TE Vfgh Erkenntnis 1995/9/26 B2178/95

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Veröffentlicht am 26.09.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen mangels gesicherten Lebensunterhalts; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Bundesminister für Inneres wies mit dem im Spruch zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 13. April 1995 die von Z T fristgerecht beantragte Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992, idF vor der Novelle BGBl. 351/1995, im wesentlichen mit der Begründung ab, daß der Lebensunterhalt des Einschreiters nicht (mehr) gesichert sei.

1.2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids beantragt wird.

1.3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und begehrte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof legte bereits in seinen Erkenntnissen vom 2. Juli 1994, B1911/93, und vom 16. März 1995, B2259/94, dar, daß er gegen §5 Abs1 AufG keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegt, und hält daran auch aus der Sicht dieser Beschwerdesache unverändert fest.

2.2. Hingegen verletzt der bekämpfte Bescheid den Beschwerdeführer in seinem gemäß Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens:

2.2.1.1. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. März 1995, B2259/94, mit näherer Begründung ausführte, hat die Behörde in jedem Fall, in dem die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen ungesicherten Lebensunterhalts und/oder Fehlens einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in das Grundrecht des Fremden auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingriffe, zu prüfen, ob die Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen, insbesondere mit Rücksicht auf das "wirtschaftliche Wohl des Landes" und den "Schutz der Gesundheit", notwendig ist, und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Bindungen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2.2.1.2. Ein Eingriff in das durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheids eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage denkunmöglich anwendete; dies trifft nur zu, wenn die Behörde einen Fehler beging, der so schwer wiegt, daß er mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/ 1988).

2.2.1.3. Ein derartiger Fehler ist der Behörde im vorliegenden Fall anzulasten:

Sie hat sich nämlich in verfehlter Weise über die Tatsache des mehrjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers und seiner Familie in Österreich hinweggesetzt und die nach dem Gesagten gebotene Interessenabwägung vollkommen unterlassen (s. zB VfGH 12.6.1995 B1599/94 ua.).

2.2.2. Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben.

2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2178.1995

Dokumentnummer

JFT_10049074_95B02178_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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