TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/5 W176 2217330-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2020
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Entscheidungsdatum

05.10.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W176 2217330-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von mj. XXXX , geboren am XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Verein Menschenreche Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.03.2019, Zl. 1209955805-180991672/BMI-BFA_WIEN_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 33/2013 (VwGVG), iVm § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Für die Beschwerdeführerin, die am XXXX .10.2018 nach Einreise nach Österreich unter Umgehung der Grenzkontrollen aufgegriffen worden war, wurde am gleichen Tag (nach Rücksprache mit dem Jugendwohlfahrtsträger) von ihrer in Wien lebenden Tante XXXX ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Bei ihrer Erstbefragung ebenfalls am selben Tag gab die Beschwerdeführerin, vertreten durch einen Rechtsberater und in Anwesenheit ihrer Tante an, Syrien illegal verlassen zu haben, weil in Syrien Krieg und das Haus ihrer Familie kaputt sei. Sie sei mit ihrem Onkel nach Österreich gekommen.

2. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 02.11. 2018, Zl. XXXX , wurde XXXX (vorläufig) die Obsorge für die Beschwerdeführerin übertragen.

3. Bei den Einvernahmen der Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Tante, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) am XXXX .12.2018 und am XXXX .02.2019 gaben sie im Wesentlichen Folgendes an:

Die Eltern der Beschwerdeführerin seien in Griechenland, sie habe täglich Kontakt mit ihnen. Die Beschwerdeführerin sei nach Österreich geschickt worden, weil die Lage in Griechenland schwierig gewesen sei; es sei kalt gewesen und hätten sie keine Unterstützung erhalten. Die Zustimmung zur Einleitung eines Konsultationsverfahrens mit Griechenland wurde verweigert.

Die Beschwerdeführerin sei syrische Staatangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitisch-moslemischen Glaubens. Sie habe zwei Jahre die Grundschule besucht. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe sie nach Österreich geschickt, weil die Beschwerdeführerin ein Problem mit ihren Beinen habe und nicht lange gehen könne. Die Beschwerdeführerin habe Kontakt zu ihrer Familie, bestehend aus ihren Eltern, ihrem Bruder und ihren zwei Schwestern. Von ihrer Geburt bis zu ihrer Ausreise habe die Beschwerdeführerin in XXXX gelebt. Einen Fluchtgrund wisse sie nicht. In Syrien sei es schrecklich, sie wolle nicht mehr dorthin zurück. In Syrien hätten sie niemanden mehr.
XXXX führte aus, dass das Haus der Familie bombardiert worden sei, der Familie aber zum Glück nichts passiert sei. Sie hoffe, dass die Beschwerdeführerin Asylstatus bekomme und ihre Familie nachholen könne.

4. Mit dem nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine (zunächst) bis zum 11.03.2020 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Die belangte Behörde führte aus, dass aufgrund des Alters der Beschwerdeführerin von einem Konsultationsverfahren mit Griechenland abgesehen und das Verfahren der Beschwerdeführerin in Österreich zugelassen werde. Die Beschwerdeführerin habe keine Asylgründe geltend gemacht. Aufgrund der allgemeinen schlechten Lage sei ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

5. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides (Versagung des Asylstatus) richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der im Wesentlichen Folgendes ausgeführt wird. Der Vater der Beschwerdeführerin sei geflüchtet sei, weil er den Militärdienst als Reservist nicht habe bestreiten wollen. Als Tochter eines Militärdienstverweigerers drohe somit auch der Beschwerdeführerin Verfolgung wegen (unterstellter) politischer Gesinnung. Eine regimekritische Haltung würde ihr auch aufgrund ihrer illegalen Ausreise unterstellt werden. Weiters gehöre sie der sozialen Gruppe der Frauen an, weshalb ihre Verfolgung mit höherer Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei.

6. Am 06.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche Beschwerdeverhandlung statt, in der XXXX sowie die Beschwerdeführerin zu deren Fluchtgründen befragt wurden. Dabei wurde ua. vorgebracht, der Vater der Beschwerdeführerin sei als Reservist abgeholt worden und habe anlässlich seines ersten Besuchs zu Hause mit seiner Kernfamilie Syrien verlassen. Abschließend wurde der Beschwerdeführerin eine zweiwöchige Stellungnahmefrist zur Frage eingeräumt, inwieweit in Syrien auch Kindern im Alter der Beschwerdeführerin bei Rückkehr eine politische Gesinnung unterstellt würde.

