TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/20 W189 2174407-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2020
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Entscheidungsdatum

20.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W189 2174404-1/20E
W189 2174407-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Andreas Lepschi, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX und 2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: BF2), Staatsangehörige der Ukraine, stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurden am Folgetag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt (Akt I des BF1, AS 15 ff; Akt II der BF2, AS 15 ff).

Der BF1 gab dabei zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er XXXX nach Kiew gereist sei, um auf dem Maidan-Platz zu protestierten. Am Anfang sei er ein einfacher Teilnehmer gewesen. Zum Schluss habe er eine Gruppe von ca. XXXX Personen geleitet. Wegen dieser Teilnahme sei er von den ukrainischen aber auch von russischen Spezialbehörden verfolgt worden. Es sei lebensgefährlich gewesen, weshalb er nach Polen ausgereist sei. In seine Heimat, auf die Krim, könne er nicht zurück, da es mittlerweile zu Russland gehöre. Mit seinem ukrainischen Inlandspass sei ihm die Einreise in die Krim verwehrt worden. Der BF1 könne auch nicht in die Ukraine zurück, weil die Maidan-Teilnehmer immer noch von den Behörden verfolgt werden würden.

Die BF2 gab zu ihrem Fluchtgrund zu Protokoll, dass sie am XXXX zum Maidan-Platz nach Kiew gefahren sei, um dort zu protestieren. Es sei lebensgefährlich gewesen, deshalb sei sie einen Monat später nach Polen gereist. Als die BF2 in Polen gewesen sei, sei die Krim russisches Territorium geworden. Sie habe mit ihrem ukrainischen Inlandspass nicht zurück auf die Krim können. In die Ukraine könne die BF2 auch nicht zurück, da die Kampfhandlungen nicht nur im Osten stattfänden, sondern auch an anderen Orten in der Ukraine. Da die BF2 schon zwei Negativ-Bescheide in Polen bekommen habe, habe sie die Entscheidung getroffen, nach Österreich zu gehen.

Die BF wiesen in der EURODAC-Datenbank einen polnischen Eintrag auf.

Im Zuge der Antragstellung legten die BF mehrere ukrainische und polnische (Identitäts-)dokumente vor (Akt I des BF1, AS 1 und 21 ff; Akt II der BF2, AS 1).

1.2. Eine polizeiliche Personenabfrage des BF1 ergab, dass dieser von den russischen Behörden via Interpol zur Fahndung zwecks Festnahme wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen ausgeschrieben ist. Die Staatsanwaltschaft XXXX ordnete folgend am XXXX die Festnahme des BF1 an und verfügte dessen Vorführung in die Justizanstalt XXXX (Akt I des BF1, AS 7 f und 55 f), wobei mit Beschluss vom XXXX von der Verhängung der Auslieferungshaft abgesehen wurde (Akt I der BF2, AS 299).

1.3. Mit Schreiben vom XXXX brachten die BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) ein Schreiben über ihre Fluchtgründe ein (Akt I des BF1, AS 61 ff; Akt I der BF1, AS 21 ff).

1.4. Am XXXX richteten die BF ein E-Mail über ihre Fluchtgründe an die damalige Staatssekretärin im Bundeskanzleramt (Akt I des BF1, AS 101; Akt I der BF2, AS 41).

1.5. Mit Schreiben vom XXXX stimmten die polnischen Behörden dem Wiederaufnahmeersuchen des BFA vom XXXX gem. Art. 18 Abs 1 lit. d Dublin-III-VO zu (Akt I des BF1, AS 105 ff und 125; Akt I der BF2, AS 43 ff und 63).

1.6. Am XXXX richteten die BF ein in kyrillischer Schrift verfasstes Schreiben an das BFA (Akt I des BF1, AS 135 ff; Akt I der BF2, AS 73 ff).

1.7. Am XXXX fand vor dem Landesgericht XXXX zur Zl. XXXX eine Tagsatzung zur Beschlussfassung über die Zulässigkeit der Auslieferung des BF1 in die Russische Föderation statt. Die Verhandlung wurde zur Einholung einer Abklärung über die Zuständigkeit der Behörden der Russischen Föderation auf unbestimmte Zeit vertagt (Akt I des BF1, AS 147 ff).

1.8. Am XXXX wurde der BF durch das BFA niederschriftlich einvernommen (Akt I des BF1, AS 177 ff; Akt I der BF2, AS 107 ff) und legte dabei einen Datenträger vor, der unter anderem vier Fotos der BF bei einer Demonstration enthielt (Akt I des BF1, AS 169 ff).

1.9. Mit Schreiben vom XXXX brachten die BF eine Stellungnahme zu ihren Fluchtgründen ein (Akt I des BF1, AS 193 f; Akt I der BF2, AS 125 f), bei welcher es sich offenkundig um eine Übersetzung der Stellungnahme vom XXXX handelt.

1.10. Mit Bescheiden des BFA vom XXXX , Zl. XXXX und XXXX , wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz gem. § 5 Abs. 1 AsylG iVm Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen sie die Außerlandesbringung angeordnet und die Zulässigkeit der Abschiebung der BF nach Polen festgestellt (Spruchpunkt II.) (Akt I des BF1, AS 205 ff; Akt I der BF2, AS 135 ff).

1.11. Mit Schriftsatz vom XXXX brachten die BF das Rechtsmittel der Beschwerde gegen diesen Bescheid ein (Akt I des BF1, AS 273 ff; Akt I der BF2, AS 199 ff).

1.12. Mit Schriftsatz vom XXXX brachten die BF eine Stellungnahme ein (Akt I des BF1, AS 225 f; Akt I der BF2, AS 311 f).

1.13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX und XXXX wurde die Beschwerde der BF als unbegründet abgewiesen und gleichzeitig die Außerlandesbringung der BF bis zur rechtskräftigen Erledigung des gegen den BF1 anhängigen Auslieferungsverfahrens gem. § 13 ARHG aufgeschoben (Akt I des BF1, AS 231 ff; Akt I der BF2, AS 319 ff)

1.14. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zl. XXXX , wurde festgestellt, dass die Auslieferung des BF1 zur Strafverfolgung im Sinne des Auslieferungsersuchens der Russischen Föderation nicht zulässig sei, da – im Wesentlichen – das Gebiet der Krim völkerrechtlich nicht als russisches Staatsgebiet anerkannt sei (A kt I des BF1, AS 353 ff).

2.1. Am XXXX stellten die BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und wurden am Folgetag polizeilich erstbefragt (Akt II des BF1, AS 11 ff; Akt II der BF2, AS 11 ff).

Zum Grund, weshalb er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stelle, erklärte der BF1, dass er aufgrund des Beschlusses des Landesgerichts XXXX um eine neuerliche Aufnahme des Asylverfahrens ersuche. Die politische Situation in der Ukraine habe sich nicht verändert. Der BF1 werde noch immer politisch verfolgt.

Die BF2 wiederum gab an, dass sie die gleichen Gründe wie ihr Lebenspartner (gemeint: der BF1) habe. Die politische Situation in der Heimat habe sich nicht geändert. Die BF2 werde weiterhin aufgrund ihrer aktiven Tätigkeit damals politisch verfolgt.

2.2. Am XXXX wurde der BF1 durch das BFA niederschriftlich einvernommen (Akt II des BF1, AS 93 ff; Akt II der BF2, AS 67 ff). Im Rahmen der Einvernahme legte der BF1 ein Video sowie ein Konvolut an Integrations- und medizinischen Unterlagen vor (Akt II des BF1, AS 125 ff).

2.3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des BFA vom XXXX , Zl. XXXX und XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.), die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festgestellt und eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) (Akt II des BF1, AS 165 ff; Akt II der BF2, AS 95 ff).

2.4. Mit Schriftsatz vom XXXX brachten die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein und monierte nach Wiederholung des Sachverhaltes im Wesentlichen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, mangelhafte bzw. aktenwidrige Feststellungen, eine mangelhafte und unschlüssige Beweiswürdigung sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit der bekämpften Bescheide. Vorgelegt wurde unter anderem die Kopie eines Auszugs aus einer öffentlichen Fahndungsliste des ukrainischen Innenministeriums, auf welchem der BF1 aufscheine (Akt II des BF1, AS 275 ff; Akt II der BF2, AS 193 ff).

2.5. Mit Schriftsätzen vom XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und vom XXXX brachten die BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen in das Verfahren ein (OZ 5, 6, 7, 8, 9 und 12 des BF1; OZ 5, 6, 7, 9, 10 und 13 der BF2).

2.6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher die BF und ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Die BF wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu ihren Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihnen mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Die BF legten einen Länderbericht zur Ukraine (Beilage ./1) und zwei Einstellungszusagen (Beilage ./2) vor.

2.7. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte der Verbindungsbeamte des österreichischen Innenministeriums in der Ukraine dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass der BF1 wegen Art. 156, zweiter Teil des ukrainischen Strafgesetzbuches zur Fahndung ausgeschrieben worden sei. Es bestehe kein nationaler Haftbefehl der Ukraine. Der Strafakt sei in der temporär besetzten Autonomen Republik Krim verblieben, wo die Strafsache anhängig sei (OZ 17 des BF1).

