Entscheidungsdatum
19.01.2021Index
L82007 Bauordnung TirolNorm
BauO Tir 2018 §33Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Drin Mair über die Beschwerde der/des
1. Frau AA, Adresse 1, **** Z, und
2. Herrn BB, Adresse 1, **** Z,
beide vertreten durch RA CC, Adresse 2, **** Z, gegen den Bescheid des Stadtmagistrats Z vom 30.11.2020, Zl ***, betreffend eine Angelegenheit nach der Tiroler Bauordnung 2018
zu Recht:
1. Die Beschwerde zu 1. und 2. wird als unbegründet abgewiesen.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang, Beschwerdevorbringen:
Mit am 16.11.2020 beim Stadtmagistrat Z eingelangtem Schreiben vom gleichen Tag ersuchten AA und BB (im Folgenden: Beschwerdeführer) um Übermittlung des Baubescheides zu Zl ***.
Mit diesem angeforderten Bescheid Zl *** vom 27.10.2020 wurde gemäß § 40 Abs 2 TBO 2018 eine Ausnahmebewilligung von in der Baulärmverordnung 2016 festgelegten Voraussetzungen für die Ausführung des mit Bescheid vom 11.06.2018, Zl ***, bewilligten Bauvorhabens erteilt.
Mit Schreiben vom 18.11.2020 teilte die Behörde dem Rechtsvertreter der Antragsteller fehlende Parteistellung des Nachbarn in einem Verfahren zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 40 TBO 2018 mit, weshalb der angeforderte Bescheid nicht übermittelt werden könne.
Mit Eingabe vom 19.11.2020 ersuchte der Rechtsvertreter um Mitteilung, in welchem Zeitraum die öffentliche Bekanntmachung (öffentlicher Anschlag) des bezogenen Bescheides erfolgt sei. Nachdem der Bescheid öffentlich bekannt gemacht werden müsste, handle es sich um einen öffentlichen Bescheid, hinsichtlich dessen kein Erfordernis für eine Parteistellung bestehe, sodass jedem Bürger dieser Bescheid über Verlangen zugestellt werden müsse. Darüber hinaus käme der Mandantschaft sehr wohl Parteistellung zu. Um Zustellung des Bescheides werde daher ersucht.
Mit Bescheid vom 30.11.2020, Zl ***, wies der Stadtmagistrat Z den Antrag der Beschwerdeführer auf Zuerkennung der Parteistellung im Verfahren zu Zl *** gemäß § 8 AVG ab (Spruchpunkt I), deren Antrag auf Zustellung dieses Bescheides als unzulässig zurück (Spruchpunkt II).
Dies näher begründend, wertete die belangte das Schreiben vom 19.11.2020 als Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung. Der im § 33 Abs 1 TBO 2018 – diese Bestimmung regle die Parteistellung – verwendete Begriff des Bauverfahrens beziehe sich ausschließlich auf das Bauverfahren nach § 32, bei welchem es sich um das Baubewilligungsverfahren handle. Auf sonstige Verfahren im Rahmen der TBO finde die Bestimmung des § 33 keine Anwendung. Die Erteilung einer Ausnahmebewilligung einer nach § 40 Abs 1 TBO 2018 erlassenen Verordnung (hier: Baulärmverordnung 2016) werde im 6. Abschnitt des Gesetzes geregelt, auf diesen beziehe sich die Parteistellung in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung nicht. Es gäbe auch keine rechtliche Grundlage, einen Bescheid gemäß § 40 TBO 2018 öffentlich bekannt machen zu müssen.
In ihrer Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.11.2020 geben die Rechtsmittelwerber an, dass ihre Wohnung ca 20 Meter von der Baustelle entfernt liege, es nicht nachvollziehbar wäre, dass den Parteien keine Akteneinsicht in den Bauakt gewährt worden sei, der ohrenbetäubende Lärm ebenso im Dezember 2020 von der Baustelle ausgegangen sei. Aufgrund der Lage der Wohnung der Parteien zur Baustelle in einer Entfernung von weniger als 50 Metern dürfe tagsüber nur mit Maßnahmen zur Lärmminderung und nachts überhaupt nicht gearbeitet werden. Die Tiroler Baulärmverordnung 2016 gelte für das ganze Land Tirol unabhängig von irgendeiner Parteistellung, die Bauwerber hätten sich an diese Verordnung zu halten. Seitens der Bauwerber seien keine Maßnahmen zur Lärmminderung gemäß § 4 dieser Verordnung (bauseitige Errichtung passiver Lärmschutzmaßnahmen, Durchführung der Arbeiten nur zu bestimmten Zeiten) in Angriff genommen worden. Die Verordnung definiere höchstzulässige Schallleistungspegel, eine Messung des – gesundheitsbeeinträchtigenden - Baulärms werde ebenso wie die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und die Durchführung eines Lokalaugenscheins beantragt. Warum die Arbeiten nur zu Nachtzeiten durchgeführt werden könnten, sei nicht näher erklärt worden, eine entsprechende Stellungnahme des Stadtmagistrats Z dazu werde eingefordert, Aufklärung über Einhaltung und Kontrolle der vorgeschriebenen Auflagen sei zu geben. Den Beschwerdeführern komme aufgrund ihrer Nachbarschaft jedenfalls Parteistellung zu, Akteneinsicht und Bescheidzustellung hätten zu erfolgen gehabt. Akteneinsicht zur Feststellung der Einhaltung der Auflagen müsse in einem demokratischen Rechtsstaat möglich sein, sämtliche Arbeiten des über zwei Jahre alten Baubescheides könnten – auch infolge nahezu fehlenden Flugverkehrs bedingt durch den Lock down – auch unter Tags durchgeführt werden.
II. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einschau in den behördlichen Akt.
Der maßgebliche Sachverhalt stand aufgrund der Aktenlage fest. Die Akten haben bereits erkennen lassen, dass eine mündliche Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtslage nicht erwarten lässt. Es waren ausschließlich Rechtsfragen zu lösen. Einem Entfall der mündlichen Verhandlung stand weder Art 6 Abs 1 EMRK noch Art 47 GRC entgegen.
III. Rechtslage:
Die maßgeblichen Bestimmungen der Tiroler Bauordnung 2018 – TBO 2018, LGBL Nr 28/2018 idF LGBL Nr 124/2020 lauten:
„5. Abschnitt
Verfahrensbestimmungen
….
§ 32
Bauverfahren
….
§ 33
Parteien
(1) Parteien im Bauverfahren sind der Bauwerber, die Nachbarn und der Straßenverwalter.
(2) Nachbarn sind die Eigentümer der Grundstücke,
a) die unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 15 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen und
b) deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines horizontalen Abstandes von 50 m zu einem Punkt der baulichen Anlage oder jenes Teiles der baulichen Anlage, die (der) Gegenstand des Bauvorhabens ist, liegen.
Nachbarn sind weiters jene Personen, denen an einem solchen Grundstück ein Baurecht zukommt. …..
6. Abschnitt
Bauausführung, Erhaltung des Bauzustandes
….
§ 40
Baulärm
(1) Die Landesregierung kann zum Schutz des Lebens und der Gesundheit und zur Vermeidung unzumutbarer Belästigungen der Bevölkerung sowie im Interesse des Tourismus durch Verordnung Voraussetzungen für die zulässigen Schallimmissionen aus Baustellen und die Art ihrer Ermittlung festlegen. Diese Voraussetzungen können nach gebietsbezogenen Kriterien, nach dem Ausmaß des Schutzbedürfnisses sowie in zeitlicher Hinsicht abgestuft festgelegt werden.
(2) Die Behörde hat auf Antrag des Bauherrn eine Bewilligung für Ausnahmen von in einer Verordnung nach Abs. 1 festgelegten Voraussetzungen für bestimmte Bauarbeiten zu erteilen, wenn
a) die Bauarbeiten sonst nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Mehrkosten durchgeführt werden könnten oder
b) die Voraussetzungen nur unwesentlich oder kurzzeitig nicht eingehalten werden können oder
c) eine Belästigung der Bevölkerung oder eine Beeinträchtigung der Interessen des Tourismus höchstens in einem geringfügigen Ausmaß zu erwarten ist.
In der Ausnahmebewilligung sind die Art der zulässigen Bauarbeiten und deren Dauer sowie erforderlichenfalls weitere Einschränkungen, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, festzulegen. (3) Die Gemeinden können ausgehend von den in einer Verordnung nach Abs. 1 festgelegten Voraussetzungen unter Berücksichtigung der speziellen örtlichen Gegebenheiten durch Verordnung bestimmen, dass im gesamten Gemeindegebiet oder in bestimmten Teilen davon während bestimmter Zeiten im Jahr jede Lärmentwicklung oder die Durchführung bestimmter lärmerregender Arbeiten auf Baustellen untersagt ist.“
IV. Erwägungen:
Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung:
Die Wertung des Schreibens der Beschwerdeführer vom 19.11.2020 durch die belangte Behörde (auch) als Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung blieb in der Beschwerde unwidersprochen. Auch das Landesverwaltungsgericht Tirol interpretiert das an die belangte Behörde herangetragene Begehren in gleicher Weise.
Die Beschwerdeführer fordern in der Beschwerde ihre Parteistellung unter dem Titel ihrer „Nachbarschaft“ zur Baustelle ein. Sie argumentieren bzw schlussfolgern diese Parteistellung dabei aber nicht ausdrücklich unter dem Titel eines Nachbarn im Sinne des § 33 TBO 2018.