7. Mit Schriftsatz vom 15.07.2020 verwies die Beschwerdeführerin auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, wonach in Syrien „viele Menschen, darunter auch Kinder“ von Reflexverfolgung betroffen wären. Amnesty International gehe weiters davon aus, dass „alle Altersgruppen“ von einer Gefährdung betroffen seien, zumal Festnahmen willkürlich stattfänden. Auch laut Human Rights Watch würden neben jungen Männern „auch Frauen und Kinder“ inhaftiert werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin:

Die in XXXX geborene und aufgewachsene – gesunde – Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitisch-moslemischen Glaubens. Sie besuchte in ihrem Herkunftsstaat zwei Jahre die Grundschule, ehe sie mit ihrer Familie Syrien verließ. Die Kernfamilie der Beschwerdeführerin umfasst ihre Eltern und drei, ebenfalls minderjährige Geschwister.

Die Beschwerdeführerin wurde von ihrer aktuell in Griechenland lebenden Familie nach Österreich geschickt. Ein Onkel begleitete sie nach Österreich und übergab sie an XXXX , der in Österreich der Status einer Asylberechtigten zukommt. Ihr wurde die (vorläufige) Obsorge für die Beschwerdeführerin übertragen. Die Beschwerdeführerin lebt mit XXXX und deren fünf Kindern im gemeinsamen Haushalt.

Die belangte Behörde erkannte der Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu.

Vor der Einreise nach Österreich bestand zwischen der Beschwerdeführerin und XXXX kein Eltern-Kind-ähnliches Verhältnis.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Vater der Beschwerdeführerin seinen Dienst in der syrischen Armee verweigert hat oder aus dieser desertiert ist.

Weder hat sich die Beschwerdeführerin oppositionell betätigt noch ist eine regierungsfeindliche Gesinnung bei ihr zutage getreten. Sie weist auch kein „besonderes Profil“ auf, aufgrund dessen die neunjährige Beschwerdeführerin damit rechnen müsste, Verfolgung aufgrund einer unterstellten politischen Gesinnung zu gewärtigen.

Familienangehörige der (Tante und somit auch der) Beschwerdeführerin leben – unbehelligt - in XXXX und XXXX .

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführerin in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht.

1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:

Wehrdienst:

Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst. Im März 2011 erließ Präsident Assad ein Dekret, in welchem er die Länge des verpflichtenden Wehrdienstes von 21 auf 18 Monaten verringerte. Dies wurde als Versuch gewertet, den Unmut unter vielen jungen Syrern zu besänftigen, die über den Entzug der Lebensmittelhilfe für Familien von vor der Einberufung Geflohenen und über die willkürliche Überprüfung von Personaldokumenten verärgert waren.

Alle Männer zwischen 18 und 40 Jahren kommen für den Militärdienst in Frage, mit Ausnahme von Juden und staatenlosen Kurden. Der Militärdienst in den syrischen Streitkräften ist auch von syrischen bzw. staatenlosen Palästinensern - in der Palästinensischen Befreiungsarmee - und von Kurden, die einen syrischen Personalausweis besitzen, abzuleisten. Als der Aufstand in Syrien begann, versuchte die Assad-Regierung die Minderheiten zu besänftigen und versprach den Kurden die Staatsbürgerschaft. Da für den Erhalt der Staatsbürgerschaft auch ein Interview mit den Sicherheitsbehörden notwendig ist, sind nur wenige bereit die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Junge Kurden, die um die Staatsbürgerschaft ansuchten, wurden aufgefordert den Militärdienst abzuleisten. Wehrpflichtige können auch im Kampf gegen Protestierende eingesetzt werden.

Ausnahmen vom Militärdienst sind aus familiären Gründen möglich, z. B. wenn eine Familie nur einen Sohn hat oder wenn schwere gesundheitliche Probleme vorliegen. Trotz der Reduzierung der Länge des Militärdienstes auf 18 Monate folgte eine Entscheidung im November 2011, den Aufschub der Einberufung aus administrativen oder schulischen Gründen aufzuheben. Daraufhin verließen dutzende junge Männer das Land. Im Legislativdekret Nr. 124 für das Jahr 2011 wurde den Personen im Einberufungsalter eine Generalamnestie gewährt, welche die Frist für die Einberufungstests nicht eingehalten hatten oder welche ohne legale Entschuldigung die Frist zum Eintritt in die Armee nicht eingehalten hatten. Diese Personen wurden aufgefordert, sich innerhalb von 60 Tagen ab dem Veröffentlichungsdatum des Dekrets bei ihren Rekruteneinheiten zu melden.

