Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. D***** K*****, vertreten durch Koch Jilek Rechtsanwältepartnerschaft in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 35.480,77 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. April 2020, GZ 3 R 10/20w-19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 8. November 2019, GZ 26 Cg 10/19t-15, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.040,48 EUR (darin 340,08 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger schloss mit der Beklagten einen Lebensversicherungsvertrag „für den Privatbereich“. Versicherungsbeginn war der 1. 1. 2013. Der Lebensversicherungsvertrag war Tilgungsträger für einen aus dem Jahr 2005 stammenden Kredit bei der B***** Aktiengesellschaft (folgend: Kreditgeber). Dieser Lebensversicherungsvertrag ersetzte einen früheren Tilgungsträger.
[2] Der Versicherungsvertrag kam über Mag. C***** L*****, den Schwager des Klägers, zustande, der „als Versicherungsvermittler in der Form des Versicherungsmaklers und als Berater in Versicherungsangelegenheiten tätig“ war (folgend: Versicherungsmakler). Schon vor Abschluss dieses Versicherungsvertrags hat der Versicherungsmakler den Kläger in finanziellen Belangen beraten.
[3] Der Kläger hatte den Versicherungsantrag vom Versicherungsmakler erhalten. Bei einem der seinerzeit regelmäßigen Treffen zwischen diesem und dem Kläger kam es dann am 23. 11. 2012 zur Unterfertigung des Antrags durch den Kläger. Über die konkreten Risiken dieses Produkts hat der Versicherungsmakler den Kläger nicht mündlich aufgeklärt. Auch über ein allfälliges Rücktrittsrecht wurde nicht gesprochen. Der Versicherungsmakler nahm den vom Kläger unterzeichneten Versicherungsantrag mit und übermittelte diesen der Beklagten. Dem Kläger händigte der Versicherungsmakler eine Kopie des Antrags aus.
[4] Der Versicherungsantrag enthielt (ua) folgende Hinweise:
„[...]
Rücktrittsrecht nach § 5b VersVG: Sie können binnen zweier Wochen in geschriebener Form vom Vertrag zurücktreten, wenn Ihnen nicht die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Mitteilungen gemäß §§ 9a und 18b VAG vor Unterzeichnung des Antrages und eine Kopie des Antrages übergeben wurden. Diese Frist beginnt zu laufen, sobald Sie die Mitteilungen gemäß §§ 9a und 18b VAG, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie den Versicherungsschein einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten haben. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheines einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
Rücktrittsrecht nach § 5c VersVG: […]
Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG: Sie können binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages zurücktreten. Sofern Sie ein Verbraucher im Sinne von § 1 Abs 1 Z 2 KSchG sind, beginnt die Frist zum Rücktritt erst dann zu laufen, wenn Sie über das Rücktrittsrecht belehrt worden sind.
[…]
Am 21. 12. 2012 erhielt der Kläger den Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen (AVB) in die Räumlichkeiten seiner Anwaltskanzlei zugeschickt. Die Unterlagen enthielten das Blatt 'Wichtige Hinweise', in dem Folgendes ausgeführt wurde:
'Wichtige Hinweise'
[…]
3. Rücktrittsrecht nach § 5b VersVG:
Sie können binnen zweier Wochen schriftlich vom Vertrag zurücktreten, wenn Ihnen nicht die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Mitteilungen gemäß §§ 9a und 18b VAG vor Unterzeichnung des Antrages und eine Kopie des Antrages übergeben wurden. Diese Frist beginnt zu laufen, sobald Sie die Mitteilungen gemäß §§ 9a und 18b VAG, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie den Versicherungsschein einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten haben. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheines einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.
4. Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG:
Sie können binnen 30 Tagen nach Verständigung vom Zustandekommen des Vertrages zurücktreten. Sie können den Rücktritt auch bereits vor Fristbeginn erklären. Zur Wahrung der Rücktrittsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Rücktritts. Der Rücktritt ist unserer Gesellschaft gegenüber schriftlich zu erklären und zu richten an:
[…]
Bei einem Rücktritt per Telefax ist der Widerruf an folgende Faxnummer zu richten:
[…]
Bei einem Rücktritt per E-Mail ist der Widerruf an folgende E-Mail Anschrift zu richten:
[...]“
[5] Der Kläger hat alle seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag der Kreditgeberin verpfändet und jegliche Bezugsberechtigung dritter Personen widerrufen. Er hat sich weiters verpflichtet, den Versicherungsvertrag während der Dauer des Bestehens des Pfandrechts nicht ohne die Zustimmung der Kreditgeberin zu kündigen.
[6] Der Kläger hat ab Jänner 2013 eine monatliche Prämienzahlung von netto 432,69 EUR geleistet.
[7] Mit Schreiben vom 30. 11. 2018 erklärte der Kläger wegen der schlechten Performance der Lebensversicherung gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Vertrag mit der Begründung, dass er nicht bzw nicht ordnungsgemäß über die zustehenden gesetzlichen Rücktrittsmöglichkeiten belehrt worden sei. Die Beklagte wies den Rücktritt zurück.
[8] Die Kreditgeberin nahm den vom Kläger erklärten Rücktritt zur Kenntnis, erklärte sich ausdrücklich mit der Führung des vorliegenden Verfahrens einverstanden und verlangte, dass sämtliche aus der Rückabwicklung des Lebensversicherungsvertrags resultierenden Zahlungen der Beklagten auf das Kreditkonto verbucht werden.
[9] Der Kläger begehrte die Rückzahlung der geleisteten Prämien von zusammen 35.480,77 EUR samt Staffelzinsen mit der Behauptung, dass er nicht, jedenfalls nicht ordnungsgemäß über die ihm zustehenden gesetzlichen Rücktrittsmöglichkeiten belehrt worden sei. Der Rücktritt werde auf § 8 FernFinG (gemeint idF BGBl I 2004/62; folgend: aF), in eventu auf §§ 165a, 5b VersVG (gemeint idF BGBl I 2012/34; folgend: aF) gestützt. Der Versicherungsvertrag sei zwischen ihm als Verbraucher und der Beklagten als Unternehmerin ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien mithilfe von Fernkommunikationsmitteln zustande gekommen. Der Vertragsabschluss sei im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt. Der Lebensversicherungsvertrag sei daher als Fernabsatzvertrag anzusehen, auch wenn es die Zwischenschaltung eines Versicherungsvermittlers gegeben habe. Die Beklagte wäre vor Abschluss des Lebensversicherungsvertrags verpflichtet gewesen, den Kläger, der auch aktiv zur Klageführung legitimiert sei, über das Rücktrittsrecht, die Frist zum Rücktritt, die Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts, einschließlich des Betrags, den der Kläger als Verbraucher gegebenenfalls zu entrichten habe, sowie über die Rechtsfolgen der Nichtausübung des Rücktrittsrechts in klarer und verständlicher Weise zu belehren. Dieser umfassenden Informationspflicht habe die Beklagte nicht entsprochen. Die im Versicherungsschein aufgenommene Rücktrittsbelehrung der Beklagten enthalte entgegen der unionsrechtlichen und innerstaatlichen Vorgaben (§ 165a VersVG) unzulässigerweise ein Schriftformgebot. Aus der in der Versicherungspolizze abgedruckten Rücktrittsbelehrung gehe nicht hervor, dass dem Kläger auch nur in einem der in § 5b Abs 2 Z 1–3 VersVG taxativ aufgezählten Fälle ein 14-tägiges Rücktrittsrecht zustehe. Die Rücktrittsbelehrung der Beklagten würde dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer vielmehr den Eindruck vermitteln, dass die in § 5b Abs 2 Z 1–3 VersVG genannten Voraussetzungen – entgegen dem Gesetzeswortlaut – kumulativ vorliegen müssten. Der Rücktrittsgrund des § 5b Abs 2 Z 3 VersVG sei überdies unvollständig wiedergegeben worden, weil darin der Hinweis auf die in §§ 137f Abs 7 und 8 und 137g GewO 1994 unter Beachtung des § 137h GewO 1994 (aF) vorgesehenen Mitteilungen gefehlt hätten. Darüber hinaus seien die Versicherungsbedingungen nicht vor Abgabe der Vertragserklärung übergeben worden, sodass dem Kläger auch noch das Rücktrittsrecht nach § 5b Abs 2 Z 2 VersVG offenstehe. Das Erlöschen der absoluten Frist des Rücktrittstrechts nach § 5b Abs 5 VersVG setze jedenfalls eine ordnungsgemäße Belehrung voraus. Da der Kläger somit überhaupt nicht über das Rücktrittsrecht des § 8 FernFinG aF und fehlerhaft über die Rücktrittsrechte gemäß §§ 165a und 5b VersVG aF belehrt worden sei, stehe ihm ein Rücktrittsrecht zu.
