TE Bvwg Beschluss 2021/1/11 G313 2226717-1

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Veröffentlicht am 11.01.2021
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Entscheidungsdatum

11.01.2021

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z1
FPG §53 Abs2 Z3
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
NAG §11 Abs2 Z1
NAG §11 Abs4 Z1
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


G313 2226717-1-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA: Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

1. Verfahrensgang:

1. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 24.10.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Bosnien-Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1, 3 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1, 3 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Am 18.12.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Im angefochtenen Bescheid wurden unter anderem folgende Feststellungen getroffen:

„Sie erhielten ab 29.11.2016, einmal verlängert bis 29.11.2018, von der BH (…) die Niederlassungsbewilligung „Angehöriger“ gem. § 47 NAG.

Am 11.11.2018 stellten Sie rechtzeitig einen Verlängerungsantrag, Sie sind somit rechtmäßig aufhältig.

Am 15.12.2018 lenkten Sie in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug du wurden deshalb von der BH (…) mit Strafverfügung vom 02.04.2019 mit EUR 800,- rechtskräftig bestraft.

Mit Strafverfügung der LPD (…) wurden Sie mit Euro 500,- wegen § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 FPG bestraft, da Sie zw. 03.09.2018 und 5.10.2018 einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgingen, da Sie mit der Niederlassungsbewilligung „Angehöriger“ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen, somit wurde auch Ihr Aufenthalt für den genannten Zeitraum unrechtmäßig.

Ihr Lebensunterhalt wird von Ihrer Mutter finanziert.

Sie zahlen selbst eine Versicherung und sind deshalb in Österreich versichert.

(…)

Sie halten sich seit 27.12.2.016 ständig in Österreich auf. Seit Juni 2012 waren Sie regelmäßig, jedoch nicht durchgehend in Österreich aufhältig.

Sie leben in Österreich mit Ihrer Mutter, (…), bosnische Staatsangehörige, und Ihrem Stiefvater namens (…), österr. Staatsangehöriger.

Es besteht ein Familienleben.

Sie haben noch weitschichtige Verwandte in (…), mit denen haben Sie „normalen“ Verwandtenkontakt.

(…).“

Im Zuge der Rechtlichen Beurteilung stützte sich die belangte Behörde hinsichtlich erkannter Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf die Strafverfügung der BH vom 02.04.2019, womit der BF wegen Lenkung eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand am 15.12.2018 mit EUR 800,- bestraft wurde, und auf die weitere Strafverfügung der LPD, womit der BF wegen § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 FPG bestraft wurde, weil er zwischen 03.09.2018 und 05.10.2018 einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, da er mit der Niederlassungsbewilligung „Angehöriger“ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen darf und sein Aufenthalt somit für den genannten Zeitraum unrechtmäßig wurde.

Die belangte Behörde sah das mit der Mutter und dem Stiefvater des BF geführte Familienleben auf eine einseitige finanzielle Abhängigkeit des BF von seiner Mutter beschränkt und keine derart enge Bindung als gegeben an, die eine Trennung unmöglich erscheinen lassen würde. Sie führte des Weiteren an:

„Mit Ihren 2 schweren Verwaltungsübertretungen gefährden Sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit jenes Landes, in dem Sie leben wollen und beeinträchtigten so auch Ihr Familienleben und mindern dieses erheblich.

Auch ihre oftmaligen Reisen nach Bosnien lassen eine besondere Verbundenheit zu Österreich und der in Österreich lebenden Familie nicht erkennen, zeigt auch, dass das Familienleben nicht als herausragend bezeichnet werden kann, ansonsten Sie nicht derart viel Zeit in Bosnien verbringen würden. Sie würden deshalb so oft nach Bosnien reisen, das Ihnen langweilig wäre, so Ihre Aussage am 3.9.2019.“ (AS 636)

(…)

Sie verfügen über Bindungen nach Bosnien/Herzegowina. So lebt eine Tante, Ihrer Mutter zufolge noch eine weitere Tante und ein Onkel dort, Sie sprechen die landestypische Sprache und sind mit den kulturellen Gepflogenheiten Ihres Herkunftsstaates vertraut. Sie besuchen sehr oft Bosnien/Herzegowina. (…)

Ihren familiären und privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und auch der Aufrechterhaltung anderer Normen gegenüber.

Am 15.12.2018 lenkten Sie in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug und wurden deshalb von der BH (…) mit Strafverfügung vom 2.4.2019 mit EUR 800,- rechtskräftig bestraft.

Das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten zustand stellt schon für sich ein schweres Verkehrsdelikt (schwere Verwaltungsübertretung) dar, da die Gefährdung der Allgemeinheit und der Verkehrssicherheit durch das Begehen als sehr hoch einzuschätzen ist. Die hohe Strafdrohung für dieses Delikt (§ 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO) beträgt EUR 800,- bis 3700,- zeigt ebenso, wie hoch der Gesetzgeber das Unrechtsbewusstsein bewertet.

Durch die Einnahme von Suchtmitteln ist man de facto fahruntauglich, nimmt die daraus resultierende Gefährdung billigend in Kauf, dies führte auch zur Abnahme und Entzug Ihrer Lenkerberechtigung von 15.12.2018 bis 30.4.2019, die Abnahme und der Entzug der Lenkerberechtigung untermauert auch die Wichtigkeit für den Gesetzgeber.

Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte, ganz gleich in welcher Form, ist schon deshalb dringend geboten, da der immer größer werdende Konsum von Suchtgiften zu verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft und hier wiederum vor allem bei Jugendlichen führt.

Außerdem nimmt die mit dem Genuss von Suchtgiften einhergehende Suchtgiftkriminalität bereits Dimensionen an, die zu einer eklatanten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führen. (AS 637)

Sie wurden mit Strafverfügung der LPD (…) mit Euro 500,- wegen § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 FPG bestraft, da Sie zw. 03.09.2018 und 5.10.2018 einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgingen, da Sie mit der Niederlassungsbewilligung „Angehöriger“ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen, somit wurde auch Ihr Aufenthalt für den genannten Zeitraum unrechtmäßig.

Den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, kommen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zu.

Sie gingen, ohne erforderliche Berechtigung, einer Beschäftigung nach, die Sie nicht hätten ausüben dürfen, damit bedrohen Sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit, da Sie ein verhalten setzen, das den sozialen Frieden in Österreich bedroht.

Das Nachgehen einer Beschäftigung in Österreich ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung nach dem AuslBG oder aufgrund eines Aufenthaltstitels stellt keine Bagatellhandlung dar. Aus den hohen Strafbeträgen de AuslBG kann entnommen werden, auch wenn sich diese Strafbestimmungen grundsätzlich nur gegen den „Schwarzarbeitgeber“ richten, welche Bedeutung im Rahmen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Bekämpfung der „Schwarzarbeit“ zukommt.

Im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung war daher festzustellen, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, aufgrund Ihrer schwerwiegenden Verstöße gegen diese, Ihrem privaten Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegen.

Da die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 FPG vorliegen und die Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 9 BFA-VG nicht unzulässig ist, ist daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. (AS 638)“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang und die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf dem diesbezüglichen Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht.

3.2. Mit Spruchpunkt I. des im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 24.10.2019 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die belangte Behörde stützte sich in der Begründung auf die rechtlichen Bestimmungen des§ 11 Abs. 2 Z. 1 NAG, wonach einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden darf, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet, und des § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG, wonach der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse widerstreitet, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei der Auslegung des § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. (vgl. VwGH vom 08.10.2019, Zl. Ra 2019/22/0012).

Bei der Prüfung der Annahme, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde, gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten (zu ergänzen: unter Berücksichtigung der Art und Schwere der Straftat) eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individuelle Prognosebeurteilung ist jeweils anhand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.

Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ist die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung am Maßstab des § 9 BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH vom 20.10.2016, Zl. Ra 2016/21/0198).

Im Zuge der Rechtlichen Beurteilung stützte sich die belangte Behörde hinsichtlich erkannter Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf die Strafverfügung der BH vom 02.04.2019, womit der BF wegen Lenkung eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand am 15.12.2018 mit EUR 800,- bestraft wurde, und auf die weitere Strafverfügung der LPD, womit der BF wegen § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 FPG bestraft wurde, weil er zwischen 03.09.2018 und 05.10.2018 einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, da er mit der Niederlassungsbewilligung „Angehöriger“ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen darf und sein Aufenthalt somit für den genannten Zeitraum unrechtmäßig wurde.

Die belangte Behörde sah das mit der Mutter und dem Stiefvater des BF geführte Familienleben auf eine einseitige finanzielle Abhängigkeit des BF von seiner Mutter beschränkt und keine derart enge Bindung als gegeben an, die eine Trennung unmöglich erscheinen lassen würde. Sie führte an:

„Mit Ihren 2 schweren Verwaltungsübertretungen gefährden Sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit jenes Landes, in dem Sie leben wollen und beeinträchtigten so auch Ihr Familienleben und mindern dieses erheblich.“ (AS 636). (…)

Ihren familiären und privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und auch der Aufrechterhaltung anderer Normen gegenüber.

Am 15.12.2018 lenkten Sie in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug und wurden deshalb von der BH (…) mit Strafverfügung vom 2.4.2019 mit EUR 800,- rechtskräftig bestraft.

Das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten zustand stellt schon für sich ein schweres Verkehrsdelikt (schwere Verwaltungsübertretung) dar, da die Gefährdung der Allgemeinheit und der Verkehrssicherheit durch das Begehen als sehr hoch einzuschätzen ist. Die hohe Strafdrohung für dieses Delikt (§ 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO) beträgt EUR 800,- bis 3700,- zeigt ebenso, wie hoch der Gesetzgeber das Unrechtsbewusstsein bewertet.

Durch die Einnahme von Suchtmitteln ist man de facto fahruntauglich, nimmt die daraus resultierende Gefährdung billigend in Kauf, dies führte auch zur Abnahme und Entzug Ihrer Lenkerberechtigung von 15.12.2018 bis 30.4.2019, die Abnahme und der Entzug der Lenkerberechtigung untermauert auch die Wichtigkeit für den Gesetzgeber.

Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte, ganz gleich in welcher Form, ist schon deshalb dringend geboten, da der immer größer werdende Konsum von Suchtgiften zu verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft und hier wiederum vor allem bei Jugendlichen führt.

Außerdem nimmt die mit dem Genuss von Suchtgiften einhergehende Suchtgiftkriminalität bereits Dimensionen an, die zu einer eklatanten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führen. (AS 637)

Sie wurden mit Strafverfügung der LPD (…) mit Euro 500,- wegen § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 FPG bestraft, da Sie zw. 03.09.2018 und 5.10.2018 einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgingen, da Sie mit der Niederlassungsbewilligung „Angehöriger“ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen dürfen, somit wurde auch Ihr Aufenthalt für den genannten Zeitraum unrechtmäßig.

Den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, kommen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zu.

Sie gingen, ohne erforderliche Berechtigung, einer Beschäftigung nach, die Sie nicht hätten ausüben dürfen, damit bedrohen Sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit, da Sie ein verhalten setzen, das den sozialen Frieden in Österreich bedroht.

Das Nachgehen einer Beschäftigung in Österreich ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung nach dem AuslBG oder aufgrund eines Aufenthaltstitels stellt keine Bagatellhandlung dar. Aus den hohen Strafbeträgen de AuslBG kann entnommen werden, auch wenn sich diese Strafbestimmungen grundsätzlich nur gegen den „Schwarzarbeitgeber“ richten, welche Bedeutung im Rahmen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Bekämpfung der „Schwarzarbeit“ zukommt.

Im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung war daher festzustellen, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, aufgrund Ihrer schwerwiegenden Verstöße gegen diese, Ihrem privaten Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegen.

Da die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 FPG vorliegen und die Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 9 BFA-VG nicht unzulässig ist, ist daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. (AS 638)“

Die belangte Behörde schloss in der Rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides aus den zwei Verwaltungsübertretungen des BF, weswegen er (laut Verwaltungsakt mit Strafverfügung der LPD vom 27.12.2018, AS 453) wegen § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. FPG mit EUR 500,- bestraft wurde, weil er zwischen 03.09.2018 und 05.10.2018 einer unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, und mit Strafverfügung der BH vom 02.04.2019 mit EUR 800,- bestraft wurde, weil er am 15.12.2018 ein Kraftfahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt hat, auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und führte an, dass der BF „so“ auch sein Familienleben beeinträchtigt und erheblich mindert.

Eine Zukunftsprognose hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid jedoch nicht abgegeben. Es fehlt eine umfassende Gefährdungsprognose bzw. unter Berücksichtigung der vom BFA für glaubhaft gehaltenen Angabe des BF, dass er in Österreich von seiner Mutter finanzielle Unterstützung erhält, eine Auseinandersetzung damit, ob vom BF, der von 03.09.2018 bis 05.10.2018 einer verwaltungsrechtlich geahndeten unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, voraussichtlich auch zukünftig ein derartiges Fehlverhalten zu erwarten sein wird. Das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand vom 15.12.2018 lag zum Zeitpunkt der Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zudem rund zehn Monate zurück. Es wäre darauf Bedacht zu nehmen gewesen, wie sich der BF nach seiner Verwaltungsübertretung vom 15.12.2018 bis zur Ausfertigung des angefochtenen Bescheides verhalten hat, ob die beiden Strafverfügungen vom 27.12.2018 und 02.04.2019, mit denen er jeweils zu einer Geldstrafe bestraft wurde, beim BF positive Wirkung gezeigt haben bzw. inwiefern im vorliegenden Fall nicht von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden kann.

Unter Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wurde eine Interessensabwägung durchgeführt und die familiären Verhältnisse und die individuelle Situation neben statt in Zusammenschau mit dem verwaltungsrechtlichen Fehlverhalten des BF behandelt und abschließend der Schluss gezogen, dass „im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung daher festzustellen war, dass die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, aufgrund Ihrer schwerwiegenden Verstöße gegen diese, Ihrem privaten Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegen. Da die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 FPG vorliegen und die Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 9 BFA-VG nicht unzulässig ist, ist daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen“ (AS 638).

Im gegenständlichen Fall ist eine das Gesamtverhalten des BF berücksichtigende Gefährdungsprognose nachzuholen, um aufgrund konkreter Feststellungen hinreichend begründet beurteilen zu können, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der BF stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar (vgl. VwGH 30.8.2017, Zl. Ra 2017/18/0155).

Es war der gegenständlich angefochtene Bescheid daher zu beheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, zumal die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst auch nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da im gegenständlichen bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Gefährdungsprognose Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Prognoseentscheidung Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2226717.1.00

Im RIS seit

02.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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