TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/4 G314 2208956-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2020
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Entscheidungsdatum

04.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2208956-1/10E

ENDERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des ungarischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .10.2018, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)             Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es wie folgt zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt.“

B)              Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde in Österreich insgesamt viermal strafgerichtlich verurteilt. Zuletzt wurde über ihn mit dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , eine zweimonatige Freiheitsstrafe verhängt, die er von XXXX . bis XXXX .2018 in der Justizanstalt XXXX verbüßte.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leitete aus diesem Grund im September 2018 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein und forderte den BF mit Schreiben vom 21.09.2018 auf, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Eine entsprechende Stellungnahme langte am 27.09.2018 beim BFA ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit den strafgerichtlichen Verurteilungen begründet. Der BF habe keine privaten oder familiären Anknüpfungen in Österreich, weil er mittlerweile in Deutschland lebe und arbeite. Er besuche seine Mutter in Ungarn regelmäßig.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu auf Herabsetzung der Befristung des Aufenthaltsverbots. Das BFA habe dieses alleine mit den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF begründet, was nicht rechtskonform sei. Er habe nur Vergehen begangen und sich reumütig und geständig verantwortet. Er sei lediglich einmal zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden, sonst seien bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen oder Geldstrafen verhängt worden. Auch sein Status als Freigänger während der Haft spreche gegen seine Gefährlichkeit. Er lebe mittlerweile in Deutschland, wo er als XXXX erwerbstätig sei und keine Straftaten begangen habe. Seine wirtschaftliche Situation sei nicht so schlecht, dass weitere Delikte zu befürchten seien. Er habe vor, freiwillig nach Ungarn zurückzukehren. Entgegen der Ansicht des BFA gehe von ihm keine Gefahr für die österreichische Gesellschaft aus.

Das BFA legte am 07.11.2018 die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragte deren Abweisung.

Mit Teilerkenntnis vom 12.11.2018 behob das BVwG Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos.

Nach der Entlassung aus der Strafhaft reiste der BF am XXXX .2018 freiwillig nach Ungarn aus.

Am 03.12.2018 langte der ungarische ECRIS-Auszug des BF beim BVwG ein.

Mit der Beschwerdenachreichung vom 17.07.2019 wurde das BVwG über den Verdacht eines versuchten Opferstockdiebstahls durch den BF laut dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX .07.2019 informiert.

Feststellungen:

Der BF ist ungarischer Staatsangehöriger und kam am XXXX in der ungarischen Hauptstadt XXXX zur Welt. Er ist gesund und arbeitsfähig, ledig und ohne Sorgepflichten. Seine Muttersprache ist Ungarisch, er spricht zudem Deutsch. Er hat keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Seine Mutter, die er regelmäßig besucht, lebt in XXXX (Stellungnahme AS 125 ff; Erkennungsdienstliche Evidenz AS 20).

Der BF besitzt einen bis Oktober 2023 gültigen ungarischen Personalausweis (Ausweiskopie AS 31 ff). Zwischen 2011 und 2018 hielt er sich immer wieder im Bundesgebiet auf (ZMR-Auszug). Er war hier zwischen September 2011 und Februar 2014 immer wieder unselbständig erwerbstätig. Am 24.06.2013 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt (IZR-Auszug). Zwischen September 2011 und Jänner 2013 sowie im Jänner und Februar 2014 war er tageweise geringfügig beschäftigt. Von XXXX .2012 bis XXXX .2012 sowie von XXXX .2013 bis XXXX .2013 bestand jeweils eine durchgehende geringfügige Beschäftigung. Zwischen Juli und Dezember 2012 sowie zwischen Jänner und Oktober 2013 bestanden vollversicherte Beschäftigungsverhältnisse. Von Oktober 2013 bis April 2014 bezog der BF Arbeitslosengeld, danach (mit Unterbrechungen) bis Februar 2017 Notstandshilfe (Versicherungsdatenauszug).

