TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/13 W144 2199589-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2020
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Entscheidungsdatum

13.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W144 2199589-2/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX auch XXXX auch XXXX , XXXX alias XXXX geb., StA. von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2019, Zl. 1107753509/181133810 EAST Ost, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein männlicher Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken und und der Glaubensrichtung des Islam an.

Am 05.10.2015 stellte er einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.05.2018, Zl. 1107753509/160372735, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen Spruchpunkt IV), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), gem. § 18 abs. 1 Z 3 BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise des BF gewährt (Spruchpunkt VII.), und unter Spruchpunkt VIII. festgestellt, dass der BF sein recht zum Aufenthalt mit 15.12.2017 verloren hat. Letztlich wurde über den BF gem. § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 10 Jahren verhängt (Spruchpunkt IX.)

Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, nicht nur das gesamte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubhaft, sondern der Beschwerdeführer erscheine auch selbst als Person unglaubwürdig. Dies könne darauf zurückgeführt werden, dass er seit seiner Antragstellung, bis hin zu seiner Einvernahme, wissentlich und absichtlich falsche Angaben zu seiner Person und zu seiner Familiensituation gemacht habe.

Auch die vom Beschwerdeführer als Beweismittel vorgelegten Zeugnisse würden augenscheinlich Fälschungen darstellen, weil auf diesen ganz andere Geburtsdaten, als von Beschwerdeführer angegeben, aufscheinen würden.

Es seien weder die Darstellung der handelnden Personen noch die zeitliche Abfolge seiner Fluchtgeschichte glaubhaft bzw. nachvollziehbar.

Im Einzelnen wurden sodann näher dargelegte Widersprüche aufgezeigt.

Hinsichtlich seines Spionagevorbringens habe der Beschwerdeführer angegeben, auch Probleme durch seine Tätigkeit als Spion für die Amerikaner gehabt zu haben und bedroht worden zu sein. Als er nach der Bedrohung befragt worden sei, habe er gesagt: „Vor mir hat jemand anderer dort gearbeitet, der wurde umgebracht“. Eine tatsächliche Bedrohung oder Verfolgung gegen seine Person habe er nicht vorgebracht. Daher könne davon ausgegangen werden, dass auch dieses Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche.

Gegen diese Entscheidung erhob der BF fristgerecht Beschwerde und beantragte dem BF den Status des Asylberechtigten, in eventu, den des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und daher festzustellen ist, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vorliegen und daher gem. § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel gem. § 55 AsylG 2005 bzw. 57 leg. cit. von Amts wegen zu erteilen sei, den bekämpften Bescheid zu beheben und das Verfahren zur Verfahrensergänzung an das Bundesamt zurückzuverweisen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen, das verhängte Einreiseverbot aufzuheben oder seine Dauer herabzusetzen, sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.07.20189, Zl. W202 2199589-1/2E, wurde die Beschwerde gegen diesen Bescheid des BFA abgewiesen. Begründend hat das BVwG im Wesentlichen wie folgt festgestellt und beweiswürdigend erwogen:

„1. Feststellungen (Sachverhalt):

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, stammt aus der Provinz Parwan, Distrikt Bagram und ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer besuchte in Kabul zehn Jahre die Schule und zwei Jahre eine Universität, wo er Pharmazie studiert hat. Er ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er beherrscht die Sprachen Dari, Paschtu, Urdu und Englisch. Er verfügt über Arbeitserfahrung im Herkunftsland. In seinem Herkunftsland sind die Eltern, eine Schwester und ein Bruder des Beschwerdeführers aufhältig. Weiters leben dort zwei Onkel und eine Tante mütterlicherseits.

Nicht festgestellt werden kann das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer konkreten Bedrohungssituation in Afghanistan, wonach er und seine Familie sich mit einer anderen Familie in einer Blutfehde befänden, sowie er als Spion tätig gewesen sei.

Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) im März 2016 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 11.03.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Verwandten, er hat Freunde und eine Freundin, mit der er jedoch nicht zusammen lebt. Der Beschwerdeführer hat ein Deutschdiplom auf dem Niveau A1 erworben. Der Beschwerdeführer ist in die Grundversorgung einbezogen.

Der Beschwerdeführer wurde am 15.12.2017 in Untersuchungshaft genommen.

