Entscheidungsdatum
23.11.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W215 1435061-4/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. STARK über die, durch mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2020, Zahl 821828701-201139573, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 22 Abs. 10 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, und § 22 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Erster Antrag auf internationalen Schutz
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.12.2012 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich der Erstbefragung am 17.07.2012, gab der Beschwerdeführer an, sein Heimatland aufgrund von Problemen mit der Polizei verlassen zu haben. Diese habe ihn wegen eines angeblichen Verwandten namens XXXX , den der Beschwerdeführer aber nicht kenne, mehrfach festgenommen und misshandelt. Weiters habe die Polizei vom Beschwerdeführer eine Unterschrift verlangt, mit der er bestätigen solle, dass er jemanden getötet habe. Am XXXX sei der Bruder des Beschwerdeführers verhaftet und misshandelt worden, woraufhin der Beschwerdeführer geflüchtet sei.
Anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung im Bundesasylamt am 13.02.2012 legte der Beschwerdeführer eine Sterbeurkunde lautend auf XXXX sowie ein gerichtsmedizinisches Gutachten darüber, dass der Vater an einer Schussverletzung und einem Schädelbasisbruch XXXX verstorben sei vor und gab zu Protokoll, dass die Polizei vom Beschwerdeführer verlangt habe zu unterschreiben, dass die Waldmenschen (d.h. Widerstandskämpfer) für den Mord an seinem Vater verantwortlich seien.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.04.2013, Zahl 12 18.287-BAT, wurde der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm
§ 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen und diesem der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und dieser gemäß § 10 Abs 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
2. Nach einer gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde vom Asylgerichtshof für 16.09.2013 öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlungen anberaumt, die jedoch abberaumt werden musste, weil ein Kontakt zu dem Beschwerdeführer nicht hergestellt werden konnte.
Nachdem der Beschwerdeführer für den zweiten Verhandlungstermin am 03.10.2013 im Wege der örtlich zuständigen Stadtpolizeikommandos gemäß § 23 Abs 8 AsylG geladen worden, jedoch seitens der zuständigen Polizeiinspektion beim Asylgerichtshof kein Bericht und auch keinerlei Entschuldigung für die Nichtteilnahme eingelangt war, musste das Beschwerdeverfahren mit Verfahrensanordnung vom 14.10.2013 gemäß § 24 AsylG eingestellt werden.
Mit Schreiben vom 07.11.2013 verpflichtete sich die Republik Österreich gemäß der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates, den Beschwerdeführer aus der Bundesrepublik Deutschland zwecks Durchführung des Asylverfahrens zu übernehmen.
Das Beschwerdeverfahren wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.02.2014 gemäß § 24 AsylG fortgesetzt und für den 12.03.2014 eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumt. In der Beschwerdeverhandlung gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er an XXXX leide und legte diesbezüglich Arztbestätigungen vor. Der Beschwerdeführer gab zu seinen Ausreisegründen unter anderem zusammengefasst an, mit Strom gefoltert worden zu sein. Man habe ihn mit Wasser übergossen und von ihm gefordert, dass er unterschreibe, dass die „Waldmenschen“ seinen Vater umgebracht hätten. Er habe das nicht gewollt, weil sich die Terroristen nicht an Gesetze halten würden. Dazu befragt, wer seinen Vater umgebracht habe, gab der Beschwerdeführer an, dies nicht zu wissen; es seien maskierte und bewaffnete Personen zu ihnen nach Hause gekommen, er könne aber nicht angeben, wer das konkret gewesen sei; möglicherweise seien es „Waldmenschen“ gewesen. Zu XXXX befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass dies möglicherweise ein weitschichtiger Verwandter seines Vaters sei, der den gleichen Familiennamen trage. Er sei XXXX gewesen. Zunächst habe der Beschwerdeführer gedacht, dass sein Vater seinetwegen umgebracht worden sei, weil er ein Bandit gewesen sei. Nachgefragt, wann er das dritte Mal mitgenommen worden sei, führte der Beschwerdeführer aus, dass er das erste Mal drei Monate vor der Ausreise, dann eine Woche später und anschließend eineinhalb oder zwei Wochen später mitgenommen worden sei. Man habe ihm nahegelegt zu unterschreiben und habe ihm gedroht, ihm sonst die Explosion eines Fahrzeuges der Marke UAZ anzuhängen. Man habe ihm außerdem einen Sack über den Kopf gestülpt, ihn mit einem Klebeband gefesselt und mit einer Wasserflasche geschlagen.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.04.2014, Zahl W196 1435061-1/22E, die Beschwerde gegen den Bescheid vom 26.04.2013 in Spruchpunkt I. gemäß
§ 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Es wurde zusammengefasst festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers feststeht, seine widersprüchlichen Angaben zu seinen angeblichen Fluchtgründen nicht glaubhaft sind.
