TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/13 I416 2231635-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2020
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Entscheidungsdatum

13.11.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

I416 2231635-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , Staatsangehörigkeit SLOWAKEI, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Slowakei, wurde erstmalig mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 17.Dezember 2019, Zl. XXXX , wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 3 und Abs. 3 zweiter Fall zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wovon 16 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden, rechtskräftig verurteilt. Bezüglich der Strafbemessungsgründe wurden mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel, das teilweise reumütige Geständnis, der teils wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung und die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet, erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, das mehrfache übersteigen der Grenzmenge des §§ 28b SMG und die mehrfache Tatbegehung. Zudem wurde im Urteil festgehalten, dass die Voraussetzungen für eine Diversion nicht vorliegen würden, weil eine Verfahrenseinstellung nicht gleich gut wie eine Verurteilung geeignet sei, die Angeklagte von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.

2. Mit Parteiengehör vom 02.12.2020, bezeichnet als „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“, wurde der Beschwerdeführerin eine Frist von 10 Tagen, zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bezüglich der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, in eventu Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides, verbunden mit der Beantwortung eines umfassenden Fragenkataloges, gewährt. Mit handschriftlichem Schreiben vom 10.12.2019 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie aus der Slowakei kommen würde und dort die Pflichtschule und die Ausbildung als Verkäuferin (Parfümerie-Drogerie) gemacht habe. Sie habe seit Februar 2005 ihren Hauptwohnsitz in XXXX und würden hier auch ihr Ehemann, ihre Tochter, ihre Enkelkinder und ihre Cousine leben. Sie würde die Miete für eine Wohnung bezahlen, sei bei der XXXX Gebietskrankenkasse sozialversichert und habe auch eine private Versicherung bei der DAS. Derzeit sei sie arbeitslos und würde Notstandshilfe vom AMS beziehen. Letztlich führte sie aus, dass sie bereue was Sie gemacht habe und es nie wieder machen würde, weshalb sie um die Aufhebung ihres Aufenthaltsverbotes ersuche.

3. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.03.2020 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen die Beschwerdeführerin ein für die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens des Suchtgifthandels und des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten davon 16 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden sei und sie demnach offensichtlich nicht gewillt sei, sich an die österreichischen Gesetze zu halten. Zudem habe sie sich durch den Handel von Suchtmitteln eine illegale Einnahmequelle verschaffen wollen und stelle ihr angeführtes Fehlverhalten eine erhebliche, tatsächlich und gegenwärtige Gefahr für die Aufrechterhaltung der Volksgesundheit, Ordnung und Sicherheit dar und sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbots daher unabdingbar. Hinsichtlich ihres Privat- und Familienlebens wurde ausgeführt, dass sie ihr Aufenthaltsrecht aufgrund ihrer massiven Straffälligkeit bewusst aufs Spiel gesetzt habe und habe sie im Falle einer Verurteilung mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechnen müssen. Darüber hinaus bestehe aufgrund der geringen Distanz die Möglichkeit ihr Familienleben über moderne Kommunikationsmittel bzw. auch über persönliche Besuche ihrer Familie weiterzuführen. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens, der Lebensumstände, sowie der familiären und privaten Anknüpfungspunkte im Rahmen der Interessenabwägung ergebe, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbot in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um die von der Beschwerdeführerin ausgehende erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern, zudem sei dieser Zeitraum erforderlich, um einen positiven Gesinnungswandel ihrer Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung zu bewirken.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 23.03.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

