Entscheidungsdatum
26.11.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W254 2166107-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.04.2019, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm 9 Abs. 1 und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 stattgegeben und die Spruchpunkte I., II., IV., V., VI., VII. und VIII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass der angefochtene Bescheid zu lauten hat: „Aufgrund des Antrags des XXXX vom 09.01.2019 wird die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um weitere zwei Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.“
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz „BF“ genannt) stellte am XXXX .2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am XXXX .2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt, bei der er angab, am XXXX in Mogadischu geboren, ledig und sunnitischer Moslem zu sein. Er habe eine Grundschule in XXXX besucht. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der BF im Wesentlichen an, die Al Shabaab habe seinen Vater und seinen Bruder umgebracht, weil sein Vater nicht gewollt habe, dass seine Kinder für die Al Shabaab tätig seien. Die Al Shabaab sei auch bei ihm zu Hause gewesen, um ihn zu überzeugen, für sie zu arbeiten. Da man ihn sonst umgebracht hätte, habe er Somalia verlassen.
2. Am XXXX .2016 wurde über den BF ein Betretungsverbot verhängt.
3. Am 11.10.2016 langte ein Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX wegen des Verdachts auf Körperverletzung bei der belangten Behörde ein.
4. Am 20.06.2017 erhob der BF eine Säumnisbeschwerde, welche in weiterer Folge dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt wurde.
5. Nach Beauftragung durch das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 6 AsylG 2005, wurde der Beschwerdeführer am 13.09.2017 vor der belangten Behörde einvernommen.
6. Am XXXX .2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache, in welcher der Beschwerdeführer neuerlich ausführlich zu seinem Leben in Somalia und zu seinem Fluchtvorbringen befragt wurde.
Mit am XXXX 2018 mündlich verkündetem und sodann schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX 2018 XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen, allerdings wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis XXXX 2019 zum erteilt (Spruchpunkt III.).
Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte, die Lage im Herkunftsstaat und die persönlichen Umstände des BF begründet. Die persönliche Situation des BF ohne jeglichen Familienkontakt in Somalia und vor dem Hintergrund einer immer noch volatilen Sicherheitslage sowie einer Versorgungslage, die von der Notwendigkeit einer Aufnahme eines Rückkehrers in den Familienverband ausgeht, begründe das Vorliegen eines Rückkehrhindernisses.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative wurde aufgrund der prekären Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia ausgeschlossen, ebenso eine Ansiedlung in Somaliland oder Puntland mangels dortiger familiärer oder sozialer Verwurzelung.
Als Geburtsort wurde Mogadischu festgestellt, wobei der BF bereits als Kleinkind nach XXXX umgezogen sei und dort bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Seine Clanzugehörigkeit wurde nicht festgestellt. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, ob er noch über Familienangehörige in Somalia verfüge. Ein Kontakt zu seiner Familie wurde ausgeschlossen.
7. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wurde der BF wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX nicht Folge gegeben.
8. Am 10.07.2018 langte vom Landesgericht für Strafsachen XXXX , eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung wegen §§ 142 Abs. 1, 142 Abs. 2 StGB und § 83 Abs. 1 StGB ein.
9. Am 09.01.2019 beantragte der BF die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.
10. Am XXXX .2019 wurde der BF zum Aberkennungsverfahren niederschriftlich einvernommen. Darin gab er an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Der BF wurde weiters zu seinen Deutschkenntnissen, Arbeits- und Integrationsbemühungen, seinen Wohnumständen und zu seiner allgemeinen Situation in Österreich befragt. Auf ein Strafverfahren angesprochen führte der BF aus, dass er mit jemanden gestritten habe. Das Opfer habe angegeben, dass der BF ihm etwas weggenommen habe, was allerdings nicht bewiesen werde konnte. Auf Vorhalt der belangten Behörde, wonach beabsichtigt sei, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der geänderten Lage im Heimatland abzuerkennen, führte der BF aus, dass er in seiner Heimat keine Freiheit aufgrund seiner Clanzugehörigkeit habe. Er habe hier zwei Kinder und eine Lebensgefährtin, die dem Clan der Sheikhal angehöre. Normalerweise dürften sie nicht heiraten. Bei einer Rückkehr nach Somalia könne es sein, dass er und seine Kinder getötet werden würden. Zu seiner Mutter und seinen Geschwistern habe er zuletzt im XXXX 2015 Kontakt gehabt, als sein Vater getötet worden sei. Er wisse nicht, wo und ob sie noch leben würden. Seine Mutter habe zuletzt in XXXX gelebt und habe manchmal als Gemüseverkäuferin gearbeitet. Ein Onkel mütterlicherseits lebe in Schweden, die Onkeln väterlicherseits seien zuletzt in Mogadischu aufhältig gewesen. 2015 sei der letzte Kontakt zu seiner gesamten Familie gewesen. Auf Vorhalt der belangten Behörde, dass sich die Versorgungs- und Sicherheitslage in Somalia, insbesondere in Mogadischu verbessert habe, führte der BF aus, dass jeder sein Heimatland liebe, aber für ihn seine Clanzugehörigkeit ein Problem sei.
11. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX wurde der BF wegen §§ 142 Abs. 1, 142 Abs. 2 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX , dahin Folge gegeben, dass die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.
12. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der dem BF mit am XXXX .2018 mündlich verkündetem und schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis vom XXXX .2018, XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Sein Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Die Frist für seine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VII.). Schlussendlich wurde gegen den BF ein auf sieben Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).
Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen wurde zunächst damit begründet, dass der BF aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen eine Gefahr für die Allgemeinheit in Österreich darstelle. Weiters wurde ausgeführt, dass eine wesentliche, dauerhafte und relevante Änderung der damaligen Umstände in seinem Heimatland vorliege. Als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann könne er auch ohne finanzielle Hilfe von familiären Anknüpfungspunkte in Somalia seine Grundbedürfnisse befriedigen. Zudem verfüge er bereits über Berufserfahrung und gebe es in Mogadischu einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Dem BF sei es zumutbar, dass er selbstständig durch eigenständige Arbeit seinen Lebensunterhalt in Somalia bestreite. Ihm sei auch zumutbar, bei einer Rückkehr den Kontakt zu seinen in Mogadischu lebenden Onkeln zu suchen. Es wäre somit auch eine Unterstützung und die vorübergehende Gewährung einer Wohnmöglichkeit möglich. Auch habe sich die Situation für die Gabooye verbessert und würden Minderheitenangehörige nicht mehr marginalisiert oder belästigt werden. Er sei mit den gesellschaftlichen, kulturellen und traditionellen Gegebenheiten seines Heimatlandes vertraut. In Bezug auf die Gründe, die zur damaligen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führten, wurde von der belangten Behörde erneut ausgeführt, dass der BF als erwachsener, arbeitsfähiger und selbstständiger Mann auch ohne unmittelbare familiäre Unterstützung in Mogadischu seinen Lebensunterhalt befriedigen werde können, ohne in eine existenzbedrohliche Lage zu geraten. So seien in Mogadischu unzählige humanitäre Organisationen tätig. Es würden keine Informationen darüber vorliegen, wonach es allen arbeitsfähigen Männern an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden. Es könne zudem angenommen werden, dass es in Mogadischu viel mehr Arbeitsmöglichkeiten gebe. In Bezug auf die Dürresituation habe sich infolge vermehrter Regenfälle zuletzt eine Entspannung der Lage und Verbesserungen bei der Nahrungsmittelsicherheit abgezeichnet, sodass nicht das reale Risiko einer existenzgefährdeten Notlage in Mogadischu für jeden Rückkehrer zu erkennen sei. Wenn auch eine unverändert angespannte Versorgungssituation auch in Mogadischu nicht bestritten werde, so gehöre der BF als alleinstehender, junger, gesunder Mann keiner vulnerablen Personengruppe an, weshalb angesichts seiner individuellen Umstände nicht erkannt werden könne, dass sich die angespannte Versorgungslage gerade in Bezug auf seine Person in einem Ausmaß auswirken werde, welches ihn in eine als unmenschlich oder erniedrigend zu bezeichnende Lebenssituation versetzen würde. Versorgungsprobleme in Mogadischu seien insgesamt nicht als derart gravierend zu qualifizieren, als dass Teile der Bevölkerung in eine Hungersnot abgleiten würden, das Risiko einer Hungersnot sei durch die Regenfälle und Wegfall der Dürre reduziert worden. Es würden zudem keine Informationen vorliegen, wonach es Angehörigen der Personengruppe junger gesunder Männer im arbeitsfähigen Alter in Mogadischu generell an einer Existenzgrundlage bzw. einer Unterkunft mangeln würde, wenn auch viele Bewohner Mogadischus unterhalb der Armutsgrenze leben würden. Die damalige Dürre- und Versorgungslage habe sich in Somalia laut aktuellen Informationen der Staatendokumentation verbessert. Mogadischu sei mit dem Flugzeug sicher zu erreichen und habe die somalische Regierung und AMISOM unverändert die Kontrolle über Mogadischu. Die Angriffe der Al Shabaab würden sich in der Regel gegen Hotels und Restaurants richten, für normale Zivilisten inklusive Rückkehren bestehe keine derartige Gefahrenlage. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass der BF auch ohne unmittelbare familiäre Anknüpfungspunkte in Mogadischu eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, zumal sich die Dürre- und Versorgungslage verbessert habe. In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde nunmehr aus, dass der BF aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen eine Gefahr für die Allgemeinheit im Bundesgebiet darstelle und ihm daher gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen sei.
