Entscheidungsdatum
28.09.2020Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W144 2229656-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb, StA. von Algerien, gegen den Bescheid des Bundesamtes Für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2020, Zl: 1251165802/191116181, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen. Gem. § 21 Abs. 5 BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Algerien und hat sich im Jahr 1997 (!) nach Griechenland begeben, wo er bis zum Jahr 2014 aufhältig gewesen ist. In der Folge hat sich der BF bis 31.10.2018 in der Tschechischen Republik aufgehalten.
Am 31.10.2019 reiste er ins Bundesgebiet und stellte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Zur Person des BF liegt eine Eurodac-Treffermeldung betreffend Asylantragstellung für Tschechien vom 23.03.2014 vor.
Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:
Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien vom 01.11.2019 gab der BF neben seinen Angaben zum Reiseweg lediglich an, dass er wegen der wirtschaftlichen Krise in Griechenland keine Arbeit gefunden habe, und dass er dort auch keine ärztliche Versorgung mehr bekommen habe. In Tschechien habe er ein Problem mit der Sprache gehabt. Wenn man dort die Landessprache nicht spreche, werde man sehr schlecht behandelt. Er habe in Tschechien um Asyl angesucht, sein Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Er wolle nicht nach Tschechien zurückkehren. In Algerien sei er seit dem Jahr 1997 nicht mehr gewesen, er wisse nicht, was ihm dort zustoßen würde.
Das BFA richtete in der Folge am 15.11.2019 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Tschechien. Tschechien akzeptierte dieses Wiederaufnahmeersuchen durch ausdrückliche Zustimmung mit Schreiben vom 28.11.2019 unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 27.02.2020 gab der BF im Wesentlichen zu Protokoll, dass er gesundheitliche Probleme gehabt habe, konkret mit seiner Prostata, eine Operation sei jedoch nicht durchgeführt worden. Er habe in Tschechien auf der Straße gelebt und keine Mittel und keine Unterkunft gehabt. Weiters leide er noch an anderen Krankheiten, so sei er etwa bei dem Rheumaarzt gewesen, da ihm immer kalt gewesen sei. Die auf Tschechisch formulierte Diagnose habe er nicht verstanden. Zudem habe er Probleme mit den Augen, sehe teilweise schlecht und sehe rote Punkte. In Österreich habe man ihm mitgeteilt, dass er einen Augenkatarrh habe und dringend operiert werden müsse, da er sonst erblinde. Er habe einen Termin für September 2020 bekommen. In Tirol sei ihm gesagt worden, dass er eine Operation wegen Hämorrhoiden erhalten solle. Anlässlich seiner Erstbefragung habe er die Wahrheit gesagt, er habe keine Korrekturen anzuführen. Befragt nach Verwandten gab er an, dass er zwei Schwestern in Frankreich habe, ansonsten habe er keine Verwandten in Europa. Es gebe in Österreich keine Personen, von denen er abhängig wäre oder zu denen ein besonders enges Verhältnis bestehe. Nach Vorhalt, dass Tschechien zur Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei, gab der BF an, dass er nicht nach Tschechien zurückkehren wolle, dies im Hinblick auf seine gesundheitlichen Probleme. Er habe auch psychische Probleme und gehe er davon aus, dass sein Asylantrag in Tschechien negativ abgeschlossen worden sei, sodass ihm die Rückverbringung in sein Heimatland drohe. Er sei seit dem Jahr 2014 in Tschechien aufhältig gewesen. Als er nach Tschechien eingereist sei, sei er gesund gewesen; er sei dort im Verlauf des Aufenthaltes erkrankt und sei nicht richtig behandelt worden. In Tschechien seien sie rassistisch behandelt worden.
Unter einem legte der BF diverse medizinische Unterlagen vor.
Eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren XXXX vom 8.2.2020 ergab, dass sich beim BF eine leichtgradige depressive Episode finde. Dazu passen die negativ getrübte Befindlichkeit, die gedrückte Stimmung Freut und Lustlosigkeit, was diesen Kriterien entspreche. Für eine andere Störung finde sich kein Hinweis. Insbesondere kein Hinweis auf eine Angsterkrankung oder Traumafolgestörung. Die Ängste beziehen sich auf Zukunftsängste, diese sind im Rahmen der Depression, leichtgradige Episode zu verstehen. Eine Suizidalität findet sich derzeit nicht. Medizinische Maßnahmen seien anzuraten, konkret ein schlafanstoßendes Antidepressivum wie z.B. Trittico retard.
Das BFA wies sodann den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 28.02.2020 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Tschechien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung des Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Tschechien zulässig sei.
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat wurden im den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):
„Zur Lage im Mitgliedsstaat:
Gesamtaktualisierung am 11.06.2018
1. Allgemeines zum Asylverfahren
Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (MVCR 5.8.2016; vgl. MVCR o.D.a, MVCR o.D.b für weitere Informationen siehe dieselben Quellen).