Eine Befreiung ist bei Vorliegen folgender Voraussetzungen möglich, wobei es jedoch keine gesetzlich geregelte Grundlage gibt, sich freizukaufen:

*aus gesundheitlichen Gründen

*wenn man nach Erreichen des 18. Lebensjahres für mindestens 5 Jahre ununterbrochen im Ausland gelebt hat, kann man sich freikaufen.

*dasselbe gilt für Männer, die älter als 45 Jahre sind

Präsident al-Assad verkündete im Legislativdekret Nr. 94 für das Jahr 2011 die Reduktion der Zahlung, die anstatt des Militärdienstes von Personen, die längere Zeit im Ausland gelebt haben, zu leisten ist, von USD 6.500 auf USD 5.000. Da es sich bei diesen Möglichkeiten zum Freikauf um "Kann – Bestimmungen" handelt, ist eine Befreiung in Krisenzeiten unwahrscheinlich.

Die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad unterstützende Zeitung "Al-Watan" berichtete im Jänner 2013, dass das syrische Verteidigungsministerium damit begonnen habe, zusätzliche Wehrpflichtige einzuziehen. Immer wieder gibt es Berichte, wonach Männer bei Kontrollen an Checkpoints zum Wehrdienst eingezogen werden. Auch von der Einberufung von Reservisten (d.h., Personen, die bereits den Wehrdienst abgeleistet haben) wird berichtet. Die Regierung hat Schwierigkeiten neue Rekruten auszuheben und die, die zum normalen verpflichtenden Militärdienst einberufen werden sollten, weigern sich, sich zu melden. Diese Situation zwang die Regierung die Einberufung auf jene auszuweiten, die ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben.

Wehrdienstverweigung/Desertion

Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen.

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen.

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt.

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.

Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben.

Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen.

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt.

Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung

Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge eine breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.

Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass – auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.

Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten – diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als regierungsfreundlich oder –feindlich gilt.

Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind (FH 1.2017).

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).

In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). In Raqqa gründete der IS die „al-Khansaa“-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzen soll (USDOS 3.3.2017). Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten (BFA 8.2017).

Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können (BFA 8.2017). Im Dezember 2017 hat das von Hay‘at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari‘a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für „jeden, der sich nicht nach dieser Regelung richtet“, es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird (Syria Direct 14.12.2017).

Rückkehr

Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Um intern oder aus dem Ausland zurückzukehren, müssen Geflüchtete umfangreiche Formulare ausfüllen (EIP 6.2019).

Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten Personen, die illegal ausgereist sind, „bei der Einreise gut zu behandeln“. Einem syrischen General zufolge müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren möchten, in der entsprechenden syrischen Auslandsvertretung „Versöhnung“ beantragen und unter anderem angeben wie und warum sie das Land verlassen haben und Angaben über Tätigkeiten in der Zeit des Auslandsaufenthaltes etc. machen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen dem General zufolge dort ein „Versöhnungsformular“ ausfüllen (DIS 6.2019).

UNHCR zufolge weisen folgende Personen bzw. Personengruppen ein "Risikoprofil" für eine asylrelevante Bedrohung in Syrien auf:

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich die Regierung unterstützen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder von Parteien, die der Regierung verbunden sind; tatsächliche und vermeintliche Mitglieder von Streitkräften der Regierung sowie Zivilbürger, von denen angenommen wird, dass sie mit Streitkräften der Regierung zusammenarbeiten; Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich die Regierung unterstützen; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsnahen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.

Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen ISIS de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt.

Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner bewaffneter oppositioneller Gruppen sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen diese Gruppen de facto die Kontrolle ausüben.

Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von PYD/YPG sind und sich in Gebieten aufhalten, in denen PYD/YPG de facto die Kontrolle ausüben.

Angehörige bestimmter Berufsgruppen, insbesondere Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, Laienjournalisten; Ärzte und andere im Gesundheitswesen tätige Personen; Menschenrechtsaktivisten; humanitäre Helfer; Künstler; Unternehmer und andere Personen, die tatsächlich oder vermeintlich vermögend oder einflussreich sind.

Mitglieder religiöser Gruppen, einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden.