Der BF weist zahlreiche strafgerichtliche Verurteilungen in Ungarn auf, wo gegen ihn ab XXXX mehrfach Freiheitsstrafen wegen Vermögensdelikten verhängt wurden. XXXX wurde er zu einer (zunächst bedingt nachgesehenen) fünfmonatigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls verurteilt, die nach dem Widerruf der bedingten Nachsicht XXXX vollzogen wurde. Im XXXX erfolgte die Verurteilung zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls. Im XXXX wurde wegen Diebstahls eine neunmonatige Freiheitsstrafe verhängt, im XXXX eine weitere, siebenmonatige Freiheitsstrafe. Im XXXX folgte die Verurteilung zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls unter Gewaltanwendung oder unter Einsatz von Waffen. Am XXXX wurden die letztgenannten vier Strafen zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst, die bis XXXX vollzogen wurde. Hierauf wurde der BF im XXXX zu einer (zunächst bedingt nachgesehenen) einjährigen Freiheitsstrafe wegen Diebstahls verurteilt, die nach dem Widerruf der bedingten Strafnachsicht im XXXX vollzogen wurde. Im XXXX folgte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten wegen Diebstahls und im XXXX eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Diebstahls und des Handels mit gefälschten Dokumenten. Am XXXX wurden die letztgenannten beiden Strafen zu einer Gesamtstrafe zusammengefasst, die bis XXXX vollzogen wurde (ECRIS-Auszug in OZ 8).

In Österreich wurde der BF viermal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wurde er wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls, teils durch Einbruch (§§ 127, 129 Z 1, 15 StGB) und des Vergehens der Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs 1 StGB) zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass er im Mai 2013 eine Reisetasche samt Inhalt (Gesamtwert ca. EUR 380) aus einem offenen Bahnhofsschließfach stahl und die dabei erlangten Urkunden (Reisepass, Führerschein, Blutspendeausweise, Kfz-Zulassungsschein, Gutachten gemäß § 57a KFG) unterdrückte. Wenige Tage später versuchte er, mit dem bei dem Diebstahl erlangten Schlüssel in die Wohnung des Opfers einzudringen, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil das Türschloss in der Zwischenzeit ausgetauscht worden war. Bei der Strafbemessung als mildernd wurden die großteils geständige Verantwortung, die teilweise Schadenswiedergutmachung sowie die Tatsache, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, gewertet; als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen sowie mehrere einschlägige Vorstrafen in Ungarn. Die Freiheitsstrafe wurde mit XXXX (nach der Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre) endgültig nachgesehen (Strafurteil XXXX , AS 85 ff; Strafregister).

Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) zu einer im Februar 2015 vollzogenen Geldstrafe von 100 Tagessätzen á EUR 4 verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass er im Februar 2014 versucht hatte, ein Werkzeug im Wert von EUR 12,50 zu stehlen. Bei der Strafbemessung wurde der Versuch als mildernd gewertet, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe (Strafurteil XXXX ; Strafregister).

Mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls (§§ 15, 127 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass er im März 2016 ein im Keller einer unversperrten Wohnhausanlage abgestelltes Mountainbike im Wert von EUR 1.990 an sich nahm und damit davonfuhr. Da er bei dem Diebstahl beobachtet worden war, konnte die Polizei verständigt und der BF in einiger Entfernung vom Tatort angehalten werden. Als mildernd wurden bei der Strafbemessung der Versuch und das Geständnis gewertet, als erschwerend zwei einschlägige Vorstrafen. Die Freiheitsstrafe wurde zwischen XXXX und XXXX in den Justizanstalten XXXX und XXXX vollzogen (Strafurteil XXXX ; Strafregister; ZMR-Auszug). Nach der Haftentlassung wurde der BF am XXXX nach Ungarn abgeschoben (IZR-Auszug).

Während der Strafhaft wurde er mit dem Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wegen eines weiteren Diebstahls (§ 127 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass er im November 2016 gemeinsam mit einem Mittäter zwei unversperrt abgestellte Fahrräder im Gesamtwert von EUR 800 gestohlen hatte. Als mildernd wurde das reumütige Geständnis, als erschwerend drei einschlägige Vorstrafen gewertet (Strafurteil XXXX ; Strafregister).

Ende 2017/Anfang 2018 verzog der BF nach Deutschland, wo er sich ab Februar 2018 in XXXX niederließ und einer Erwerbstätigkeit als XXXX nachging (Stellungnahme AS 125 ff; Auszug Ausländerzentralregister AS 157 ff).

