TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/13 94/19/0614

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Veröffentlicht am 13.06.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. März 1992, Zl. 4.292.930/2-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, der am 18. Februar 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. April 1990, mit dem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 23. März 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. In der Bescheidbegründung ging die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage davon aus, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigen würden, er befinde sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention außerhalb seines Heimatlandes und sei daher nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 29. September 1992, B 571/92, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat diese gleichzeitig dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzte, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde erwogen:

Gemäß § 1 des im Beschwerdefall von den Verwaltungsbehörden zu Recht angewendeten Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Behörde erster Instanz am 5. März 1990 zu seinen Fluchtgründen befragt angegeben:

"Ich bin seit Mai 1988 Mitglied der Untergrundorganisation "ISAAKH". Diese Organisation kämpft gegen die Regierung. Die Regierung besteht aus vielen mächtigen Familien, die sämtliche wichtigen Resore an sich gerissen haben und mit der Bevölkerung machen, was sie wollen. Einige davon kamen in unser Bekleidungsgeschäft, das meinem Vater gehört, und nahmen sich einfach, was sie wollten. Wenn man sie darauf aufmerksam machte, daß die Waren auch bezahlt werden müßten, wurde man einfach erschossen. Aus diesem Grund konnte man nichts sagen, wir wurden einfach gesagt ausgeraubt. Unter diesen Umständen wollte ich nicht mehr in meiner Heimat bleiben. Es wird bei uns immer so sein, solange diese Regierung an der Macht ist. Meine Frau wurde im Jahre 1988 einfach in unserem Haus erschossen. Wo sich meine Eltern befinden, kann ich momentan auch nicht sagen, da die ganze Stadt einfach dem Erdboden gleichgemacht wurde. Ich will nie mehr zurück."

Sein Fluchtweg habe den Beschwerdeführer über Kenia, Ägypten, Irak und Türkei zunächst nach Ungarn geführt, wo er sich neun Monate aufgehalten habe. Von dort sei er dann zu Fuß nach Österreich gelangt.

In seiner Berufung ggen den erstinstanzlichen Bescheid führte der Beschwerdeführer zu dem für seine Ausreise maßgeblichen Sachverhalt aus:

"Ich, Herr M, in Somali lebte mit meiner Frau, meinem Bruder und meinen Eltern in HAGUISA zusammen und wir hatten auch ein Geschäft mit Elektrogeräten. 1984 - 1985 habe ich nach der Matura meinen 2jährigen Militärdienst abgeleistet. 1989 kam eines Tages das Militär zu uns ins Haus und nahm uns alles weg:

Radios, Fernseher, Videos. Sie sagten, daß wir das alles nicht brauchen. Was sie nicht mitnehmen konnten, machten sie kaputt, auch das Auto.

Am nächsten Tag, es war der 2.10.1989, kamen sie wieder und erschossen meinen Bruder und meine Frau. Meine Eltern konnten währenddessen flüchten und ich weiß bis heute nicht, wo sie sind und ob sie überhaupt noch leben. Auch ich konnte damals die Flucht ergreifen und davonlaufen, aber das Militär holte mich ein, nahm mich fest und brachte mich in das Gefängnis. 4 Monate verbrachte ich dort. Ich wurde gefoltert, indem man meine Hände und Beine fest zusammenband, sodaß ich mich nicht bewegen konnte. Ich wurde auch ständig geschlagen, um Geständnisse aus mir herauszupressen. Spuren dieser Fesselung sind an meinen Beinen sehr deutlich und unauslöschbar sichtbar. Eine andere Folterungsmethode war, mich in eine Wanne voll Wasser zu stecken und den Kopf hinunterzuhalten.

Nach 4 Monaten befreite mich eine andere Familie von der ISAG-Gruppe, zu denen die meisten Menschen in Somali gehören, so auch ich. Die andere Gruppe ist die MARIHAN-Gruppe, die sehr klein ist, die Macht hat und zu der auch der Präsident gehört.

