleute durchzuführen. Es ist daher festzuhalten, dass im Falle befürchteter Gewalt es der Beschwerdeführerin frei steht, sich an die armenischen Behörden zu wenden, welche gewillt und befähigt sind, ihr Schutz zu gewähren. Es wird diesbezüglich auch festgehalten, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde die von ihr befürchtete Gewaltanwendung durch ihren Exmann nicht mehr anführt. Insofern die Beschwerdeführerin vorbrachte, von Obdachlosigkeit bedroht zu sein, da sie weder bei ihren Schwiegereltern noch bei anderen Verwandten unterkommen könnte, so wird auf die Feststellungen zur Lage in Armenien verwiesen, wonach alle armenischen Staatsbürger dazu berechtigt sind, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, es Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen gibt und der armenische Migrationsdienst auch vorübergehende Unterkünfte für aus dem Ausland rückkehrende Armenier anbietet. Weiters gibt es zahlreiche Unterstützungsleistungen des armenischen Staates für Frauen die von Gewalt, Obdachlosigkeit und finanziellen Schwierigkeiten betroffen sind. Diesbezüglich wird auf die im hg. Erkenntnis vom 04.12.2019, schriftliche Ausfertigung vom 30.03.2020, verwiesen (L515 2121140-2/21E, S. 47f).

3.12. Die öffentlichen Interessen des Schutzes der öffentlichen Ordnung, insbesondere in Form der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes stehen den Interessen der Beschwerdeführerin gegenüber. Im Rahmen einer Abwägung dieser Fakten iSd Art 8 Abs 2 EMRK und unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes erweisen sich die individuellen Interessen des Beschwerdeführers iSd Art 8 Abs 1 EMRK nicht als so ausgeprägt, dass sie insbesondere das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung nach Abschluss des gegenständlichen Verfahrens und der Einhaltung der österreichischen aufenthalts- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiegen.

3.13. Es kann daher im gegenständlich zu beurteilenden Fall der Beschwerdeführerin die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer für unzulässig erklärt und keine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden.

3.14. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs 9 iVm § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung nach Armenien unzulässig wäre.

3.15. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides, mit der die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien bekämpft wurde, wird daher insoweit ebenso abgewiesen.

Zur Ausreisefrist (§ 55 FPG)

3.16. Mit einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 55 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die in der Regel 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides beträgt. Besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, sind nicht zu erkennen und wurden auch nicht behauptet.

3.17. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV des angefochtenen Bescheides wird daher ebenso abgewiesen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.18. Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde vom Bundesamt vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben und ist bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch als aktuell und vollständig zu erachten. Für eine etwaige Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine hinreichenden Anhaltspunkte die einer nochmaligen Anhörung des Beschwerdeführers und Ergänzung des Verfahrens bedurft hätte. Das Bundesamt hat die, die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt und hat das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung geteilt.

In der Beschwerde wurde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender, für die Beurteilung relevanter Sachverhalt konkret und substantiiert behauptet. Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, was bei einer nochmaligen Anhörung - außer einer bloßen Wiederholung des bisherigen Vorbringens – an entscheidungsrelevantem Sachverhalt hätte hervorkommen können.

Es konnte daher davon ausgegangen werden, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist und eine Verhandlung entfallen konnte.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer besonders berücksichtigungswürdige Gründe falsche Angaben Integration Interessenabwägung öffentliche Interessen Resozialisierung Rückkehrentscheidung sicherer Herkunftsstaat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L510.2121140.3.00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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