[10] Die Beklagte bestritt die Aktivlegitimation des Klägers, weil er infolge Verpfändung der Lebensversicherung an die Kreditgeberin ohne deren Zustimmung den Vertragsrücktritt nicht wirksam habe erklären können. Das FernFinG sei nicht anwendbar, weil der Vertrag nicht im Fernabsatz abgeschlossen worden sei. Es habe persönlichen Kontakt zwischen dem Kläger und dem Versicherungsvermittler gegeben, in dessen Rahmen der Kläger auch den Antrag eigenhändig unterschrieben habe. Der Kläger sei weder fehlerhaft noch unvollständig über das Rücktrittsrecht nach den §§ 5b, 165a VersVG belehrt worden. Aus der Rücktrittsbelehrung gehe zweifelsfrei hervor, dass die Voraussetzungen des § 5b Abs 2 Z 1–3 VersVG nicht kumulativ vorliegen müssten, sondern alternativ gegeben sein können. Die Beklagte habe den Kläger ordnungsgemäß über die 14-tägige Rücktrittsfrist und den Beginn des Fristlaufs sowie über die absolute Frist des Rücktrittsrechts von einem Monat ab Erhalt der Polizze (§ 5b Abs 5 VersVG [aF]) aufgeklärt. Diese Frist sei jedenfalls erloschen, weil der Kläger die Polizze im Dezember 2012 erhalten habe und die korrekte Rücktrittsbelehrung bereits im Versicherungsantrag enthalten gewesen sei. Sein Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG (aF) habe der Kläger länger als 30 Tage vor Abgabe der Rücktrittserklärung gekannt. Ein allfälliges Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG (aF) verjähre gemäß (analog) § 1487 ABGB innerhalb von drei Jahren ab Vertragsabschluss. Die spätere Rücktrittserklärung sei rechtsmissbräuchlich und unzulässig. Der Kläger habe ein objektiv widersprüchliches Verhalten gesetzt; er habe den Vertrag aus eigenem Interesse initiiert und viele Jahre daran festgehalten. Damit habe er sein Interesse am Bestand des Vertrags klar bekundet. Sollte der Vertragsrücktritt rechtswirksam sein, hätte der Kläger nur Anspruch auf den Rückkaufswert, wobei auch die Versicherungssteuer in Abzug zu bringen sei. Auch eine pauschale 4%ige Verzinsung stehe ihm nicht zu; Vergütungszinsen würden innerhalb von drei Jahren verjähren.