Mit rechtskräftigem Urteil des LG Steyr vom 19.04.2018, Zl.: XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Begehung des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall, Abs. 2 SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt. Der Vollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 16 Monaten wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von März 2017 bis Dezember 2017 vorschriftsmäßig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut mit einem Reinsubstanzgehalt von 13,52 % THCA und 1,3 % Delta 9-THC in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge anderen zum Grammpreis von € 10,– überlassen hat. Demnach hat er insgesamt 1.292,5 Gramm Cannabiskraut an 26 Personen veräußert. Festgestellt wird, dass eine Vielzahl der Abnehmer des Beschwerdeführers im Tatzeitraum minderjährig war.

Als erschwerend wurde dabei angesehen der lange Tatzeitraum, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, als mildernd das teilweise Geständnis und die Unbescholtenheit.

(Weiters wurden umfassende Feststellungen zur allgemeinen politischenund menschenrechtlichen Lage in afghanistan getroffen.)

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu Volksgruppe, Herkunft, Familienangehörigen im Herkunftsland, Sprachkenntnissen, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand ergeben sich aus dem bloß diesbezüglich glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers. Die Feststellung zum Deutschkurs ergibt sich aus einem im Akt liegenden Diplom.

Die Feststellungen zu der Verurteilung des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Urteil, die Feststellung zur Minderjährigkeit einer Vielzahl seiner Abnehmer ergibt sich aus einem im Akt liegenden Polizeibericht.

Die Feststellung zur Einbeziehung des Beschwerdeführers in die Grundversorgung ergibt sich aus dem Auszug aus dem Grundversorgungsinformationssystem vom 29.06.2018.

Die allgemeine Lage ergibt sich aus den schon vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angeführten Quellen, auf deren Unbedenklichkeit schon das Bundesamt in zutreffender Weise hinwies. Der Beschwerdeführer ist nach dem Vorhalt im Zuge der Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der Beschwerde den allgemeinen Feststellungen nicht substantiiert entgegengetreten. Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte, wonach sich die allgemeine Lage zwischenzeitig in einer Weise verändert hätte, die von Amts wegen wahrzunehmen wäre. In der Beschwerde werden zwar umfangreiche Länderinformationen dargetan, die aber kein wesentlich anderes Bild zeichnen.

Hinsichtlich der individuellen Fluchtgründe schenkte schon das Bundesamt dem Beschwerdeführer keinen Glauben, wobei es dies in ausreichend schlüssiger Weise dargetan hat. Es hat ein mangelfreies Verfahren geführt und es hat in der Begründung die Ergebnisse, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Auf die diesbezüglich oben zusammengefassten Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid wird verwiesen.

So zeigte die belangte Behörde nachvollziehbar auf, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren durchwegs nicht nachvollziehbare und vielfach widersprüchliche Angaben tätigte. Der Beschwerdeführer tätigte zu seinem Geburtsdatum unterschiedliche Angaben, ebenso hinsichtlich seiner Geschwister, was bereits, wie vom Bundesamt aufgezeigt, die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers erschüttert. In der Beschwerde wurde zwar behauptet, dass der Beschwerdeführer nervös gewesen sei, sein richtiges Geburtsdatum sei der XXXX , was aber mit seinen Angaben zu seinem Schulbesuch, der Beschwerdeführer behauptete in seiner Erstbefragung, dass er von 1984 bis 1996 die Grundschule in Kabul besucht habe, ebenfalls nicht in Einklang zu bringen ist.

Zutreffend zeigte das Bundesamt weiters auf, dass die Angaben in der Erstbefragung, wo er „bloß“ wegen der Anzeige der Vergewaltigung von der gegnerischen Familie bedroht worden wäre, mit jenen in der Einvernahme gravierend abweichen, wo es zudem zu einem Racheakt am Vergewaltiger gekommen sei und in der Folge zu einem Angriff der gegnerischen Familie, wo zehn bewaffnete Personen das Haus der Familie des Beschwerdeführers gestürmt hätten. Dem tritt die Beschwerde auch nicht substantiiert entgegen. Es kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer den Angriff der gegnerischen Familie auf das Haus der Familie des Beschwerdeführers nicht erwähnt hätte, wenn sich dies tatsächlich zugetragen hätte.