Aber auch unter derartiger Annahme und im Falle, dass – wie nach der Bestimmung des § 33 TBO 2018 vorausgesetzt - sowohl die notwendigen Entfernungsvoraussetzungen (Abs 2 lit a und b) als auch die (Mit)Eigentümereigenschaft der Beschwerdeführer am (benachbarten) Grundstück tatsächlich gegeben wären (diesbezüglich enthält der behördliche Akt keinerlei Sachverhaltsdarstellungen), und damit Überlegungen unter einem solchen Nachbareigenschaftstitel überhaupt zur Diskussion stünden, trifft die von der belangten Behörde dazu getroffene Rechtsauslegung zu. Soweit der Gesetzgeber im § 33 TBO 2018 Regelungen zur Parteistellung trifft und dazu die Parteien des „Bauverfahrens“ (Abs 1) benennt, bezieht er diesen Begriff des Bauverfahrens ausschließlich auf das Bauverfahren nach § 32 TBO 2018. Aus dessen Absatz 1 ergibt sich wiederum, dass es sich dabei um das Baubewilligungsverfahren (arg „das Bauansuchen“) handelt. Dass diese Regelung einer Parteistellung des § 33 TBO 2018 auf sonstige Verfahren im Rahmen der Tiroler Bauordnung (hingegen) keine Anwendung findet, begründet sich schon systematisch mit der textlichen Nähe des § 32 zum § 33 TBO 2018.
Es findet somit die die Parteistellung regelnde Bestimmung des § 33 TBO 2018 (auch) keine Anwendung auf ein nach § 40 Abs 2 TBO 2018 geführtes Verfahren, mit dem die Behörde auf Antrag eines Bauherrn für bestimmte Bauarbeiten eine Ausnahmebewilligung von den in der Baulärmverordnung 2016 festgelegten Voraussetzungen erteilen kann. Beim von den Beschwerdeführern angeforderten Bescheid zu Zl *** handelt es sich um eine solche Ausnahmebewilligung nach dieser Bestimmung.
Auch systematisch getrennt regelt der Baurechtsgesetzgeber § 33 im 5. Abschnitt (Verfahrensbestimmungen), § 40 hingegen im 6. Abschnitt (Bauausführung, Erhaltung des Bauzustandes).
§ 40 TBO 2018 selbst enthält, wie auch der gesamte 6. Abschnitt, keine dem § 33 vergleichbare ausdrückliche Bestimmung einer Parteistellung.
§ 8 AVG verleiht allen Personen Parteistellung im Sinne des AVG, die entweder vermöge eines Rechtsanspruches oder vermöge eines rechtlichen Interesses an der Sache beteiligt sind. Das AVG legt in seinem § 8 lediglich fest, in welcher Beziehung Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens zu diesem stehen müssen, damit ihnen die Stellung einer Partei zukommt. Die Frage, wer in einem konkreten Verwaltungsverfahren Parteistellung besitzt, kann aufgrund des AVG allein nicht gelöst werden. Sie muss vielmehr regelmäßig – wenn die Parteien dort nicht ausdrücklich genannt sind - anhand der Vorschriften des materiellen Rechts beantwortet werden. Die Feststellung, welchen Personen Parteistellung in einem Verwaltungsverfahren zukommt, bedarf also regelmäßig der Auslegung der Vorschriften des materiellen Rechts.
Es entspricht schon dem grundlegenden Regelungsgedanken der Tiroler Bauordnung 2018, dass Dritten ein Immissionsschutz, damit auch einen Schutz vor Lärmeinwirkungen, nur insoweit eingeräumt ist, als solche Immissionen vom bewilligten Bauvorhaben selbst ausgehen. Höchstgerichtliche Judikatur gewährt Nachbarn ebensowenig einen (gleichsam) allumfassenden Immissionsschutz, wie sie auch die Interessen der Nachbarn durch die Bauausführung als solche bzw durch Maßnahmen der Bauausführung nicht im Rahmen der baurechtlichen Regelungszuständigkeit als beeinträchtigt sieht. Fragen der Bauausführung werden grundsätzlich nicht als (durchsetzbares rechtliches) Interesse eines Dritten bzw Nachbarn gesehen und betreffen nicht deren Parteienrechte. Einwendungen des Baulärms betreffen ausschließlich die Bauausführung. Nachbarn ist ein Immissionsschutz lediglich eingeschränkt, nämlich in Verbindung mit der Frage der Flächenwidmung (§ 33 Abs 3 lit a „Flächenwidmung, soweit damit ein Immissionsschutz eingeräumt ist“) eingeräumt.
Eine Parteistellung der Beschwerdeführer im Verfahren zu Zl *** (Ausnahmebewilligung nach § 40 Abs 2 TBO 2018) ist damit nicht gegeben. Der Antrag auf Zuerkennung wurde somit von der belangen Behörde zu Recht abgewiesen.
Zutreffend argumentiert die belangte Behörde im Hinblick auf die eingeforderte öffentliche Bekanntmachung des Bescheides. Inwieweit sich auch daraus eine Parteistellung der Beschwerdeführer ableiten ließe bzw lassen müsste, klärt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
Antrag auf Zustellung des Bescheides:
Setzt die Zustellung eines Bescheides aber die Parteistellung voraus, musste aber auch dieser Antrag der Beschwerdeführer mangels Parteistellung im Verfahren als unzulässig zurückgewiesen werden.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Drin Mair
(Richterin)
Schlagworte
Parteistellung NachbarEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.39.0101.1Zuletzt aktualisiert am
01.02.2021