In weiterer Folge ersuchte der Beschwerdeführer um Rückkehrhilfe, da er Österreich freiwillig verlassen und in sein Heimatland zurückkehren wollte.
3. Nach einer niederschriftlichen Befragung am 01.10.2014 wurde im fortgesetzten Verfahren mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2014, Zahl
821828701-2161051, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß
§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Eine fristgerecht gegen diesen Bescheid vom 02.10.2014, Zahl 821828701-2161051, eingebrachte Beschwerde wurde Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2014, Zahl W221 1435061-2/3E, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 75 Abs. 20 iVm §§ 55 und 57,
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht begründete die Entscheidung dahingehend, dass der Beschwerdeführer einen Deutschkurs besuche, aber nur sehr wenig Deutsch verstehe, keiner legalen Arbeit nachgehe und auch nicht selbsterhaltungsfähig sei. Eine verfestigte individuelle Integration des Beschwerdeführers sei nicht feststellbar.
Nach rechtkräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens kam der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und blieb illegal in Österreich.
2. Zweiter Antrag auf internationalen Schutz
Der Beschwerdeführer stellte während seines illegalen Aufenthaltes am 16.03.2015 einen zweiten (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz. Er verwies darauf, dass noch während seines ersten Asylverfahrens ein weiteres Mal illegal in die Bundesrepublik Deutschland gereist sei, dort hätten sich seine Mutter und vier Brüder aufgehalten. Diese seien von der Bundesrepublik Deutschland in die Republik Polen zurückgeschoben worden und weil der Beschwerdeführer Angst gehabt habe, dass er ebenfalls in die Republik Polen müsse, sei er im November 2014 mit der Bahn wieder nach Österreich gereist. Seine Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht und habe ihn ein Bekannter angerufen und mitgeteilt, dass ein Mann, mit dem der Beschwerdeführer gemeinsam sowie dem Vater die Widerstandskämpfer unterstützt (Essen gebracht) habe, inzwischen festgenommen worden sei. Der Beschwerdeführer verwies erneut darauf, dass sein Vater im Jahr XXXX in Tschetschenien ermordet worden sei. Die alten Gründe seien nach wie vor aktuell. Die Mutter und drei Brüder seien inzwischen nach Tschetschenien in der Russischen Föderation zurückgekehrt, ein Bruder sei in Republik Polen geblieben. Der Beschwerdeführer habe seinen zweiten Asylantrag eingebracht, weil man ihn in Schubhaft genommen habe und abschieben wolle; er sei in ein Krankenhaus gebracht worden, dort habe man ihm Blut abgenommen. Der Beschwerdeführer arbeite nicht und lebe von der österreichischen Grundversorgung. Als neuen Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass jede Woche die Behörden bei ihm zu Hause seien und fragen würden, wann er zurückkehre. Diese Behörden würden von seiner Familie verlangen, dass er zurückkehre. Vor eineinhalb Jahren hätten sie einen Bruder verhaftet und ausgerichtet, dass der Bruder in Haft bleiben werde, bis der Beschwerdeführer nach Hause zurückkehre. Auch früher sei die Behörden gekommen, aber nicht so oft wie derzeit. Danach wiederholte er seine Angaben aus dem ersten Asylverfahren. Nachdem der Beschwerdeführer ankündigte, nunmehr sein Leben beenden zu wollen, konnte die niederschriftliche Befragung nicht fortgesetzt werden; der Beschwerdeführer wurde in eine psychiatrische Klinik eingeliefert.
Eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren ergab, dass keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorlag, jedoch der Verdacht auf XXXX ). Eine akute Suizidalität lag zum Zeitpunkt der Befundaufnahme nicht vor; XXXX konnte ohne Befunde nicht beurteilt werden.