Quellen:
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (5.8.2016): Procedure for Granting International Protection in the Czech Republic, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/procedure-for-granting-international-protection-in-the-czech-republic.aspx, Zugriff 11.4.2018
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (o.D.a): Course of administrative proceedings for granting international protection, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/course-of-administrative-proceedings-for-granting-international-protection.aspx, Zugriff 11.4.2018
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (o.D.b): Court review of actions and cassation complaints filed against decisions issued during administrative proceedings for granting international protection, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/court-review-of-actions-and-cassation-complaints-filed-against-decisions-issued-during-administrative-proceedings-for-granting-international-protection.aspx, Zugriff 11.4.2018
2. Dublin-Rückkehrer
In der Tschechischen Republik werden Take charge-Rückkehrer automatisch in ein Aufnahmezentrum gebracht, wo diese gefragt werden, ob ihr Verfahren in der Tschechischen Republik fortgesetzt werden soll.
? Wenn ja, wird der Rückkehrer registriert, der Antrag formell eingebracht und das Verfahren fortgesetzt.
? Wenn der Rückkehrer kein Verfahren in der Tschechischen Republik wünscht, wird dieses formell beendet. Der Rückkehrer könnte beantragen in einem freiwilligen Rückkehrverfahren registriert zu werden, ansonsten fällt er unter das Femdenrecht.
Im Falle von Take back-Rückkehrern deren vorhergehendes Asylverfahren noch läuft, werden diese in ein Asylzentrum gebracht und das Verfahren wird fortgesetzt.
Take back-Rückkehrer deren vorhergehendes Asylverfahren bereits abgeschlossen ist, werden in ein Aufnahmezentrum gebracht und gefragt, ob sie einen neuen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollen.
? Wenn ja, wird der Rückkehrer erneut registriert und der Antrag auf internationalen Schutz formell eingebracht (gilt als Folgeantrag).
? Wenn kein Asylantrag gestellt wird, wird das Verfahren beendet. Der Rückkehrer könnte beantragen, in einem freiwilligen Rückkehrverfahren registriert zu werden. Ansonsten steht der Status der Person unter dem Alien Act-Verfahren. Der Rückkehrer könnte beantragen in einem freiwilligen Rückkehrverfahren registriert zu werden, ansonsten fällt er unter das Femdenrecht.
Die Versorgung von Dublin-Rückkehrern in der Tschechischen Republik unterscheidet sich nicht von jener für andere Antragsteller (EASO 24.10.2017).
Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren. Wenn ein vorheriges Asylverfahren eingestellt wurde weil sich der Antragsteller dem Verfahren entzogen hat (z.B. Nichterscheinen zum Interview), wird ein neuer Antrag inhaltlich behandelt. Wenn ein Rückkehrer bereits eine inhaltlich negative Asylentscheidung in der Tschechischen Republik erhalten hat, muss ein Folgeantrag neue Elemente enthalten um zulässig zu sein. Dublin-Rückkehrer haben denselben Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und Unterbringung wie andere Antragsteller (MVCR 16.8.2016).
Quellen:
? EASO – European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query. Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (16.8.2016), per E-Mail
3. Non-Refoulement
Personen, welche die Bedingungen für internationalen Schutz nicht erfüllen, aber wegen eines Risikos ernster Gefährdung nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, können subsidiären Schutz erhalten (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
? USDOS – US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Czech Republic, https://www.ecoi.net/de/dokument/1395772.html, Zugriff 11.4.2018
4. Versorgung
Die Tschechische Republik verfügt zur Unterbringung von Asylwerbern über Empfangszentren, Unterbringungszentren und Integrationsasylzentren. Sie alle unterstehen dem tschechischen Innenministerium und werden von der Refugee Facility Administration verwaltet. Zuerst kommen Antragsteller in ein geschlossenes Reception Center (ReC). ReC gibt es in Zastávka u Brna und am Flughafen Prag Ruzyn?. Der Aufenthalt ist dort verpflichtend, es erfolgen Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und eine medizinische Untersuchung. Neben der Unterkunft und Verpflegung gibt es in ReC soziale und psychologische Dienste, medizinische Versorgung etc. Danach kommen Asylwerber bis zum rechtskräftigen Ende ihres Verfahrens in ein offenes Residential Center (RC), in dem sie das Recht auf Unterkunft, Verpflegung, rechtliche und psychologische Hilfe usw., sowie ein Taschengeld haben. Sozialarbeit hat einen hohen Stellenwert. RC gibt es in folgenden Gemeinden: Kostelec nad Orlicí und Haví?ov. Wenn Asylwerber über Finanzmittel über dem Existenzminimum verfügen, müssen sie sich an den Kosten für Unterkunft und Essen beteiligen. Asylwerber haben unter bestimmten Voraussetzungen das Recht auch außerhalb des Unterbringungszentrums privat zu wohnen. Schutzsuchende können dann auch, wiederum unter bestimmten Bedingungen, für 3 Monate finanzielle Zuwendungen erhalten (MVCR 5.8.2016; vgl. RFA o.D., NIEM 12.2017). Die Bedürfnisse vulnerabler Personen werden bei der Unterbringung berücksichtigt (AA 11.11.1999). Es gibt darüber hinaus noch drei Schubhafteinrichtungen in B?lá pod Bezd?zem, Vyšní Lhoty und Balková (RFA o.D.; vgl. NIEM 12.2017).
