TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/27 W246 2185509-1

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Veröffentlicht am 27.11.2020
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Entscheidungsdatum

27.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W246 2185509-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 12.11.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2018, Zl. 1114839401-160671339, betreffend eine Asylangelegenheit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der – zu diesem Zeitpunkt bereits volljährige – Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 12.05.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 13.05.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

3. Am 03.08.2016 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 17.08.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 70/2015, zurück. Weiters ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 61 Abs. 1 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers an und stellte fest, dass seine Abschiebung gemäß § 61 Abs. 2 leg.cit. nach Ungarn zulässig sei (Spruchpunkt II.).

5. Das Bundesverwaltungsgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 10.02.2017, Zl. W153 2133704-1/7E, gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, statt und hob den bekämpften Bescheid auf.

6. Am 14.11.2017 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass einer seiner beiden jüngeren Brüder als Wachmann für den Staat tätig gewesen und eines Tages am Nachhauseweg von den Taliban entführt worden sei. Mit Hilfe der Dorfältesten habe bereits am kommenden Tag die Freilassung dieses Bruders erwirkt werden können, indem der Beschwerdeführer und sein Vater dafür gebürgt hätten, dass der Bruder des Beschwerdeführers nicht mehr für den Staat arbeiten würde. Ungefähr sechs Monate später habe sich dieser Bruder einer Freiwilligenmiliz (den Arbaki) angeschlossen, woraufhin der Beschwerdeführer und sein Vater von den Taliban entführt worden seien. Der Beschwerdeführer habe entkommen können und sei zunächst in die Stadt Kabul sowie daraufhin mit Hilfe seines Onkels mütterlicherseits (ms.) außer Landes geflohen. Nach der Ausreise des Beschwerdeführers sei sein o.a. Bruder bei Kampfhandlungen von den Taliban getötet worden, wobei auch der Neffe des Kommandanten sowie ein weiteres Mitglied der o.a. Freiwilligenmiliz umgekommen seien. Der Beschwerdeführer werde in Afghanistan nunmehr sowohl von den Taliban, als auch vom Kommandanten der Freiwilligenmiliz (wegen Unterstellung der Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit den Taliban) verfolgt, weshalb er nicht nach Afghanistan zurückkehren könne.

Der Beschwerdeführer legte in seiner Einvernahme eine Kopie seines Reisepasses, zwei Befunde eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 24.10.2016 sowie 04.04.2017 samt Medikamentenplan und mehrere Unterlagen zum Nachweis seiner Integrationsverfestigung in Österreich vor.

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. (Spruchpunkt III.), erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Dabei legte er einen Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 24.01.2018 samt Medikamentenplan vor.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.11.2020 u.a. in Anwesenheit der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er ausführlich zu seinen Fluchtgründen, seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und seiner Integration in Österreich befragt wurde. In der Verhandlung legte der Beschwerdeführer einen Medikamentenplan eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 30.09.2020 vor, der dem Verhandlungsprotokoll als Beilage angeschlossen wurde.

Nach Schluss der Verhandlung verkündete der Richter das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen.

10. Mit Schreiben vom 13.11.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl das Verhandlungsprotokoll vom 12.11.2020 samt Hinweis auf die mündliche Verkündung.

11. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beantragte mit Schreiben vom 19.11.2020 fristgerecht eine schriftliche Ausfertigung des am 12.11.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu der Person des Beschwerdeführers, seinen persönlichen Umständen in Afghanistan und seinem gesundheitlichen Zustand:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist ein Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim.

Er ist in einem Dorf in der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan geboren und in der Folge auch aufgewachsen. Er besuchte in Afghanistan sieben Jahre lang die Schule und war dort in der Folge als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter tätig. Die Ehefrau sowie die beiden Söhne, die Mutter, die Schwester, der Bruder und der Onkel ms. des Beschwerdeführers sind aktuell – an teils verschiedenen Orten – in Afghanistan aufhältig; der Beschwerdeführer steht mit seiner Mutter und mit seinem Onkel ms. in regelmäßigem telefonischen Kontakt.

Der Beschwerdeführer leidet an verschiedenen psychischen Beschwerden/Erkrankungen, weshalb er sich schon seit mehreren Jahren in regelmäßiger psychiatrischer/medikamentöser Behandlung befindet.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Einer der beiden jüngeren Brüder des Beschwerdeführers arbeitete in der Hauptstadt der Provinz Maidan Wardak in Afghanistan als Wachmann bei einer Behörde. Aufgrund dieser Tätigkeit wurde dieser Bruder des Beschwerdeführers auf dem Weg in sein Heimatdorf von den Taliban entführt und in der Folge massiv geschlagen. Am nächsten Morgen gingen der Beschwerdeführer, sein Vater und acht Dorfälteste ihres Heimatdorfes zu den Taliban und ersuchten um die Freilassung dieses Bruders des Beschwerdeführers. Nachdem der Beschwerdeführer und sein Vater dafür gebürgt hatten, dass der Bruder des Beschwerdeführers zukünftig nicht mehr für eine Behörde arbeiten würde, ließen die Taliban ihn frei. In der Folge war dieser Bruder des Beschwerdeführers nicht mehr für die o.a. Behörde tätig.

Ungefähr sechs Monate nach seiner Entführung schloss sich dieser Bruder des Beschwerdeführers der lokalen Freiwilligenmiliz (den Arbaki) an, welche gegen die Taliban kämpfte. Aus diesem Grund wurden der Beschwerdeführer und sein Vater einige Tage später von den Taliban entführt und festgehalten. Im Zuge dessen versuchten die Taliban, vom Mobiltelefon des Beschwerdeführers seinen – bei den Arbaki tätigen – Bruder anzurufen, der jedoch nicht abhob. In der Folge gelang dem Beschwerdeführer die Flucht von den Taliban. Er gelangte zunächst in die Stadt Kabul, von wo aus er mit Hilfe seines Onkels ms. Afghanistan verließ und nach Österreich reiste.

Als der Beschwerdeführer bereits in Österreich war, erzählte ihm sein Onkel ms. in einem Telefonat, dass sein Vater im Zuge der Entführung durch die Taliban den Bruder des Beschwerdeführers angerufen und ein Treffen mit ihm vereinbart hatte. Es handelte sich hierbei jedoch um einen Hinterhalt der Taliban, bei dem im Zuge von Kampfhandlungen der Bruder des Beschwerdeführers, der Neffe des Arbaki-Kommandanten, ein weiterer Arbaki und auch ein Taliban getötet wurden. Seit diesen Ereignissen hat die Familie des Beschwerdeführers nie mehr etwas von seinem Vater gehört. Aufgrund der vom Mobiltelefon des Beschwerdeführers erfolgten Anrufe bei seinem – für die Arbaki tätigen – Bruder geht der Arbaki-Kommandant seitdem von der Zusammenarbeit des Beschwerdeführers (bzw. seines Vaters) mit den Taliban aus.

Nach der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan waren die Taliban mehrmals bei seinem Schwiegervater, um von diesem den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers zu erfahren. Weiters wurde der Schwiegervater des Beschwerdeführers, bei dem zu diesem Zeitpunkt noch seine Ehefrau sowie seine beiden minderjährigen Söhne aufhältig waren, eines Tages am Bazar vom o.a. Arbaki-Kommandanten u.a. zum Aufenthaltsort des Beschwerdeführers befragt, woraufhin die Ehefrau und die beiden Söhne des Beschwerdeführers aus Sicherheitsgründen in ein mehrere Stunden entferntes Dorf zur Tante ms. seiner Ehefrau gezogen sind.

Schließlich wurde der weitere (zweite) Bruder des Beschwerdeführers, der zu diesem Zeitpunkt in der Stadt Kabul lebte und Bauingenieurwesen studierte, dort von Vertrauten des Arbaki-Kommandanten aufgesucht. Diese wollten ihn mitnehmen, was jedoch durch anwesende Studenten verhindert wurde. In der Folge wurde dieser Bruder des Beschwerdeführers in Haft genommen, wobei er von seinem o.a. Onkel ms. einmal besucht wurde. Als der Arbaki-Kommandant von diesem Besuch des Onkels ms. erfahren hatte, hielt er ihn eine Woche lang fest und fügte ihm Gewalt zu. Der Onkel ms. des Beschwerdeführers musste dem Arbaki-Kommandanten versprechen, dass er diesen (zweiten) Bruder des Beschwerdeführers nie wieder besuchen werde, woraufhin der Onkel ms. freigelassen wurde.

Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr der Tötung durch die Taliban bzw. durch den o.a. Arbaki-Kommandanten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 mit Aktualisierungen bis 21.07.2020 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Sicherheitslage in den einzelnen Provinzen

(Maidan) Wardak

Die Provinz Wardak, auch bekannt als Maidan Wardak, grenzt im Norden an Parwan und Bamyan, im Osten an Kabul und Logar und im Süden und Westen an Ghazni. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Chak-e-Wardak, Daimir Dad, Hissa-e-awali Behsud, Jaghatu, Jalrez, Markaz-e-Behsud, Maidan Shahr, Nerkh, Sayyid Abad (CSO 2019; vgl. IEC 2018w, UNOCHA 4.2014w, NPS o.D., OPr 1.2.2017). Die Provinzhauptstadt ist Maidan Shahr, die sich etwa 40 Kilometer südwestlich von Kabul befindet (WP 26.10.2016; vgl. OPr 1.2.2017).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Wardak für den Zeitraum 2019-20 auf 648.866 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (OPr 1.2.2017; vgl. NPS o.D.).

Wardak ist aufgrund seiner strategischen Position – unter anderem kreuzen hier die Autobahn Richtung Westen und Osten, sowie Norden und Süden – und der Nähe zu Kabul eine bedeutsame Provinz (ARN 23.6.2019). Die Autobahn Kabul-Kandahar durchquert die Distrikte Maidan Shahr, Narkh und Saydabad (UNOCHA 4.2014w). Im Juni 2019 kündigte der afghanische Transportminister an, dass ein Stück der Straße nun asphaltiert würde (AN 30.6.2019). Eine Provinzstraße führt von Maidan Shahr nach Bamyan durch die Distrikte Jalrez, Hesa-e Awal-e Behsud, Markaz-e Behsud und den Haji-gak-Pass (UNOCHA 4.2014w). Die Taliban sind entlang dieser Straße präsent, dort kam es in der Vergangenheit zu Fällen von Erschießungen oder Entführungen von Passagieren (DA 11.6.2019; vgl. RY 2.6.2019; NYT 18.8.2018; WZ 4.1.2018), das Sammeln von „ushr“ (eine prozentuelle Steuer – Anm.) (PAJ 5.11.2018). In gewissen Distrikten – wie z.B. Sayyid Abad und Daimir Dad – sollen die Taliban Posten auf der Autobahn aufgestellt haben (UNSG 7.12.2018; vgl. PAJ 27.10.2018; AP 7.10.2018; UNAMA 11.2018). Im Rahmen der Parlamentswahlen im Oktober 2018 sollen die Taliban in Maidan Wardak zudem Straßensperren errichtet haben, um die Bewohner vom Wählen abzuhalten (UNAMA 11.2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 hat die Provinz Wardak seit 2013 den Status „schlafmohnfrei“ (UNDOC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardak hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische der Taliban sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus (KP 19.7.2019; vgl. KP 2.7.2019; DA 11.6.2019; KP 22.4.2019; KP 30.12.2018).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Wardak in der Verantwortung des 203. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. KP 4.7.2019), das der Task Force Southeast unter der Leitung von US-Truppen untersteht (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 184 zivile Opfer (108 Tote und 76 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einem Rückgang von 18% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und Suchoperationen (UNAMA 2.2020).

In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (z.B. KP 9.8.2019; KP 6.8.2019; KP 19.7.2019; KP 2.7.2019; KP 20.6.2019; XI 29.5.2019; KP 21.5.2019; KP 22.4.2019; BN 28.5.2019; AJ 10.3.2019; PAJ 23.1.2019; KP 30.12.2018; ARU 11.10.2018; AT 9.10.2018; TN 26.9.2018). Dabei werden manchmal Aufständische getötet (z.B. KP 6.8.2019; KP 2.7.2019; KP 20.6.2019; XI 29.5.2019; KP 21.5.2019; KP 22.4.2019; BN 28.5.2019) und manchmal Gefangene der Taliban befreit (AN 20.6.2019).

Die Taliban griffen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an und es kam zu Gefechten mit den Regierungstruppen, was zu Opfern unter den Sicherheitskräften und den Aufständischen führte (z.B. FRP 29.7.2019; ARN 23.6.2019; AN 29.5.2019; TN 9.9.2018; KP 20.10.2018; KP 30.12.2018). Der prominenteste Angriff war eine Autobombe der Taliban auf eine Basis des NDS in der Nähe der Provinzhauptstadt (NYT 21.1.2019; vgl. GN 21.1.2019).

Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen auch Zivilisten zu Schaden (z.B. BAMF 15.7.2019; AJ 10.3.2019; PN 9.3.2019; PAJ 23.1.2019; TN 21.1.2019; PAJ 27.10.2018; RFE/RL 27.10.2018; AT 9.10.2018; TN 26.9.2018; PAJ 24.9.2018; PAJ 7.9.2018).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-2020 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban, die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command-North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind im Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäßig Operationen in der Provinz durch (RFERL 22.9.2019; vgl. KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019), dies unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt internationale Grenzen mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden an (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand und Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).

Die CSO schätzte die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-2020 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch-dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahnen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019). Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).

Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).

2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).

Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command-West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019), wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).

Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt – Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-2020 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile – auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) – zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-2020 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Kart-e Se am Stadtrand niedergelassen. Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana. Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Kart-e Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010). Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen im gesamten Jahr 2018 und auch in den ersten fünf Monaten 2019 insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamen Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden – so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command-Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei eingerichtet, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018, KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

IDPs – Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.8.2019).

Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.1.2019) und Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 6.2012; vgl. AAN 19.3.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.9.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF – Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 11.3.2020). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 12.2018).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 382.000 beziffert. Die autorisierte Stärke des MoD beträgt 227.103 Mann, während die autorisierte Stärke des MoI 154.626 beträgt. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 12.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272,807 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.1.2010; vgl. SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019). Gewisse Daten wie z.B. die Truppenstärke einzelner Einheiten werden teilweise nicht mehr publiziert (USDOD 30.1.2020).

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht (USDOD 12.2019). Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 6.2019). Die derzeitige Anzahl an Frauen, die in der ANA und der ANP dienen, beträgt etwa 4.484 sowie 432 Frauen, die in zivilen Bereichen tätig sind (USDOD 12.2019).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 11.3.2020). Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.103 autorisiert (USDOD 12.2019). Soldaten, die zu Vertragsende ihren Dienst verlassen, sind etwa für ein Viertel der monatlichen Ausfallsquoten verantwortlich; während Verluste durch Gefechte nur einen kleinen Prozentsatz der monatlichen Ausfallsquoten ausmachen. Auch glich bei der ANA die Rate der Rekrutierungen die Ausfallsrate aus (USDOD 12.2019).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Auch ist sie verantwortlich für die Sicherheit Einzelner und der Gemeinschaft sowie auch dem Schutz gesetzlicher Rechte und Freiheiten. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA, jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2019).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2019). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 12.2019).

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 12.2019). Die ANP rekrutiert lokal vor Ort in einer der 34 Rekrutierungsstationen in den Provinzen. Die neuen Rekruten werden zur Polizeiausbildung in eines der zehn regionalen Ausbildungszentren entsandt. Die Polizeiausbildung besteht im Allgemeinen aus einem 8- bis 12-wöchigen Ausbildungskurs. Neben der elementaren Polizeiausbildung mangelt es der ANP an einem institutionalisierten Programm zur Entwicklung von Führungskräften – sowohl auf Distrikt-, als auch auf lokaler Ebene (USDOD 12.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als „Guardians“ bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 12.2019). Derzeit dienen etwa 3.077 Frauen (jene, die registriert sind und Anspruch auf ein Grundgehalt haben) in der ANP, wobei 8.898 Stellen für Frauen zur Verfügung stehen. Eine Rekrutierungskampagne, die sich auf den Zuwachs weiblicher Rekruten konzentrierte, führte zu positiven Ergebnissen. Zwischen Juni und September 2019 traten zusätzlich 138 Frauen ihren Dienst bei der ANP an (USDOD 12.2019).

Resolute Support Mission

Die „Resolute Support Mission“ ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1.1.2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 16.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO 18.7.2018).

Rechtsschutz und Justizwesen

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind (Casolino 2011). In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council – AUC) beraten (USDOS 29.5.2018). Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht (REU 24.11.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.: Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (APE 3.2017). Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen – einschließlich Menschenrechtsverträge – vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (APE 3.2017; vgl. UNAMA 22.2.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden (APE 3.2017).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tief greifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht (USIP 3.2015).

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen (AA 2

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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