Am XXXX wurde der BF bei der Einreise in das Bundesgebiet in einem aus Deutschland kommenden Fernbus festgenommen und zum Vollzug der offenen zweimonatigen Freiheitsstrafe in die Justizanstalt XXXX eingeliefert. Er verbüßte diese dort bis zu seiner Entlassung am XXXX und reiste am selben Tag freiwillig nach Ungarn aus (Vollzugsinformation AS 2 ff; Festnahmebericht AS 39 ff; Ausreisebestätigung in OZ 6). Er hatte vor, sich anschließend wieder nach Deutschland zu begeben und dort seine Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen (Stellungnahme AS 125 ff).

Der BF ist verdächtig, im Jahr 2019 in XXXX und in XXXX Opferstockdiebstähle begangen zu haben; es kann aber nicht festgestellt werden, dass er diese Taten tatsächlich begangen hat (Abschlussbericht in OZ 9). Er hat keine familiären oder privaten Anbindungen in Österreich mehr, möchte aber die Möglichkeit haben, von seinem deutschen Wohnort aus durch das österreichische Bundesgebiet zu reisen, um seine Mutter in Budapest möglichst kostengünstig besuchen zu können (Stellungnahme AS 125 ff).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen. Sie beruhen vorwiegend auf den Angaben des BF, auf den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) sowie im Strafregister, auf dem Auszug aus dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS) und auf den Sozialversicherungsdaten.

Name und Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Geburtsort des BF ergeben sich aus den Angaben zu seiner Person in den Strafurteilen sowie aus dem ungarischen Personalausweis, der dem BVwG in Kopie vorliegt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er verheiratet ist oder Kinder hat, zumal er sich in seiner Stellungnahme als ledig bezeichnet und aus den Strafurteilen das Fehlen von Sorgepflichten hervorgeht. Kenntnisse der ungarischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft naheliegend. Deutschkenntnisse können aufgrund der Aufenthalte und der Erwerbstätigkeit in Österreich und Deutschland festgestellt werden, zumal der BF laut den in der Erkennungsdienstlichen Evidenz gespeicherten Daten Deutsch und Magyarisch spricht.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafbemessungsgründen sowie zum Vollzug der Freiheitstrafen basieren auf den Urteilen des Landesgerichts XXXX sowie der Bezirksgerichte XXXX und XXXX , auf dem Strafregister sowie auf dem ECRIS-Auszug. Die letzte im ECRIS aufscheinende Verurteilung des BF stimmt – wie die Bezugnahme auf die Geschäftszahl des LG Leoben, das Datum der letzten Tathandlung und die Sanktion zeigen – offenbar mit der Verurteilung durch das Landesgericht XXXX vom XXXX überein und ist daher nicht als weitere strafgerichtliche Verurteilung des BF festzustellen.

Es kann nicht mit der für eine positive Feststellung erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF 2019 wieder straffällig wurde und die ihm laut dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vorgeworfenen Opferstockdiebstähle begangen hat, weil seine Verantwortung dazu nicht bekannt ist, die vorhandenen Beweisergebnisse seine Täterschaft nicht zweifelsfrei belegen und keine Informationen zu einer allfälligen Verurteilung wegen dieser Taten vorliegen.

Die Konstatierungen zu den Inlandsaufenthalten und der inländischen Erwerbstätigkeit des BF werden anhand des ZMR-Auszugs und der Versicherungsdaten getroffen. Aus letzterem ergeben sich auch die Zeiten des Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezuges. Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung ist im IZR dokumentiert.

Die Feststellung, wonach der BF seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegte, wird anhand der Angaben in seiner Stellungnahme getroffen. Diese stimmen mit der Aufnahmeadresse laut Vollzugsinformation und dem Auszug aus dem deutschen Ausländerzentralregister überein.

Es gibt keine Anhaltspunkte für schwerwiegende gesundheitliche Probleme des BF oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit. Dies ergibt sich auch aus dem anlässlich seiner letzten Festnahme erstellten polizeiamtsärztlichen Gutachtens und der nach seinen Angaben vor der Haft in der Justizanstalt XXXX ausgeübten Tätigkeit als XXXX .

