TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/13 96/19/1134

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Veröffentlicht am 13.06.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389 §2;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §12;
AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
FrG 1993 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. M in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Februar 1996, Zl. 102.429/7-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Bosniens und der Herzegowina. Er beantragte am 24. November 1993 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23./31. März 1994 wurde dieser Antrag gemäß § 4 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Oktober 1994 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 9 Abs. 3 AufG idF vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 (im folgenden: AufG aF) abgewiesen.

Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. September 1995 wurde der Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Oktober 1994 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof sprach aus, daß es die belangte Behörde verabsäumt habe, auf das vom Beschwerdeführer in Richtung des Vorliegens der Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 3 zweiter Satz AufG aF erstattete Vorbringen einzugehen.

Mit dem angefochtenen Ersatzbescheid vom 28. Februar 1996 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei nach der auf seinen eigenen Angaben beruhenden Aktenlage sichtvermerksfrei eingereist und habe seinen damit begonnenen Aufenthalt mit dem vorliegenden Antrag auf Aufenthaltsbewilligung verlängern wollen. Da die Bewilligung nach sichtvermerksfreier Einreise erteilt werden solle, liege der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG vor. Die Erteilung einer Bewilligung sei gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen.

Seit 15. April 1995 halte sich der Beschwerdeführer überdies unerlaubt im Bundesgebiet auf. Diese Tatsache stelle eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar, weil das Verhalten des Beschwerdeführers auf andere Fremde Beispielswirkung haben könnte. Es liege im Falle des Beschwerdeführers daher auch der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor.

Die öffentlichen Interessen überwögen die durch die Anwesenheit seines Vaters im Bundesgebiet begründeten privaten Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK, zumal sich letzterer nur kurze Zeit rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht erkennbar Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

§ 5 Abs. 1 AufG lautet:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG lautet:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

...

6. der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen oder nach sichtvermerksfreier Einreise (§ 12 Aufenthaltsgesetz oder § 14) erteilt werden soll;"

Im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides (8. März 1996) stand die Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 389/1995, in Kraft.

§§ 1 und 2 dieser Verordnung lauteten auszugsweise:

"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

(2) Dieses Aufenthaltsrecht besteht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.

...

§ 2. Personen, die zum 1. Jänner 1995 gemäß der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 1038/1994, ein Aufenthaltsrecht hatten, können den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG ausnahmsweise im Inland stellen."

§ 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 lautete:

"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

(2) Dieses Aufenthaltsrecht besteht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde."

Die belangte Behörde hat die gebrauchten Versagungsgründe des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG erstmals herangezogen. Ändert die Behörde gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies dem Beschwerdeführer vorzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1985, Zl. 84/07/0221). Diese Verfahrensvorschrift hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall mißachtet.

Der Beschwerdeführer erstattet folgendes, nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterliegendes Beschwerdevorbringen:

Er sei im Jahr 1993 in das Bundesgebiet eingereist. Er sei Flüchtling aus dem Kriegsgebiet von Bosnien-Herzegowina. Seine Heimatgemeinde sei von der jugoslawischen Bundesarmee in der Nacht vom 29. zum 30. April 1992 besetzt worden. Im Sommer 1992 seien 25.000 Bewohner seiner Heimatgemeinde, die nicht der serbischen Volksgruppe angehörten, getötet worden. Die übrige Bevölkerung sei im Zuge ethnischer Säuberungen vertrieben worden.

Der Beschwerdeführer sei zunächst nach Kroatien geflohen. Im Jahr 1993 habe aber auch Kroatien gegen Bosnien-Herzegowina Krieg geführt. Staatsangehörige Bosniens und der Herzegowina seien auch aus Kroatien vertrieben worden. Im Zuge dieser Vertreibungen habe auch der Beschwerdeführer nach Österreich flüchten müssen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer in tauglicher Weise die Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels auf.

Hätte der Beschwerdeführer nämlich die Voraussetzungen der gemäß § 12 AufG ergangenen Verordnungen der Bundesregierung erfüllt, so hätte er unmittelbar aufgrund dieser Verordnungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0104) ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet erworben.

Er wäre dann auch zum 1. Jänner 1995 zum Aufenthalt aufgrund der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 berechtigt gewesen. Hieraus würde wiederum seine Berechtigung gemäß § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland folgen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 18. April 1997, Zlen. 95/19/1408 bis 1410, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt hat, findet der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG auf Staatsangehörige Bosniens und der Herzegowina, die gemäß § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 zur Inlandsantragstellung berechtigt sind, keine Anwendung.

Auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG läge diesfalls nicht vor, weil der Beschwerdeführer zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt wäre.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil Kostenersatz vom Beschwerdeführer nicht beansprucht wurde.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996191134.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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