In Folge wurden erkennbar für den Beschwerdeführer, der als obdachlos gemeldet war, an seiner Abgabestelle Ladungen hinterlassen, die Zustellung einer Ladung durch das örtlich zuständige Stadtpolizeikommando erwies sich als nicht zielführend, als eine Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokumentes unbeachtet blieb. Beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl langte letztlich die Mitteilung der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX ein, wonach gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen (§ 125, § 127 StGB) erhoben wurde.
Am 22.01.2018 erfolgte eine weitere niederschriftliche Befragung des Beschwerdeführers, in welcher dieser auf seine XXXX verwies. Er müsse diesbezüglich Medikamente einnehmen, ansonsten sei er gesund. Er sei bereits im Heimatland diesbezüglich medizinisch behandelt worden. In Österreich habe er einen Onkel, der in XXXX lebe. In Tschetschenien werde er inoffiziell gesucht, er sei aber nicht auf der offiziellen Fahndungsliste. Er werde von der Polizei gesucht, von denselben Leuten, die seinen Vater und dessen sieben Kinder im Jahr XXXX ermordet hätten. Der Beschwerdeführer verwies darauf, dass der Großteil der Familie unverändert in Tschetschenien lebe, ein weiterer Bruder würde in der Stadt XXXX leben. Die Familie würde sagen, dass es allen gut gehe, aber der jüngste Bruder sei seinetwegen festgenommen worden und man drohe, dass wieder jemand verhaftet werde, bis der Beschwerdeführer zurückkehre. Die Mutter und die Brüder würden bei einem Onkel und die Schwestern bei ihren Ehemännern leben. Er selbst sei nicht verheiratet und habe auch keine Kinder, in Tschetschenien habe er noch sieben Onkel und vier Tanten väterlicherseits, auch mütterlicherseits habe er drei Onkel und eine Tante. Zu seinen neuen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass vor ca. eineinhalb Jahren ein Bruder wegen ihm festgenommen worden sei. Der jüngste Bruder sei mit dem Tod bedroht worden, falls der Beschwerdeführer nicht zurückkehre. Der Bruder sei schließlich freigelassen worden, nachdem sich das ganze Dorf für ihn eingesetzt habe. Der Vater sei in Tschetschenien vor ihren Augen getötet worden und man habe dem Beschwerdeführer gedroht, dass er genauso umgebracht werde. Man werde einfach umgebracht und dann werde man als Terrorist bezeichnet. Wenn ein Homosexueller aus Tschetschenien nach Österreich komme, bekomme dieser sofort Unterstützung und eine Aufenthaltsbewilligung, aber normalen Leuten wie dem Beschwerdeführer werde kein Glaube geschenkt. Im Fall der Rückkehr würde er also umgebracht werden. Es wäre für den Präsidenten Kadyrow kein Problem, den Beschwerdeführer in Russland zu finden. Zu integrativen Aspekten befragt meinte der Beschwerdeführer, dass er etwas Deutsch verstehe und Deutsch selbst gelernt habe, einen Kurs habe er sich nicht leisten können. Er habe ein Transportunternehmen in Österreich und verdiene eine näher bezifferte Summe pro Monat. Bei Erhalt eines Aufenthaltstitels könnte er die Tätigkeit seiner Firma ausweiten. Er lebe als Untermieter in einer kleinen Wohnung und habe auch eine Freundin, von der er nur den Vornamen wisse. Das genaue Geburtsdatum wisse er auch nicht, er glaube, dass diese einen positiven Asylstatus habe. Er habe diese in der U-Bahn kennengelernt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2018, Zahl
821828701-150271350, wurde der zweite Antrag auf internationalen Schutz vom 16.03.2015 in Spruchpunkt I. gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß
§ 57 AsylG nicht erteilt und in Spruchpunkt III. gegen den Beschwerdeführer gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß
§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Russland gemäß § 46 FPG iVm § 52 Abs. 9 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV.) und wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.01.2018 verloren hat und dass gemäß
§ 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.). Im Bescheid wurden umfangreiche Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien getroffen. Im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass und warum das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon ausgehe, dass es sich um ein gedankliches Konstrukt handle. Da der Beschwerdeführer angegeben habe, dass auch die Mutter und die Brüder unverändert in Russland leben und er auch regelmäßigen Kontakt zur Familie habe, es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach der Rückkehr nach Russland Unterstützung erhalten würde. Es sei dem Beschwerdeführer angesichts der ausreichenden Gesundheitsversorgung für Menschen, die an XXXX leiden, möglich, auch im Herkunftsstaat einer Arbeit nachzugehen. Der Beschwerdeführer habe bereits im Heimatland entsprechende medizinische Behandlungen erhalten. In Summe wurde somit festgehalten, dass der Beschwerdeführer keine neuen asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht habe und habe sich auch in der maßgeblichen Sachlage bezogen auf den Herkunftsstaat nichts Gravierendes geändert. Sämtliche angegeben Integrationsbemühungen seien zu einem Zeitraum getätigt worden, als der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet äußert unsicher gewesen sei. Die öffentlichen Interessen würden daher gegenüber den privaten Interessen überwiegen. Spruchpunkt VI. wurde dahingehend begründet, dass gegen den Beschwerdeführer eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden sei wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne des § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG.