Es gibt keine Beweisergebnisse für private oder familiäre Bindungen des BF zu Österreich oder für weitere Integrationsbemühungen. Er gibt in seiner Stellungnahme dazu selbst an, dass lediglich die Durchreise durch Österreich für Besuche bei seiner Mutter in Ungarn aus finanziellen Gründen notwendig sei.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Der BF hielt sich im Zeitraum 2011 bis 2018 (mit Unterbrechungen) im Bundesgebiet auf und war hier im Zeitraum September 2011 bis Februar 2014 immer wieder (zum Teil geringfügig) als Arbeiter erwerbstätig, zeitweise bezog er Arbeitslosengeld und (zuletzt im Februar 2017) Notstandshilfe. Mittlerweile hat er den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nach Deutschland verlagert. Er hält sich somit weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet auf noch hat er das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 53 a NAG). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Er wurde in Österreich nach 2013 zwar nur mehr wegen Bagatelldelikten zu einer Geld- und zu kurzen Freiheitsstrafen verurteilt, hat aber ein in Ungarn massiv belastetes Vorleben, wobei ihn die dort verbüßten empfindlichen Freiheitsstrafen nicht von der Fortsetzung der Vermögensdelinquenz in Österreich abhalten konnten, sodass (trotz einer zwischenzeitigen Stabilisierung seiner Lebensumstände in Deutschland) nach wie vor von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen ist.

Die Vielzahl strafgerichtlicher Verurteilungen in Ungarn und in Österreich (vorwiegend wegen Diebstahlsdelikten) und die Wirkungslosigkeit sämtlicher bisheriger Sanktionen führen dazu, dass für den BF keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann. Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe z.B. VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184). Der seit der Haftentlassung des BF im November 2018 verstrichene Zeitraum reicht angesichts der vielen, über einen langen Zeitraum begangenen Eigentumsdelikte und der häufigen Rückfälle, auch nach dem Vollzug von Freiheitsstrafen, nicht aus, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass er 2019 neuerlich Straftaten (Opferstockdiebstähle) beging.

Der BF hat kein Familienleben in Österreich, sein Privatleben hat er inzwischen nach Deutschland verlagert. Es ist ihm zumutbar, für Besuche bei seiner Mutter in Ungarn nicht über österreichisches Staatsgebiet zu reisen, sondern einen Umweg (z.B. über Tschechische Republik und die Slowakei) zu nehmen. Allfällige, während seiner Erwerbstätigkeit und des Aufenthalts in Österreich geknüpfte Sozialkontakte begründen vor dem Hintergrund seiner Straffälligkeit ein vergleichsweise geringes persönliches Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung ergibt, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privatleben verhältnismäßig ist, zumal nach wie vor Anknüpfungen iSd § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG zu Ungarn bestehen, wo er sprachkundig ist und seine Mutter regelmäßig aufsucht. Da das Aufenthaltsverbot nur das österreichische Bundesgebiet betrifft, hindert es die Erwerbstätigkeit und den Aufenthalt des BF in Deutschland nicht.

Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen. Da der BF in Österreich nach 2013 nur mehr mit in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit fallenden Delikten in Erscheinung getreten ist und er nach dem letzten Strafvollzug das Bundesgebiet freiwillig verlassen hat, ist ein mit drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen, zumal er die letzte abgeurteilte Tat im November 2016 begangen hat. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist dahingehend abzuändern.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise des BF wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Unter (im Wesentlichen) denselben Voraussetzungen, nämlich wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist, kann gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden. Die ausnahmsweise Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes bedarf einer besonderen, über die schon für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Erwägungen hinausgehenden Begründung, verlangt doch die Versagung des Durchsetzungsaufschubes die nachvollziehbare Prognose, der Aufenthalt des Fremden für ein (weiteres) Monat gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit. Allgemein auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Bezug nehmende Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes daher keinesfalls zu ersetzen (siehe VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360).

Wie bereits im Teilerkenntnis des BVwG vom 12.11.2018 dargelegt, ist die sofortige Ausreise des BF nicht im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Daher ist ihm in Abänderung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt eine Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal der BF kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet hat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung von keiner Partei beantragt wurde.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen strafrechtliche Verurteilung Straftat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2208956.1.00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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