13. Gegen den im Spruch genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung erhobene Beschwerde, welche bei der belangten Behörde fristgerecht am 17.05.2019 einlangte. Darin wird – soweit hier wesentlich – ausgeführt, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie in Somalia habe. Obwohl der BF verurteilt worden sei, bereue er die Tat und habe seither ein neues Leben begonnen. Die Lage der Binnenvertriebenen sei in Somalia äußerst prekär, eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Bei einer Rückkehr nach Somalia würde er in eine ausweglose Lage geraten.
14. Mit am 22.04.2020 einlangendem Schreiben wurde eine Beschwerdeergänzung vorgelegt. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass aus dem angefochtenen Bescheid weder ersichtlich sei, auf welchen Aberkennungsgrund sich die belangte Behörde tatsächlich stütze noch worin sie eine Änderung der zum Zeitpunkt der Schutzgewährung ausschlaggebenden Umstände sehe. Strafrechtliche Verurteilungen könnten jedenfalls nicht als Wegfall der Voraussetzungen iSd § 9 Abs. 1 AsylG betrachtet werden. Für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG für zulässig ansehen sollte, sei darauf hinzuweisen, dass die Aberkennung mit der Feststellung zu verbinden sei, dass die Abschiebung unzulässig sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:
- der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde, die Bescheide, die Beschwerde gegen den Bescheid,
- das am XXXX 2018 mündlich verkündete und sodann schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX .2018 zur Zl. XXXX
- sämtliche vorgelegte Beweismittel,
- Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der BF hat am XXXX .2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Dem BF wurde mit am XXXX .2018 mündlich verkündetem und sodann schriftlich ausgefertigtem und rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl XXXX vom XXXX .2018 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wurde unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte, die Lage im Herkunftsstaat und die persönlichen Umstände des BF begründet. Die persönliche Situation des BF ohne jeglichen Familienkontakt in Somalia begründet vor dem Hintergrund einer immer noch volatilen Sicherheitslage sowie einer Versorgungslage, die von der Notwendigkeit einer Aufnahme eines Rückkehrers in den Familienverband ausgeht, das Vorliegen eines Rückkehrhindernisses. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wurde ausgeschlossen, zumal die prekäre Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia eine solche ebenso wie eine Ansiedlung in Somaliland oder Puntland mangels dortiger familiärer oder sozialer Verwurzelung nicht in Frage erscheinen lässt. Als Geburtsort wurde Mogadischu festgestellt, wobei der BF bereits als Kleinkind nach XXXX umgezogen ist und dort bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Seine Clanzugehörigkeit wurde nicht festgestellt. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, ob er noch über Familienangehörige in Somalia verfügt. Ein Kontakt zu seiner Familie wurde ausgeschlossen.
Der BF stellte am 09.01.2019 einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid wurde der dem BF mit am XXXX .2018 mündlich verkündetem und schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis vom XXXX .2018, XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen. Sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung nach Somalia für zulässig erachtet. Die Frist für seine freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Schlussendlich wurde gegen den BF ein auf sieben Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen. Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde zunächst damit begründet, dass der BF aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen eine Gefahr für die Allgemeinheit in Österreich darstellen würde. Weiters wurde ausgeführt, dass eine wesentliche, dauerhafte und relevante Änderung der damaligen Umstände in seinem Heimatland vorliege. Als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann könne er auch ohne finanzielle Hilfe von familiären Anknüpfungspunkte in Somalia, insbesondere in Mogadischu seine Grundbedürfnisse befriedigen. In Bezug auf die Dürresituation habe sich infolge vermehrter Regenfälle zuletzt eine Entspannung der Lage und Verbesserungen bei der Nahrungsmittelsicherheit abgezeichnet, sodass nicht das reale Risiko einer existenzgefährdeten Notlage in Mogadischu für jeden Rückkehrer zu erkennen sei.