Die Höhe des Taschengeldes liegt in den Zentren in denen Essen bereitgestellt wird, bei 1,20 Euro pro Person und Tag. In den Zentren in denen selbst gekocht werden kann, liegt sie bei 4,50 Euro. Die Qualität der Unterbringung wird alle 6 Monate kontrolliert. Unabhängige Überprüfungen durch den Ombudsmann sowie das Gesundheitsamt sind möglich. Tschechien verfügt über etwa 673 Unterbringungsplätze, inklusive jener für Vulnerable und UMA. In den Empfangszentren gibt es Büchereien, Interneträume, Sportplätze, Gelegenheiten zur künstlerischen, handwerklichen und musischen Betätigung, Bereiche für Kinder und Basis-Sprachkurse. In den offenen Unterbringungszentren gibt es zusätzlich Möglichkeiten außerhalb der Zentren, wie etwa Ausflüge (EMN 2014). Nach Ablauf von sechs Monaten ab Antragstellung, haben Asylwerber legalen Zugang zum Arbeitsmarkt, wenn sie über eine gültige Arbeitserlaubnis der regionalen Niederlassung des Arbeitsmarktservice der Tschechischen Republik verfügen (MVRC 7.3.2017).
Quellen:
? AA – Asylum Act (11.11.1999), Stand: 3.4.2016, http://www.mvcr.cz/mvcren/file/asylum-act.aspx, Zugriff 11.4.2018
? EMN – European Migration Network (2014): The Organisation of Reception Facilities for Asylum Seekers in different Member States (veröffentlicht von Europäische Kommission), http://www.emnbelgium.be/sites/default/files/publications/emn_organisation_of_reception_facilities_january_2014_3.pdf, Zugriff 11.4.2018
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (5.8.2016): Procedure for Granting International Protection in the Czech Republic, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/procedure-for-granting-international-protection-in-the-czech-republic.aspx?q=Y2hudW09Mw%3D%3D, Zugriff 11.4.2018
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (7.3.2017): Information for employers, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/information-for-employers.aspx, Zugriff 11.4.2018
? NIEM – National Integration Evaluation Mechanism (12.2017): Asylum seekers and beneficiaries of international protection in V4 countries, https://www.clovekvtisni.cz/media/publications/876/file/v4niem-repot-cz-hu-pl-sk-complete.pdf, Zugriff 11.4.2018
? RFA – Refugee Facilities Administration (o.D.): Facilities aministered by RFA of the Ministry of the Interior, http://www.suz.cz/en/, Zugriff 11.4.2018
4.1. Medizinische Versorgung
Asylwerber genießen die Leistungen des öffentlichen Krankenversicherungssystems (MVCR o.D.b).
Das tschechische Finanzministerium bezahlt die monatlichen Sozialversicherungsbeiträge für bestimmte Gruppen wirtschaftlich inaktiver Personen, darunter auch Asylwerber (HiT 2015).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen
von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Quellen:
? HiT – European Observatory on Health Systems and Policies: Health Systems in Transition, Vol. 17 No. 1 2015; Czech Republic, Health system review, 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1441871505_czech-hit.pdf, Zugriff 11.4.2018
? MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (o.D.b): Court review of actions and cassation complaints filed against decisions issued during administrative proceedings for granting international protection, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/court-review-of-actions-and-cassation-complaints-filed-against-decisions-issued-during-administrative-proceedings-for-granting-international-protection.aspx, Zugriff 11.4.2018
5. Schutzberechtigte
Anerkannte Flüchtlinge erhalten Asyl auf unbestimmte Zeit. Subsidiär Schutzberechtigte bekommen eine befristete Aufenthaltserlaubnis für ein bis zwei Jahre, die verlängerbar ist. Sowohl anerkannte Flüchtlinge als auch subsidiär Schutzberechtigte haben den gleichen Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheits- und Sozialhilfesystem wie tschechische Staatsbürger (NIEM 12.2017).
