Entscheidungsdatum
29.10.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W208 2217057-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst – ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 25.02.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 21.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am darauffolgenden Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt (AS 23-35). Dabei gab er an, aus Damaskus in Syrien zu stammen und vor 7 Monaten mit einem PKW legal über den Libanon in die Türkei ausgereist zu sein. In der Türkei sei er dann 6 Monate aufhältig gewesen. Von der Türkei aus sei er in weiterer Folge schlepperunterstützt illegal weitergereist. Der BF gab darüber hinaus an, über eine 7-jährige Schulausbildung zu verfügen sowie eine Ausbildung zum Schneider absolviert zu haben. Er sei diversen Beschäftigungen im Bereich des Verkaufes nachgegangen. Er sei sunnitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Araber. Außerdem gab der BF an seit dem 01.01.2001 geschieden zu sein. Seine Mutter sei bereits verstorben, sein Vater sowie 2 seiner Brüder und 2 seiner Schwestern würden sich in Ägypten aufhalten. Er selbst habe auch ein Visum für Ägypten, ausgestellt am 23.10.2013 und gültig bis zum 21.01.2014, erhalten. 3 weitere Brüder sowie eine Schwester des BF würden sich weiterhin in Syrien befinden. Ein Bruder des BF lebe darüber hinaus in Saudi-Arabien, eine Schwester halte sich in der Türkei auf und ein weiterer Bruder befinde sich in Deutschland. Zudem habe der BF drei Kinder, wovon eine Tochter in Saudi-Arabien lebe, eine weitere Tochter sich im Libanon befinde und der Sohn des BF unbekannten Aufenthaltes sei. Befragt, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete der BF, dass sein Haus und Auto durch Bomben zerstört worden seien. Bei seiner Schwester in Damaskus habe er daraufhin nur kurzfristig unterkommen können. Er habe dann in weiterer Folge bezüglich seines Aufenthaltes zwischen Saudi-Arabien, Ägypten und dem Libanon gewechselt. Als er sich wieder in Syrien aufgehalten habe, sei er durch Assad-Anhänger zur Zahlung von Schutzgeld erpresst worden. Er habe sich deshalb nicht mehr sicher fühlen können und sei schlussendlich geflüchtet. Die Rückübersetzung und die Verständlichkeit wurden bestätigt (AS 33).
2. Am 22.02.2016 wurde dem BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG erteilt, wodurch diesem zur Kenntnis gebracht wurde, dass gemäß der Dublin-Verordnung Konsultationen in Form einer Anfrage mit Slowenien geführt werden würden (AS 39 ff.).
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AslyG vom 14.04.2016 (AS 99 ff.) wurde dem BF vom BFA gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG die Verpflichtung mitgeteilt, dass ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen sei.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG vom 14.04.2016 (AS 117 ff.) wurde dem BF mitgeteilt, dass es beabsichtigt sei, den Antrag des BF auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da eine Zuständigkeit des Dublinstaates Kroatien (HR) angenommen werde.
3. Am 29.09.2016 wurde der BF vor dem BFA im Beisein einer Dolmetscherin für die arabische Sprache das erste Mal niederschriftlich einvernommen (AS 183-191). Dabei erklärte er, dass er an Diabetes II leide und aufgrund dessen Medikamente erhalten habe. Des Weiteren versicherte der BF, dass seine bis zu diesem Zeitpunkt im Verfahren gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Er gab zudem an, dass sein Sohn, namens XXXX , geboren am XXXX mit der IFA-Zahl: XXXX , (im Folgenden: A) in XXXX , Österreich, lebe und dessen Verfahren bereits positiv entschieden worden sei. Der BF sei nur wegen seines Sohnes nach Österreich gekommen und dieser unterstütze ihn auch finanziell, solange der BF über keinen Aufenthaltstitel verfüge. Der BF erläuterte darüber hinaus, dass er in keiner familienähnlichen Lebensgemeinschaft lebe. Eine schriftliche Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Kroatien habe er nicht vorbereitet und eine entsprechende mündliche Stellungnahme wolle er nicht abgeben, da er keine falschen Geschichten erzählen wolle. Er wisse nicht einmal, wann er in welchem Land war. Er betonte abschließend noch einmal, dass er nur wegen seines Sohnes nach Österreich gekommen sei und sehr glücklich sei, dass sich dieser in Österreich in Sicherheit befinde. Den Dolmetscher habe er einwandfrei verstanden und habe er keine Einwendungen gegen die Rückübersetzung (AS 189 und AS 191).
