TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/12 I422 2236595-1

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Veröffentlicht am 12.11.2020
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Entscheidungsdatum

12.11.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

I422 2236595-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Slowenien, vertreten durch RA Mag. Bernhard LEHOFER, Kalchberggasse 6/1, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

In Folge der Verhängung der Untersuchungshaft über den Beschwerdeführer, einen slowenischen Staatsangehörigen, am 29.04.2017 informierte die belangte Behörde ihn mit Schreiben vom 03.05.2017 über die beabsichtigte Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Falle einer Verurteilung. Der Beschwerdeführer wurde eingeladen, binnen zweiwöchiger Frist schriftlich zu seinem Aufenthalt in Österreich und zu seinen privaten Verhältnissen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme. Am 22.08.2017 erfolgte eine Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht XXXX wegen Übertretungen nach dem SMG.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 06.10.2020, Zl. XXXX, erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde begründete das Aufenthaltsverbot mit der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers, auf Grund derer von einer besonders verwerflichen inneren Einstellung des Beschwerdeführers ausgegangen werden könne. Es würden außerdem keine Hinweise vorliegen, dass durch das verhängte Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen werden würde. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Anknüpfungen geltend gemacht.

Gegen den Bescheid richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Behebung des Aufenthaltsverbots, in eventu auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung. Der Beschwerdeführer begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass ihm nicht die Gelegenheit gegeben worden sei, Beweismittel vorzulegen, weshalb sein Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich seit seiner Verurteilung vor über drei Jahren wohlverhalten, sodass die jetzige Notwendigkeit eines Aufenthaltsverbotes nicht nachvollziehbar sei. Die belangte Behörde habe auch völlig übergangen, dass der Beschwerdeführer von November 2018 bis Juni 2020 somit seit rund zwei Jahren einer Beschäftigung nachgegangen sei und ein Einkommen erzielt habe. Diesbezüglich wurden Lohnabrechnung von April bis Juni 2020 vorgelegt, aus denen ua. hervorgeht, dass der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum ein Einkommen erwirtschaftete.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo sie am 05.11.2019 einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Slowenien. Seine Identität steht fest.

Der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers befindet sich in Slowenien. Im Bundesgebiet war der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 28.04.2017 bis 22.08.2017 sowie vom 24.07.2020 bis 31.07.2020 melderechtlich erfasst.

Von 09.11.2018 bis 04.09.2020 ging der Beschwerdeführer im Bundesgebiet durchgehend einer legalen Beschäftigung nach.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.08.2017, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter Fall, Abs. 2 Z 3 SMG und nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 14 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt. Es handelt sich um die erste und einzige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Er wurde am selben Tag aus der Strafhaft entlassen.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich zweifelsfrei aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), Fremdenregister (IZR), Strafregister sowie ein Sozialversicherungsauszug wurden ergänzend eingeholt. Aus letzterem ist die Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich von 09.11.2018 bis 04.09.2020 ersichtlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides:

Der Beschwerdeführer ist als slowenischer Staatsangehöriger EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0112).

Außerdem ist auf die privaten und familiären Interessen des Betroffenen Bedacht zu nehmen und unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen persönlichen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 06.10.2020; Ra 2019/19/0332).

Zunächst ist der Beschwerde dahingehend beizutreten, dass im vorliegenden Fall ein äußerst mangelbehaftes Ermittlungsverfahren geführt wurde und wesentliche Ermittlungsschritte unterlassen wurden.

Die belangte Behörde hat sich in ihrer Entscheidung lediglich auf den Umstand der Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich gestützt, jedoch keinerlei Erhebungen hinsichtlich eines allfälligen Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet, einer beruflichen Integration sowie der Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers angestellt. Beweiswürdigend für die Feststellung, dass keine Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet vorliegen würden, führte die belangte Behörde in ihrem Bescheid vom 06.10.2020 aus, dass der Beschwerdeführer das ihm am 03.05.2017 gewährte Parteiengehör nicht wahrgenommen habe. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu festzuhalten, dass eine rund dreieinhalb Jahre alte Aufforderung zur Stellungnahme und deren Nichtbeantwortung keinesfalls geeignet sind, auf ein Nichtvorliegen von Anknüpfungspunkten in Österreich zu schließen. Vielmehr wäre es der belangten Behörde im gegenständlichen Fall zumutbar und im gegenständlichen Fall zwingend erforderlich gewesen, den Beschwerdeführer zu einer niederschriftlichen Einvernahme zu laden oder ihm jedenfalls eine neuerliche Stellungnahme aufzutragen, um so sein Recht auf Parteiengehör zu wahren. Letztlich ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb die belangte Behörde trotz nachweislicher Kenntnis von der rechtskräftigen Verurteilung mit 12.09.2017 offenbar nicht die Notwendigkeit sah, zeitnah ein Aufenthaltsverbot zu verhängen und dies nunmehr – nach verbüßter Haft und offenbar bestandener Probezeit – nachholt.

Dessen ungeachtet ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung eine gravierende Delinquenz gezeigt hat. So handelt es sich insbesondere bei der Suchtgiftkriminalität um ein besonders sozialschädliches und ein die öffentlichen Interessen besonders gefährdendes Fehlverhalten. Durchaus verkennt das Gericht auch nicht, dass das strafrechtswidriges Verhalten des Beschwerdeführers dem Grunde nach eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit indiziert.

Im gegenständlichen Fall handelt es sich jedoch um die erste und einzige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Erschwerend wirkte sich im gegenständlichen Fall das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen aus. Demgegenüber stehen die Milderungsgründe, wonach der Beschwerdeführer die Taten teils als junger Erwachsener begangen hat, er ein reumütiges Geständnis abgab und dass er wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat sowie die Tatsache, dass das Suchtgift teilweise sichergestellt wurde, er sich bislang Wohlverhalten hat und die Taten mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch stehen.

Nicht unberücksichtigt lässt das erkennende Gericht den langen Tatzeitraum und dass in Summe das 15fache der Grenzmenge des § 28b SMG überschritten wurden. Es darf in diesem Zusammenhang darf jedoch auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Beschwerdeführer hiefür eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten ausfasste, wovon ein Teil von zwei Drittel bedingt nachgesehen wurden.

In weiterer Folge ist zu berücksichtigten, ob im gegenständlichen Fall bereits allenfalls ein Gesinnungswandel des Beschwerdeführers eingetreten ist. Dieser ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange sich der Straftäter – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden – etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall – manifestiert hat (vgl. VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184).

Seit seiner Haftentlassung am 22.08.2017 trat der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht mehr strafgerichtlich in Erscheinung und liegt somit eine Wohlverhaltensphase von etwas mehr als drei Jahren vor. Womit sich der Beschwerdeführer auch in der ihm auferlegten Probezeit bewährt hat. Dahingehend ist auch seine während dieser Zeit im Bundesgebiet ausgeübte Tätigkeit zu seinen Gunsten zu berücksichtigten. Wie zuvor bereits erwähnt, ist des Weiteren auch zu berücksichtigen, dass das Strafgericht bei seiner Verurteilung einen Großteil der verhängten Freiheitsstrafen unter Setzung einer Probezeit bedingt nachsehen konnten und dass der Beschwerdeführer bei seiner Verurteilung als „junger Erwachsener“ bestraft wurde. Somit liegt im gegenständlichen Fall trotz der in der Vergangenheit gesetzten, erheblichen Delinquenz des Beschwerdeführers eine gegenwärtige Gefahr nicht mehr vor.

Da aufgrund der vorangegangenen Ausführungen aus dem Verhalten des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt keine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet abgeleitet werden kann, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn unzulässig. In weiterer Folge erübrigt sich eine Prüfung, ob ein etwaiger mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in sein Privat- und Familienleben verhältnismäßig wäre. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht vorliegen, ist der Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.

Dies bedingt auch den Entfall der darauf aufbauenden Spruchpunkte II. (Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes) und III. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) des angefochtenen Bescheides.

Sollte der Beschwerdeführer hinkünftig erneut straffällig werden, wird die belangte Behörde die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.

4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit dem Vorliegen der Voraussetzungen eines Aufenthaltsverbotes und im Besonderen einer Gefährdungsprognose (vgl. VwGH 29.09.2020, Ra 2020/21/0112; 07.09.2020, Ra 2020/20/0184; u.a.) auseinander. Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Ermittlungsmangel ersatzlose Behebung EWR-Bürger Gefährdungsprognose öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Parteiengehör strafrechtliche Verurteilung Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Wohlverhalten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2236595.1.00

Im RIS seit

01.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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