Eine gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2018, Zahl W226 1435061-3/3E, gemäß
§ 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG, § 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm
§ 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG iVm § 18 BFA-VG als unbegründet abgewiesen. Eine Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umstände ergaben. In Bezug auf die individuelle Lage des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann – auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers – keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden. Der volljährige Beschwerdeführer hat sich seit Dezember 2012 im Bundesgebiet aufgehalten. Eine nachhaltige, umfassende und fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers hat während des Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht stattgefunden, wobei auch nur geringe Ansätze einer Integration festzustellen waren. Der Beschwerdeführer ist illegal eingereist, hat zwei unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt und war nicht gewillt, nach negativem Ausgang des ersten Verfahrens freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner letzten Entscheidung vom 04.04.2014 sehr umfangreich dargestellt, worum dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die angeblichen Probleme vor der Ausreise keine Glaubwürdigkeit zukommt. Sofern der Beschwerdeführer somit nunmehr erneut dasselbe Vorbringen erstattet, kann die umfangreiche Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts dadurch nicht erschüttert werden. Da sich somit angesichts der dargestellten Widersprüche und angesichts der widergegeben beweiswürdigenden Überlegungen aus dem ersten Asylverfahren überhaupt kein Sachverhalt ergeben hat, der einer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt werden kann, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, einen neuen Sachverhalt glaubhaft zu machen. Im Ergebnis trägt der Beschwerdeführer somit erneut ein Konvolut an Sachverhalten vor, die vergleichbar bereits im ersten Asylverfahren vorgetragen wurden und die bereits in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.04.2014 einer Erledigung zugeführt wurden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat somit vollkommen zu Recht ausgeführt, dass weiterhin von keinem glaubhaften Kern des nunmehrigen Vorbringens auszugehen ist, zumal die behaupteten Probleme irgendwelcher Familienmitglieder nicht glaubhaft sind. Was die Erkrankung des Beschwerdeführers an XXXX betrifft, wird auf die nachfolgende rechtliche Beurteilung verwiesen, wobei der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde zu keinem Zeitpunkt darzustellen vermochte, warum beispielsweise eine Behandlung in der Russischen Föderation wegen XXXX nicht möglich sein sollte, obwohl der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben bereits vor der Ausreise diesbezüglich in Behandlung stand. Der Beschwerdeführer konnte sohin in keiner Weise darlegen, dass sich seine Situation bei einer allfälligen Rückkehr in die Russische Föderation seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Verfahrens so maßgeblich geändert haben sollte, dass eine anderslautende Entscheidung geboten wäre. Wie im rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahren war der Beschwerdeführer unverändert darauf zu verweisen, dass ihm für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat eine Bestreitung des lebensnotwendigen Unterhalts aus Eigenem zumutbar ist. Es sind im gegenständlichen Asylverfahren jedenfalls keine Umstände hervorgekommen, welche den Schluss zuließen, der Beschwerdeführer würde bei einer Abschiebung in eine "unmenschliche Lage" versetzt werden, und finden sich auch in der Beschwerde hiezu keine substantiierten Anhaltspunkte. Er konnte in keiner Weise darlegen, dass sich an seiner Situation bei einer allfälligen Rückkehr in die Russische Föderation seit rechtskräftigem Abschluss des ersten inhaltlichen Asylverfahrens so Maßgebliches geändert haben sollte, dass eine anderslautende Entscheidung geboten wäre. Offensichtlich