4. Mit Bescheid des BFA vom 11.10.2016 (AS 193-226) wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung dieses Antrages sei gemäß Art. 13 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates Kroatien zuständig (Spruchpunkt I.). Gemäß § 61 Abs. 1 Z. 1 FPG wurde gegen den BF die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des BFs nach Kroatien zulässig (Spruchpunkt II.).
Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.10.2016, Zl.: XXXX , erhob der BF, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG und der Zulässigkeit der Abschiebung nach Kroatien bzw. Außerlandesschaffung des BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG am 21.10.2016 Beschwerde (AS 265-287).
Mit Beschluss vom 12.12.2016, W241 2138984-1/5E (AS 425-436), gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der obengenannten Beschwerde vom 21.10.2016 gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG statt und behob den bekämpften Bescheid vom 11.10.2016. Zusammengefasst begründete das BVwG diese Entscheidung damit, dass der vorliegende Sachverhalt, hinsichtlich der Ein- bzw. Durchreise des BF durch die Europäische Union, so mangelhaft sei, dass eine Ergänzung desselben unvermeidlich erscheine, wodurch der Beschwerde stattzugeben gewesen sei.
5. Am 02.03.2017 wurde der BF das zweite Mal vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen (AS 509-513). Der BF legte im Rahmen dieser Einvernahme ein Schreiben seines Sohnes, A, vor. Einleitend gab der BF abermals an, dass seine, im Rahmen der Erstbefragung getätigten, Angaben richtig, vollständig und wahrheitsgetreu seien. Darüber hinaus erläuterte der BF, dass er auch in Deutschland einen Asylantrag gestellt habe, als ihm in Österreich gesagt worden sei, dass er nach Kroatien zurück müsse. Er habe Angst bekommen und sei deswegen nach Deutschland weitergereist, jedoch in Folge, als ihm die Diakonie das Erkenntnis des BVwG zugeschickt habe, wieder retour nach Österreich gekommen. Insgesamt sei er einen Monat und 3 Tage in Deutschland aufhältig gewesen. Auf Nachfrage des Leiters der Amtshandlung gab der BF an, dass er in keinem anderen Land ein Visum erhalten habe und auch in Kroatien keinen Asylantrag gestellt habe. Österreich sei von Beginn an sein Zielland gewesen. Die Polizei habe ihn und die anderen reisenden Flüchtlinge immer gefragt wohin sie reisen würden und in Folge die Weiterreise ermöglicht bzw. die entsprechende Weiterreise mit Zügen organisiert. Sie seien staatlich organisiert von Mazedonien weitergereist. Es habe keine Verständigungsprobleme mit dem Dolmetscher gegeben und habe er keine Einwendung gegen die Rückübersetzung.
6. Am 18.09.2018 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Vollmachtsbekanntgabe des BF für den MigrantInnenverein St. Marx ein.
7. In der dritten niederschriftlichen Einvernahme des BF vor dem BFA vom 11.10.2017 (AS 565-579) gab dieser erneut an, dass er an Diabetes leide und deswegen Medikamente nehmen müsse. Des Weiteren führte der BF aus, dass er in Syrien niemanden mehr habe. Er befinde sich in Österreich in der Grundversorgung und besuche, abgesehen von einem Deutschkurs, keine Kurse, Schulen, Vereine oder Universitäten. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er Syrien wegen des Krieges verlassen habe. Es habe keine Sicherheit mehr gegeben, das Regime und auch die Opposition habe immer alles gestohlen. Die Bombardierungen und der Beschuss sei 2013 von allen Seiten erfolgt. Sein Auto und sein Haus seien im Zuge dessen zerstört worden und er sei krank geworden. Somit habe er 2013 beschlossen sein Heimatland zu verlassen. Im Falle seiner Rückkehr nach Syrien befürchte er von den Kriegsparteien, sprich dem syrischen Regime als auch der Opposition, getötet zu werden. Dies, da er seinem Sohn zur Flucht verholfen habe, bevor er selbst geflohen sei. Die Kriegsparteien hätten seinen Sohn haben wollen bzw. seien hinter diesem her gewesen. Der Sohn der jetzt in Österreich lebe, könne ihn nicht unterstützen. Er habe auch keine Pension und müsste ihn Syrien sterben.