1.2 Zur Situation des BF in Österreich und in Somalia und der dort herrschenden Lage:
Der BF ist ein männlicher, volljähriger, somalischer Staatsbürger und sunnitischer Moslem. Er ist in Mogadischu geboren und in XXXX aufgewachsen. Die Muttersprache des BF ist Somalisch.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF hat in Österreich eine Lebensgefährtin, mit welcher er zwei Söhne hat.
Die schwierige Versorgungssituation in Somalia hat sich nicht wesentlich und nachhaltig gebessert. Auch hat sich die Versorgungslage von Binnenflüchtlingen in Somalia nicht wesentlich und nachhaltig gebessert. Auch aus sonstigen Gründen hat sich die Lage in Somalia nicht dahingehend wesentlich und nachhaltig gebessert, dass der BF im Falle seiner Rückkehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein würde, sich einen notdürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Familie des BF maßgeblich zu seinem Unterhalt beitragen könnte und er somit im Falle seiner Rückkehr nach Somalia ein leistungsfähiges soziales Netz vorfinden würde bzw. von seinem Clan ausreichende Hilfe zu erwarten hätte. Der BF verfügt auch über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Mogadischu.
Eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts ist somit nicht eingetreten.
Er wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , nicht Folge gegeben.
Der Strafrahmen betrug bei dem dem BF angelasteten Delikt gem. § 83 Abs. 1 StGB einerseits eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe von bis zu 720 Tagessätzen. Bei dieser Delinquenz handelt es gemäß § 17 StGB um ein Vergehen.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , wurde der BF wegen §§ 142 Abs. 1, 142 Abs. 2 StGB und § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX , dahin Folge gegeben, dass die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.
Der BF hat am XXXX .2018 in XXXX
I. XXXX mit Gewalt gegen eine Person eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine XXXX ,- sowie darin befindliches Bargeld in Höhe von XXXX mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, wobei er den Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringeren Wertes begangen hat, indem er ihr einen Schlag auf den Hinterkopf versetzte, ihr die Tasche, welche sie um den Hals trug, herunter riss, wodurch auch der Riemen beschädigt wurde und damit flüchtete;
II. XXXX dadurch, dass er ihm zumindest dreimal einen Kopfstoß ins Gesicht versetzte, wodurch er eine Schwellung an der Stirn und eine Nasenprellung mit einer Hautabschürfung erlitt, am Körper verletzt.
Damit hat er das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs. 1 und 2 StGB und das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB begangen. Bei der Strafbemessung wurde mildernd das Teilgeständnis gewertet. Als erschwerend wurde eine einschlägige Vorstrafe, das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen und der rasche Rückfall berücksichtigt. Im darauffolgenden Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX wurde u.a. ausgeführt, dass sich bei Abwägung der vorliegenden Strafzumessungslage die vom Erstgericht mit konkret einem Viertel des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe ausgemessene Sanktion als tat- und täteradäquat und einer Reduktion nicht zugänglich erweise. Trotz des raschen Rückfalls in einschlägige Delinquenz könne nicht übersehen werden, dass seiner einzigen Vorstrafe eine in die bezirksgerichtliche Zuständigkeit fallende strafbare Handlung, die mit einer Geldstrafe geahndet worden sei, zu Grunde gelegen sei. Unter weiterer Berücksichtigung seiner sozialen und beruflichen Integration sei aber anzunehmen, dass die bloße Androhung der Vollziehung der über ihn verhängten Freiheitstrafe genügen werde, um ihn in Hinkunft von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen wirksam abzuhalten.
Der Strafrahmen betrug bei dem dem BF angelasteten Delikt gem. § 142 Abs. 2 StGB sechs Monate bis zu fünf Jahren. Bei dieser Delinquenz handelt es gemäß § 17 StGB um ein Verbrechen.
Seither verhält sich der Beschwerdeführer wohl und ist strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten.
Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 liegen weiterhin vor. Es besteht kein Aberkennungsgrund gem. § 9 Abs. 1 und Abs 2 AsylG 2005.
1.4 Zur maßgeblichen Situation in Somalia:
Zur politischen Lage (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, mit einer Gesamtaktualisierung vom 17.09.2019; diese Information wurde von der belangten Behörde erstellt und ist daher der belangten Behörde amtsbekannt):
Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).
Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).
Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen „indirekten Staat“, in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).
Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3). […]
Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).
Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).
Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10). […]
Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).
Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).
Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).
Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) – und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).
Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).
Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).
Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam „Madobe“ zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed „Lafta Gareen“ ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat – der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow – war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans – v.a. in Middle Shabelle – haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle „Haaf“ wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama’a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed „Haaf“ weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).
Quellen: […]
Zur Sicherheitslage in Somalia (nachfolgend Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, mit einer Gesamtaktualisierung vom 17.09.2019, welche dem Gericht und der belangten Behörde amtsbekannt sind):
Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).
Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das „urban island scenario“ besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).
Quellen: […]
Süd-/Zentralsomalia
Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3).
Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels – durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019).
Dabei hat sich die Gruppe in erster Linie auf die Durchführung von Sprengstoffanschlägen und gezielten Attentaten verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3) und kann sowohl gegen harte (militärische) als auch weiche Ziele vorgehen (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, komplexe asymmetrische Angriffe durchzuführen (SEMG 9.11.2018, S.4). Neben Angriffen auf militärische Einrichtungen und strategischen Selbstmordanschlägen auf Regierungsgebäude und städtische Gebiete wendet al Shabaab auch Mörser- und Handgranatenangriffe an, legt Hinterhalte und führt gezielte Attentate durch (NLMBZ 3.2019, S.10). Al Shabaab verfügt auch weiterhin über Kapazitäten, um konventionelle Angriffe und größere Attentate (u.a. Selbstmordanschläge, Mörserangriffe) durchzuführen (LWJ 15.10.2018). Al Shabaab ist auch in der Lage, fallweise konventionelle Angriffe gegen somalische Kräfte und AMISOM durchzuführen, z.B. am 1.4.2018 gegen sogenannte Forward Operational Bases der AMISOM in Buulo Mareer, Golweyn und Qoryooley (Lower Shabelle) (SEMG 9.11.2018, S.22). Nach anderen Angaben kann al Shabaab keine konventionellen Angriffe mehr durchführen. Die Gruppe hat sich v.a. auf Sprengstoffanschläge und gezielte Attentate verlegt (SRSG 3.1.2019, S.3).
Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet – die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).
Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f).
Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16; vgl. AA 17.9.2019). Die Gruppe führt täglich kleinere Angriffe auf AMISOM, Armee und Regierung durch, alle paar Wochen kommt es zu einem größeren Angriff (BS 2018, S.7). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle. Die Region Middle Juba steht in weiten Teilen unter Kontrolle von al Shabaab (AA 4.3.2019, S.16). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (ME 27.6.2019). In Süd-/Zentralsomalia bleibt al Shabaab auch für Stützpunkte von Armee und AMISOM eine Bedrohung. Sie behält die Fähigkeit, selbst in schwer befestigte Anlagen in Mogadischu einzudringen (LWJ 3.9.2018).
Ferner kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 17.9.2019). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 13.3.2019, S.11). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2018, S.8). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Sub-Clans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 4.3.2019, S.16; vgl. HRW 17.1.2019). Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 4.3.2019, S.16).
Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 17.1.2019).
Gebietskontrolle: Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 4.3.2019, S.5). Die Regierung war nicht immer in der Lage, gewonnene Gebiete abzusichern, manche wurden von al Shabaab wieder übernommen (BS 2018, S.7). Mittlerweile wird zumindest versucht, nach der Einnahme neuer Ortschaften rasch eine Zivilverwaltung einzusetzen, wie im Zuge der Operation Badbaado 2019 in Lower Shabelle zu erkennen war. Trotzdem beherrschen die neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr als die größeren Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt meist auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert. Teils kommt es zu weiteren (militärischen) Exkursionen (ME 27.6.2019). Die meisten von Regierung/AMISOM gehaltenen Städte sind aber Inseln im Gebiet der al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.3; vgl. BFA 8.2017, S.26). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft oder über See versorgt werden, da Überlandrouten nur eingeschränkt nutzbar sind (UNSC 21.12.2018, S.9).