hat der Beschwerdeführer bei der Stellung des Folgeantrages auf internationalen Schutz lediglich das Verfahrensziel verfolgt, eine Änderung der rechtskräftigen abweisenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes herbeiführen zu wollen, um eine drohende Abschiebung in den Herkunftsstaat zu verhindern. Der Beschwerdeführer ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat im Dezember 2012 erstmals einen Antrag gestellt, der rechtskräftig negativ entschieden wurde. Die gesamte Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist zwar nicht als kurz zu bezeichnen, er ist seiner Verpflichtung zur Ausreise in den Herkunftsstaat jedoch nicht nachgekommen, sondern hat versucht, den Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Stellen eines unbegründeten Folgeantrages zu verlängern. Dem Umstand des fünf Jahre langen Aufenthaltes im Bundesgebiet kann demnach keine hervorgehobene Bedeutung bei der Rückkehrentscheidung zugemessen werden. Der Beschwerdeführer hat eindeutig angegeben, nur wenig Deutsch zu sprechen und wenig zu verstehen. Er hat weiters nicht glaubhaft dargelegt, wie er den Unterhalt im Bundesgebiet finanzieren könnte und geschildert, ein Unternehmen zu führen, ohne aber trotz Aufforderung diesbezüglich Nachweise zu erbringen. Aus diesen Angaben und aus den diesbezüglich unbegründet gebliebenen Beschwerdeausführungen vermag das Bundesverwaltungsgericht keinerlei nachhaltige Integration im Bundesgebiet zu erkennen, obwohl der Beschwerdeführer bereits fünf Jahre im Bundesgebiet aufhältig ist, wenn auch einen großen Teil dieser Zeitspanne ohne aufrechte Meldung. Dem steht gegenüber, dass der Beschwerdeführer weiterhin über starke Bindungen zum Herkunftsstaat verfügt, dort halten sich weiterhin Verwandte von ihm auf, der Beschwerdeführer hat sein gesamtes Leben bis zur Ausreise in der Russischen Föderation verbracht, er beherrscht die dortige Landessprache in Wort und Schrift und erfuhr dort seine Schulausbildung. Von einer völligen Entwurzelung kann deshalb nicht ausgegangen werden. Dabei könnte der Beschwerdeführer, zusätzlich zu seiner Selbsterhaltungsfähigkeit, auf familiäre Unterstützung zurückgreifen, welche ihn vor einer Obdachlosigkeit und existentiellen Notlage bewahren würde; eine allenfalls notwendige Unterstützung ist im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers aufgrund des familiären Zusammenhaltes üblich. Im Gegensatz dazu hat sich der Beschwerdeführer in Österreich nur schwächer integrieren können. Der volljährige Beschwerdeführer verfügt über keine Deutschkenntnisse und hat darüber hinaus keine Bildungsmaßnahmen in Anspruch genommen, die in absehbarer Zeit eine dauerhafte Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglichen würden. Die angeblichen Freunde des Beschwerdeführers konnten weder mit Familiennamen noch mit Geburtsdaten beschrieben werden, selbst der Aufenthaltstitel ist dem Beschwerdeführer scheinbar nicht bekannt. Eine besonders innige Beziehung war demzufolge zu verneinen.
Dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Beschwerdeführer nachweislich am 11.04.2018 zugestellt und erwuchs damit in Rechtskraft. Danach kam der Beschwerdeführer seine Ausreiseverpflichtung nicht nach, blieb illegal im Bundesgebiet, beging XXXX Straftaten, sodass er mit rechtskräftigem Erkenntnis des XXXX gemäß § 125, § 145 Abs. 1 Z 1, § 144 Abs. 1 StGB, § 15, § 83 Abs. 1, § 15 und § 229 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde.
3. Dritter Antrag auf internationalen Schutz
Der Beschwerdeführer stellte während Verbüßung seiner Strafhaft am 22.10.2020 gegenständlichen dritten Antrag auf interanationalen Schutz, wiederholte anlässlich der Erstbefragung auszugsweise sein Vorbringen aus den ersten beiden, bereits rechtskräftig abgeschlossenen, Asylverfahren und gab an, dass einer seiner Brüder wieder (Anmerkung: siehe weiter oben das gleiches Vorbringen in den ersten und zweiten Asylverfahren) seit einem Jahr im Gefängnis sei und dort wegen des Beschwerdeführers misshandelt werde. Der Beschwerdeführer habe keinen neuen Fluchtgrund.
