Entscheidungsdatum
23.12.2020Norm
BFA-VG §18Spruch
G314 2237676-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des deutschen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots A) beschlossen und B) zu Recht erkannt:
A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“
C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX .2019 verhaftet und anschließend in Untersuchungshaft genommen. Mit dem Urteil des XXXX vom XXXX , wurde er rechtskräftig zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19.12.2019 wurde der BF aufgefordert, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern und Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich und seinem Privat- und Familienleben zu beantworten. Am 15.01.2020 erstattete er eine entsprechende Stellungnahme. Am 27.08.2020 wurde er vor dem BFA dazu vernommen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit 8 ½ Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung wegen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung von Minderjährigen begründet. Es könne keine positive Zukunftsprognose erstellt werden, weil der Gesinnungswandel eines Straftäters (auch im Fall einer erfolgreich absolvierten Therapie) daran zu messen sei, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug der Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten habe. Das Privat- und Familienleben des BF stünde dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, weil er sich erst seit relativ kurzer Zeit in Österreich aufhalte und hier nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Er habe zwar vor, nach dem Strafvollzug wieder mit seiner Lebensgefährtin und deren minderjähriger Tochter (dem Opfer seiner Straftaten) zusammenzuleben; dies sei dem Kindeswohl jedoch keinesfalls zuträglich.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, mit der der BF primär die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheids, namentlich des Aufenthaltsverbots, anstrebt. Hilfsweise beantragt er die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots und die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs. Begründet wird die Beschwerde damit, dass der BF seine Straftat bereue und fest entschlossen sei, sein Leben zu ändern, sodass er – auch im Hinblick auf die Therapie, die er während des Strafvollzugs absolviere und auch danach fortsetzen wolle – um eine zweite Chance bitte.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.
Am 15.12.2020 übermittelte der BF dem BVwG nachträglich die Stellungnahme der XXXX vom XXXX .2020, aus der zusammengefasst hervorgeht, dass bei ihm nach der Aktenlage statistisch ein mittleres bis unterdurchschnittliches Risiko für neuerliche Sexualdelikte besteht und seine Begutachtung zur Identifizierung und Abklärung der kriminogenen Bedürfnisse, die den Hauptantrieb für seine Delinquenz darstellen, vorgesehen ist.
Feststellungen:
Der am XXXX in XXXX geborene BF ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist geschieden und kinderlos. Seine Muttersprache ist Deutsch.
Der BF absolvierte in seinem Herkunftsstaat die Pflichtschule und machte anschließend eine Ausbildung zum XXXX . Vor seiner Inhaftierung arbeitete er als XXXX bei der XXXX . In Österreich war er nie erwerbstätig.
Der BF ist seit XXXX mit einer Österreicherin liiert. Er wohnt mit ihr und ihrer XXXX geborenen Tochter seit XXXX in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX , von wo er zu seinem Arbeitsplatz nach Deutschland pendelte. Am XXXX .2018 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.
Der BF ist seit XXXX .2019 in Haft. Mit dem rechtskräftigen Urteil des XXXX vom XXXX , wurde er wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 und 2 StGB, nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB und nach § 207a Abs 3a StGB Abs 3 erster und zweiter Satz StGB (ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe) zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er zwischen XXXX und XXXX die damals zehnjährige Tochter seiner Lebensgefährtin über deren Ersuchen drei Mal anal, bei einer Gelegenheit zusätzlich auch vaginal, mit dem Finger penetrierte. Von diesen Übergriffen fertigte er mit seinem Mobiltelefon Fotos an, die er im Herbst 2018 an drei Personen über das Internet weiterleitete. Er besaß zwischen Jänner 2018 und Jänner 2019 insgesamt 620 pornographische Darstellungen Minderjähriger (davon 600 von unmündigen und 20 von mündigen Minderjährigen), die er sich aus dem Internet herunterlud und auf seinem Mobiltelefon speicherte. Die Abbildungen zeigen Minderjährige bei sexuellen Handlungen oder deren Genitalbereich. Während dieses Zeitraums griff er im Internet wissentlich auf zumindest eine pornographische Darstellung eines unmündigen Mädchens, das sexuelle Handlungen an sich selbst vornahm, zu. Bei der Strafzumessung wurden der bisher ordentliche Lebenswandel, das umfassende, wesentlich zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis sowie das Anerkenntnis der Haftung für zukünftige Schäden der Tochter seiner Lebensgefährtin als mildernd gewertet. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen sowie der längere Tatzeitraum aus. Über diese besonderen Strafzumessungsgründe hinaus wurden bei der Strafbemessung die bereits vor der Urteilsfällung begonnene Therapie und der Verlust der Arbeit als XXXX infolge der Verurteilung berücksichtigt. Der Minderjährigen wurde ein Teilschmerzengeldbetrag von EUR 5.000 zugesprochen. Es handelt sich um die erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung des BF.
Der BF verbüßt die Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX , wo er im Erstvollzug angehalten wird. Das urteilsmäßige Strafende ist am XXXX .2022. Eine bedingte Entlassung ist frühestens im XXXX 2021 möglich. Der BF absolviert während der Haft eine Therapie und wird von seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Lebensgefährtin regelmäßig besucht. Nach dem Strafvollzug möchte er wieder in den gemeinsamen Haushalt mit letzterer und dem Opfer seiner Taten zusammenleben.
Der BF hat regelmäßig Kontakt zu Freunden und Bekannten in Deutschland, ebenso zu den dort lebenden Angehörigen seiner Herkunftsfamilie (Mutter, Schwester, Großvater, Onkel Tanten, Cousins und Cousinen). Er hat auch in Österreich einen Freundeskreis. Er ist gesund und arbeitsfähig.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Der Personalausweis und der Führerschein des BF liegen dem BVwG in Kopie vor. Sein Familienstand ergibt sich aus seinen Angaben vor dem BFA und aus den Feststellungen zu seiner Person im Strafurteil. Deutschkenntnisse sind aufgrund der Herkunft des BF und der in Deutschland absolvierten Ausbildung plausibel, zumal der Vernehmung vor dem BFA kein Dolmetscher beigezogen werden musste.
Die Feststellungen zur Erwerbsbiographie und zur Lebensgemeinschaft des BF basieren auf seinen Angaben dazu, die mit entsprechenden Feststellungen im Strafurteil korrespondieren. Laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) ist er seit XXXX mit Hauptwohnsitz an derselben Adresse wie seine Lebensgefährtin und deren Tochter gemeldet. Die Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert.
Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und auf dem Urteil des XXXX . Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig, zumal laut dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS) keine anderen Verurteilungen vorhanden sind und seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.
Die Feststellungen zum Strafvollzug beruhen auf der Vollzugsinformation und der von der Justizanstalt übermittelten Besucherliste. Der BF schilderte vor dem BFA seine Absicht, nach der Haft wieder mit seiner Lebensgefährtin und deren Tochter zusammenzuwohnen.
Es gibt keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme des BF oder Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit. Er schilderte die Kontakte zu in Deutschland lebenden Bezugspersonen sowie zu seinem Freundeskreis in Österreich bei der Einvernahme vor dem BFA glaubhaft und nachvollziehbar.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger (§ 2 Abs 4 Z 8 FPG) zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).
Gegen Personen, die (z.B. durch einen fünf Jahre dauernden rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet) das Daueraufenthaltsrecht (§ 53a NAG) erworben haben, darf nur bei Vorliegen von Gründen iSd § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).
Da sich der BF erst seit Jänner 2018 kontinuierlich im österreichischen Bundesgebiet aufhält, ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") heranzuziehen.
Der BF wurde des schweren sexuellen Missbrauchs eines zehnjährigen Mädchens für schuldig erkannt, an der er mehrmals dem Beischlaf gleichzusetzende sexuelle Handlungen vornahm, wovon er pornographische Darstellungen herstellte und diese anderen zugänglich machte. Dazu kommt der Besitz zahlreicher kinderpornographischer Darstellungen (großteils von Unmündigen) über mehrere Monate sowie der wissentliche Zugriff auf eine solche Darstellung im Internet. Der BF wurde deshalb als unbescholtener Ersttäter zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Diese Verurteilung indiziert eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche von ihm ausgehende Gefährlichkeit, die ein Aufenthaltsverbot notwendig macht, auch wenn er weder Gewalt ausübte noch ein Autoritätsverhältnis missbrauchte, zumal die Tochter seiner Lebensgefährtin seinen Taten nicht wirksam zustimmen konnte. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern zählt zu den in Art 83 Abs 1 Unterabs 2 AEUV angeführten Straftaten, die als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen und geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen (vgl. EuGH 22.05.2012, C-348/09, P. I. gegen Oberbürgermeisterin der Stadt Remscheid). Daran ändert auch die in der Haft begonnene Therapie nichts, zumal der angefochtene Bescheid zu Recht darauf hinweist, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters sogar bei einer erfolgreich absolvierten Therapie daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Dieser Wohlverhaltenszeitraum hat beim BF, der bis zu seiner Verhaftung kinderpornographische Darstellungen besaß, noch nicht einmal begonnen.
Auch aus dem Umstand, dass die XXXX für ihn statistisch (vorbehaltlich einer ausführlichen Begutachtung) ein mittleres bis unterdurchschnittliches Rückfallrisiko ermittelte, ergibt sich vor diesem Hintergrund keine wesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit, zumal die Voraussetzungen für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (unabhängig von Erwägungen der Strafgerichte und der Strafvollzugsbehörden) eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen sind (vgl. VwGH 15.04.2020, Ra 2020/19/0003).
Das persönliche Verhalten des BF stellt eine Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, der Gesundheit und der Moral) berührt. Die Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen Verbrechen und Vergehen gegen die sexuelle Integrität von Kindern führt trotz gewichtiger Milderungsgründe und der unverzüglich begonnenen Therapie dazu, dass für den BF noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, zumal er sich der Tragweite seiner Taten nicht bewusst ist, was sich etwa an seinem (dem Kindeswohl offenbar widersprechenden) Wunsch zeigt, gleich nach dem Strafvollzug wieder mit seinem Opfer zusammenzuleben.
Da das Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des BF eingreift, ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben verhältnismäßig ist. Aufgrund der schwerwiegenden kriminellen Handlungen besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung, sodass eine Trennung des BF von seiner österreichischen Lebensgefährtin hinzunehmen ist, zumal eine Trennung von deren Tochter ohnedies dem Kindeswohl entspricht. De BF hält sich erst seit vergleichsweise kurzer Zeit in Österreich auf, war hier nie erwerbstätig und hat die Bindungen zu seinem Herkunftsstaat (insbesondere aufgrund der dort ausgeübten Berufstätigkeit) nie abreißen lassen. Er kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Bezugspersonen auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Es ist ihm daher zumutbar, sich nach dem Strafvollzug wieder außerhalb des österreichischen Bundesgebiets niederzulassen. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.
Da der BF jedoch zum ersten Mal strafgerichtlich verurteilt wurde und sich im Strafverfahren geständig verantwortete, ist (auch angesichts der erhöhten spezialpräventiven Wirksamkeit des Erstvollzugs) ein sechsjähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Dabei sind ihm die Verantwortungsübernahme durch das Anerkenntnis der Schadenersatzansprüche des Opfers und die begonnene Therapie positiv anzurechnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in diesem Sinn (entsprechend dem Eventualantrag in der Beschwerde) abzuändern.
Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist.
Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des oder der Fremden in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn oder sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen.
Hier sind weder die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung noch die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs korrekturbedürftig. Aufgrund der vom BF bis zu seiner Verhaftung begangenen Sexualdelikte und seiner Absicht, nach der Enthaftung in den Haushalt, in dem sein minderjähriges Opfer lebt, zurückzukehren, ist seine sofortige Ausreise nach dem Eintritt der Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbots aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit jedenfalls notwendig. Dies führt auch dazu, dass ihm kein Durchsetzungsaufschub zu erteilen ist, zumal er die Vorbereitungen für seine Ausreise auch schon während des Strafvollzugs (insbesondere im Rahmen des Entlassungsvollzugs iSd §§ 144 ff StVG und von Ausgängen gemäß § 147 StVG) treffen und organisieren kann. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids ist somit abzuweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine andere Entscheidung möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen familiären und privaten Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde.
Zu Spruchteil C):
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung Durchsetzungsaufschub EWR-Bürger Gefährdungsprognose Gefährlichkeitsprognose Herabsetzung Interessenabwägung negative Zukunftsprognose öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben Sexualdelikt Spruchpunkt - Abänderung strafrechtliche Verurteilung ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2237676.1.00Im RIS seit
02.02.2021Zuletzt aktualisiert am
02.02.2021