Die Integrationsasylzentren (Integration Asylum Centers – IAC) in Jarom??, P?edlice, Brünn und ?eská Lípa dienen als temporäre Unterkünfte für Schutzberechtigte. In diesen Zentren stehen separate Wohneinheiten zur Verfügung und für die Miete und Betriebskosten wird ein Selbstbehalt eingehoben. Für Schutzberechtigte wird ein individueller Integrationsplan für zwölf Monate mit Hilfe eines Sozialarbeiters erstellt, der je nach Integrationsverlauf aktualisiert wird. Die Teilnahme daran erfolgt freiwillig. Gemäß dem aktuellen staatlichen Integrationsplan haben international Schutzberechtigte (anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte) neben der temporären Unterbringung ein Recht auf Sprachtraining (kostenloser Kurs im Ausmaß von 400 Stunden) und Unterstützung bei der Suche nach Arbeit, permanenter Unterkunft, Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen (MVCR 7.3.2017). Im Jahr 2016 erhielten 319 Personen Unterstützung im Rahmen des Integrationsprogramms. Davon bekamen 125 Personen Hilfe von Sozialarbeitern bei der Wohnungssuche, 30 Personen fanden einen Arbeitsplatz und 73 Personen nahmen an einem Sprachkurs teil (NIEM 12.2017).
In die Umsetzung des staatlichen Integrationsprogramms sind auch NGOs eingebunden, wie etwa Counselling Centre for Integration (PPI), Caritas Czech Republic, Organisation for Aid to Refugees (OPU), Centre for Integration of Foreigners (CIC), Association for Integration and Migration) (SIMI) oder InBáze (InBaze) etc. Diese arbeiten u.a. auf den Gebieten Unterbringung und Beschäftigung von Schutzberechtigten (MVCR 7.3.2017).
Bei der Integration wird jedoch kritisiert, dass die vier Asylintegrationszentren in eher strukturschwachen Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit liegen (CoE 13.10.2015). Außerdem berichten die Caritas, die im ersten Jahr mit der Überwachung der Umsetzung des Integrationsprogramms beauftragt wurde, und einige direkt am Programm beteiligte Organisationen, dass die unterschätzten Verwaltungskosten, die Unzuverlässigkeit der für die Sprachkurse zuständigen Sprachagentur und die suboptimale Kommunikation mit dem Innenministerium die erfolgreiche Durchführbarkeit des Integrationsprogramms beeinträchtigt haben. Weiters wird angemerkt, dass trotz der positiven Bestrebungen seitens der Regierung, weiterhin ein eindeutiger Weiterentwicklungs- und Verbesserungsbedarf bei Integrationsmaßnahmen in der Tschechischen Republik besteht (Globsec 5.2017).
Quellen:
? CoE-ECRI – Council of Europe – European Commission against Racism and Intolerance (13.10.2015): ECRI Report on the Czech Republic (fifth monitoring cycle), http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1460532419_cze-cbc-v-2015-035-eng.pdf, Zugriff 11.4.2018
? Globsec (5.2017): Migration politics and policies in Central Europe, https://www.globsec.org/wp-content/uploads/2017/08/migration_politics_and_policies_in_central_europe_web.pdf, Zugriff 11.4.2018
? MVCR – Tschechisches Innenministerium (7.3.2017): Integration of recognized refugees, http://www.mvcr.cz/mvcren/article/integration-of-recognized-refugees-913320.aspx?q=Y2hudW09MQ%3d%3d, Zugriff 11.4.2018
? NIEM – National Integration Evaluation Mechanism (12.2017): Asylum seekers and beneficiaries of international protection in V4 countries, https://www.clovekvtisni.cz/media/publications/876/file/v4niem-repot-cz-hu-pl-sk-complete.pdf, Zugriff 11.4.2018
A) Beweiswürdigung
Die Behörde gelangt zu obigen Feststellungen aufgrund folgender Erwägungen:
[ … ]
Betreffend die Feststellungen zur Lage im Mitgliedsstaat:
Die Feststellungen zum Mitgliedstaat basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 Abs. 2 BFA-G zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass alle zitierten Unterlagen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen.
Die Länderfeststellungen ergeben sich aus den zitierten, unbedenklichen Quellen. Bezüglich der von der erkennenden Behörde getätigten Feststellungen zur allgemeinen Situation im Mitgliedstaat ist festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind. Gemäß § 45 Absatz 1 AVG bedürfen nämlich Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (so genannte „notorische“ Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze 13-MSA1998-89) keines Beweises. „Offenkundig“ ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder „allgemein bekannt“ (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch „bei der Behörde notorisch“ (amtsbekannt) geworden ist; „allgemein bekannt“ sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen – ohne besondere Fachkenntnisse – hergeleitet werden können (VwGH 23.01.1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch 2 Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im Wesentlichen gleichlautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden, wobei sich die Allgemeinnotorietät nicht auf die bloße Verlautbarung beschränkt, sondern allgemein bekannt ist, dass die in den Massenmedien verbreiteten Tatsachen auch der Wahrheit entsprechen.
Im Rahmen der Erstbefragung zu diesem Antrag führten Sie am 10.01.2020 befragt zu Ihrem Aufenthalt in den durchreisten EU-Ländern lediglich aus, dass Sie in Tschechien ein Sprachproblem gehabt hätten. Wenn man die Landessprache nicht spricht, würde man schlecht behandelt.