Personen, die vermeintlich gegen die Scharia verstoßen und in Gebieten leben, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss extremistischer islamistischer Gruppen stehen.

Angehörige ethnischer Minderheiten, einschließlich Kurden, Turkmenen, Assyrer, Tscherkessen und Armenier.

Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer, Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt, von Kinder- und Zwangsheirat, häuslicher Gewalt, Verbrechen zur Verteidigung der Familienehre ("Ehrendelikt") und Menschenhandel wurden, oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.

Kinder, insbesondere Kinder, die in der Vergangenheit festgenommen wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind; sowie Kinder, die Opfer von Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, sexueller und häuslicher Gewalt, Kinderarbeit, Menschenhandel und systematischer Verweigerung des Zugangs zu Bildungsangeboten wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.

Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder geschlechtlicher Identität.

Palästinensische Flüchtlinge.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und ihrer Herkunft ergeben sich durch die gleichbleibenden und daher glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin bzw. ihrer als gesetzlicher Vertreterin fungierenden Tante.

2.2. Dass die Beschwerdeführerin gesund ist, folgt daraus, dass – bis zuletzt – keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden. Soweit im behördlichen Verfahren vorgebracht wurde, die Beschwerdeführerin sei ua. deswegen von Griechenland nach Österreich geschickt worden, weil sie Probleme mit den Beinen gehabt habe, blieben diese Aussagen oberflächlich und unbelegt, weshalb mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sowie aufgrund des persönlichen Eindrucks des Richters in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom unbeeinträchtigten Gesundheitszustand der jungen Beschwerdeführerin auszugehen war.

2.3. Die Feststellung, wonach XXXX in Österreich den Status einer Asylberechtigten hat, ergibt sich aus dem betreffenden GVS-Auszug. Ihre Identität ist durch ihren im Akt (in Kopie) einliegenden Reisepass (Verwaltungsakt AS 33; Konventionsreisepass Verwaltungsakt AS 105) verifiziert.

2.4. Die Regelung der Obsorge für die minderjährig unmündige Beschwerdeführerin lässt sich dem pflegschaftsgerichtlichen Beschluss vom 02.11.2018, Zl. XXXX (Verwaltungsakt AS 63) entnehmen.

Dass zwischen XXXX und Beschwerdeführerin vor deren Einreise nach Österreich kein Eltern-Kind-ähnliches bestanden hat, ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführerin bis zur ihrer Reise von Griechenland und Österreich im November 2018 in ihre Kernfamilie eingebunden war und sich XXXX (wie sich aus dem genannten GVS-Auszug ergibt) bereits seit erst November 2015 – also einem Zeitpunkt, als die Beschwerdeführerin vier Jahre alt war – in Österreich aufhält.

2.5. Die Feststellungen zu den familiären Anknüpfungspunkten der Beschwerdeführerin in Syrien stützen sich auf die glaubwürdigen diesbezüglichen Angaben von XXXX . Denn sie hat nicht nur pauschal angegeben, Familie in Syrien zu haben, sondern konkret angeführt, welche Verwandte in XXXX und welche in XXXX leben (Verhandlungsprotokoll S5), weshalb diesen Aussagen zu folgen war.

2.6. Die Feststellung, wonach der Vater der Beschwerdeführerin seinen Dienst in der syrischen Armee nicht verweigert hat und auch nicht aus dieser desertiert ist, basiert darauf, dass das betreffende Vorbringen aus folgenden Gründen nicht glaubwürdig ist:

War im Verfahren vor der belangten Behörde ein solches Vorbringen noch nicht erstattet worden, wurde in der Beschwerde – nicht näher konkretisiert – ausgeführt, der Vater der Beschwerdeführerin habe „als Reservist den Militärdienst nicht beitreten“ wollen. In der Beschwerdeverhandlung gab XXXX dann an, der Vater sei eines Tages von der Polizei als Reservist abgeholt worden (wobei ein Polizist einer Schwester der Beschwerdeführerin mit einem Gewehrkolben auf den Kopf geschlagen habe) und habe anlässlich seines ersten Besuchs zu Hause mit seiner Kernfamilie Syrien verlassen, womit das Fluchtvorbringen insofern gesteigert wurde, als nicht mehr (bloß) Wehrdienstverweigerung, sondern Desertion behauptet wird.

