TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 G310 2225877-1

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch


G310 2225877-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , slowakischer Staatsangehöriger, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.10.2019, Zl. XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 21.11.2019 und Vorlageantrag vom 26.11.2019, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Über den Beschwerdeführer (BF) wurde am 10.03.2019 die Untersuchungshaft wegen des Verdachts des Vergehens des gewerbsmäßigen Betruges verhängt.

Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 15.03.2019 wurde der BF aufgefordert, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots Stellung zu nehmen. Er erstattete am 17.04.2019 eine entsprechende handschriftlich verfasste zweiseitige Stellungnahme. Darin schildert er seine schwierige Lebenssituation, seine geringen Anknüpfungspunkte in die Slowakei sowie den großen Wunsch bei seinem fünfjährigen Sohn in Österreich bleiben zu können.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2019, Zl. XXXX wurde der BF zuletzt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Der BF verbüßte die Untersuchungs- und Strafhaft in der Justizanstalt XXXX und in der Justizanstalt XXXX .

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen begründet. Der BF halte sich seit 2002 in Österreich auf. Er behaupte, einen Sohn zu haben, habe dazu jedoch keine Beweismittel vorgelegt. Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in sein Privat- und Familienleben sei daher gerechtfertigt. Sein weiterer Aufenthalt sei eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und beeinträchtige die öffentlichen Interessen. Es könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids. Hilfsweise wird die Herabsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots und die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er seit seinem 3. Lebensjahr durchgehend in Österreich lebe, er habe in XXXX den Kindergarten und die Schule besucht. Der Eingriff in sein Privat- und Familienleben durch das fünfjährige Aufenthaltsverbot sei unverhältnismäßig. Bedingt durch seine Drogenabhängigkeit sei der BF straffällig geworden. Die Drogentherapie sei inzwischen erfolgreich absolviert worden. Das Aufenthaltsverbot werde ausschließlich mit den strafgerichtlichen Verurteilungen bzw. Anzeigen begründet. Der BF sei von klein auf in Österreich aufgewachsen und langjährig rechtmäßig niedergelassen. Die vom BF begangenen Delikte würden nicht bagatellisiert werden, hätten jedoch nicht den Charakter von Schwerkriminalität, da sie mit Suchtgift bzw. Beschaffungskriminalität zusammenhängen würden und der BF erfolgreich eine Therapie absolviert habe. Daher sei von einer günstigen Zukunftsprognose auszugehen.

Das BFA erstattete am 21.11.2019 eine Gegenäußerung zur Beschwerde (Beschwerdevorentscheidung) und beantragte, diese als unbegründet abzuweisen.

Der BF erstattete am 26.11.2019 über seine Rechtsvertretung einen Vorlageantrag mit dem Begehr, die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

Das BFA legte die Beschwerde, die Beschwerdevorentscheidung, den Vorlageantrag und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Feststellungen:

Der XXXX -jährige BF ist slowakischer Staatsangehöriger. Er hält sich zumindest seit Jänner 2002 kontinuierlich in Österreich auf. Er hat in Österreich den Kindergarten und die Schule absolviert und spricht Deutsch auf muttersprachlichem Niveau, seine slowakisch-Sprachkenntnisse sind gering.

Der BF ist ledig. Der BF hat einen minderjährigen Sohn, für den er keine Sorgepflichten trägt. Es besteht eine Vater-Sohn Beziehung. Die Mutter des BF lebt in Österreich.

Sein Vater lebt in der Slowakei und möchte keinen Kontakt mehr zum BF.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF wurde in Österreich sechs Mal strafgerichtlich verurteilt, wobei davon einmal eine Zusatzstrafe verhängt wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012 (rk XXXX .2012), Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs 1 StGB und des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB – aufgrund der Anwendung von § 5 Z 4 JGG ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren - zu einer bedingten Freiheitstrafe von fünf Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der BF

- am XXXX .2011 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei weiteren, davon zwei strafunmündigen, Mittätern einer im Urteil namentlich bezeichneten Person ein Mobiltelefon im Wert von EUR 190,--, einen XXXX im Wert von EUR 150,-- und Bargeld in der Höhe von EUR 50,-- entwendete, wobei der BF und die Mittäter das Opfer einkreisten und zur Übergabe von Mobiltelefon und Bargeld aufforderten, widrigenfalls sie ihn abstechen würden;

- am XXXX .2011 fremde bewegliche Sachen Verfügungsberechtigten der Firma XXXX GmbH mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen versuchte, indem der BF vier Ohrstecker im Gesamtwert von EUR 20,80,-- in einer Jacke versteckte und ohne Bezahlung der Waren das Geschäftslokal verlassen wollte, wobei es nur beim Versuch geblieben ist, weil der BF vom Kaufhausdetektiv beobachtet und angehalten werden konnte.