Was zudem gegen eine akute Bedrohung des Beschwerdeführers spricht ist, dass er seinem Vorbringen zufolge noch drei Monate nach dem Überraschungsangriff in seinem Herkunftsort zubringen konnte, bevor er zu seinem Onkel nach Kabul reiste. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Beschwerdeführer, wäre er tatsächlich wie von ihm geschildert bedroht gewesen, früher die Flucht aus seinem Herkunftsort antreten hätte müssen.

Insgesamt hat das Bundesamt ausreichend schlüssig dargetan, warum es dem Beschwerdeführer keinen Glauben schenkte und wie es zu seinen Feststellungen gelangte. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher aus oben angeführten Überlegungen der Beurteilung durch das Bundesamt an, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine persönliche Verfolgungsgefahr in Bezug auf seinen Heimatstaat Afghanistan glaubhaft aufzuzeigen, und wurde dem in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten.“

Dieses Erkenntnis erwuchs mit 09.07.2018 in Rechtskraft.

In der Folge begab sich der BF nach Deutschland und wurde er am 26.11.2018 um 10:10 Uhr nach Österreich rücküberstellt.

Am selben Tag erging ein Festnahmeauftrag seitens des BFA; der BF wurde in der Folge festgenommen und stellte ebenfalls noch am 26.11.2018 den nunmehr gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 26.11.2018 gab der BF im Wesentlichen an, dass seine alten Asylgründe noch immer gelten würden. Diese seien schlimmer geworden, er habe in Afghanistan als Dolmetscher für die englische Sprache bei den Amerikanern gearbeitet, was den Leuten jetzt bekannt sei. Diese Leute würden ihm umbringen, egal wo sich in Afghanistan befinde. Er habe keine Bestätigung mit, aber habe er allgemein eine solche von den afghanischen Behörden, dass er vom Talibankämpfern bedroht werde. Er habe, als er in Österreich und Deutschland gewesen sei, von seiner Familie erfahren, dass er im Falle der Rückkkehr umgebracht werden würde.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 22.01.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte der BF ausdrücklich vor, dass er weder Beweismittel noch identitätsbezeugende Dokumente habe, die er vorlegen könne - er habe „nichts“. Seine Fluchtgründe aus dem Erstverfahren würden noch bestehen und seien noch aufrecht. Auf die Frage, ob auch neue Fluchtgründe habe, erklärte der BF ausdrücklich „nein“, aber seine Eltern hielten sich derzeit in Griechenland auf, diese seien im Jahr 2018 ausgereist. Er habe keine Familienangehörigen mehr in Afghanistan, alle würden im Ausland leben. Nach Vorhalt, dass über seinen Asylantrag bereits einmal rechtskräftig entschieden worden sei und seinem neuerlichen Antrag res iudicata entgegenstehen würde, erklärte der BF, dass es ihm leid tue, dass er in der Vergangenheit Drogen verkauft habe. Seine Eltern seien nach Griechenland gereist, weil diese von den Feinden bedroht worden seien. Sein Leben sei in Afghanistan in Gefahr. Er habe als Dolmetscher bei der amerikanischen Armee gearbeitet. Aufgrund seiner Tätigkeit würde er von seinen Feinden bedroht werden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13.02.2019 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurück. Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

Zum Sachverhalt und beweiswürdigend erwog das BFA, dass der BF in der Einvernahme angegeben habe, dass seine Fluchtgründe aus dem Erstverfahren noch aufrecht seien, sodass er im gegenständlichen Verfahren keine neuen Fluchtgründe vorgebracht habe. Sein Vorbringen habe sich auf einen Sachverhalt bezogen, welche bereits Gegenstand seines Erstverfahrens gewesen sei. Der maßgebliche Sachverhalt habe sich somit seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert und sei für die Behörde kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt feststellbar.

In rechtlicher Hinsicht wurde zu den Spruchpunkten I. und II. ausgeführt, dass weder in der maßgeblichen Sachlage - und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen sei, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen sei -, noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, sodass die Rechtskraft des Erstverfahrens dem neuerlichen Antrag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten entgegenstehe, weswegen das Bundesamt zu einer Zurückweisung (des Folgeantrags) verpflichtet sei.