In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (ME 27.6.2019). Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände von al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017, S.26; vgl. BMLV 3.9.2019). Andererseits führen ausstehende Soldzahlungen zu Meutereien bzw. zur Aufgabe gewonnener Gebiete durch Teile der Armee (z.B. in Middle Shabelle im März 2019) (BAMF 1.4.2019).
Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019). […]
AMISOM/Operationen: Die Truppensteller von AMISOM glauben nicht daran, dass Regierungskräfte über die notwendigen Kapazitäten verfügen, um wichtige Sicherheitsaufgaben zu übernehmen (HRW 17.1.2019). Die Regierung ist selbst bei der Sicherheit von Schlüssel-Einrichtungen auf AMISOM angewiesen (BS 2018, S.7). Vor desaströsen Auswirkungen eines voreiligen Abzugs von AMISOM wird gewarnt (SRSG 13.9.2018, S.5). Bereits ein Teilabzug im Rahmen einer „Rekonfiguration“ könnte zur Aufgabe sogenannter Forward Operating Bases (FOBs) führen (UNSC 15.5.2019, Abs.72). Die Kräfte von AMISOM sind ohnehin überdehnt (ME 27.6.2019), und schon in den Jahren 2016 und 2017 fielen manche Städte aufgrund des Abzugs von AMISOM zurück an al Shabaab (LI 21.5.2019a, S.1). Auch im Rahmen der Truppenreduzierung im Jahr 2019 hat AMISOM FOBs räumen müssen – etwa Faafax Dhuun (Gedo); andere wurden an die somalische Armee übergeben (ME 14.3.2019).
Nach 2015 hat AMISOM keine großen Offensiven gegen die al Shabaab mehr geführt (ISS 28.2.2019; vgl. SEMG 9.11.2018, S.22), der Konflikt befindet sich in einer Art „Warteschleife“ (ICG 27.6.2019, S.1). Im aktuellen Operationsplan von AMISOM sind ausschließlich kleinere offensive Operationen vorgesehen, welche insbesondere der Absicherung relevanter Versorgungsrouten dienen. Tatsächliche Vorstöße auf das Gebiet der al Shabaab sind so gut wie keine vorgesehen. Das heißt, dass AMISOM lediglich auf die Absicherung wesentlicher gesicherter Räume (v.a. Städte) und wichtiger Versorgungsrouten abzielt (ME 14.3.2019). In diesem Sinne ist auch die Operation Badbaado (Lower Shabelle) zu sehen, bei welcher v.a. somalische Truppen herangezogen wurden (ME 27.6.2019). Ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM kann auf dieser Grundlage nicht erwartet werden (ME 14.3.2019).
Islamischer Staat (IS): Neben al Shabaab existieren in Süd-/Zentralsomalia auch kleinere Zellen des sog. IS (LWJ 16.11.2018). Deren Aktivitäten haben sich ausgedehnt, der IS verübt Mordanschläge in – v.a. – Mogadischu, Afgooye und Baidoa (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. LWJ 4.1.2019; NLMBZ 3.2019, S.15). Dort verfügt der IS über ein Netzwerk. Unklar bleibt, ob dieses mit der IS-Fraktion in Puntland in Kontakt steht (SEMG 9.11.2018, S.4/28f; vgl. NLMBZ 3.2019, S.16). Insgesamt hat sich der IS im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2018 zu 50 Attentaten bekannt, tatsächlich konnten nur 13 verifiziert werden (SEMG 9.11.2018, S.4/28f). Die Fähigkeiten des IS in und um Mogadischu sind auf gezielte Attentate beschränkt (UNSC 21.12.2018, S.3).
Zivile Opfer: Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur durch al Shabaab führten 2018 zu hunderten zivilen Todesopfern und Verletzten (HRW 17.1.2019). Allerdings sind Zivilisten nicht das Primärziel (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LWJ 9.11.2018), wiewohl sie als Kollateralschaden in Kauf genommen werden (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LI 28.6.2019, S.8). So wurde z.B. als Grund für einen Angriff auf das Sahafi Hotel in Mogadischu am 9.11.2018 von al Shabaab angegeben, dass dort Offiziere und Regierungsvertreter wohnen würden (LWJ 9.11.2018). Der Umstand, dass bei al Shabaab willkürliche Angriffe gegen Zivilisten nicht vorgesehen sind, unterscheidet die Methoden der Gruppe von jenen anderer Terroristen (z.B. Boko Haram) (NLMBZ 3.2019, S.12).
Im Zeitraum Jänner-September 2018 sind in Somalia bei Sprengstoffanschlägen mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen, 220 wurden verletzt. 43% der Opfer waren Zivilisten; hauptsächlich betroffen waren die Regionen Lower Shabelle und Benadir/Mogadischu (USDOS 13.3.2019, S.13).
Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2018 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Sub-Clans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2018 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle betroffen (USDOS 13.3.2019, S.2/11f). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8). […]
Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 12,3 Millionen Einwohnern (UNFPA 1.2014, S.31f) – wobei andere Quellen von mindestens 14,7 Millionen ausgehen (USDOS 21.6.2019, S.2) – lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:8163.
Luftangriffe: Es kommt vermehrt zu US-Luftangriffen. Die Zahl stieg von 15 im Jahr 2016 auf 35 im Jahr 2017 und weiter auf 47 im Jahr 2018 (LWJ 8.1.2019). Dabei wurden 2018 von der US-Luftwaffe 326 Personen getötet. Alleine im Jänner und Feber 2019 meldete AFRICOM weitere 24 Luftschläge mit 225 Getöteten – nach Angaben von AFRICOM ausschließlich Kämpfer der al Shabaab (TNYT 10.3.2019). Danach ging die Frequenz zurück. Bis Ende April waren es 28 Luftschläge (UNSC 30.4.2019). Angriffe finden in mehreren Regionen statt, in jüngerer Zeit, z.B. am 23.2.2019 auf Stützpunkte von al Shabaab in der Ortschaft Qunyow Barrow (Middle Juba), nahe Aw Dheegle (Lower Shabelle) und in Janaale (Lower Shabelle); am 24.2.2019 nahe Belet Weyne (Hiiraan) und am 25.2.2019 nahe Shebeeley (Hiiraan) (BAMF 4.3.2019, S.6). Auch die äthiopische und die kenianische Luftwaffe führen Angriffe durch (LIFOS 3.7.2019, S.28).
Die Luftangriffe auf Ausbildungs- und Sammelpunkte von al Shabaab zielen darauf ab, Einsatzfähigkeit und Bewegungsfreiheit der Gruppe einzuschränken. Allerdings führten sie auch dazu, dass mehr al Shabaab-Kämpfer in Städte – und hier v.a. Mogadischu – drängen, wo sie kaum Luftschläge zu fürchten brauchen (UNSC 15.5.2019, Abs.16).
Quellen: […]
Bundesstaat Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)
Nominell gehören zum Machtbereich von Jubaland die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Die Regierung von Jubaland verfügt aber nicht über die entsprechenden Kapazitäten, um ganz Jubaland kontrollieren zu können (BFA 8.2017, S.57ff). Viele der ländlichen Teile von Jubaland werden von al Shabaab kontrolliert (NLMBZ 3.2019, S.22). Angriffe der al Shabaab richten sich vor allem gegen Regierungskräfte und deren Alliierte (LIFOS 3.7.2019, S.27).
Lower Juba: Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Kolbiyow werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Die Situation in Dif und Badhaade ist hingegen ungewiss (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). Jamaame steht unter Kontrolle von al Shabaab; dies gilt auch für den nördlichen Teil Lower Jubas (PGN 8.2019). Dhobley ist relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019) und wird als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27). Die Städte Kismayo, Afmadow und Dhobley sowie die Orte Bilis Qooqaani und Tabta können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).
Die Bevölkerung von Kismayo ist in kurzer Zeit um 30% auf ca. 300.000 gewachsen. Viele der Zuzügler stammen aus dem Umland oder kamen aus Kenia oder der weltweiten Diaspora nach Kismayo zurück (FIS 5.10.2018, S.20f). Der Aufbau von Polizei und Justiz wurde und wird international unterstützt. Es gibt eine klare Trennung zwischen Polizei und anderen bewaffneten Kräften (BFA 8.2017, S.59). Das verhängte Waffentrageverbot in der Stadt wird umgesetzt, die Kriminalität ist auf niedrigem Niveau, es gibt kaum Meldungen über Morde (ME 27.6.2019). Folglich lässt sich sagen, dass die Polizei in Kismayo entsprechend gut funktioniert. Die al Shabaab ist in Kismayo nur eingeschränkt aktiv, es kommt nur selten zu Anschlägen oder Angriffen (BFA 8.2017, S.59; vgl. BMLV 3.9.2019). Die Stadt gilt als ruhig und sicher (ME 27.6.2019), auch wenn die Unsicherheit wächst (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Zivilisten können sich in Kismayo frei und relativ sicher bewegen. Aufgrund der gegebenen Sicherheit ist Kismayo das Hauptziel für Rückkehrer aus Kenia. Der Stadt Kismayo – und damit der Regierung von Jubaland – wird ein gewisses Maß an Rechtsstaatlichkeit attestiert. Der Regierung ist es gelungen, eine Verwaltung zu etablieren (BFA 8.2017, S.58f; vgl. BMLV 3.9.2019). Regierungskräfte kontrollieren die Stadt, diese ist aber von al Shabaab umgeben (LIFOS 3.7.2019, S.27f); allerdings hat Jubaland die Front bis in das Vorfeld von Jamaame verschieben können. So ist al Shabaab zumindest nicht mehr in der Lage, entlang des Juba in Richtung Kismayo vorzustoßen. Trotzdem ist es der Gruppe möglich, punktuell auch in Kismayo Anschläge zu verüben (BMLV 3.9.2019).
Middle Juba: Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2; BS 2018, S.15). Die Region gilt als Bastion der Gruppe (BFA 8.2017, S.62).
Gedo: Die Städte Baardheere, Belet Xaawo, Doolow, Luuq und Garbahaarey sowie die Orte Ceel Waaq und Buurdhuubo werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert (PGN 8.2019). Faafax Dhuun und Buusaar wurden im März 2019 von kenianischen Truppen geräumt (BMLV 3.9.2019) und von al Shabaab übernommen (PGN 8.2019). Die Städte Luuq, Garbahaarey, Doolow und Baardheere können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019).
Die Grenzstadt Doolow sowie Luuq und das direkte Grenzgebiet zu Äthiopien sind relativ frei von al Shabaab (BFA 8.2017, S.64; vgl. PGN 8.2019). Die beiden genannten Städte werden als sicher erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.27f). Bilateral eingesetzte kenianische Truppen finden sich im Bereich zur Grenze, in Gherille und Bura Hacha (BMLV 3.9.2019). Trotzdem befinden sich weite Teile von Gedo im Bereich von al Shabaab. Dabei gilt Gedo als sicherer als Lower und Middle Juba. Dies kann mitunter auf die homogenere Bevölkerung und auf die starke Präsenz von Äthiopien und Kenia zurückgeführt werden (NLMBZ 3.2019, S.22). Der Konflikt in Gedo besteht v.a. zwischen jenen Marehan, die für oder gegen al Shabaab eingestellt sind. Klare Trennlinien lassen sich hier nicht erkennen – auch nicht entlang der Clans. Dies sorgt insbesondere entlang der Grenze zu Kenia für Probleme, wo die Sicherheitslage zusätzlich durch Schmuggler verschlechtert wird (ME 27.6.2019).
In Gedo verfügt die nominell für die Region zuständige Regierung Jubalands nur über schwachen Einfluss. Die dort stehenden Teile der somalischen Armee (teils ehemalige Kämpfer der Ahlu Sunna Wal Jama’a, teils von Marehan-Milizen rekrutiert) kooperieren aber zunehmend mit Jubaland. Luuq und Garbahaarey werden als stabil beschrieben, auch Doolow floriert. Neben Kismayo werden insbesondere Dhobley und Doolow als sicher bezeichnet (BFA 8.2017, S.63f; vgl. BMLV 3.9.2019). Die ASWJ ist in Gedo nicht mehr vorhanden (ME 27.6.2019). Im Dezember 2018 kam es im Grenzgebiet zu Kenia zu Kämpfen zwischen al Shabaab und IS (LWJ 14.1.2019).
Vorfälle: In den Regionen Lower Juba, Middle Juba und Gedo lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 41 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 24 dieser 41 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 28 derartige Vorfälle (davon 20 mit je einem Toten). […]
Quellen: […]
Benadir / Mogadischu
Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).
Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42).
Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurück erlangt (BMLV 3.9.2019). In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.51). Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.5).
Sprengstoffanschläge: Im September