Bei der Strafzumessung wurden die bisherige Unbescholtenheit und das umfassende Geständnis, sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als mildernd, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen hingegen als erschwerend gewertet. Der bedingte Strafteil wurde nach einer Probezeitverlängerung am 01.02.2018 endgültig nachgesehen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012 (rk XXXX .2012), Zl. XXXX wurde der BF wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs 1 – unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu einem halben Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen - zu einem Monat Freiheitsstrafe bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren als Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf die Erstverurteilung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012 (rk XXXX .2012), Zl. XXXX , verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF im XXXX 2012 in Wien eine im Urteil namentlich bezeichnete Person (W.W.) gefährlich bedroht hatte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er sinngemäß auf Facebook postete, W.W. solle aufpassen, es könne böse für ihn enden und er werde „ein paar auf`s Maul bekommen“.

Bei der Strafzumessung wurde der bislang ordentliche Lebenswandel und das reumütige Geständnis als mildernd, erschwerend wurden keine Umstände gewertet. Der bedingte Strafteil wurde nach einer Probezeitverlängerung am XXXX .2018 endgültig nachgesehen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2013, (rk XXXX ), Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch gemäß §§ 127, 129 Z1, 3, 130 4. Fall StGB sowie wegen des Vergehens des versuchten Betruges gemäß §§ 15, 146 StGB – unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu 1,5 Jahren Freiheitsstrafe - zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten davon 9 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im XXXX und XXXX 2012 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit einer abgesondert verfolgten Person in Wien dritten Personen fremde, bewegliche Sachen weggenommen zu haben mit dem Vorsatz sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen durch Einbruch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, indem der BF unter Verwendung eines widerrechtlich erlangten Schlüssels durch Öffnung von Haustoren mit einem Z-Schlüssel Zugang zu Wohnungen ermöglichte und in Stiegenhäusern zumindest zehn Fahrräder noch auszuforschender Täter mitnahm.

Bei der Strafzumessung wurde das reumütige und umfassende Geständnis als mildernd, die einschlägigen Vorstrafen, die Tatbegehung während offener Probezeit, der rasche Rückfall und das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen hingegen als erschwerend gewertet. Der bedingte Strafteil wurde nach einer Probezeitverlängerung XXXX .2018 endgültig nachgesehen.

Mit Urteil des BF XXXX vom XXXX .2015 (rk XXXX .2015), Zl. XXXX wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB sowie wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 229 Abs 1 StGB – unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu einem halben Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen - zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF

- am XXXX .2014 in XXXX mit Bereicherungsvorsatz und im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei weiteren namentlich nicht bekannten Tätern ein Handy aus der Tasche einer namentlich im Urteil genannten Person (S.) wegnahm, wodurch ein Schaden von EUR 95,-- verursacht wurde;

- am XXXX .2014 in XXXX die Geldbörse des B. samt Bargeld idH von EUR 10,00 mit Bereicherungsvorsatz weggenommen hat sowie die darin enthaltene Identitätskarte, über welche er nicht alleine verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass der BF im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache, nämlich des Identitätsnachweises des B. gebraucht werde.

Bei der Strafzumessung wurde das reumütige Geständnis, ungünstige Erziehungsverhältnisse als mildernd, hingegen zwei einschlägige Vorstrafen und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen als erschwerend gewertet.

Dem BF wurden folgende Weisungen erteilt:

- eine ambulante Drogentherapie zu absolvieren und dies dem Gericht zunächst binnen eines Monats, sodann im Abstand von drei Monaten nachzuweisen:

- den Schulabschluss unter Begleitung eines Mentoringprogramms zu absolvieren;

- innerhalb von zwei Wochen ein Präventionsgespräch mit nachfolgender Berichtslegung an das Gericht durchzuführen

- innerhalb von drei Wochen eine Reflexionsarbeit zum Thema „Mein Leben und ich, Gründe für meine Straffälligkeit du warum ich trotzdem lebe und leben will“ zu verfassen und mit der Richterin darüber ein mündliches Nachgespräch zu führen.

Hinsichtlich der Vorverurteilungen XXXX sowie XXXX wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen. Hinsichtlich der Vorverurteilung XXXX wird ebenfalls vom Widerruf abgesehen, aber die Probezeit jedoch auf insgesamt 5 Jahre verlängert.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2017 (rk XXXX .2017), Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des schweren Diebstahls gemäß §§ 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB – unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu 1,5 Jahren - zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, acht Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren.

Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF fremde bewegliche Sachen, im Urteil namentlich genannten Personen mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, nämlich zwischen dem XXXX .2016 und XXXX .2016 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei weiteren unbekannten Tätern als Mittäter Dritten in einem EUR 5.000,-- übersteigenden Wert, nämlich einen Computer inklusive Zubehör, zwei externe Festplatten, einen Fernseher, fünf Mobiltelefone, drei Spielkonsolen incl. Zubehör, eine Armbanduhr, Bargeld sowie Fahrscheine der XXXX Verkehrsbetriebe um Gesamtwert von ca. EUR 8.603,95.

Bei der Strafzumessung wurde die sehr schwierige Erziehungssituation, das Geständnis und das Alter unter 21 Jahren als mildernd, hingegen die einschlägigen Vorstrafen und die Begehung innerhalb offener Probezeiten als erschwerend gewertet. Der bedingt nachgesehene Strafteil der Freiheitsstrafe wurde am 26.06.2019 widerrufen. Für die Dauer der Probezeit wurde dem BF Bewährungshilfe angeordnet.

Vom Widerruf der bislang gewährten bedingten Strafnachsichten wurde abgesehen, hinsichtlich des Urteils zur AZ. XXXX wurde die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Nach dieser Verurteilung folgte eine über zweijährige Periode des Wohlverhaltens, in der er nicht mehr straffällig wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2019 (rk XXXX .2019), Zl. XXXX wurde der BF wegen des Vergehens des Betruges gemäß § 146 1. Fall StGB und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG und § 27 Abs 2 SMG – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen - zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.

Der Verurteilung liegt zugrunde, das der BF

-        am XXXX .2019 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mitttäter durch arbeitsteilige Vorgehensweise mit dem Vorsatz sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, einer dritten Person durch Täuschung über Tatsachen, nämlich darüber ihm Cannabisharz zu verkaufen, wobei es sich in Wahrheit um Knetmasse handelte, zur Übergabe von Bargeld iHv EUR 20,-- mithin zu einer Handlung verleitet haben, die die dritte Person in dem genannten Betrag am Vermögen schädigte;

-        am XXXX .2018 alleine, vorschriftswidrig Suchtgift, ausschließlich für den persönlichen Gebrauch, erworben und besessen hat; nämlich insgesamt 3,1, Gramm Speed (Wirkstoff: Amphetamin).

Bei der Strafzumessung wurde das reumütige Geständnis als mildernd, hingegen das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die einschlägigen Vorstrafen als erschwerend gewertet.

Der BF wurde am XXXX .2019 aus der Strafhaft, die er zuletzt in der Justizanstalt XXXX verbüßte, entlassen. Von XXXX .2020 bis XXXX .2020 war er mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Seit XXXX .2020 ist er obdachlos und wird vom Verein Neustart betreut.

Mit Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX , Geschäftsabteilung an das BFA vom 21.07.2020 wurde Ermittlungsverfahrens gegen den BF in der Strafsache XXXX , Zl. XXXX wegen mutmaßlicher gefährlicher Drohung eingestellt.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG im Zusammenhang mit dem Vorbringen des BF in seiner Stellungnahme und in der Beschwerde.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben im Bescheid, denen er nicht entgegentritt, sowie auf den entsprechenden Angaben in den sechs Strafurteilen und in der Vollzugsinformation.

Aus dem Versicherungsdatenauszug gehen Versicherungszeiten des BF als Lehrling bzw. Arbeiter seit 2013 sowie der Bezug von Arbeitslosengeld hervor.

Der Familienstand des BF ergibt sich aus der Vollzugsinformation und aus dem ZMR. Anhaltspunkte für eine Eheschließung bestehen nicht.

Die Vaterschaft des BF zu seinem Sohn ergibt sich schlüssig aus seiner Stellungnahme und seiner Beschwerde.

Die derzeitige Obdachlosigkeit wird durch Einsicht in das ZMR belegt.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen darauf, dass keine Hinweise auf gesundheitliche Probleme hervorgekommen sind. Aus der Beschwerde geht hervor, dass der BF seine Drogentherapie erfolgreich absolviert hat.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF werden anhand des Strafregisters festgestellt, aus dem auch die festgestellten Probezeitverlängerungen, endgültigen Strafnachsichten und Vollzugsdaten hervorgehen. Der Vollzug unbedingter Freiheitsstrafen wird zusätzlich durch entsprechende Meldungen in Justizanstalten laut ZMR belegt.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012 (rk XXXX .2012), Zl. XXXX ; dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012 (rk XXXX .2012) Zl. XXXX ; dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2013, (rk XXXX .2013), Zl. XXXX ; dem Urteil des BF XXXX vom XXXX .2015 (rk XXXX .2015), Zl. XXXX ; dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2017 (rk XXXX .2017), Zl. XXXX und dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2019 (rk XXXX .2019), Zl. XXXX .

Die Rechtskraft der Verurteilungen wird auch durch das Strafregister belegt. Es gibt keine Indizien für weitere strafrechtliche Verurteilungen des BF.

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den BF in der Strafsache wegen gefährlicher Drohung gründet auf der Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX , Geschäftsabteilung XXXX , Zl. XXXX an das BFA vom 21.07.2020.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gegen den Beschwerdeführer als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Da sich der BF seit rund 18 Jahren im Bundesgebiet aufhält und die Kontinuität seines Aufenthalts durch die Haft nicht unterbrochen wurde, weil sein minderjähriger Sohn sowie seine Mutter als Bezugspersonen in Österreich leben und es während des 11-monatigen Freiheitsentzugs jedenfalls nicht zum Abreißen der hier in den vielen Jahren davor geknüpften Integrationsbande gekommen ist, ist für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im vorliegenden Fall der qualifizierte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG maßgeblich.

Mit dieser Bestimmung soll Art 28 Abs 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (EuGH 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff; siehe daran anknüpfend auch EuGH 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf; siehe VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).

Den Mitgliedstaaten steht es frei, Straftaten wie die in Art 83 Abs 1 Unterabs 2 AEUV angeführten (also Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität) als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen können, mit denen gemäß Art 28 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der BF auch durch die erste strafgerichtliche Verurteilung im April 2012 nicht von weiterer, unter anderem gegen dieselben Rechtsgüter, gerichteter Delinquenz abhalten ließ, seine raschen Rückfälle eine geringe Hemmschwelle indiziert, erneut strafbare Handlungen zu begehen, die auf derselben schädlichen Neigung beruhen, und die zuletzt abgeurteilten Straftaten noch nicht lange zurückliegen (Tatzeitraum März 2019), sodass der BF einen Gesinnungswandel hin zu einem rechtstreuen Verhalten noch nicht in Freiheit unter Beweis stellte, erreichen seine Delinquenz und sein sonstiges persönliches Verhalten noch nicht den in § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG festgelegten Schweregrad.

Keine der vom BF verübten Straftaten ist einem der in Art 83 Abs 1 Unterabs 2 AEUV angeführten oder einem vergleichbaren besonders schweren Kriminalitätsbereich zuzuordnen.

Auch wenn die Begehung von Straftaten den Schluss auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters zulässt, ist bei konkreter Betrachtung seiner Taten und ihrer Begehungsweise von keiner sehr hohen kriminellen Energie auszugehen. Der BF hat sich über lange Zeit rechtmäßig und strafrechtlich unauffällig in Österreich aufgehalten. Offenbar ist er ab dem Kalenderjahr 2012 in eine Krise geraten, die in den strafgerichtlichen Verurteilungen gipfelte.

Trotz mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen ist zu berücksichtigen, dass der BF drei Mal ausschließlich zu bedingten Freiheitsstrafen und drei Mal zu bedingten Freiheitsstrafen mit jeweils einem relativ kurzen unbedingten Strafteil verurteilt wurde. Auch bei der konkreten Ausführung der Taten durch den BF lagen keine Umstände vor, die einen Schluss auf einen über das übliche mit solchen strafbaren Handlungen verbundene Maß hinausgehenden besonderen Handlungs-, Gesinnungs- oder Erfolgsunwert zulassen oder auf eine besondere Gefährlichkeit des BF schließen lassen. Die Art und Weise der konkreten Begehung der Straftaten durch den BF weist somit keine schwerwiegenden Merkmale iSd Rechtsprechung des EuGH auf.

Schließlich wurde mit Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX , Geschäftsabteilung an das BFA vom 21.07.2020 das Ermittlungsverfahrens gegen den BF in der Strafsache XXXX , Zl. XXXX wegen mutmaßlicher gefährlicher Drohung eingestellt, wobei das (vermeintliche) Opfer in der Polizeiinspektion angerufen hat und die Anzeige zurückziehen wollte.

Das gesamte, vom BF gegen die Rechtsvorschriften der Republik Österreich gesetzte Verhalten erfüllt im Sinne einer vernetzten Betrachtung der begangenen Straftaten sowie der Art und Weise der konkreten Begehung durch den BF somit nicht die Voraussetzungen des qualifizierten Gefährdungsmaßstabs des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG.

Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF im Ergebnis nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben. Dies bedingt auch die Aufhebung des darauf aufbauenden Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheids (Durchsetzungsaufschub).

Sollte der BF in Zukunft wieder wegen entsprechend schwerwiegender Taten strafgerichtlich verurteilt werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung besondere Gefährdung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EWR-Bürger Privat- und Familienleben strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2225877.1.00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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