5. Mit Schriftsatz vom 18.05.2020 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre gewillkürte Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltlicher Rechtswidrigkeit, sowie die Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen müsse und dürfe ein Aufenthaltsverbot nicht dazu verwendet werden, um nach Verbüßung einer gerichtlich verhängten Strafe „nachzuvollziehen“, sondern sei darauf abzustellen ob die Betroffene weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ruhe Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Die Beschwerdeführerin bereue ihre Taten und sei ihr bisherige Lebenswandel ordentlich und einwandfrei gewesen und würde es sich um die erste Verurteilung der Beschwerdeführerin handeln. Zudem habe die belangte Behörde keine einzelfallbezogene Prüfung der von der Beschwerdeführerin ausgehenden erheblichen Gefährlichkeit vorgenommen und sei keine entsprechende Würdigung des bestehenden Privat- und Familienlebens erfolgt. Letztlich wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin über ein schützenswertes Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK verfügen würde und wären die Eingriffe in ihre Rechte als unzulässig zu betrachten, die Beschwerdeführerin bereue ihre Straftaten und sei insbesondere aufgrund ihrer früheren Unbescholtenheit, der erstmaligen Verurteilung und der erstmaligen Erfahrung des Haftübels von einem singulären Fehltritt auszugehen, sodass eine Wiederholungsgefahr nicht bestehen würde. Die Ansicht der belangten Behörde über die negative Zukunftsprognose der Beschwerdeführerin sei daher falsch. Es werde daher beantragt das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben, in eventu dem Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung an das BFA zurückverweisen, in eventu das Aufenthaltsverbot wesentlich verkürzen, jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchführen.

6. Bezughabender Akt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 05.06.2020 vorgelegt und langte der gegenständliche Akt am 08.06.2020 bei der zuständigen Gerichtabteilung I416 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist slowakische Staatsangehörige und somit EWR-Bürgerin bzw. Unionsbürgerin im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig.

Die Beschwerdeführerin ist in der Slowakei geboren, spricht die Sprache, hat dort die Schule besucht und eine Ausbildung als Verkäuferin gemacht.

Die Beschwerdeführerin ist seit 25.02.2004 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Die Beschwerdeführerin hält sich sohin seit 16 Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf.

Im Bundesgebiet lebt die Familie der Beschwerdeführerin, ihr Ehemann, die volljährige Tochter, die Enkelkinder und eine Cousine.

Die Beschwerdeführerin hat seit 2010 immer wieder kurzzeitig gearbeitet, die Beschwerdeführerin hat die überwiegende Zeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bezogen. Die Beschwerdeführerin hat seit ihrer Entlassung Notstandshilfe bezogen und bezieht seit 28.08.2020 Krankengeld.

Die Beschwerdeführerin weist in Österreich nachstehende strafrechtliche Verurteilung auf:

01) LG XXXX vom 17.12.2019 RK 17.12.2019

§§ 28a (1) 5. Fall, 28a (2) Z 3, 28a (3) 2. Fall SMG

§§ 28a (1) 2. 3. Fall, 28a (3) 1. Fall SMG

Freiheitsstrafe 24 Monate, davon Freiheitsstrafe 16 Monate, bedingt, Probezeit 8 Jahre

zu LG XXXX RK 17.12.2019

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 25.03.2020, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX vom 05.02.2020

Die Beschwerdeführerin befand sich vom 16.10.2019 bis 25.03.2020 in Strafhaft.

Die Beschwerdeführerin hat die besagten Straftaten begangen und das beschriebene Verhalten gesetzt. Die Beschwerdeführerin ist tat- und schuldeinsichtig und wurde strafmildernd neben dem bisherigen ordentlichen Lebenswandel, das teilweise reumütige Geständnis, der teils wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung und die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet, demgegenüber wurden erschwerend die das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, das mehrfache Übersteigen der Grenzmenge des §§ 28b SMG, sowie die mehrfache Tatbegehung angeführt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass die Beschwerdeführerin im Zeitraum von Anfang August 2018 bis 15.10.2019 insgesamt zumindest 185g Pico mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 45,8 % Metamphetamin, aus der Slowakei aus- und nach Österreich eingeführt habe. Die Angeklagte hielt es ab der erstmaligen Aus- und Einfuhr von Pico jedenfalls ernstlich für möglich und fand sich billigend damit ab, dass sie durch die kontinuierliche Tatbegehung insgesamt eine die Grenzmenge des §§ 28b SMG übersteigende Menge Suchtgift aus der Slowakei aus-und nach Österreich einführen würde. Die Angeklagte habe selbst regelmäßig Pico konsumiert und kam es ihr zumindest vorwiegend darauf an sich durch die Aus-und Einfuhr des Suchtgiftes für ihren persönlichen Gebrauch Suchtmittel bzw. Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen. Die Angeklagte habe gewusst, dass das Überlassen von Pico verboten sei und entschloss sich dessen ungeachtet, Suchtgift anderen Personen zu überlassen.

Strafmildernd erkannte das Gericht ihren bisherigen ordentlichen Lebenswandel, das teilweise reumütige Geständnis, der teils wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung und die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes an, als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, das mehrfache Übersteigen der Grenzmenge des §§ 28b SMG, sowie die mehrfache Tatbegehung gewertet.

Zudem sprach das Strafgericht aus, dass die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO (Diversion) oder nach § 35 SMG nicht vorliegen würden, weil eine Verfahrenseinstellung nicht gleich gut wie eine Verurteilung geeignet sei, die Angeklagte von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Insbesondere wurden auch Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister eingeholt. Ergänzend wurde Einsicht in das letzte Strafurteil genommen.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres vorgelegten slowakischen Reisepasses fest.

Die Feststellung zu ihrer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet gründet sich auf ihren Angaben im Rahmen des Parteiengehörs und einem aktuellen Auszug aus dem ZMR und wurden diese Angaben seitens der belangten Behörde unbestritten der Entscheidung zugrundegelegt.

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen, ihrem Privat- und Familienleben in Österreich ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen des schriftlichen Parteiengehörs (AS 43-44), den vorliegende Auszügen aus dem ZMR und AJ-Web und den im Bescheid getroffenen Feststellungen der belangten Behörde.

Die Feststellungen zu ihrer Verurteilung, ergeben sich aus den vorgelegten Verfahrensakt und dem darin enthaltenen Strafurteil.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin bereits aus der Strafhaft entlassen wurde, gründet sich auf einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich und einem aktuellen Auszug aus dem ZMR.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 53a Abs. 1 und Abs. 2 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen. Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr; Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung."

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt."

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß Art 28 Abs. 2 und 3 RL2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) darf der Aufnahmemitgliedstaat gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen. Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Der die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber EWR-Bürger regelnde § 86 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 100/2005, der von 01.01.2006 bis 31.12.2009 in Geltung war, sah zwei unterschiedliche Gefährdungsmaßstäbe - als Bezugspunkt für die für jedes Aufenthaltsverbot Voraussetzung bildende Gefahrenprognose - vor. Einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens des betreffenden Fremden vorliegen musste, und andererseits (nach dem fünften Satz) - wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte - darüber hinausgehend eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet.

Der nunmehr in Geltung befindliche § 67 Abs. 1 FPG fünfter Satz kommt schon dann zur Anwendung, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einen zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die in § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG noch enthaltene Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" findet sich in der nunmehrigen Bestimmung des § 67 Abs. 1 FPG nicht mehr, sodass eine solche Einschränkung seither nicht (mehr) Platz zu greifen hat (vgl VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079 mwN).

§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält somit zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. im Fall von Minderjährigen (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).

Im gegenständlichen Fall ist die Beschwerdeführerin seit 2004 in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet und hält sich seitdem unbestritten durchgehend in Österreich auf, sodass der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG (d.h. nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet) als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung kommt.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FrPolG 2005) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf „außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad" aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es „besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf.) Hat der Fremde „mehrfach Probezeiten bestanden", ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei „kein professionell strukturierter Suchtgifthandel" vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH .22.08.2019, Ra 2019/21/0091).Mit der Frage, was unter dem Begriff "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne des Art. 28 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie zu verstehen ist, hat sich der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Tsakouridis, GZ C - 145/09, ausführlich auseinandergesetzt.

Der Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" setzt nämlich nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist, der im Gebrauch des Ausdrucks "zwingende Gründe" zum Ausdruck kommt. Auch der Begriff "öffentliche Sicherheit" in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 ist in diesem Kontext auszulegen. Hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit hat der Gerichtshof entschieden, dass sie sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst (vgl. u. a. Urteile vom 26. Oktober 1999, Sirdar, C 273/97, Slg. 1999, I 7403, Randnr. 17, vom 11. Januar 2000, Kreil, C 285/98, Slg. 2000, I 69, Randnr. 17, vom 13. Juli 2000, Albore, C 423/98, Slg. 2000, I 5965, Randnr. 18, und vom 11. März 2003, Dory, C 186/01, Slg. 2003, I 2479, Randnr. 32).

Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können (vgl. u. a. Urteile vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a., 72/83, Slg. 1984, 2727, Randnrn. 34 und 35, vom 17. Oktober 1995, Werner, C 70/94, Slg. 1995, I 3189, Randnr. 27, Albore, Randnr. 22, und vom 25. Oktober 2001, Kommission/Griechenland, C 398/98, Slg. 2001, I 7915, Randnr. 29).

Demzufolge muss eine Ausweisungsmaßnahme auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden (vgl. u. a. Urteil Metock u. a., Randnr. 74) und kann nur dann mit zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 gerechtfertigt werden, wenn eine solche Maßnahme angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist, vorausgesetzt, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann.

Bei der Anwendung der Richtlinie 2004/38 ist insbesondere der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person, die gegebenenfalls zu der Zeit zu beurteilen ist, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht (vgl. u. a. Urteil vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri, C 482/01 und C 493/01, Slg. 2004, I 5257, Randnrn. 77 bis 79), und zwar nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 27. Oktober 1977, Bouchereau, 30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 29), gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist - die, wie der Generalanwalt in Nr. 95 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern auch im Interesse der Europäischen Union insgesamt liegt -, zu gefährden.

Die verhängte Strafe ist als ein Umstand dieser Gesamtheit von Faktoren zu berücksichtigen. Im Rahmen der entsprechenden Beurteilung ist den Grundrechten Rechnung zu tragen, deren Beachtung der Gerichtshof sichert, da Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung einer innerstaatlichen Maßnahme, die geeignet ist, die Ausübung der Freizügigkeit zu behindern, nur dann herangezogen werden können, wenn die fragliche Maßnahme diesen Rechten Rechnung trägt (vgl. u. a. Urteil Orfanopoulos und Oliveri, Randnrn. 97 bis 99), insbesondere dem in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (vgl. u. a. Urteil vom 5. Oktober 2010, McB., C 400/10 PPU, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 53, sowie Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [Große Kammer] vom 23. Juni 2008, Maslov/Österreich, Recueil des arrêts et décisions 2008, Nrn. 61 ff.).

Um zu beurteilen, ob der in Aussicht genommene Eingriff im Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht, hier dem Schutz der öffentlichen Sicherheit, sind insbesondere die Art und die Schwere der begangenen Zuwiderhandlung, die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat, die seit der Begehung der Zuwiderhandlung vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufnahmemitgliedstaat zu berücksichtigen. Im Fall eines Unionsbürgers, der die meiste oder die gesamte Zeit seiner Kindheit und Jugend rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat verbracht hat, müssten sehr stichhaltige Gründe vorgebracht werden, um die Ausweisungsmaßnahme zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Maslov/Österreich, Nrn. 71 bis 75).

Im gegenständlichen Fall ist unter Berücksichtigung aller genannten Umstände zu prüfen, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin unter den Ausdruck "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 oder den Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie fällt und ob mit der in Aussicht genommenen Abschiebung die genannten Voraussetzungen beachtet werden, bzw. ob von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden kann (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Es ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass das Fehlverhalten der Beschwerdeführerin eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. "Besonders schwerwiegende Merkmale" im eben genannten Sinn sind aber auf Basis der seitens der belangten Behörde getroffenen Feststellungen - wenn auch ihr Verhalten keinesfalls bagatellisiert werden soll - nicht erkennbar und werden diese auch von der belangten Behörde nicht aufgezeigt.

In Hinblick auf diese Erwägungen ist im vorliegenden Fall jedenfalls festzuhalten, dass die Art und die Schwere der begangenen strafbaren Handlung zeigt, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls zu den Tatzeitpunkten eine Verbundenheit mit rechtlich geschützten Werten fehlte. Es ist der belangten Behörde auch zu folgen, dass gerade die Suchtmittelkriminalität vor dem Hintergrund der verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft, zu denen der Konsum von Suchtgiften führt, ein Grundinteresse der Gesellschaft (Schutz und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) darstellt.

Es wird dahingehend auch nicht verkannt, dass der VwGH in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz wiederholt festgehalten hat, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, Zl. 2011/23/0556; 20.12.2012, Zl. 2011/23/0554).

Im gegenständlichen Fall handelt es sich jedoch bei der strafgerichtlichen Verurteilung um ihre erste Verurteilung, zeigt sich die Beschwerdeführerin Schuld- und Tateinsichtig und zeigt sich im vorliegenden Urteil auch bei der Strafbemessung ein eindeutiges Überwiegen der Milderungsgründe, auf welche ein Hauptaugenmerk zu legen ist. Bei einem Strafrahmen von einem bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe wurde die Beschwerdeführerin zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wobei 16 Monate davon bedingt nachgesehen wurden, verurteilt und blieb die verhängte Strafe sohin im unteren Bereich des möglichen Strafrahmens.

Somit kann trotz der Verwirklichung der ihr zur Last gelegten Straftat über einen längeren Zeitraum im gegenständlichen Fall noch nicht von „außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der von ihr begangenen Straftat gesprochen werden (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248) und ist der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich") zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erfüllt.

Überdies ist gemäß § 9 BFA-VG angesichts des rechtmäßigen Inlandsaufenthalts der Beschwerdeführerin seit mehr als 15 Jahren, ihres privaten Umfeldes und ihrer wenn auch nicht ausgeprägten beruflichen Verankerung am Arbeitsmarkt und der familiären Anbindung in Österreich (Ehemann, Tochter, Enkelkinder und Cousine), die aufgrund ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ebenfalls in Österreich leben sowie aufgrund der Tatsache, dass sie keine sozialen Anknüpfungspunkte in ihrem Herkunftsstaat hat, von einem unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben iSd Art 8 EMRK durch das Aufenthaltsverbot auszugehen.

Es ist im gegenständlichen Fall in einer Gesamtschau aller relevanten Umstände, insbesondere hinsichtlich der Verurteilung im Bezug auf die verwirklichten Straftatbestände, der für die von ihr verwirklichten Taten festgesetzten Strafhöhe in Relation zur möglichen Strafhöhe, in Gegenüberstellung der Intensität ihrer sozialen kulturellen und familiären Bindungen zu Österreich, sohin die Annahme gerechtfertigt, dass derzeit die "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne des Art 28 Abs. 3 der RL 2004/38 nicht vorliegen und somit auch nicht von einer nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sicherheit der Republik Österreich gemäß § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG gesprochen werden kann.

Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG liegen somit nicht vor. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erfolgte daher nicht zu Recht und bedingt dies auch die Gegenstandslosigkeit des der Beschwerdeführerin nicht gewährten Durchsetzungsaufschubs. Letztlich war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.

Sollte diese in Zukunft wieder straffällig werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen sie neuerlich zu prüfen sein, insbesondere bei einem entsprechend schwerwiegenden Rückfall.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik des Vorliegens einer "nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung“ in Bezug auf die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 24.01.2019, Ra 2018/21/0248) auseinander. Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Gefährdungsprognose Interessenabwägung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben strafrechtliche Verurteilung Suchtgifthandel Suchtmitteldelikt Unionsbürger Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2231635.1.00

Im RIS seit

01.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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