Gegen diesen, frühestens am 15.02.2019 zugestellten, Bescheid erhob der BF im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, worin geltend gemacht wurde, dass sich die Lage im Herkunftsstaat für den BF verschlimmert habe. Auch die Familie des BF sei von den Personen, vor denen der BF geflohen sei, wiederkehrend bedroht worden, sodass auch die Eltern des BF aus Afghanistan flüchten hätten müssen und sich nunmehr in Griechenland befänden. Die Würdigung der Behörde, wonach der BF keinen neuen Sachverhalt vorgebracht habe, sei aktenwidrig getroffen worden. Aufgrund der weiteren intensiven Bedrohung des BF und seiner Familie hätten sich seine Eltern gezwungen gefühlt, Afghanistan zu verlassen. Das BFA habe unterlassen nachzufragen, warum die Familie des BF aus Afghanistan geflohen sei. Weiters wurden allgemeine Ausführungen zur generellen Lage in Afghanistan erstattet.

In der Folge wurde am 03.09.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten, um zu ermitteln, ob dem nunmehrigen, neuerlichen Antrag des BF ein neuer Sachverhalt bzw. ein (neuer) glaubhafter Kern seines vormals als unglaubwürdig erkannten Vorbringens zugrunde liegt:

Zum Themenkreis einer Bedrohung des BF aufgrund seiner Tätigkeit als Dolmetsch für die Amerikaner brachte dieser in der Verhandlung Folgendes vor bzw. antwortete auf Fragen wie folgt:

R: Sie haben beim zweiten Asylantrag auch vorgebracht bedroht zu werden, weil Sie als Dolmetsch gearbeitet hätten. Können Sie hier Näheres ausführen?

BF: Das ist ein anderes Vorbringen von mir. Ich habe etwa zwei oder drei Monate in der Bagram Basis für Amerikaner im Militärbereich gearbeitet. Die Bewohner des Gebietes haben mich aufgrund meiner Tätigkeit für Amerikaner bedroht.

R: Wann und wo und in welcher Form waren diese Bedrohungen?

BF: Wann es war, weiß ich nicht mehr, aber sie waren die Bewohner von dem Ort, sie kamen einige Male zu mir und haben mir vorgehalten, dass ich für die Amerikaner am Flughafen arbeite, aufgrund dessen wurde ich bedroht.

R: Sind Sie bedroht worden oder hat man nur gesagt, dass Sie für die Amerikaner arbeiten. Gab es konkret etwas?

BF: Sie kamen zu mir und fragten mich, warum ich für die Amerikaner arbeite. In Afghanistan beginnt es so, dass eine Person kommt und fragt. Ich wurde von niemanden bedroht während ich dort gearbeitet habe, weil ich immer heimlich in die Arbeit gegangen bin, aber in dem Ort wo ich wohnte haben die Bewohner von meiner Tätigkeit erfahren. Die gegnerische Gruppe von uns hat auch von meiner Tätigkeit erfahren.

R: Also heißt das, vor Ihrer Ausreise gab es keine konkrete Bedrohung, sondern nur Gespräche?

BF: Aufgrund meiner Arbeit bin ich nicht bedroht worden, aber seitens unserer gegnerischen Gruppe wurden wir bedroht. Wir hatten Angst um unser Leben, deswegen konnten wir uns nicht in der Öffentlichkeit frei bewegen.“

Zum Themenkreis des nächtlichen Überfalls seitens einer Personengruppe und der Ermordung verschiedener Verwandter gab der BF nach Vorhalt folgendes an:

R: Die Grundgeschichte war, im Zuge dieses Angriffs von den 10 Personen ist eine Person dieser Gruppe getötet worden und ein Cousin von Ihnen. Später wurde dann noch ein Cousin getötet. Ist das, so wie Sie gesagt haben, so gewesen oder gab es da noch andere Ermordete?

BF: Ja korrekt, ich möchte aber ergänzen, dass im Zuge dieses Konfliktes auch meine Schwester verletzt wurde.

R: Erstinstanzlich findet sich Ihre Aussage auf AS 771 dass nach dem besagten Vorfall (Überfall der 10 Personen) ein Cousin väterlicherseits (vs) und einer mütterlicherseits (ms) umgebracht worden seien. Dies bedeutet, dass nach den damaligen Angaben nach dem Überfall noch zwei Verwandte ermordet worden wären, während Sie heute bestätigen, dass es nur einer gewesen sei.