Auch am 17.11.2020 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich befragt und wiederholte neuerlich Auszüge seines Vorbringens aus den beiden rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren. Das einzige neue Vorbringen war, dass seine Ehegattin in XXXX eine Audiodatei besitze, deren Inhalt der Beschwerdeführer aber nicht kenne und auch keine Angaben zum Inhalt machen könne, weil er in Haft sei. Danach wurde gegenständlicher Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Zahl 821828701-201139573, mündlich verkündet.
Der Beschwerdeführer wurde am XXXX , bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe, aus der Strafhaft entlassen und in Schubhaft genommen.
Der erstinstanzliche Verwaltungsakt wurde zunächst einer anderen Gerichtsabteilung zur Erledigung zugewiesen und langte, nach einer Unzuständigkeitseinrede, samt Beschwerdevorlage am 19.11.2020 in der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung ein, was dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schriftlich mitgeteilt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist moslemischem Glaubens.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.04.2013, Zahl 12 18.287-BAT, wurde der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 17.12.2012 gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen und diesem der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und dieser gemäß § 10 Abs 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, tauchte jedoch mehrfach unter bzw. entzog sich bewusst den Behörden und konnte schließlich erst nach später Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.04.2014, Zahl W196 1435061-1/22E, die Beschwerde gegen den Bescheid vom 26.04.2013 in Spruchpunkt I. gemäß § 3 und
§ 8 Abs. 1 Z 1 AsylG als unbegründet abgewiesen werden. In Spruchpunkt II. wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Es wurde zusammengefasst festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers feststeht, seine widersprüchlichen Angaben zu seinen angeblichen Fluchtgründen nicht glaubhaft sind.
Im fortgesetzten Verfahren wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2014, Zahl 821828701-2161051, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß
§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Eine fristgerecht gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2014, Zahl W221 1435061-2/3E, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 75 Abs. 20 iVm §§ 55 und 57,
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen und eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Nach rechtkräftigem Abschluss seines ersten Asylverfahrens kam der Beschwerdeführer seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern blieb illegal in Österreich und stellte am 16.03.2015 einen zweiten (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz, tauchte jedoch wieder mehrfach unter bzw. entzog sich bewusst den Behörden, bis schließlich doch noch die nötigen niederschriftlichen Befragungen stattfinden konnten. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.02.2018, Zahl 821828701-150271350, wurde der zweite Antrag auf internationalen Schutz in Spruchpunkt I. gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und in Spruchpunkt III. gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Russland gemäß § 46 FPG iVm § 52 Abs. 9 FPG zulässig ist (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß
§ 13 Abs. 2 Z 2 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.01.2018 verloren hat sowie, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.). Eine gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2018, Zahl W226 1435061-3/3E, gemäß
§ 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG, § 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm
§ 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG iVm § 18 BFA-VG als unbegründet abgewiesen. Eine Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Beschwerdeführer nachweislich am 11.04.2018 zugestellt und erwuchs damit in Rechtskraft.
Danach kam der Beschwerdeführer seine Ausreiseverpflichtung wieder nicht nach, blieb illegal im Bundesgebiet und wurde im XXXX straffällig, weshalb er mit rechtskräftigem Erkenntnis des XXXX gemäß § 125,
§ 145 Abs. 1 Z 1, § 144 Abs. 1 StGB, § 15, § 83 Abs. 1, § 15 und § 229 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde.
Der Beschwerdeführer stellte kurz vor Entlassung aus seiner Strafhaft am 22.10.2020 gegenständlichen dritten (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz, wurde am XXXX , bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung von Bewährungshilfe entlassen und ist aktuell in Schubhaft.
3. Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen dritten Asylverfahren - im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren - neue Fluchtgründe glaubhaft vorgebracht hat noch, dass sich seither die allgemeine Lage in der Russischen Föderation für ihn entscheidungswesentlich verändert hat.
Auch der Gesundheitszustand ist seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens unverändert. Der Beschwerdeführer litt bereits vor seiner illegalen Einreise nach Österreich an XXXX , war deswegen auch schon im Herkunftsstaat behandelt worden und muss diesbezüglich nach wie vor Medikamente einnehmen, ansonsten ist er gesund. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird festgesellt, dass derzeit weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie herrscht. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursacht. In der Russischen Föderation (Anmerkung: einem Staat mit mehr als 143 Millionen Einwohnern) wurden bisher 1.932.711 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 33.184 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 17.11.2020). Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufiggestellte-Fragen.html, abgerufen am 17.11.2020). Der Beschwerdeführer leidet aktuell weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit, noch an einer schweren psychischen Störung, die bei einer Überstellung/Abschiebung in die Russische Föderation eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes bewirken würde.
4. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich an der Situation in Österreich für den ledigen, kinderlosen Beschwerdeführer, - mit Ausnahme des Umstandes, dass er, wie bereits weiter oben ausgeführt, mit Urteil eines österreichischen XXXX rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde - seit seinem rechtskräftig abgeschlossenen ersten Asylverfahren, etwas geändert hat.
5. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers festgesellt:
Politische Lage
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 07.2020c; vgl. CIA 28.02.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 07.2020a; vgl. EASO 03.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 07.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.03.2018; vgl. FH 04.02.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.03.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.03.2018; vgl. FH 04.02.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.03.2018; vgl. FH 01.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.03.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.03.2018). Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden. Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren. Der Volksentscheid über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 01.07.2020 statt, nachdem er aufgrund der Corona Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der so genannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 07.2020a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.07.2020).
Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 07.2020a; vgl. AA 02.03.2020c). Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 07.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.09.2016; vgl. Global Security 21.09.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 07.2020a; vgl. AA 02.03.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 07.2020a). Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.03.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 07.2020a). Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 08.09.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 09.09.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.09.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 09.09.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.07.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer „smarten Abstimmung“ aufgerufen. Die Bürger sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 09.09.2019).
(AA – Auswärtiges Amt (02.03.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/
politisches-portrait/201710, Zugriff 10.03.2020
CIA – Central Intelligence Agency (28.02.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.03.2020
EASO – European Asylum Support Office (03.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoirussia-
state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.03.2020
FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.03.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (07.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichtestaat/#c17836, Zugriff 17.07.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (07.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 17.07.2020
Global Security (21.09.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020
Kleine Zeitung (28.07.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmenbei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.03.2020
MDR 16.07.2020: Mehr als 140 Demonstranten in Moskau festgenommen, https://www.mdr.de/nachrichten/politik/ausland/festnahme-moskau-putin-kritiker-beiprotest-100.html, Zugriff 21.07.2020
ORF – Observer Research Foundation (18.09.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russiaelections-2019-55603/, Zugriff 10.03.2020
OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.03.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.03.2020
Presse.at (19.03.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Dasrussische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.03.2020
RIA Nowosti (23.09.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.03.2020
Standard.at (19.03.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.03.2020
Tagesschau.de (19.03.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.03.2020
Zeit Online (09.09.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlenmoskau, Zugriff 10.3.2020)
Tschetschenien
Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019). In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.02.2019, FH 04.03.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.09.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AA 13.02.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 04.03.2020; vgl. AA 13.02.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 04.03.2020).
Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 03.2018). Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.01.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.06.2019).
(AA - Auswärtiges Amt (13.02.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederationstand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.03.2020
FH – Freedom House (04.03.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 05.03.2020
HRW – Human Rights Watch (14.01.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 03.03.2020
NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.06.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nachprotesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.03.2020
ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.03.2020
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (03.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.03.2020)
Sicherheitslage
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.03.2020a; vgl. BMeiA 19.03.2020, GIZ 02.2020d, EDA 19.03.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.03.2020a; vgl. BMeiA 19.03.2020, EDA 19.03.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.03.2020).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 04.2017). Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.06.2017).
(AA – Auswärtiges Amt (19.03.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertigesamt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.03.2020
BMeiA (19.03.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.03.2020
Deutschlandfunk (28.06.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.03.2020
EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.03.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungenund-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.03.2020
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (02.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.03.2020
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.03.2020)
Nordkaukasus
Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.02.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 04.2017). Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015; vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23.06.2015 rief der IS Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019). Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.08.2019). Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 09.09.2019, Caucasian Knot 14.09.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.03.2020).
(AA - Auswärtiges Amt (13.02.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederationstand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.03.2020
Caucasian Knot (30.08.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.03.2020
Caucasian Knot (09.09.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.03.2020
Caucasian Knot (14.09.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.03.2020 Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/,Zugriff 19.03.2020
Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkazuzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.03.2020
ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.03.2020
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.03.2020
SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus,