Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei A***** K*****, vertreten durch Mag. Jörg Zarbl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Wien, wegen 24.150 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2020, GZ 3 R 19/20s-16, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. März 2020, GZ 22 Cg 113/19i-11, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte ist eine Treuhandgesellschaft mit Sitz in Deutschland und Gründungskommanditistin einer deutschen GmbH & Co KG, deren Geschäftsgegenstand die Beteiligung an nicht börsennotierten Kapitalgesellschaften ist, die ua Grundstücke entwickeln und verwalten. Nach § 5 Z 1 des Gesellschaftsvertrags der Kommanditgesellschaft hält und verwaltet die Beklagte, soweit sie Kommanditeinlagen für Treugeber übernimmt, diese nach Maßgabe eines separat abzuschließenden Treuhand- und Verwaltungsvertrages.
[2] Die Klägerin ist eine private Anlegerin mit Wohnsitz in Österreich. Sie zeichnete am 13. 12. 2010 in Österreich die „Beitrittserklärung Österreich“ an der KG über die Beklagte als Treuhänderin mit einem Nominale von 23.000 EUR zuzüglich 5 % Agio und zahlte den Betrag auf dem angegebenen Konto der Beklagten ein. In der Folge übermittelte ihr die Beklagte eine Zahlungseingangsbestätigung samt Beteiligungszertifikat.
[3] Mit Schreiben vom 24. 9. 2019 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten wegen Nichtübermittlung einer Anlegerbestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF den Rücktritt vom Vertrag.
[4] Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Rückzahlung von 24.150 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen die Übertragung der Treugeberstellung. Gemäß § 5 Abs 2 KMG aF könnten Anleger als Verbraucher im Sinne des KSchG unbefristet vom Vertrag zurücktreten, wenn ihnen – wie hier – der Erwerb der Veranlagung in Immobilien nicht gemäß § 14 Z 3 KMG aF bestätigt worden sei. Nach Art 6 ROM I-VO komme auf das in Rede stehende Treuhandverhältnis das Recht des Verbraucherstaates zur Anwendung, zumal die Beklagte ihre gewerbliche Tätigkeit auf Österreich ausgerichtet habe.
[5] Die Beklagte bestritt die Anwendbarkeit österreichischen Rechts sowie auch ihre Passivlegitimation; sie sei weder Emittentin noch Vermittlerin der Veranlagung, sondern lediglich Kommanditistin der Emittentin gewesen. Nach deutschem Recht seien die Ansprüche verjährt, außerdem kenne das deutsche Recht kein dem § 5 KMG aF vergleichbares Rücktrittsrecht. Aber selbst bei Anwendung österreichischen Rechts wäre der Rücktritt verfristet, weil das Beteiligungszertifikat samt Zahlungseingangsbestätigung den Erfordernissen des § 14 Z 3 KMG aF entspreche. Außerdem handle es sich um keine Veranlagungen in Immobilien iSd § 14 KMG aF.
[6] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es ging davon aus, dass die Beklagte ihre Tätigkeit durch die Vermittlung der Beteiligungen in Österreich und die Verwaltung dieser Beteiligungen für österreichische Anleger auf Österreich ausgerichtet habe, weshalb österreichisches Recht zur Anwendung gelange. Darüber hinaus umfasse die Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO nach Art 1 Abs 2 lit f Treuhandverträge über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft nicht. Bei der Beteiligung an der KG handle es sich um eine Beteiligung an Immobilien. Der Kläger als Anleger habe keine Bestätigung über den Erwerb der Veranlagung in schriftlicher Form iSd § 14 Z 3 KMG aF erhalten. Damit sei der Rücktritt nach § 5 Abs 2 KMG aF zu Recht erfolgt. Das Treuhandverhältnis sei dadurch mit Wirkung ex tunc aufgelöst worden, weshalb die Beklagte die von der Klägerin erhaltenen Leistungen samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückübertragung ihrer Treugeberstellung zurückzustellen habe.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision – mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 14 KMG aF und der Anhängigkeit von zahlreichen Verfahren mit gleich gelagertem Sachverhalt – zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision der Beklagten ist – ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – nicht zulässig.
[9] 1. Gegenstand des Rücktritts der Klägerin ist nicht ein allfälliges Rechtsverhältnis mit der Emittentin, sondern der Treuhandvertrag mit der Beklagten. Demgemäß fordert die Klägerin nicht von der Emittentin die Kapitaleinlage zurück, sondern macht gegenüber ihrer Vertragspartnerin, der Beklagten, die Kondiktion der an diese – als Treugut – geleisteten Einzahlung geltend. Der Anspruch unterliegt daher nicht dem Ausnahmetatbestand des Art 1 Abs 2 lit f Rom I-VO und damit nicht dem Gesellschaftsstatut (vgl EuGH C-272/18, VKI/TVP, ECLI:EU:C:2019:827).
[10] 2. Gemäß Art 6 Abs 1 Rom I-VO kommt auf einen Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, auf die diese Bedingung nicht zutrifft („Unternehmer“), das Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat ausrichtet.
[11] Der Begriff des „Ausrichtens“ ist weit zu verstehen und bedeutet, dass der Wille des Unternehmers hinreichend erkennbar sein muss, mit Verbrauchern aus anderen Staaten, darunter dem Sitzstaat des Verbrauchers, Verträge abzuschließen (vgl EuGH C-585/08 und C-144/09, Pammer/Reederei Karl Schlüter und Hotel Alpenhof/Heller; ECLI:EU:C:2010:740, Rn 75).
[12] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass aufgrund des Umstands, dass das konkrete Veranlagungsprodukt unter Verwendung eines eigenen Beitrittsformulars durch gewerbliche Vermögensberater mit Wissen und Einverständnis der Beklagten in Österreich vermittelt wurde, ein Ausrichten der Tätigkeit der Beklagten auf Österreich vorliegt, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
[13] Dem Revisionsvorbringen, dass der Ausnahmetatbestand des Art 6 Abs 4 lit a Rom I-VO (Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen Staat als jenem, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat) erfüllt sei, ist die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 110/07f; 1 Ob 48/12h zur entsprechenden Bestimmung des § 5 Abs 4 lit b EVÜ) entgegen zu halten, wonach bereits in vergleichbaren Fällen das Vorliegen des Ausnahmetatbestands verneint wurde. Auf Basis der Feststellungen, nach denen der Kläger die Beitrittserklärung in Österreich unterfertigte und laufend Informationen über seine Beteiligung in Österreich erhielt, haben die Vorinstanzen vertretbar die Erbringung der Dienstleistungen der Beklagten ausschließlich im Ausland verneint und die Anwendbarkeit österreichischen Rechts bejaht.
[14] 3. Nach § 14 KMG aF (vor der Novelle BGBl I 2019/62) liegen Veranlagungsgemeinschaften in Immobilien vor, wenn Veranlagungen von Emittenten ausgegeben werden, die mit dem investierten Kapital direkt oder indirekt nach Zweck oder tatsächlicher Übung überwiegend Erträge aus der Überlassung oder Übertragung von Immobilien an Dritte erwirtschaften.
[15] Diese Sonderbestimmung ist nur dann anwendbar, wenn der Emittent mehr als 50 % seiner Erträge aus der Überlassung (Vermietung, Verpachtung) und der Übertragung (Veräußerung) von Immobilien erzielt (Zivny, KMG² § 14 Rz 4).
[16] Nach den Feststellungen sollte sich die Klägerin als Treugeberin über die Beklagte an einer GmbH & Co KG beteiligen, welche wiederum bis zu 90 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft in den VAE erwerben sollte. Diese sollte dann mit einem weiteren Gesellschafter eine Gesellschaft gründen, deren Gegenstand die Entwicklung und Verwaltung von Grundstücken und Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, insbesondere Bau und Betrieb einer Herz-, Gefäß- und Nierenklinik ist.
[17] Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ausgehend von diesem Sachverhalt eine Veranlagungsgemeinschaft in Immobilien vorliegt, bestehen keine Bedenken.
[18] 4. Gemäß § 14 Z 3 KMG aF ist dem Anleger einer Veranlagung in Immobilien der Erwerb der Veranlagung in schriftlicher Form zu bestätigen. Die Bestätigung hat die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere deren Gegenwert und die Rechtsstellung des Anlegers sowie das Publikationsorgan und das Datum der Veröffentlichung des Prospekts sowie allfällige sonstige Angaben nach dem KMG zu enthalten.
[19] Den Feststellungen lässt sich entnehmen, dass der Kläger keine schriftliche Bestätigung über die wesentlichen Merkmale der Veranlagung, insbesondere über seine Rechtsstellung sowie das Publikationsorgan und das Datum der Veröffentlichung des Prospekts erhalten hat. Auch die von der Beklagten zitierten Urkunden, Zahlungseingangsbestätigung samt Beteiligungszertifikat, enthalten nicht die vom Gesetz geforderten Angaben, sondern nur den Namen und den Gegenwert der Veranlagung, jedoch keine Information über die Rechtsstellung des Klägers sowie das Publikationsorgan und das Datum der Prospektveröffentlichung.
[20] Die Vorinstanzen gingen daher vertretbar vom Fehlen einer Bestätigung gemäß § 14 Z 3 KMG aF aus.
[21] 5. Gemäß § 5 Abs 2 KMG aF können Verbraucher vom Vertrag zurücktreten, wenn ihnen der Erwerb einer Veranlagung in Immobilien nicht gemäß § 14 Z 3 KMG aF bestätigt wurde. Nach der Rechtsprechung kann dieses Rücktrittsrecht nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner geltend gemacht werden (RS0125648 [T1, T2]).
[22] Im konkreten Fall macht die Klägerin einen Rücktritt vom Treuhandvertrag geltend; die Beklagte als Treuhänderin ist ihre Vertragspartnerin. Das Rücktrittsrecht besteht daher gegenüber der Beklagten (vgl 9 Ob 60/19t).
[23] Soweit die Revisionswerberin argumentiert, sie habe beim Vertrieb der Wertpapiere nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreter für die Emittentin gehandelt, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab; die Revision ist insofern nicht gesetzmäßig.
[24] 6. Das Rücktrittsrecht des § 5 KMG aF wurde weitgehend dem § 3 KSchG nachgebildet (Zib/Russ/Lorenz, Kapitalmarktgesetz [aF] § 5 Rz 2). Somit wirkt auch der Rücktritt nach § 5 KMG aF ex-tunc (3 Ob 144/14v; Zivny, KMG² § 5 Rz 21, vgl auch Zib/Russ/Lorenz, KMG § 5 Rz 26).
[25] 7. Dass die Vorinstanzen die Lehre über die fehlerhafte Gesellschaft, wonach ein Verbraucher im Fall eines Rücktritts oder Widerrufs eines Beitritts zu einer Personengesellschaft nur einen Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben habe, das sich nach dem Wert seines Anteils im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Gesellschaft berechnet, nicht angewendet haben, ist nicht zu beanstanden, zumal der Kläger – wie oben ausgeführt – nur vom Treuhandverhältnis mit der Beklagten zurücktrat. Dadurch kommt es weder zu einer Verringerung der Gesellschafteranzahl noch zu einer Verringerung des Gesellschaftsvermögens, da die Beklagte weiterhin ihre Stellung als Gesellschafterin der Fondsgesellschaft behält (vgl auch 6 Ob 220/20a).
[26] 8. Zusammengefasst haben die Vorinstanzen auf Basis der zitierten Rechtsprechung vertretbar den Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des rechtsgrundlos geleisteten Einzahlungsbetrags bejaht (vgl auch jüngst 6 Ob 220/20a).
[27] 9. Die Beklagte zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSv § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E130482European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00049.20A.1217.000Im RIS seit
02.02.2021Zuletzt aktualisiert am
08.06.2021