Das von XXXX (im Übrigen erst auf Vorhalt ihrer Angaben vor der belangten Behörde) erstattete Vorbringen, sie habe damals begonnen, diesen Vorfall zu schildern, dies sei ihr aber von der Referentin verweigert worden, überzeugt nicht, da sie in der betreffenden Niederschrift nicht nur die Richtigkeit, sondern auch die Vollständigkeit ihrer Angaben mit ihrer Unterschrift bestätigte (Verwaltungsakt, AS 159 f) und sich überdies auch in der Beschwerde kein Hinweis auf den genannten Vorfall findet, obwohl XXXX dem Rechtsvertreter alles erzählt habe (Verhandlungsschrift S 6).

2.7. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgungssituation zu gewärtigen hätte, stützt zum einen auf den Umstand, dass sich das Vorbringen zu einer Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion ihres Vaters wie oben dargestellt als tatsachenwidrig erwiesen hat, und zum anderen auf folgende Erwägungen:

Wie zunächst festzuhalten ist, wäre für den Prozessstandpunkt der Beschwerdeführerin auch dann nichts gewonnen, wenn entgegen der angestellten Überlegungen von einer Wehrdienstverweigerung oder Desertion ihres Vaters auszugehen wäre. Denn den Länderfeststellungen ist zwar zu entnehmen, dass es in der Vergangenheit Fälle gab, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass die Beschwerdeführerin davon betroffen sein würde, da in der Herkunftsländerinformation auch abzulesen ist, dass dies insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein kann, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Da sich Hinweise darauf, dass Derartiges für den Vater der Beschwerdeführerin zutreffen würde, weder im Verfahren weder vorgebracht wurden noch sich sonst ergeben, würde es somit an der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung fehlen. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass in der (zum Beweis dafür, dass in Syrien auch Kindern wegen [unterstellter] oppositioneller Gesinnung Übergriffe drohen, vorgelegten) Stellungnahme von Amnesty International vom 20.09.2018 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zwar angeführt wird, es habe Fälle gegeben, in denen auch Frauen, Kinder und ältere Menschen willkürlich inhaftiert worden seien; ihr ist aber zu entnehmen, dass es vorallem Männer in den 20er und 30er Jahren sind, die einer solchen Gefährdung ausgesetzt sind.

Sofern die Beschwerdeführerin tatsächlich – wie vorgebracht – Syrien in Begleitung ihrer Eltern illegal verlassen haben sollte, wäre vor dem Hintergrund der Feststellungen zu den Folgen einer illegalen Ausreise wenig wahrscheinlich, dass ihr – als neunjähriges Mädchen – (insbesondere vor dem Hintergrund der Weisung an Grenzbeamte, illegal Ausgereiste „gut zu behandeln“) hier relevante Sanktionen drohen würden.

Schließlich kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Eigenschaft als „Frau“ bzw. „Kind“ mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht; denn die weiteren Elemente, welche die in der aktuellen Position des UNHCR angeführten Risikogruppen aufweisen, liegen bei ihr nicht vor. Insbesondere kann in Hinblick auf ihre familiären Anknüpfungspunkte nicht gesagt werden, dass die Beschwerdeführerin dort „alleinstehend“ wäre.

2.8. Die Feststellungen zur Situation in Syrien stützen sich auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.05.2019, aktualisiert am 17.10.2019, sowie die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung, November 2017. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Auch zeichnen die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Berichte kein wesentlich anderes Bild der Lage.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A) Nichtzuerkennung des Asylstatus:

3.1.2. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/-20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann ("innerstaatliche Fluchtalternative"). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur GFK judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, 2. Auflage [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert wird. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

3.1.2. Es ist der Beschwerdeführerin nicht gelungen, eine drohende Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK glaubhaft zu machen:

Denn – wie sich aus den oben getroffenen Feststellungen ergibt – kann nicht angenommen werden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Verfolgungshandlungen von hinreichender Intensität ausgesetzt wäre.

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass für den Prozessstandpunkt der Beschwerdeführerin auch aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.06.2020, Zlen. G 298/2019-11 ua., nichts zu gewinnen ist, da – wie festgestellt – vor ihrer Einreise nach Österreich noch kein Eltern-Kind-ähnliches Verhältnis zu ihrer Tante und nunmehrigen gesetzlichen Vertreterin XXXX bestanden hatte.

3.1.3. Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden (vgl. etwa VwGH 25.09.2015, Ra 2015/16/0085, mwN). Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung Schutzfähigkeit des Staates staatliche Schutzfähigkeit Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W176.2217330.1.00

Im RIS seit

01.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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