Ich hatte nun kein zu Hause mehr, meine ganze Heimatstadt war zerstört worden, die Bevölkerung wurde erschossen und die Überlebenden waren in den Dschungel geflüchtet.

Da ich damit rechnen mußte, verhaftet und erschossen zu werden, bin ich aus meinem Land geflüchtet. Ich kann also nicht mehr in meine Heimat zurückkehren, weil das mein Todesurteil bedeutet."

Soweit die belangte Behörde in den dem Wortlaut nach gegebenen unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers einerseits bei seiner Befragung durch die Behörde erster Instanz und andererseits in seiner Berufung Widersprüche erblickt, aus denen auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers selbst geschlossen werden könne, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, daß angesichts der im Fall des Beschwerdeführers durchaus anzunehmenden Sprach- und Übersetzungsprobleme die Divergenz in diesen Angaben als durch diese Probleme bedingt noch erklärbar erscheint, sodaß der Kern dieser Aussagen, nämlich Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volksgruppe der Isaakh, Beteiligung bzw. Mitarbeit in einem Handelsgeschäft und Plünderung desselben durch der Staatsmacht zuzurechnende Organwalter nicht als unglaubwürdig angesehen werden kann.

Der belangten Behörde ist auch insoweit zu widersprechen, als sie, ausgehend von der Annahme, der Beschwerdeführer müsse, auf Grund seiner Angaben über seinen Fluchtweg im Besitz eines Reisepasses gewesen sein, zu dem Schluß gekommen ist, gegen seine Ausreise hätten keine Bedenken bestanden, weil allein der Besitz eines Reisepasses nicht als gegen das Vorliegen von Verfolgung sprechendes Indiz angesehen werden kann

(vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/0894).

Der belangten Behörde kann aber nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie den erstmals in der Berufung enthaltenen Ausführungen über die Inhaftierung und Folterung des Beschwerdeführers deshalb keinen Glauben geschenkt hat, weil der Beschwerdeführer, wenn er diesen Maßnahmen tatsächlich ausgesetzt gewesen wäre, diese keinesfalls bei seiner Befragung durch die Behörde erster Instanz verschwiegen hätte.

Die belangte Behörde wäre somit verpflichtet gewesen, auf das - wie oben dargelegt - maßgebliche Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen. Dem in dieser Unterlassung gelegenen Verfahrensmangel kommt aber nur dann Wesentlichkeit im Sinne einer zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führenden Rechtswidrigkeit zu, wenn die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Fehlers zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Ausschlaggebend für das Schicksal der Beschwerde ist somit die Frage, ob sich aus dem maßgeblichen Vorbringen des Beschwerdeführers eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen bzw. die begründete Furcht vor solcher Verfolgung ableiten läßt.

Den Aussagen des Beschwerdeführers kann zwar entnommen werden, daß er einer bestimmten Volksgruppe, die nicht die Regierungsmacht ausübt, bzw. allenfalls auch einer dieser Volksgruppe zuzurechnenden Unterorganisation angehört bzw. angehörte, doch ergibt sich aus seinen Darlegungen nicht, daß die gegenüber ihm bzw. seiner Familie gesetzten Gewaltakte etwa auf seine Volksgruppenzugehörigkeit oder darauf zurückzuführen seien, daß seine Mitgliedschaft bei der Untergrundorganisation den Behörden bekannt geworden wäre. Die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit reicht für sich allein aber nicht aus, begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. März 1994, Zl. 94/01/0072, mit weiteren Judikaturhinweisen). Auch für den Umstand, daß seine Ehefrau erschossen worden sei, bietet der Beschwerdeführer keine asylrechtlich relevante Erklärung, legt er doch nicht dar, daß deren gewaltsamer Tod seinen Grund in (auch) gegen ihn gerichteter Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gehabt hätte. Nach ständiger

hg. Rechtsprechung kann aber aus Maßnahmen gegen andere Familienangehörige für sich allein noch nicht auf das Vorliegen einer gegen einen Asylwerber gerichteten Verfolgung geschlossen werden (vgl. für viele andere z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. März 1996, Zl. 95/01/0479). Der Beschwerdeführer behauptet aber auch nicht, daß die (einmalige) Plünderung des Geschäftes seiner Familie eine massive Bedrohung seiner Lebensgrundlage dargestellt hätte, sodaß die ihn persönlich treffenden Maßnahmen nicht die für das Vorliegen von Fluchtgründen erforderliche Intensität erreichen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/0745). Soweit der Beschwerdeführer die Zerstörung seiner Heimatstadt ins Treffen geführt und damit auf einen Bürgerkrieg oder bürgerkriegsähnliche Verhältnisse Bezug genommen hat, gelingt es ihm auch damit nicht, asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen, weil den aus solchen Verhältnissen resultierenden Benachteiligungen sämtliche im betreffenden Land lebenden Menschen ausgesetzt sind und solche Gegebenheiten daher nicht als konkrete, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen eingestuft werden können. Daß der Beschwerdeführer von einer mit diesen Verhältnissen einhergehenden Gruppenverfolgung unmittelbar betroffen gewesen wäre, hat er selbst nicht behauptet (vgl. hiezu z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. März 1996, Zl. 95/01/0083, mit weiteren Judikaturverweisen).

Die belangte Behörde hat somit das Vorliegen von Fluchtgründen im Sinne der Flüchtlingskonvention im Ergebnis zu Recht verneint.

Soweit der Beschwerdeführer in Verweis auf Ausführungen in seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens geltend macht, die er insbesondere darin erblickt, daß seiner Ersteinvernahme ein Dolmetscher beigezogen worden sei, der weder seiner Landessprache noch des Englischen ausreichend mächtig gewesen sei, daß ihm das Protokoll über diese Einvernahme nicht rückübersetzt und daß sein Vorbringen nicht vollständig protokolliert worden sei, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, daß Verfahrensmängel bei der Überprüfung eines im Instanzenzug ergangenen Bescheides nur dann beachtlich sind, wenn sie im letztinstanzlichen Verfahren unterlaufen sind (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Wien 1987, S. 592 angeführte Judikatur). Darüber hinaus ist der Niederschrift über die Einvernahme des Beschwerdeführers vom 5. März 1990 zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer diese eigenhändig unterfertigt und in englischer Sprache hinzugefügt hat, daß er den Sinn der Niederschrift verstehe und akzeptiere. Daß Mängel der nunmehr in der Beschwerde geltend gemachten Art unterlaufen seien, hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung nicht behauptet. Die belangte Behörde konnte sohin zu Recht von der Vollständigkeit und Richtigkeit der alle Merkmale des § 14 AVG aufweisenden Niederschrift ausgehen. Mit den erstmals in der Verfassungsgerichtshofbeschwerde enthaltenen Behauptungen, mit denen der Beschwerdeführer versucht, die von der belangten Behörde angenommenen Widersprüche und die Steigerung seines Vorbringens auf diese behaupteten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens zurückzuführen, gelingt es ihm somit nicht, eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit aufzuzeigen.

Der Rüge des Beschwerdeführers, es sei ihm in Verletzung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren keine Gelegenheit geboten worden, zu den von der belangten Behörde zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Widersprüchen Stellung zu nehmen, ist entgegenzuhalten, daß aus dem Grundsatz der Wahrung des Parteiengehörs keine Verpflichtung der Behörden abgeleitet werden kann, den Parteien vor Erlassung des Bescheides die Beweiswürdigung und die auf die Beweiswürdigung gegründeten rechtlichen Schlußfolgerungen bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu deren Erörterung zu bieten (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Wien 1987, S. 611 angeführte Judikatur).

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1994190614.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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