Anschließend wurde mit dem BF erörtert, auf welcher Basis und unter Zugrundelegung welcher Länderfeststellungen das BFA im konkreten Fall zur Entscheidung gelangen werde. Im Zuge dessen stellte das BFA fest, dass in concreto keine asylrelevante Verfolgung vorliege, der BF die von ihm vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft gemacht habe bzw. die vorgebrachten Gründe keine Asylrelevanz aufweisen würden und nicht den Behörden des Herkunftsstaates des BF zurechenbar seien sowie nicht die erforderliche Intensität erreichen würden. Zudem wurde das Vorliegen einer absolut tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative festgestellt. Eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung wurde nicht festgestellt. Es sei dem BF zuzumuten, selbst unter durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt, nach einer Beschäftigung zu suchen bzw. seinen Lebensunterhalt durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten zu verrichten. Aufgrund der Kürze des Aufenthaltes des BFs als auch der fehlenden familiären sowie privaten Bindungen in Österreich stelle eine Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens dar. Der BF erörterte daraufhin, dass ihm im Libanon gesagt worden sei, dass ihn die syrischen Behörden verfolgen würden. Auf Nachfrage schilderte der BF, dass ihm dies von seinen Nachbarn gesagt worden sei. Beweise könne er keine vorlegen da er niemanden mehr in Syrien habe. Er habe den Dolmetscher sehr gut verstanden und keine Einwendungen gegen die Rückübersetzung.
8. Der BF erhob am 13.12.2018, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, hinsichtlich seines Antrages auf Gewährung von internationalem Schutz vom 11.10.2017 Säumnisbeschwerde (AS 587 f.), welche am selben Tag beim BFA einlangte.
9. Am 29.01.2019 wurde der BF ein viertes Mal vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen (AS 601-608). Hierbei gab der BF an, dass er seit 13 Jahren geschieden sei, 9 Jahre lang die Grundschule besucht habe sowie den Beruf des Schneiders ausgeübt habe. Er besitze kein Vermögen und präzisierte seine bisherigen Angaben hinsichtlich seines Herkunftsortes dahingehend, dass er aus XXXX , einem Ort in der nahen Umgebung von Damaskus, stamme. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er einerseits wegen des Krieges und andererseits aufgrund des Umstandes, dass er von den syrischen Behörden, genauer dem syrischen Geheimdienst, gesucht werde, geflohen sei. Der dritte Grund sei gewesen, dass er bei seinem Sohn habe sein wollen.
Im August bzw. September 2012 sei ein Neffe des BF vom Geheimdienst festgenommen worden. Der Vater dieses Neffen, sprich der Cousin des BF, habe seinen Sohn besuchen wollen und sei daraufhin ebenso festgenommen und mit seinem Sohn eingesperrt worden. Sein Cousin sei im Gefängnis getötet worden.
Im November 2012 seien vier Personen des Geheimdienstes in Zivil zum BF nach Hause gekommen. Sie hätten seinen Sohn abholen wollen, da dieser, als sein einziger Sohn, bislang noch nicht beim Militär gewesen sei. Er habe jedoch gelogen und gesagt, dass sein Sohn verreist wäre. Dies habe er getan, um seinen Sohn zu schützen, da sich dieser eigentlich noch in seinem Haus in Syrien aufgehalten habe aber bei ihm (dem BF) gemeldet gewesen sei. Man habe dem BF gesagt, dass man seinen Sohn für den Militärdienst (zwangs)rekrutieren wolle. Nach 2 Tagen seien diese vier Personen des Geheimdienstes erneut zum Haus des BF gekommen. Man habe dem BF zu verstehen gegeben, dass dieser mitgenommen werde, sofern sich sein Sohn nicht melde. Am Tag darauf sei der BF aus Angst um sein Leben legal in den Libanon ausgereist. Sein Bruder, welcher in Saudi-Arabien lebe, habe sich bei einem Familienbesuch in Syrien bei den Nachbarn des BF nach der Lage erkundigt. Diese hätten gesagt, dass der Geheimdienst in der Zwischenzeit 2 oder 3 Mal zum Haus des BF gekommen sei und nach diesem gefragt habe. Sein Bruder habe ihm daraufhin geraten nicht mehr zurückzukehren. Abschließend gab der BF an, über keine privaten Bindungen an Österreich zu verfügen und kein Einkommen abseits der Grundversorgung zu beziehen.
10. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 25.02.2019 (AS 611-711), zugestellt am 27.02.2019, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.02.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).
Das BFA traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität des BF fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass der Fluchtgrund des BF nicht glaubhaft sei und anderweitige asylrelevante Gefährdungen nicht festgestellt hätten werden können. Die grundsätzliche persönliche Unglaubwürdigkeit des BF ergebe sich aufgrund des im Verlauf des Verfahrens erweiterten bzw. widersprüchlichen Vorbringens hinsichtlich der Fluchtgründe. Hierbei wurde die Aussage des BF, welche er im Zuge seiner Erstbefragung vom 22.02.2016 tätigte, angeführt, wonach er aufgrund des Krieges in Syrien geflohen sei. Im Gegensatz dazu stünden die Angaben des BF im Verlauf der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, deren zufolge der BF aufgrund konkreter Verfolgungen bzw. Ermittlungen des syrischen Geheimdienstes gegen seine Person und seines Sohnes geflohen sei. Außerdem habe der BF es unterlassen die von ihm vermeintlich persönlich erlebten fluchtrelevanten Umstände in einer emotionsorientierten Art und Weise zu schildern. Seine Darstellung der Ereignisse lasse darauf schließen, dass er das von ihm geschilderte Vorbringen nicht erlebt habe. Abgesehen von seiner persönlichen Unglaubwürdigkeit sei das fluchtgrundrelevante Vorbringen des BF in höchstem Maße vage, widersprüchlich und unplausibel. So habe der BF als elementares Ereignis seiner Ausreisebegründung vorgebracht, dass ihm in Syrien die Zwangsrekrutierung anstelle seines Sohnes drohe. Aufgrund des Alters und der einschlägigen Berufserfahrung des BF sei es jedoch unglaubhaft, dass dieser für die syrische Armee von großem, militärischen Nutzen sei. Die Schilderungen des BF würden darüber hinaus auch nicht dem üblichen Verhaltensmuster eines Geheimdienstes entsprechen. So hielt es die belangte Behörde insbesondere für unglaubhaft, dass der BF nicht unverzüglich vom Geheimdienst mitgenommen worden sei. Mangels entsprechender die Fluchtgeschichte des BF untermauernder Beweise, der Qualifikation des BFA, sowie aufgrund dessen, dass der BF im Zuge des Verfahrens versucht habe seine Fluchtgründe in jegliche Richtung auszuweiten, sei die belangte Behörden schlussendlich zu dem Resultat gelangt, dass das konkrete Vorbringen als unwahr einzustufen war.
Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA damit, dass eine Gefährdung für Leib und Leben derzeit für jede Person innerhalb des syrischen Staatsgebietes zweifelsfrei gegenwärtig sei.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 25.02.2019 (AS 715 ff.) wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem BVwG zur Seite gestellt.
11. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde am 21.03.2019 fristgerecht Beschwerde (AS 729-743) erhoben, welche am selben Tag beim BFA einlangte. Der BF, nunmehr vertreten durch die ARGE-Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst, brachte darin vor, dass er entgegen der Feststellungen der belangten Behörde nicht gesund sei, sondern unter zahlreichen gesundheitlichen Problemen, wie insbesondere Diabetes, hohem Blutdruck und Schlafstörungen leide. Zum Beweis legte der BF der gegenständlichen Beschwerde ein ärztliches Attest vom 12.03.2019 bei (AS 747). Die belangte Behörde verkenne zudem, dass er nicht für sich selbst die drohende Gefahr der Zwangsrekrutierung vorgebracht habe, sondern vielmehr geschildert habe, dass er befürchte vom syrischen Geheimdienst mitgenommen zu werden, da er seinen Sohn, welcher von der Zwangsrekrutierung bedroht sei, nicht an den syrischen Geheimdienst ausgeliefert habe. Des Weiteren führte der BF aus, dass die entsprechende Beweiswürdigung der belangten Behörde oberflächlich sei und sich im Wesentlichen auf das angebliche Fluchtvorbringen hinsichtlich der Gefahr vom syrischen Militär zwangsrekrutiert zu werden beziehe. Bezüglich des, von der belangten Behörde hervorgehobenen, vermeintlich gesteigerten Fluchtvorbringens bzw. allfälliger etwaiger Widersprüche im Laufe des Fluchtvorbringens des BF wies der BF daraufhin, dass Asylwerber, entsprechend der Judikatur des Verfassungsgerichthofes, im Zuge der Erstbefragung nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden dürften. Folglich dürften Widersprüche im Fluchtvorbringen, basierend auf den Angaben des BF bei der Erstbefragung, nicht die Entscheidung der belangten Behörde stützen. Außerdem falle es dem BF aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme schwerer das von ihm Erlebte detailliert und schlüssig widerzugeben. Die gesundheitliche Verfassung des BF sei jedoch weder im Zuge der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahmen noch im Rahmen der Beweiswürdigung der belangten Behörde ausreichend berücksichtigt worden. Abschließend nahm der BF zu der von der belangten Behörde festgestellten allgemeinen persönlichen Unglaubwürdigkeit seiner Person Stellung. Hierbei wies er darauf hin, dass die belangte Behörde, trotz seiner angeblichen generellen Unglaubwürdigkeit, die einschlägigen Feststellungen zur Herkunftsregion, Staatsangehörigkeit, Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit, zu den Familienverhältnissen sowie den sonstigen Lebensumständen des BF auf seine wiederum glaubhaften Angaben stütze.
Der BF führte letztlich aus, dass er aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie von als regimekritisch geltenden Personen, sprich seinem Sohn, welcher sich der Zwangsrekrutierung durch die syrischen Behörden entzogen habe, sowie aufgrund einer ihm selbst unterstellten regimefeindlichen Gesinnung, nämlich aufgrund der Deckung seines Sohnes angesichts der diesem drohenden Zwangsrekrutierung, eine aktuelle und ausreichend wahrscheinliche Verfolgungsgefahr durch das syrische Regime befürchten müsse. Dazu komme noch, dass seine Asylantragstellung in Österreich an sich dazu geeignet sei, ihm eine regimekritische Haltung von Seiten der syrischen Behörden zu unterstellen. Verbunden mit dieser Beschwerde stellte der BF die Anträge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen sowie den angefochtenen Bescheid zu beheben und ihm den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AslyG zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid, im angefochtenen Umfang, ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
12. Die gegenständliche Beschwerde und die Verwaltungsakten, wurden vom BFA vorgelegt und sind am 05.04.2019 beim BVwG eingelangt (ON 1).
13. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 30.04.2020 wurde das Beschwerdeverfahren, aufgrund der Versetzung in den Ruhestand des ursprünglich zuständigen Richters, neu zugewiesen (ON 6).
14. Am 15.05.2020 legte die Rechtsvertretung einen „Ärztlichen Befundbericht“ eines neurologischen Psychiatrischen Zentrums vom 27.03.2020 vor, wonach der BF an einer „Depressio“ leide, Medikamente (DULOXETIN) verschrieben bekommen habe und in zwei Wochen zur Kontrolle bestellt sei (ON 2).
15. Am 05.08.2020 wurde für den 09.10.2020 eine Verhandlung anberaumt und auf die vom BVwG dazu herangezogenen Länderberichte der Staatendokumentation (Stand: KI 17.10.2019) hingewiesen (ON 7). An der Verhandlung nahmen der BF und seine Rechtsvertretung teil und wurde ein Zeuge (der Sohn des BF, A) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eingehend befragt. Das BFA nahm aus dienstlichen Gründen nicht an der Verhandlung teil, beantragte aber die Abweisung der Beschwerde und die Übermittlung der Verhandlungsschrift (ON 8).