Im Zuge des Parteiengehörs vor dem BFA Erstaufnahmestelle West am 27.02.2020 führten Sie folgendes aus: Sie würden sich psychisch und physisch in der Lage fühlen, die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.
Weiters führten Sie aus, dass Sie von Ihren 2 Schwestern aus Frankreich gelegentlich Taschengeld (€ 50.-) erhalten würden.
Zu Ihrem Aufenthalt in Tschechien befragt führten Sie folgendes aus:
Sie seien krank, Sie hätten diesbezüglich Probleme in der Tschechei gehabt, weil es sprachliche Probleme gegeben habe. Man habe Sie dort nicht verstanden. Sie wären dort operiert worden, hätten danach Probleme mit meiner Prostata gehabt. Der Urologe habe wegen Krebs biopsieren wollen. Diese wäre aber nicht durchgeführt worden. Zu dem Zeitpunkt seien Sie im Beschwerdeverfahren gewesen und hätten nicht im Camp wohnen dürfen. Sie wären auf der Straße gewesen und hätten keine Mittel für eine Unterkunft gehabt. Außerdem hätten Sie noch andere Krankheiten. Im Camp seien Sie krank geworden. Sie seien bei einem Rheumaarzt gewesen, Ihnen sei die ganze Zeit kalt gewesen. Es habe eine Diagnose gegeben, welche Sie aber auf Tschechisch nicht verstanden hätten. Somit sei es für Sie unmöglich gewesen, auf der Straße zu verbleiben. Sie hätten Probleme mit den Augen gehabt. Sie hätten teilweise schlecht und mit roten Punkten gesehen. Der Augenarzt habe gesagt, dass Sie jährlich eine Kontrolle durchführen müssen. Bei den ersten beiden Kontrollen habe er gesagt, dass Sie nichts hätten. Sie hätten aber darauf bestanden. Bei der dritten Kontrolle sei es schlimmer gewesen, weil Sie zusätzlich noch eine Allergie gehabt hätten. Die Assistenten hätten gesagt, dass man Sie nicht aufnehmen werde, da Sie kein tschechisch sprechen. Sie seien mit einem Bekannten, der tschechisch spricht zum Arzt gegangen. Der Arzt habe so getan, als ob er Ihren Akt im PC nicht finden könnte. In Österreich habe man Ihre Augen untersucht und man habe einen Augenkatharrh (Augenentzündung) festgestellt. Sie müssten dringend operiert werden, sonst würden Sie erblinden. Sie seien im Jänner 2020 in ein Krankenhaus in Wien überwiesen worden. Dort wäre mir ein Termin für den September 2020 für eine OP festgelegt worden.
Alle diesbezüglichen Unterlagen befänden sich in Ihrer Unterkunft in der Betreuungsstelle in Tirol.
Sie wurden aufgefordert sämtliche in Ihrem Besitz befindlichen und auch während der Dauer dieses Verfahrens zukünftig in Ihrem Besitz befindlichen medizinischen Unterlagen umgehend und unaufgefordert dieser Behörde zu übermitteln.
Zu den am 01.11.2019 ausgefolgten Info- und Belehrungsblatt zum Ermittlungsverfahren befragt gaben Sie an, dass diese in Arabisch gewesen seien und Sie diese nicht verstanden hätten.
Nachdem Ihnen diese in französischer Sprache ausgefolgt und erklärt wurden, gaben Sie an, Sie hätten alles verstanden und Ihnen seien Ihre Rechte und Pflichten bewusst.
Sie hätten in der Erstbefragung am 01.11.2019 wahrheitsgemäße Angaben gemacht und keine Ergänzungen oder Korrekturen anzubringen.
Später befragt, ob Sie sämtliche Gründe für die Antragstellung hier in Österreich genannt hätten, gaben Sie an, Ja. Sie seien seit dem Februar 2018 wieder politisch aktiv aufgrund der Revolution in Algerien würden Sie über Facebook und Internet posten.
Sie hätten somit alles vollständig geschildert.
Sie wollten nicht nach Tschechien zurückkehren, weil Sie gesundheitliche Probleme hätten. Es gehe Ihnen auch psychisch schlecht. Aufgrund der fehlenden medizinischen Behandlung in Tschechien möchten Sie hierbleiben.
Befragt nach weiteren Gründen, führten Sie aus, dass Sie außerdem dort bei Rückkehr keine Unterkunft hätten. Sie glaubten auch, dass Ihr Verfahren dort abgeschlossen worden sei. Es könne sein, dass Ihre Beschwerde abgelehnt wurde und das Verfahren bereits abgeschlossen sei. Sie gingen davon aus, dass in Ihrer Abwesenheit das zweite Urteil bereits ergangen sei. Somit würden Sie dann vor einer Abschiebung in Ihr Heimatland stehen. Das sei alles.
Sie hätten sich seit 2014 in Tschechien aufgehalten.
Nach konkret Sie betreffende Vorfällen (außer dem Geschilderten) befragt gaben Sie an, Nein. Außer Ihren psychologischen Problemen hätten Sie dort keine Probleme gehabt.
Nach einer Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Tschechien befragt, gaben Sie an, Nein. Sie hätten die Unterlagen zur Rechtsberatung nicht mitgenommen und somit würden Sie nicht wissen, was da drinnen steht.
Nachdem Ihnen die wesentlichen Punkte der Länderfeststellung (Asylverfahren Take back, Versorgung, med. Behandlung) durch die Dolmetscherin übersetzt wurden, gaben Sie an, Sie seien damals auch versichert gewesen, hätten aber die Behandlung nicht verstehen und fortsetzen können, weil kein Dolmetscher zur Verfügung gestanden habe. Deshalb habe es auch falsche Diagnosen gegeben, die Ihnen hier in Österreich bestätigt worden seien. Als Sie nach Tschechien einreisten, seien Sie gesund gewesen. Im Verlauf des Aufenthaltes seien ich krank und nicht richtig behandelt worden. Deshalb habe sich Ihr Zustand verschlechtert. Sie hätten bei einer Hilfsorganisation nach einem Dolmetscher gefragt, aber niemand habe einen Dolmetscher angeboten. Die Medikamente für Kleinkrankheiten müsse man selber bezahlen.
Abschließend führten Sie noch an, rassistisch behandelt worden zu sein.
Soweit Sie in der Erstbefragung am 01.11.2020 angaben, dass Sie in Tschechien wegen der Sprache Probleme gehabt hätten, wenn man dort die Landessprache nicht spreche, man sehr schlecht behandelt werde, als auch im Zuge des Parteiengehörs am 27.02.2020 ausführten, dass Sie rassistisch behandelt worden seien, wird ausgeführt, dass daraus nicht generell geschlossen werden kann, dass die tschechische Polizei oder die Behörden systematische Übergriffe gegen Asylwerber durchführt, die den Schutzbereich des Art. 2 und Art. 3 EMRK berühren. Verkannt wird in diesem Zusammenhang aber nicht, dass entsprechende Fälle von Fehlverhalten tschechischer Staatsorgane gegen Asylwerber vorkommen können. Es ist aber klar festzustellen, dass es sich bei Tschechien um einen Rechtsstaat mit ausreichenden Rechtsschutzeinrichtungen handelt, um sich gegen behördliches Fehlverhalten zur Wehr setzen zu können.
Zur Sprachproblematik ist weiters festzuhalten, dass Sie selbst im Zuge des Parteiengehörs ausführten, dass Sie ein sprachkundiger Freund zum Augenarzt begleitet hat. Daraus schließt die Behörde, dass es Ihnen durchaus möglich ist, auch künftig eine sprachkundige Person zur Unterstützung beizustellen.
Zu Ihren Angaben in der Erstbefragung, dass Ihre Asylstatus abgelehnt worden sei, als auch zu Ihren Angaben im Zuge des Parteiengehörs, dass Sie vermuteten, Ihr Asylverfahren sei bereits abgeschlossen und Sie nach Algerien abgeschoben würden, wird darauf hingewiesen, dass die tschechischen Behörden am 28.11.2019 die Zustimmung zu Ihrer Rücküberstellung gem. Art. 18 (1) b erteilten. Art. 18 (1) b der Dublin VO besagt, dass Ihr Verfahren in Tschechien noch nicht abgeschlossen wurde und somit weitergeführt wird.
Zu Ihren Angaben im Zuge der Erstbefragung, wo Sie lediglich ausführten, dass Sie nicht nach Tschechien zurückkehren möchten, weil Sie dort mangels Sprachkenntnisse schlecht behandelt worden wären und Sie hier in Österreich bleiben möchten, als auch im Zuge des Parteiengehörs ausführten, dass Sie aufgrund fehlender medizinischer Behandlung hier in Österreich bleiben möchten, wird festgehalten, dass sich Asylwerber im Zuge der Feststellung des für das Asylverfahren zuständigen Dublin Staates nicht einen Mitgliedstaat aussuchen können. Es ist auch auf den Hauptzweck der Dublin II-VO zu verweisen, wonach eine im Allgemeinen von individuellen Wünschen der Asylwerber losgelöste Zuständigkeitsreglung zu treffen ist. Schwierige Lebensbedingungen, wie etwa regional bestehende Engpässe bei den Aufnahmekapazitäten oder Umstände, wie sie von Ihnen bemängelt wurden, weisen selbst im Falle ihres Zutreffens keine die Schwelle des Art. 3 EMRK übersteigende Eingriffsintensität auf (vgl. dazu in einem ähnlich gelagerten Fall Erkenntnis des AGH vom 13.03.2013, Zl. S2 433.030-1/2013/3E).