[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es war rechtlich der Ansicht, dass das FernFinG nicht anzuwenden sei, weil der Vertrag nicht ausschließlich über Fernkommunikationsmittel zustande gekommen sei. Ein Rücktritt gemäß § 5b VersVG sei jedenfalls verfristet, weil das Recht zum Rücktritt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht erlösche. Der Kläger sei sowohl im Antrag, als auch im Versicherungsschein ausdrücklich auf seine Rücktrittsrechte hingewiesen worden. Nach § 165a VersVG (aF) beginne die Frist für den Rücktritt dann zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer auch über das Rücktrittsrecht belehrt worden sei. Im Versicherungsschein sei zwar festgehalten, dass der Rücktritt nach § 165a VersVG schriftlich zu erklären sei, doch müsse der Kläger ab Ende des Jahres 2017 über die Modalitäten eines möglichen (formlosen) Rücktritts detailliert in Kenntnis gewesen sein, weil er sich ab diesem Zeitpunkt intensiv mit dem Thema Rücktrittsrechte von Versicherungsverträgen beschäftigt habe. Ein Rücktrittsrecht erst im November 2018, also rund ein Jahr später, sei daher zu verneinen.
[12] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass § 8 FernFinG nach dessen Schutzzweck nur dann anzuwenden sei, wenn Anbot, Verhandlung und Vertragsabschluss ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln erfolgt seien, was bei der hier vorgelegenen Mitwirkung des Versicherungsmaklers, der umfassende Informations- und Beratungspflichten wahrzunehmen habe, nicht der Fall gewesen sei. Dass die Belehrung nach § 8 FernFinG unterblieben sei, berechtige daher den Kläger nicht zum Vertragsrücktritt. Das Verlangen der Beklagten, den Rücktritt nach § 165a Abs 1 VersVG aF schriftlich zu erklären, begründe keine relevante Erschwernis dieses Rechts. Dem Kläger seien gemeinsam mit der Polizze auch die AVB übersandt worden, womit die Beklagte jedenfalls ihrer Pflicht zur „nachgeschobenen“ Information entsprochen habe und dem Kläger somit auch kein Rücktrittsrecht iSd § 5b Abs 2 Z 2 VersVG aF zugestanden sei.
[13] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das FernFinG anzuwenden sei, wenn der Versicherungsvertrag über Vermittlung eines Versicherungsmaklers zustande komme, der mit dem Versicherungsnehmer zuvor in persönlichen Kontakt getreten sei.
[14] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagsstattgebung. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.
[15] Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[16] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[17] A. Zu § 8 FernFinG:
[18] 1. Die Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (folgend: FDRL) war bis 9. 10. 2004 umzusetzen. Dies ist mit dem Bundesgesetz über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz; folgend: FernFinG) geschehen, das in seiner Stammfassung mit 1. 10. 2004 in Kraft getreten ist.
[19] 2. Die FDRL sieht Regelungen für Vertragsabschlüsse über Finanzdienstleistungen zwischen Unternehmern und Verbrauchern vor, die unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln wie Brief, Telefon oder E-Mail erfolgen. Durch die Richtlinie werden bei solchen Vertragsabschlüssen den Unternehmern Informationspflichten auferlegt und den Verbrauchern ein Rücktrittsrecht eingeräumt (ErläutRV 467 BlgNR 22. GP 1).
[20] 3. Im Einzelnen bestimmen Art 2 lit b) FDRL und § 3 Z 2 FernFinG als „Finanzdienstleistung“ (ua) jede Dienstleistung im Zusammenhang mit einer Versicherung. Der hier erfolgte Abschluss einer Lebensversicherung ist daher eine „Finanzdienstleistung“ im Sinn der FDRL und des FernFinG.
[21] 4. Der Fernabsatzvertrag ist nach Art 2 lit a) FDRL und § 3 Z 1 FernFinG ein Vertrag, der unter ausschließlicher Verwendung eines oder mehrerer Fernkommunikationsmittel im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems des Unternehmers abgeschlossen wird. Nicht erfasst ist dagegen die Bereitstellung von Dienstleistungen auf gelegentlicher Basis und außerhalb einer Absatzstruktur, deren Zweck der Abschluss von Fernabsatzverträgen ist. Im letztgenannten Fall liegt nämlich kein „für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- bzw Dienstleistungssystem“ vor (ErwGr 18 FDRL; ErläutRV 467 BlgNR 22. GP 4).
[22] 5. Rechtzeitig bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder durch ein Anbot gebunden ist, sind ihm die in Art 3 FDRL im Einzelnen beschriebenen Informationen betreffend den Anbieter (Abs 1 Z 1), die Finanzdienstleistung (Abs 1 Z 2), den Fernabsatzvertrag (Abs 1 Z 3) und den Rechtsbehelf (Abs 1 Z 4) zur Verfügung zu stellen. Diese Informationspflichten werden mit Art 3 FDRL übereinstimmend in § 5 Abs 1 FernFinG umgesetzt.
[23] 6. Die Anordnung solcher Vertriebsinformationen soll verhindern, dass der Einsatz eines Fernkommunikationsmittels zu einer ungerechtfertigten Einschränkung der dem Verbraucher vermittelten Information führt. Aus Transparenzgründen wurden daher in der FDRL Anforderungen festgelegt, die eine angemessene Verbraucherinformation vor und auch nach Abschluss eines Vertrags gewährleisten. Vor Abschluss eines Vertrags sollten dem Verbraucher die erforderlichen Vorabinformationen zugehen, damit er die ihm angebotene Finanzdienstleistung entsprechend beurteilen und folglich seine Entscheidung in Kenntnis aller Umstände treffen kann (ErwGr 21 FDRL). Dem entsprechend formulierte der österreichische Gesetzgeber in den Materialien, es sei Ziel der einschlägigen Regelung, trotz des fehlenden persönlichen (physischen) Kontakts zwischen den Vertragspartnern eine wohlüberlegte Vertragsentscheidung der Verbraucher zu ermöglichen (ErläutRV 467 BlgNR 22. GP 1).
[24] 7.1. Der Versicherungsmakler ist nach § 27 Abs 1 MaklerG regelmäßig Doppelmakler. Er hat aber überwiegend die Interessen des Versicherungskunden zu wahren. Der Versicherungsmakler hat gemäß § 27 Abs 2 MaklerG gegenüber dem Versicherungskunden die Pflicht, die in den Standesregeln zu dessen Schutz vorgesehene Information und Beratung samt Dokumentation zu erteilen und sich nach Kräften um die Geschäftsvermittlung zu bemühen. Wenngleich also der Versicherungsmakler zwar regelmäßig Doppelmakler ist, wird er trotzdem als Hilfsperson des Versicherungsnehmers dessen Sphäre zugerechnet und hat als „Bundesgenosse“ des Versicherten dessen Interessen zu wahren (RS0114041).
[25] 7.2. Zum Zeitpunkt des hier zu beurteilenden Vertragsabschlusses sah § 137f GewO (aF) für Versicherungsvermittler ([auch] in der Form „Versicherungsmakler“) näher bezeichnete Informationspflichten vor. Nach § 137g Abs 1 GewO (aF) hatte der Versicherungsvermittler „den Kunden, abgestimmt auf die Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags, entsprechend den Angaben, Wünschen und Bedürfnissen des Kunden zu beraten. Bei Abschluss eines Versicherungsvertrags hat(te) der Versicherungsvermittler vor Abgabe der Vertragserklärung des Kunden, insbesondere anhand der vom Kunden gemachten Angaben, zumindest dessen Wünsche und Bedürfnisse sowie die Gründe für jeden diesem zu einem bestimmten Versicherungsprodukt erteilten Rat genau anzugeben“. Aus diesen nunmehr in der Verordnung der Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort über Standes- und Ausübungsregeln für Gewerbetreibende, die die Tätigkeit der Versicherungsvermittlung ausüben (Standesregeln für Versicherungsvermittlung; BGBl II 2019/162) enthaltenen Regelungen folgt, dass der Versicherungsmakler den Versicherungsnehmer nicht etwa (nur) anhand immer gleichbleibender Informationslisten wie etwa jener nach § 5 Abs 1 FernFinG, sondern ganz gezielt „entsprechend den Angaben, Wünschen und Bedürfnissen des Kunden zu beraten“ hat.
[26] 7.3. Als Fachmann auf dem Gebiet des Versicherungswesens ist es Hauptaufgabe des Versicherungsmaklers, dem Klienten mit Hilfe seiner Kenntnisse und Erfahrung bestmöglichen, den jeweiligen Bedürfnissen und Notwendigkeiten entsprechenden Versicherungsschutz zu verschaffen. Der Versicherungsmakler muss einschlägige Probleme erkennen und dazu richtige Auskünfte erteilen (7 Ob 63/19v mwN). Er hat für seinen Kunden ein erfolgreiches Risk-Management bei möglichst günstiger Deckung im Einzelfall durchzuführen (RS0118893). Der Versicherungsmakler wird dem Versicherungsnehmer im Fall der Verletzung seiner Pflichten als Sachverständiger iSd § 1299 ABGB auch schadenersatzpflichtig (vgl 7 Ob 63/19v). Damit erweist sich die durch die Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsmaklers bewirkte Informationslage des Verbrauchers jener von der FDRL und FernFinG für den Verbraucher angestrebten als zumindest gleichwertig und insofern sogar als jedenfalls überlegen, als der Versicherungsnehmer den Vergleich mehrerer Versicherungsprodukte nicht allein vornehmen muss, sondern sich dabei auf den fachmännischen Rat des Versicherungsmaklers stützen kann.
[27] 7.4. Aus der dargestellten Rechtslage folgt zusammengefasst, dass die Unterfertigung eines Antrags auf Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags im Zuge eines persönlichen Kontakts zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherungsmakler zunächst schon nicht im Rahmen eines „für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw Dienstleistungssystems“ erfolgt. Der Versicherungsmakler ist dabei in einer Doppelfunktion tätig, in der er auch die Produktinformationen des Versicherers an den Kunden vermittelt. Die dem Versicherungsnehmer dabei gewährleisteten Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsmaklers sind der von der FDRL und dem FernFinG angestrebten Informationslage jedenfalls gleichwertig. Bei teleologischer, am evidenten Schutzzweck der genannten Rechtsgrundlagen orientierter Auslegung ist daher im Fall der Verfassung der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers im persönlichen Kontakt mit dem Versicherungsmakler der für den Fernabsatz vorgesehene Rücktritt nach § 8 FernFinG ausgeschlossen (so im Ergebnis auch Fenyves, Unterliegen über Vermittlung eines Versicherungsmaklers abgeschlossene Versicherungsverträge dem FernFinG? FS-Jud [2012], 88, insb 96 f und FN 51 mit Nachweisen zu ähnlichen Lehrmeinungen in Deutschland; diesem folgend Graf in Schwimann/Kodek4, § 3 FernFinG Rz 13; ähnlich Zahradnik, Anwendungsbereich des FernFinG, in Fletzberger/Schopper, Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, 45 [68]; vgl auch BGH III ZR 380/03 NJW 2004, 3699 [wonach die Annahme eines Fernabsatzvertrags ausgeschlossen sein kann, wenn der bloße Bote des Unternehmers Auskünfte über Vertragsinhalt und Vertragsleistung geben kann]). Da in der vorliegenden Vertragskonstellation das persönliche Gespräch und die fachmännische Beratung des eigenen Vertragspflichten unterworfenen Versicherungsmaklers das angestrebte Verbraucherschutzniveau der FDRL wie dargelegt evidentermaßen voll gewährleistet, erübrigt sich im Sinn der „acte clair“-Theorie eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs (RS0112221, RS0123074).
[28] B. Zu § 165a Abs 1 VersVG (idF BGBl I 2012/34 [aF]):
[29] Soweit der Kläger die Belehrung über den Vertragsrücktritt nach § 165a VersVG (aF) deshalb für unrichtig hält, weil dafür die Schriftform verlangt wird, genügt ein Verweis auf die inzwischen ständige Rechtsprechung des Fachsenats, nach der ein darauf gestütztes Recht auf einen Spätrücktritt nicht besteht (jüngst 7 Ob 101/20h mzN).
[30] C. Zu § 5b VersVG (idF BGBl I 2012/34 [aF]):
[31] 1. § 5b VersVG (aF) lautete in der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblichen Fassung wie folgt:
„(1) Gibt der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung dem Versicherer oder seinem Beauftragten persönlich ab, so hat dieser ihm unverzüglich eine Kopie dieser Vertragserklärung auszuhändigen.
(2) Der Versicherungsnehmer kann binnen zweier Wochen vom Vertrag zurücktreten, sofern er
1. entgegen Abs. 1 keine Kopie seiner Vertragserklärung erhalten hat,
2. die Versicherungsbedingungen einschließlich der Bestimmungen über die Festsetzung der Prämie, soweit diese nicht im Antrag bestimmt ist, und über vorgesehene Änderungen der Prämie nicht vor Abgabe seiner Vertragserklärung erhalten hat oder
3. die in den §§ 9a und 18b VAG und, sofern die Vermittlung durch einen Versicherungsvermittler in der Form 'Versicherungsagent' erfolgte, die in den §§ 137f Abs. 7 bis 8 und 137g GewO 1994 unter Beachtung des § 137h GewO 1994 vorgesehenen Mitteilungen nicht erhalten hat.
(3) Dem Versicherer obliegt der Beweis, dass die in Abs. 2 Z 1 und 2 angeführten Urkunden rechtzeitig ausgefolgt und die in Abs. 2 Z 3 angeführten Mitteilungspflichten rechtzeitig erfüllt worden sind.
(4) Die Frist zum Rücktritt nach Abs. 2 beginnt erst zu laufen, wenn die in Abs. 2 Z 3 angeführten Mitteilungspflichten erfüllt worden sind, dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen ausgefolgt worden sind und er über sein Rücktrittsrecht belehrt worden ist.
(5) Der Rücktritt bedarf zu seiner Rechtswirksamkeit der geschriebenen Form; es genügt, wenn die Erklärung innerhalb der Frist abgesendet wird. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht. [...]“
[32] 2. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die im Versicherungsantrag enthalten gewesene Rechtsbelehrung zu § 5b VersVG (aF) kein Rücktrittsrecht des Klägers begründet, ist im Ergebnis zutreffend, sodass die Frage, ob die Belehrung der Beklagten nach § 5b VersVG (aF) überhaupt missverständlich sein könnte, dahingestellt bleiben kann.
[33] 2.1. Der Kläger hat seine Vertragserklärung, also den Versicherungsantrag, nicht, wie dies § 5b Abs 1 VersVG (aF) voraussetzt, dem Versicherer oder seinem Beauftragten (einem Versicherungsvermittler) gegenüber persönlich, sondern per Post durch den von ihm beauftragten Versicherungsmakler, der dem Kläger den Versicherungsantrag zur Verfügung stellte, abgegeben (vgl Schauer in Österr. Versicherungsvertragsrecht³ 118). Schon aus diesem Grund ist § 5b Abs 1 VersVG (aF) nicht anwendbar.
[34] 2.2. Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat der Kläger vom Versicherungsmakler überdies eine Antragskopie ausgehändigt erhalten, womit der Rücktrittsgrund nach § 5b Abs 2 Z 1 VersVG (aF) ausscheidet.
[35] 2.3. Aufgrund der Art des Zustandekommens des Vertrags über Einschaltung eines Versicherungsmaklers konnte die Beklagte dem Kläger die AVB vor Abgabe seiner Vertragserklärung (Übermittlung des Versicherungsantrags an die Beklagte) nicht zur Verfügung stellen. Damit scheidet nach bereits vorliegender Rechtsprechung (7 Ob 175/99g), gegen welche der Kläger im vorliegenden Kontext keine Bedenken zu erwecken vermag, auch der Vertragsrücktritt nach § 5b Abs 2 Z 2 VersVG (aF) aus, hat doch die Beklagte die AVB mit der Polizze übermittelt (§ 5b Abs 4 VersVG).
[36] 2.4. Welche der zahlreichen in §§ 9a und 18b VAG bezeichneten Informationen der Kläger vermeintlich nicht erhalten haben soll, wird in der Revision nicht näher präzisiert. Soweit sich der Kläger damit – allenfalls noch erschließbar – auf die in § 9a Abs 1 Z 6 VAG (aF) angesprochenen Umstände bezieht, „unter denen der Versicherungsnehmer den Abschluss des Versicherungsvertrages widerrufen oder von diesem zurücktreten kann“, so war eine Belehrung zu den vom Kläger in Anspruch genommenen Rücktrittsrechten nicht erforderlich, weil ein solches nach § 8 FernFinG – wie gezeigt – nicht besteht und eine Rücktrittsbelehrung nach § 165a VersVG ohnehin in einer Weise erfolgte, die ebenfalls zu keinem Rücktritt berechtigt.
[37] 2.5. Die in den §§ 137f Abs 7 bis 8 und 137g GewO 1994 unter Beachtung des § 137h GewO 1994 (jeweils aF) vorgesehenen Mitteilungen waren deshalb nicht zu erteilen, weil die Vermittlung des Versicherungsvertrags nicht durch einen Versicherungsvermittler in der Form „Versicherungsagent“ erfolgte.
[38] 3. Es liegt somit im Ergebnis keine rücktrittsbegründende Verletzung des § 5b Abs 2 VersVG vor.
[39] D. Folgerungen zur Aktivlegitimation und zum Umfang des Rückabwicklungsanspruchs:
[40] 1. Die (rechtlich selbständige) Frage der Aktivlegitimation des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Verpfändung seiner Ansprüche aus der Lebensversicherung an die Kreditgeberin (vgl dazu jüngst 7 Ob 137/20b), wird im Revisionsverfahren nicht mehr aufgegriffen. Sie kann deshalb, und weil dem Kläger kein Rücktrittsrecht zusteht, auf sich beruhen.
[41] 2. Da dem Kläger insgesamt kein Rücktrittsrecht mehr zusteht, ist auch auf seine umfangreichen Revisionsausführungen zu den Rechtsfolgen eines solchen – hier eben nicht zulässigen – Rücktritts nicht einzugehen.
[42] E. Ergebnis:
[43] 1. Dem Kläger steht nach allen dafür in Anspruch genommenen Regelungen (§ 8 FernFinG, § 165a VersVG [aF], § 5b VersVG [aF]) kein Rücktrittsrecht zu. Für § 8 FernFinG im Besonderen gilt, dass dieses Rücktrittsrecht namentlich im Hinblick auf den Schutzzweck der Regelungen der FDRL und des FernFinG im Fall des Vertragsabschlusses unter persönlicher Mitwirkung eines Versicherungsmaklers zweifelsfrei nicht anzuwenden ist. Durch den Versicherungsmakler ist nämlich wegen der ihm gegenüber dem Versicherungsnehmer obliegenden Informations- und Beratungspflichten gerade der von der FDRL und dem FernFinG verfolgte Schutz des Versicherungsnehmers in vollem Umfang gewährleistet. Die Revision muss daher erfolglos bleiben.
[44] 2. Auf die Aktivlegitimation des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Verpfändung seiner Ansprüche an die Kreditgeberin sowie auf den Umfang des geltend gemachten Rückabwicklungsanspruchs ist im Hinblick auf die Verneinung eines Rücktrittsrechts des Klägers nicht einzugehen.
[45] 3. Die Kostenentscheidung gründet auf § 41 Abs 1 ZPO iVm § 50 ZPO.
Textnummer
E130476European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00147.20Y.1217.000Im RIS seit
02.02.2021Zuletzt aktualisiert am
06.12.2021