BF: Es kann sein, dass es Widersprüche gibt, damals kannte ich mich nicht aus, davon abgesehen war ich sehr erschöpft, weil ich drei Monate lang auf dem Weg nach Österreich war. Es kann auch sein, dass ich einige Aussagen nicht der Reihe nach getätigt habe.

R: Die Aussage stammt vom April 2018, da war der Weg von der Einreise nach Österreich schon lange vorbei.“

In der Beschwerdeverhandlung vorgelegt wurden zwei afghanische Schriftstücke in Kopie bzw. Vorder- und Rückseite eines Schreibens [(Polizei)-Bericht(e), aus welchen hervorgehen soll, dass der BF aufgrund von Streitigkeiten mit anderen verfolgt ist].

Diese Schriftstücke wurden einer amtswegigen Übersetzung zugeführt und haben folgenden Inhalt:

1. Seite

„Sehr geehrte Dorfälteste, Dorfvorsteher (Malek) und Ratsvorsitzender des Bagram Distriktes der Provinz Parwan,

Mein Schwiegersohn XXXX von XXXX Anwohner von XXXX Distrikt Bagram war als Mitarbeiter für ISAF Truppen in Flughafen Bagram tätig. Im Jahr 1394(2015/2016)wurde sein Haus in der Nacht von der Regierungsfeindlichen Gruppierung unter der Führung von XXXX bekannt als ( XXXX ) gestürmt und er wurde bei einem Kalaschnikow Schuss schwer verletz und Folge der Verletzung wurde er 3 Monaten im Notfallspital Kabul (Emergency Hospital) behandelt. Wir wollten den Vorfall offiziell anzeigen und die Täter von der Seite von der Regierung und zu Rechenschaft gezogen werden. Aber sie waren bewaffnet. Wir (nicht lesbar) wurden von den Tätern/ Regierungsfeindlichen Gruppierung bedroht. Mein Sohn XXXX hat ebenfalls in Flughafen Bagram als Mitarbeiter gearbeitet.

Mein Sohn war mit XXXX Sohn von Abduljabbar, der ein Soldat der National Armee und auch Enkelkind meines Onkels Väterlicherseits war, immer wieder unterwegs. XXXX wurde auch von den gleichen Personen getötet.

-        Namen, Stempel unleserlich –

-        

Aus dem Grund um sein Leben in Sicherheit zu bringen, ist mein Sohn ins Ausland geflüchtet weil er bedroht wurde und in Lebensgefahr war. Das war der Sachverhalt der Sache, ich ersuche um Bestätigung.

Hochachtungsvoll“

2. Seite:

„An Verwaltung des Distrikts Bagram:

Hiermit bestätigen wir, die Dorfältesten und der Dorfvorsteher (Malek) XXXX den oben genannten Vorfall und die Tötung von 2 Personen jeweils XXXX und XXXX bzw. die Bedrohung gegen XXXX durch die regierungsfeindlichen Gruppierung und die mafiöse Gruppierung.

Hochachtungsvoll

-        Diverse Fingerabdrücke - „

Diese Übersetzung wurde in der Folge mit hg. Schreiben vom 01.10.2020 den Parteien zum Zwecke des Parteiengehörs übermittelt.

Mit Schreiben vom 12.10.2020 teilte der BF mit, dass zur obzitierten Übersetzung keine weitere Stellungnahme erfolgen werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der oben dargelegte Verfahrensgang.

Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, stammt aus der Provinz Parwan, Distrikt Bagram und ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer besuchte in Kabul zehn Jahre die Schule und zwei Jahre eine Universität, wo er Pharmazie studiert hat. Er ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er beherrscht die Sprachen Dari, Paschtu, Urdu und Englisch. Er verfügt über Arbeitserfahrung im Herkunftsland.

Der BF ist gesund und benötigt keine Medikamente.

Nicht festgestellt werden kann, dass das bereits im Erstverfahren als unglaubwürdig erkannte Vorbringen des BF zu einer konkreten Bedrohungssituation in Afghanistan, wonach er und seine Familie von einer anderen Familie bzw. einem mafiösen Clan bzw. den Taliban bedroht worden sind oder im falle der Rückkehr bedroht werden würden, sowie dass er wegen seiner kurzen (3 Monate) Tätigkeit als Dolmetsch bedroht worden ist, nunmehr einen glaubhaften Kern aufweist.

Dem gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz liegt kein neuer Sachverhalt zugrunde.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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