In der Verhandlung wurde die Kopie von zwei Seiten des Militärbuches des Sohns des BF, A, (Beilage 1 und 1a) sowie ein Foto vorgelegt, dass nach den Aussagen des BF sein zerstörtes Haus zeige (Beilage 2). Dem in der Verhandlung erteilten Auftrag das vollständige Militärbuch im Original unverzüglich dem BVwG vorzulegen, wurde nachgekommen (ON 11). Daraus ergibt sich, dass der Sohn des BF mehrfach Aufschübe seines Wehrdienstes beginnend mit dem Jahr 2000 erhalten hatte, weil er ein Einzelkind war. Die Aufschübe waren jeweils befristet und waren jeweils damit begründet, dass der Sohn des BF „noch“ Einzelkind sei. Im letzten eingetragenen Aufschub datiert mit 28.03.2011 wird „endgültig“ bestätigt, dass der Sohn des BF ein Einzelkind ist (Übersetzung der Einträge - ON 12).
Das BVwG holte einen aktuellen Strafregisterauszug des BF ein, der dem BF Unbescholtenheit bescheinigt ein. Ebenso beschafft wurden die Niederschriften des Sohnes des BF, A, die im Zuge dessen Asylverfahrens angefertigt wurden und in der Verhandlung der Rechtsvertretung zur Kenntnis gebracht wurden (ON 9).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Gesamtaktualisierung am 13.05.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 17.10.2019 (LIB) ergibt sich wie folgt:
Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen
Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defense Forces (NDF) (USDOS 13.3.2019). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von Verwandten oder engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 13.11.2018). Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten, einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung und Korruption bekannt. Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 13.3.2019).
Russland, Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).
Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade) wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde (Kozak 28.12.2017).
Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei
Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen der Polizei: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei („riot police“) (USDOS 13.3.2019).
Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 13.3.2019; vgl. EIP 6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 13.11.2018). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzte Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).
Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; vgl. USDOS 13.3.2019).
Der Sicherheitssektor stellt die allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) wieder her. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).
Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 18.1.2018; vgl. AI 22.2.2018, USDOS 13.3.2019, AA 13.11.2018). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 13.11.2018).
NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 13.3.2019; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 13.11.2018; vgl. AI 22.2.2018).
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018, SHRC 24.1.2019). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).
In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen (SHRC 24.1.2019).
Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung (AA 13.11.2018; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 17.1.2019).
Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen (TWP 23.12.2018).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).
Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS (USDOS 13.3.2019).
Korruption
Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International für das Jahr 2018, liegt Syrien mit einer Bewertung von 13 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 178 von 180 untersuchten Ländern (je höher desto schlechter) (TI o.D.).
Korruption war bereits vor dem Bürgerkrieg weit verbreitet und beeinflusste das tägliche Leben der Syrer (FH 1.2017). Das Gesetz sieht strafrechtliche Konsequenzen für amtliche Korruption vor, die Regierung setzt diese jedoch nicht effektiv durch. Beamte üben häufig korrupte Praktiken aus, ohne dafür bestraft zu werden. Korruption ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem bei Polizei, Sicherheitskräften, Migrationsbehörden und in der Regierung (USDOS 13.3.2019).
Mitglieder und Verbündete der Herrscherfamilie sollen einen großen Teil der syrischen Wirtschaft kontrollieren oder besitzen. Auch sichert sich die Regierung durch die Bevorzugung bestimmter Firmen und Vergabe von vorteilhaften Verträgen etc. Loyalität. Sogar die grundlegendsten staatlichen Dienstleistungen sind von der demonstrierten Loyalität der Gemeinde zum Assad-Regime abhängig, womit sich Staatsangestellten zusätzliche Möglichkeiten bieten, Bestechungsgelder einzufordern. Der syrische Bürgerkrieg hat neue Möglichkeiten für Korruption in der Regierung, unter regierungstreuen bewaffneten Gruppen und im Privatsektor geschaffen (FH 1.2018).
Regierungstreue Milizen verlangen beispielsweise für das Passieren ihrer Checkpoints Bestechungsgelder. Das Fünfte Korps verlangt laut Experten von lokalen Gemeinden Gelder für die Gewährleistung von Sicherheit (FIS 14.12.2018). Milizen erpressen Unternehmen und konfiszieren privates Eigentum in unterschiedlichem Ausmaß (FH 1.2018). Auch in der syrischen Armee gibt es eine Tradition der Bestechung Ranghöherer, etwa um eine bessere Position oder einfachere Aufgaben zu erhalten, einen Einsatz an der Frontlinie zu vermeiden oder überhaupt den Wehrdienst selbst zu umgehen (FIS 14.12.2018).
Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).
Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).
Aktuell ist ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).
Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).
Befreiung und Aufschub
Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 7.2019).
Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren (BFA 8.2017). Einem Bericht zufolge gibt es nun in Bezug auf ein Studium als Befreiungsgrund auch Altersgrenzen für den Abschluss des Studiums. Ein weiterer Bericht gibt an, dass gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert wurden (FIS 14.12.2018).
Syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland können sich gegen Zahlung eines „Wehrersatzgeldes“ vom Wehrdienst befreien lassen. Laut Wehrpflichtgesetz Art. 46 von 2012 beträgt diese Zahlung je nach Wohnort zwischen 4.000 und 5.000 USD. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom August 2014 müssen bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren 8.000 USD bezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2.500 USD. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dies auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 21.6.2019). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern der religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und die Mitglieder der Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).
Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers, der bereits eine nicht bekannte Anzahl von Entlassungen folgte (SD 7.12.2017).
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen (TIMEP 6.12.2018).
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).
Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).
Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen (AA 13.11.2018).
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden (BFA 8.2017). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt (FIS 14.12.2018).
Allgemeine Menschenrechtslage
Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter (USDOS 13.3.2019).
Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).
Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).
Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).
Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).
Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).
Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).
Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).
Todesstrafe
Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat, und weitere Delikte die Todesstrafe vor. Vor allem die durch das Regime betriebene unterschiedslose Diffamierung von politischen Gegnern, bewaffneten Rebellen und selbst den syrischen „Weißhelmen“ als „Terroristen“, oder die sehr weite Fassung des Begriffs Hochverrat, ermöglicht den Missbrauch der Todesstrafe zu politischen Zwecken. Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft, worauf ebenfalls die Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Im Jahr 2010 wurden siebzehn Hinrichtungen bekannt. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts liegen jedoch keine offiziellen Zahlen mehr vor. Im Rahmen der Kampfhandlungen seit 2011 kam es zu einer Vielzahl von außergerichtlichen Tötungen und Hinrichtungen, über die keine belastbaren Zahlen vorliegen. Nach Aussagen von freigelassenen Häftlingen gegenüber Amnesty International finden regelmäßig Exekutionen in Gefängnissen statt (AA 13.11.2018). Zwischen 2011 und 2015 wurden etwa 13.000 Gefangene, überwiegend Zivilpersonen, die als Regierungskritiker angesehen wurden, Opfer massenhafter außergerichtlicher Hinrichtungen. Die Gerichtsverfahren vor einem militärischen Feldgericht hätten die internationalen Mindeststandards für faire Gerichtsverfahren bei weitem nicht erfüllt (AI 22.2.2018). Im Verlauf des Jahres 2018 wurde eine steigende Zahl von Todesurteilen, unter anderem vor Feldgerichten in Damaskus ausgesprochen, um die Zahl der politischen Gegner zu verringern (TWP 23.12.2018). Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Menschenrechtsorganisationen berichteten von summarischen Hinrichtungen mutmaßlicher Deserteure. Im Laufe des bewaffneten Konflikts kam es ebenfalls zu Hinrichtungen von gefangengenommenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch zumeist radikalislamische bewaffnete Oppositionsgruppen (AA 13.11.2018). Der sogenannte Islamische Staat (IS) exekutiert Personen, die sich nicht an seine strengen islamischen Regeln halten (USDOS 13.3.2019).
Bewegungsfreiheit
Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens
Die Regierung, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 13.3.2019).
Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018), etwa durch Belagerungen, die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung, Hunger und Todesfällen führten (USDOS 13.3.2019).
Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Laut USDOS sind mittlerweile sogar alle Belagerungen aufgehoben worden (USDOS 13.3.2019).
Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung, konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig, und an den Straßen befinden sich nach wie vor zahlreiche Checkpoints, an denen Soldaten regelmäßig Bestechungsgelder verlangen sollen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit anderen Phasen des Krieges, in denen viele Gebiete unerreichbar waren. Es ist jedoch noch immer schwierig von Rebellen gehaltene Gebiete, zum Beispiel in Idlib oder Nordaleppo, zu erreichen (Reuters 27.9.2018).
Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch