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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in H, vertreten durch Dr. D in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Juli 1995, Zl. 4.312.156/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, stellte am 22. Oktober 1990 an die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten einen Asylantrag, welcher zuständigkeitshalber an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich weitergeleitet wurde. Anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 4. Jänner 1991 gab er an, legal am 11. Oktober 1990 aus der Türkei nach Österreich eingereist zu sein. Er habe die Grundschule in Frankfurt besucht, sei im Jahr 1984 aber von Deutschland in die Türkei zurückgekehrt, wo er die Volksschule und in den Jahren 1987 bis 1989 die Mittelschule besucht habe. Zu seinen Fluchtgründen gab er folgendes an:
"Nach meiner Übersiedelung von Deutschland nach Izmir bzw. Sivas in die Türkei im Jahre 1984 ging ich anschließend auf die Mittelschule in Sivas. Die dortigen Lehrer wußten vermutlich Bescheid, daß ich der islamisch-aliwitischen Glaubensgemeinschaft angehöre. Trotzdem zwangen sie mich wie die Sunniten zu beten. Dies verstößt jedoch gegen unseren Glauben. Aus diesem Grunde, wurde ich von meinem Religionslehrer des öfteren mißhandelt. Dies geschah mit einem Gummischlauch. Einmal war ich sogar 19 Tage lang verletzt, weshalb ich der Schule fernbleiben mußte. Aus Angst vor weiteren Tätlichkeiten durch den Lehrer blieb ich in der Folge immer im Religionsunterricht. Ich hatte jedoch danach immer schwere Glaubens- und Gewissensbisse. Ich bin streng religiös.
Ich bekam auch in der Folge Probleme bei der Suche nach Arbeit sowie bei Ansuchen auf anderen Schulen. Da ich ein gebildeter westlich orientierter Mensch bin, sehe ich nicht ein, daß ich wegen religiösen Gründen meinen Lebensunterhalt für die Zukunft nicht ordnungsgemäß führen kann.
Mein langer Aufenthalt in Deutschland machte es mir auch schwierig, in dem fanatisch religiösen, intoleranten Staat Fuß zu fassen.
Seit einigen Jahren ist die Teilnahme am Religionsunterricht für alle moslemischen Kinder Pflicht. Jedoch nicht für Christen. Der Religionsunterricht wird jedoch nach sunnitischen Grundsätzen abgehalten. Es wird überhaupt nicht Rücksicht genommen auf eventuell andere islamische Glaubensrichtungen. Diese Handhabung verstößt gegen die Religions- bzw. Glaubensfreiheit.
Anführen möchte ich noch, daß ich kurz nach meiner Umsiedlung in die Türkei, an einen Selbstmord gedacht habe, weil ich diesen Druck von Seiten der Religionslehrer nicht mehr ausgehalten habe. Ich bitte aus diesen Gründen mein Ansuchen positiv zu beurteilen."
Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. April 1991 wurde festgestellt, daß dem Beschwerdeführer Flüchtlingseigenschaft nicht zukommt.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen sein Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren. Mit Bescheid vom 21. April 1994 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers ab und sprach aus, daß diesem kein Asyl gewährt werde. Als Begründung wurde dargelegt, das Vorbringen betreffend den Religionsunterricht in der Schule sei nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen, da der Beschwerdeführer nicht mehr schulpflichtig sei und nicht zu erwarten sei, daß er bei seiner Rückkehr mit diesem Problem konfrontiert sein würde. Überdies stelle sich der Zwang zur Teilnahme am Religionsunterricht als Ausfluß des besonderen Gewaltverhältnisses "Schule" dar. Das weitere Vorbringen, wonach er als Alevite keinen Arbeitsplatz und keine Lehrstellen hätte bekommen können, erscheine der erkennenden Behörde unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer habe selbst eine Woche lang als Tischlergehilfe gearbeitet und nicht releviert, wie es zur Beendigung des Dienstverhältnisses gekommen sei. Wenn dem Beschwerdeführer bloß aus Gründen seiner Glaubenszugehörigkeit die Möglichkeit, in seiner Heimat seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, völlig genommen sein sollte, müsse dies sämtliche Aleviten betreffen, was zum Massenelend führen müsse. Eine solche Verelendungssituation der alevitischen Glaubensgemeinschaft in der Türkei sei vom Beschwerdeführer jedoch nicht behauptet worden und sei eine solche auch nicht notorisch. Das Recht auf Arbeit, ohne daß durch eine Verweigerung dessen die Lebensgrundlage entzogen werde, sei kein geschütztes Rechtsgut im Sinne des Asylgesetzes. Dies gelte umsomehr dann, wenn die Nichterlangung eines Arbeitsplatzes vom Heimatstaat nicht adäquat verursacht und daher diesem nicht zurechenbar sei. Auch das Vorbringen, der Beschwerdeführer sei vom Besuch weiterführender Schulen als Alevite ausgeschlossen gewesen, sei unglaubwürdig, da der Beschwerdeführer ja das Gymnasium besucht habe und es sich dabei zweifellos um eine höhere Schule handle. Wenn man ihn bezüglich seiner schulischen Karriere aus religiösen Gründen diskriminiert hätte, hätte man ihn wohl kaum das Gymnasium besuchen lassen. Die bloße Unzufriedenheit mit seiner persönlichen Situation in seinem Heimatland sei keinesfalls geeignet, die Flüchtlingseigenschaft zu indizieren.
Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0244 den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94), sodaß das Berufungsverfahren bei der belangten Behörde wiederum anhängig wurde.
Nach einem Manuduktionsschreiben der belangten Behörde erstattete der Beschwerdeführer eine Berufungsergänzung und brachte vor, eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Innenministerium bzw. eine gänzliche Wiederholung des Ermittlungsverfahrens erscheine angesichts der formularhaften Erledigung der Behörde erster Instanz als notwendig. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte er im wesentlichen die gleichen Gründe, wenn auch in detaillierterer Form, vor. So erläuterte er zu seiner nur einwöchigen Tischlerlehre, daß er den Lehrplatz deshalb verloren habe, weil sein Dienstgeber während des Ramadams (moslemischer Fastenmonat), wo er nicht gefastet habe, erfahren habe, daß er alevitischen Glaubens sei. In weiterer Folge schilderte der Beschwerdeführer in seiner Berufungsergänzung die Verschlechterung der Lebensumstände der Aleviten in der Türkei. Da er nicht nur Alevite, sondern auch Kurde sei, sei er doppelt unterdrückt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20. Juli 1995 wurde die Berufung unter Hinweis auf die Sachverhaltsfeststellung und die rechtliche Beurteilung im vorerwähnten Bescheid vom 21. April 1994 (neuerlich) abgewiesen. Ergänzend führte die belangte Behörde aus, auch die allgemeinen und wenig substantiierten Ausführungen über die Situation der alevitischen Glaubensgemeinschaft in der Heimat des Beschwerdeführers hätten an der Verneinung seiner Flüchtlingseigenschaft nichts ändern können, da sich hieraus keine konkrete Verfolgungsintention gegenüber seiner Person ableiten lasse.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde führt die Verfahrensrüge nicht aus, sondern verweist hiezu auf die Vorbeschwerde gegen den damals angefochten gewesenen Bescheid vom 26. April 1994, und zwar mit der Erklärung, daß sie zur Gänze die seinerzeitigen Beschwerdepunkte übernehme; dies mit dem Hinweis darauf, daß auch die belangte Behörde in ihrem Ersatzbescheid auf den erwähnten früheren Bescheid verwiesen habe.
Was die diesbezügliche Praxis der belangten Behörde betrifft, so hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0501 dargelegt, daß es sich dabei lediglich um eine Vereinfachung im Begründungsteil der angefochtenen Entscheidung handelt. Die Wiederholung der Begründung eines Bescheides lediglich durch Verweis auf die Begründung eines - wenn auch aufgehobenen
-
zwischen denselben Parteien erlassenen Vorbescheides berührt daher die Rechtmäßigkeit des - zum Rechtsbestand gehörenden
-
Spruchs dieses Bescheides nicht. Voraussetzung bleibt allerdings, daß für die Parteien des Verfahrens und die überprüfenden Kontrollinstanzen die in einer Verweisung bestehende Begründung nachvollziehbar bleibt (vgl. Erkenntnis vom 18. Dezember 1996, Zl. 96/20/0599).
Diese Verweisungsmöglichkeit besteht jedoch nicht in gleicher Weise für Beschwerden vor dem Verwaltungsgerichtshof. Gemäß § 28 Abs. 1 Z. 5 VwGG hat eine Beschwerde die Gründe zu enthalten, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt. Wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, ist es unzulässig, in einem Beschwerdeverfahren auf den Inhalt von Schriftsätzen anderer Verfahren zu verweisen, mögen diese Verwaltungsverfahren oder andere Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof sein (vgl. Erkenntnisse vom 15. September 1986, Zl. 85/10/0083, vom 7. September 1988, Zl. 88/18/0032, vom 29. Juni 1995, Zl. 95/18/0083 u.a.).
Wenn der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Gesetzwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt, so hat er durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen, zu welchem anderen Ergebnis die Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte kommen können. Infolge der Unzulässigkeit der Verweisung auf ein in einem anderen, wenn auch an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Schriftsatz erstattetes Vorbringen, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, nachvollziehbar darzulegen, daß durch die belangte Behörde Verfahrensvorschriften in einem wesentlichen Punkt verletzt worden wären. Die Verfahrensrüge erweist sich daher als nicht berechtigt.
Als Rechtswidrigkeit des Inhaltes wirft die Beschwerde der belangten Behörde vor, die Unmöglichkeit als Alevite Arbeit zu bekommen, als nicht asylbegründend gewertet zu haben.
Voraussetzung für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 ist die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, verfolgt zu werden. Bloß subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung genügt nicht; vielmehr müssen (allenfalls drohende) Maßnahmen dargetan werden, die sowohl aus objektiver Sicht als auch unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes einen Aufenthalt im Heimatland des Asylwerbers unerträglich erscheinen lassen (vgl. u. a. hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1994, Zl. 94/20/0034).
Der Verwaltungsgerichtshof konnte von den Ermittlungsergebnissen der ersten Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 ausgehen. Auf die allgemeinen Diskriminierungen während der Schulzeit kommt der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht mehr zurück. Er meint aber, die in seiner Glaubenszugehörigkeit begründete Arbeitslosigkeit oder Behinderung bei Lehrplatz- oder Arbeitssuche könnte Flüchtlingseigenschaft begründen.
Dem ist entgegenzuhalten, daß die in der Beschwerde dargestellten allgemeinen Lebensbedingungen für die alevitische Minderheit sich als nicht konkret genug erweisen, um dadurch individuell gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft zu machen. Auch während des gesamten Verwaltungsverfahrens hat der Beschwerdeführer konkret keine auf Grund seiner Religionszugehörigkeit gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen behauptet. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit aber allein nicht geeignet, begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 glaubhaft zu machen (vgl. u.a. hg. Erkenntnis vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0806).
Soweit der Beschwerdeführer mangelnde Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten ins Treffen führt, kann auch darin nicht das Geltendmachen eines asylbegründeten Umstandes erblickt werden. Dem Beschwerdeführer ist zwar die in der Beschwerde gerügte Aktenwidrigkeit zuzugestehen, wonach er nie behauptet hatte, ein Gymnasium nach hiesigem Begriffsverständnis besucht zu haben, und von ihm während des Verfahrens sehr wohl eine Begründung für das Ende seiner Tischlerlehre angegeben wurde. Allerdings ist für den Beschwerdeführer im Ergebnis aus diesen aktenwidrigen Annahmen der belangten Behörde nichts gewonnen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur erkennt, reicht auch der Verlust (oder die Schwierigkeit der Beschaffung) eines Arbeitsplatzes nicht aus, eine Asylgewährung zu begründen, solange damit nicht eine ernsthafte Bedrohung der Lebensgrundlage verbunden ist (vgl. u.a. hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1994, Zl. 94/20/0034). Eine solche Bedrohung der Lebensgrundlage wird aber dadurch, daß der Heimatstaat des Beschwerdeführers diesem eine Weiterbildung durch den Besuch eines Gymnasiums oder einer Hochschule nicht ermöglicht, nicht geltend gemacht. Die Zulassung zu höheren Schulen und Universitäten und damit das Erreichen eines möglichst qualifizierten Ausbildungsniveaus zählt nämlich nicht zu den geschützten Rechtsgütern des Asylgesetzes.
Ebensowenig ist aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer (im Alter von 17 Jahren) seine Tischlerlehre nach einer Woche abgebrochen hat bzw. abbrechen mußte und daß andere Lehr- oder Arbeitsstellen schwer vermittelbar waren, eine ernsthafte, d.h. die Existenzfähigkeit gefährdende Bedrohung der Lebensgrundlage des Beschwerdeführers ableitbar. Mit dem Verlust dieser Lehrstelle wird noch nicht dargelegt, daß für den Beschwerdeführer in der Türkei keine beruflichen Alternativen offengestanden wären.
Der belangten Behörde kann daher im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie den Beschwerdeführer nicht als Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz ansah.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995200482.X00Im RIS seit
20.11.2000