Im Zusammenhang mit der Versorgung von Asylwerbern in Tschechien wird auf oben angeführte Länderfeststellungen verwiesen, in der unter Punkt 4. Versorgung hervorgeht, dass eine entsprechende Versorgung sichergestellt ist.
Darüber hinaus ist nochmals festzuhalten, dass Sie vor einer Überstellung amtsärztlich untersucht werden und Ihnen ausreichend Medikamente – sofern verordnet – mitgegeben werden.
Zu Ihren behaupteten Fehldiagnosen in Tschechien ist anzuführen, dass es auch in Österreich zu Fehldiagnosen von Ärzten kommen kann. Dies stellt jedoch keinen Grund dar, eine Rücküberstellung nach Tschechien hintanzuhalten, zumal es hinreichend andere Ärzte und Krankenhäuser gibt, die Ihren medizinischen Bedürfnissen entsprechend die erforderlichen Behandlungen durchführen können.
Darüber hinaus wird auf die oben angeführten Länderfeststellungen zur Lage der Asylwerber in Tschechien verwiesen, in welchen konkret ausgeführt ist, dass es in Tschechien ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit existiert. Bei Take back - Rückkehrern deren vorhergehendes Asylverfahren noch läuft, werden diese in ein Asylzentrum gebracht und das Verfahren wird fortgesetzt.
Selbst wenn Ihr Asylverfahren abgeschlossen wurde, so geht aus den Länderfeststellungen eindeutig hervor, dass Sie dort jederzeit einen Folgeantrag stellen können. (Siehe dazu Punkt 2. Dublin Rückkehrer:
Take back-Rückkehrer deren vorhergehendes Asylverfahren bereits abgeschlossen ist, werden in ein Aufnahmezentrum gebracht und gefragt, ob sie einen neuen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollen.
• Wenn ja, wird der Rückkehrer erneut registriert und der Antrag auf internationalen Schutz formell eingebracht (gilt als Folgeantrag).
Die Behörde schenkt dem Amtswissen deshalb Glaubwürdigkeit, weil dieses aus verlässlichen, aktuellen und unbedenklichen Quellen stammt, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei ist. Die ausgewogene Auswahl der Quellen zeigt in ihrem wesentlichen Inhalt übereinstimmend das geschilderte Bild über die aktuelle Lage der Asylwerber und deren (medizinische) Versorgung in Tschechien.
Auch ist darauf zu verweisen, dass schon aufgrund der ausdrücklichen Zusicherung seitens der tschechischen Behörden, Sie zu übernehmen und das dort noch anhängige Verfahren durchzuführen, keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden kann, dass man Sie in Tschechien ohne jegliche staatliche (medizinische) Versorgung gleichsam Ihrem Schicksal überlassen würde.
Zusammenfassend sind aus Ihren eigenen Angaben keine stichhaltigen Gründe zu entnehmen, dass Sie tatsächlich konkret Gefahr laufen würden, in Tschechien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass Ihnen eine Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Sie tätigten auch weder bei der Erstbefragung, noch vor dem BFA Aussagen, welche Sie selbst auch vermuten lassen könnte, dies befürchten zu müssen. Es ist auch laut allgemeinen Feststellungen zur Lage in Tschechien über solche Übergriffe nichts bekannt geworden.“
Es folgte im angefochtenen Bescheid die rechtliche Beurteilung zu den beiden Spruchpunkten. Der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO formell erfüllt (und gemeint: sohin Tschechien für die Prüfung des Antrags zuständig) sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der GRC oder der EMRK im Falle einer Überstellung des BF ernstlich für möglich erscheinen lassen, seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu und es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Humanitäre Gründe gem. Art 16 und 17 Abs. 2 Dublin III-VO lägen (implizit) nicht vor. Seine Ausweisung stelle mangels ausreichend enger familiärer Anknüpfungspunkte und dem Umstand, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet zu kurz gewesen sei, keinen ungerechtfertigten Eingriff in sein Grundrecht nach Art. 8 EMRK dar.
Gegen diesen am 02.03.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde des BF, in welcher er im Wesentlichen die allgemeinen Unterbringungs- und Aufnahmebedingungen für Asylwerber in Tschechien bemängelten.
Mit Mitteilung vom 12.03.2020 teilte das BFA Tschechien mit, dass der BF untergetaucht („absconded“) ist, sodass sich die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate (bis 28.05.2021) verlängert hat.
Mit Beschluss vom 19.03.2020, Zl. W144 2229656-1/3E, wurde dieser Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG mangels jeglicher Feststellungen zur damals beginnenden Pandemiesituation behoben. Der dagegen erhobenen Amtsrevision wurde mit Erkenntnis des VwGH vom 06.08.2020 stattgegeben und ausgeführt, dass allfällige Sachverhaltsergänzungen vom BVwG selbst hätten vorgenommen werden müssen.
Der BF ist mittlerweile (aus eigenem Antrieb) in die BRD weitergereist und dort aufhältig, ein Rückübernahmeersuchen seitens der BRD wurde vom BFA mit dem Hinweis, das Tschechien in casu zuständig sei, abgelehnt.
In der Folge wurde am 28.09.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, in welcher im Wesentlichen die derzeitige Pandemiesituation erörtert und diesbezüglich festgestellt wurde, dass keine Umstände vorliegen, dass allein aufgrund der Pandemiesituation, die sich in Tschechien in vergleichbarer Weise wie in Österreich darstellt, davon ausgegangen werden müsste, dass gleichsam jede Person die in Tschechien aufhältig ist bzw. dorthin zurückkehrt, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in ihren Rechten gemäß Art. 3 EMRK bedroht sein würde.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.
Besondere, in der Person des BF gelegene Gründe, welche für eine reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Tschechien sprechen, liegen nicht vor.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat an.
Der BF hat im Bundesgebiet keine familiären Anknüpfungspunkte und lebte auch mit keiner sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder familienähnlichen Lebensgemeinschaft.
Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.
Zur Pandemiesituation wird festgestellt, dass Tschechien zwar - vergleichbar wie Österreich - derzeit mit einem deutlichen Anstieg von infizierten Personen konfrontiert ist, dass es aber keine Hinweise dafür gibt, dass die tschechischen Gesundheitsbehörden mit der Situation in dramatischer Weise überfordert wären oder das Gesundheitssystem zusammenbrechen würde. Im Gegensatz zur Situation im März 2020, die davon gekennzeichnet war, dass Europa vor einer völlig neuen Herausforderung gestanden ist und vor allem die dramatischen Entwicklungen in Italien Sorge über die Entwicklung des Pandemieverlaufes hervorgerufen haben, ist mittlerweile die Situation insofern deutlich entspannter, als die Medizin Fortschritte gemacht hat, sodass zum einen die Sterblichkeitsrate und die Anzahl der Fälle, die intensivmedizinischer Betreuung bedürfen, nicht mehr mit den vormaligen italienischen Zahlen vergleichbar sind, und zum anderen die Gesundheitsbehörden besser auf einen vermehrten Anstieg der Fallzahlen vorbereitet sind.
Konkret wird zum Datum 28.09.2020 festgestellt, dass eine partielle Reisewarnung seitens des Außenministeriums in Bezug auf Tschechien besteht, konkret wird vor Reisen nach Prag gewarnt. Für den Rest des Landes gilt weiterhin die Sicherheitsstufe 4. Seit 10.09.2020 wurde in Tschechien wieder die allgemeine Maskenpflicht eingeführt, somit ist nun ein Mund-Nasen-Schutz in allen inneren öffentlich zugänglichen Räumen, sowie im öffentlichen Transport zu tragen.
Damit ist die Situation in Tschechien im Wesentlichen mit jener in Österreich vergleichbar!
Es lassen sich bei einer aktuellen Internetrecherche keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die Pandemiesituation in Tschechien etwa außer Kontrolle geraten würde, in dem Sinn dass ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems und/oder der öffentlichen Einrichtungen zu befürchten wäre. Viel mehr ergreift Tschechien in gleicher Weise wie Österreich Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Akt des BFA, insbesondere dem Eurodac-Treffer, dem tschechischen Antwortschreiben im Rahmen der Dublin-Konsultationen, und dem Vorbringen des BF selbst.
Die Feststellung zur gesundheitlichen und familiären Situation des BF im Bundesgebiet ergibt sich aus seinem Vorbringen. Insbesondere hat der BF keine akuten oder lebensbedrohenden Erkrankungen dargetan und wurde in der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren aus medizinischer Sicht lediglich die Einnahme eines schlafanstoßenden Mittels angeraten, was eben gegen das Vorliegen von akuten bzw. schwerwiegenden bzw. gar lebensbedrohenden Krankheiten spricht.
Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen.
Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Tschechien auch Feststellungen zur tschechischen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf „Dublin-Rückkehrer“) samt dem dortigen jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Erwägungen zur Beweiswürdigung an.
Die die Feststellungen zur Pandemie-Situation ergeben sich zum einen aus der allgemeinen Medienberichterstattung, so ist insbesondere als notorisch hervorzuheben, dass sich die aktuelle Situation von jener, die im März 2020 zu Beginn der Pandemiewelle in Europa gegeben war, insofern maßgeblich unterscheidet, als derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine dramatische Entwicklung in Europa verbunden mit einem Zusammenbruch der Gesundheitssysteme erfolgen wird. Zum anderen aus einem Situationsüberblick des BMEIA vom 28.09.2020 (www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tschechie-republik/) bezüglich der partiellen Reisewarnung für Prag und der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
…
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
§ 61 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012 lautet:
„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. …
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates („Dublin III-VO“) zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates lauten:
„KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Art. 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Artikel 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des
Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, d s Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese
Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
KAPITEL V
PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 18
Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.