2.8. Mit Schriftsatz vom selben Tag wurde die Antwort des Verbindungsbeamten sowie die Auswertung der EDV-Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend das Erstellungsdatum des vom BF1 vorgelegten Videomaterials dem Vertreter des BF1 zur Kenntnisnahme übermittelt (OZ 18 des BF1).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person der BF

1.1.1. Die Identität der BF steht fest. Die BF sind ukrainische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Russen und der Religionsgemeinschaft der orthodoxen Christen zugehörig. Sie sprechen Russisch und Ukrainisch. Sie sind volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Die BF leben in einer Lebensgemeinschaft. Sie sind gesund.

1.1.2. Der BF1 wurde in XXXX , Krim, geboren und hat bis zu seiner Ausreise dort gelebt. Der BF1 hat XXXX Jahre die Grundschule sowie eine Berufsschule besucht und zuletzt als XXXX gearbeitet.

1.1.3. Der Familienstand des BF1 kann nicht festgestellt werden. Der BF1 hat einen volljährigen Sohn aus erster Ehe und zwei minderjährige Töchter aus zweiter Ehe. Der Vater des BF1 ist verstorben, seine Mutter und sein Bruder leben in einer Eigentumswohnung in XXXX . Sein Sohn lebt in einer Mietwohnung in XXXX und geht einer Arbeit nach. Der BF1 steht mit seiner Mutter, seinem Bruder und seinem Sohn in telefonischem Kontakt.

1.1.4. Die BF2 wurde in XXXX , Krim, geboren und hat bis zu ihrer Ausreise dort gelebt. Die BF2 hat zwischen XXXX und XXXX Jahre die Grundschule und XXXX Jahre die Berufsschule besucht und zuletzt als XXXX gearbeitet.

1.1.5. Die BF2 ist unverheiratet. Ihr Vater ist verstorben und ihre Mutter, ihre Schwester und ihr minderjähriger Sohn aus einer früheren Beziehung sind in XXXX wohnhaft. Ihre Mutter und ihr Sohn leben in einer Eigentumswohnung und ihre Mutter besitzt noch eine weitere Wohnung, ihre Schwester lebt mit ihrem Ehemann in einem eigenen Haus. Die BF2 steht in Kontakt mit ihrer Mutter und ihrem Sohn.

1.1.6. Die BF sind strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

Die BF unterliegen bei einer Rückkehr in die Ukraine keiner asylrelevanten Bedrohung aufgrund einer Teilnahme an den Maidan-Protesten zwischen XXXX und XXXX Es besteht auch keine sonstige asylrelevante Bedrohungslage.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

1.3.1. Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine

1.3.2. Sicherheitslage – Halbinsel Krim

Im Februar 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen dazu auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert, die von Sergey Aksyonov als „Premierminister“ des „Staatsrats der Republik Krim“ geführt wird. Der „Staatsrat“ ist für die tägliche Verwaltung und andere Regierungsfunktionen zuständig. Die schwerwiegendsten Probleme in Bezug auf die Einschränkung der Menschenrechte beinhalten: Verschwindenlassen; Folter, einschließlich strafweise psychiatrische Einweisung; Misshandlung von Inhaftierten als Strafe oder zur Erpressung von Geständnissen; harte Haftbedingungen und Überführung von Gefangenen nach Russland; willkürliche Festnahme und Inhaftierung, auch aus politischen Gründen; allgegenwärtige Missachtung der Privatsphäre; schwerwiegende Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der Medien einschließlich Schließungen und Gewalt gegen Journalisten; Beschränkungen des Internets; grobe und weit verbreitete Unterdrückung der Versammlungsfreiheit; Einschränkung der Religionsfreiheit; starke Einschränkung der Vereinigungsfreiheit, einschließlich Verbot der Selbstverwaltung (Mejlis) der Krimtataren; Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Teilnahme am politischen Prozess; systemische Korruption; sowie Gewalt gegen und systematische Diskriminierung von Krimtataren und ethnischen Ukrainern. Die russischen Behörden unternehmen kaum Schritte, um Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, wodurch eine Atmosphäre der Straflosigkeit und Gesetzlosigkeit geschaffen wurde (USDOS 11.3.2020b).

Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Die Einwohner der Krim werden von der Russischen Föderation, wenn sie nicht ihr Widerspruchsrecht genutzt und damit u.a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren haben, als eigene Staatsangehörige behandelt. Auch jüngste Berichte von UNHCR, Amnesty International sowie des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte listen eine Reihe von Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und willkürlichen Tötungen reicht. Versuche der UN, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vor Ort vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 29.2.2020).

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die russischen Behörden unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren, jedoch auch auf Vertreter der ukrainischen Minderheit aus (ÖB 2.2019; vgl. HRW 17.1.2019). Während des Jahres 2019 setzten die russischen Behörden die Schikanen gegen Krimtataren fort und verfolgten Dutzende von ihnen wegen erfundener Terrorismusvorwürfe (HRW 14.1.2020).

Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der russischen Behörden zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erlangt wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters besteht Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit abweichender politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische Anti-Terror-Gesetzgebung zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Personen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend strafverfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt (ÖB 2.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Ukraine

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Ukraine

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020b): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Ukraine – Crimea

1.3.3. Rechtschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.4. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Das Ministerium beaufsichtigt das Personal der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) ist für den Staatsschutz im weitesten Sinne, den nicht-militärischen Nachrichtendienst sowie für Fragen der Spionage- und Terrorismusbekämpfung zuständig. Das Innenministerium untersteht dem Ministerkabinett, der SBU ist direkt dem Präsidenten unterstellt (USDOS 11.3.2020).

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

In den letzten Jahren wurden u.a. Reformen im Bereich der Polizei durchgeführt (AA 29.2.2020). Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“ (AC 30.6.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        AC – Atlantic Council (30.6.2020): Ukraine’s powerful Interior Minister Avakov under fire over police reform failures

-        AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Eastern Europe and Central Asia - Review of 2019 - Ukraine [EUR 01/1355/2020]

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 3.2020a). Jedoch bestehen in der Ukraine gegenwärtig noch Unzulänglichkeiten in der Umsetzung und Gewährung der Menschenrechte, was insbesondere die Bereiche Folter, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Behandlung von Geflüchteten und sozialen (LGBTQ) bzw. ethnischen Minderheiten (Roma) betrifft. 2019 stufte Freedom House die Ukraine auf „partly free“ ab (GIZ 3.2020a). Zu den Menschenrechtsproblemen gehören darüber hinaus u.a. rechtswidrige oder willkürliche Tötungen; Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen durch Vollzugspersonal; schlechte Bedingungen in Gefängnissen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Einschränkungen der Internetfreiheit und Korruption. Die Regierung hat es im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Fehlverhalten von Beamten strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest (USDOS 11.3.2020).

Die Möglichkeit von NGOs, sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten (USDOS 11.3.2020).

Die Aktivitäten von Oppositionsparteien und -gruppen sowie die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen rechtsstaatlichen Restriktionen (AA 29.2.2020). Die Medienlandschaft zeichnet sich durch einen beträchtlichen Pluralismus sowie offene Kritik an der Regierung aus (FH 4.3.2020). Meinungs- und Pressefreiheit leiden jedoch weiter hinunter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden. Repressionen und Angriffe gegenüber Journalisten sind insgesamt rückläufig; besorgniserregend bleiben aber die oftmals fehlenden Ermittlungserfolge und die daraus resultierende Straflosigkeit – selbst in schwerwiegenden Fällen. Diverse russische soziale Medien und populäre Onlinedienste bleiben seit einem Dekret von Mai 2017 weiter verboten. Aus diesen Gründen verbleibt die Ukraine trotz großer Fortschritte gegenüber den Jahren vor dem Euromaidan im „Reporter ohne Grenzen“-Index auf Platz 102 von 180 Staaten (AA 29.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Im Jahr 2018 erneuerten die Behörden bestehende Maßnahmen gegen eine Reihe russischer Nachrichtenagenturen und ihre Journalisten. Verschiedene Sprachgesetze schreiben Nachrichtenagenturen vor, dass bestimmte Inhalte in ukrainischer Sprache verfasst sein müssen. Im Jahr 2019 bestätigte der Oberste Gerichtshof der Ukraine regionale Verbote für russischsprachige „Kulturprodukte“, darunter Bücher und Filme (FH 4.3.2020). Die Regierung setzte die Praxis fort, bestimmte Werke russischer Schauspieler, Filmregisseure und Sänger zu verbieten und Sanktionen gegen pro-russische Journalisten zu verhängen (USDOS 11.3.2020).

Von einigen Ausnahmen abgesehen, können Einzelpersonen im Allgemeinen öffentlich und privat Kritik an der Regierung üben und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse diskutieren, ohne offizielle Repressalien befürchten zu müssen. Das Gesetz verbietet jedoch Aussagen, die die territoriale Integrität bzw. nationale Sicherheit des Landes bedrohen, den Krieg fördern, einen Rassen- oder Religionskonflikt befeuern oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen nach diesen Gesetzen (USDOS 11.3.2020). Gewalt und Drohungen gegen Journalisten bleiben weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Das unabhängige Institut für Masseninformation registrierte von Januar bis Anfang Dezember 2019 226 Verstöße gegen die Medienfreiheit, darunter die Ermordung eines Journalisten. Weitere Verstöße waren 20 Fälle von Schlägen, 16 Cyberangriffe, 93 Fälle von Einmischung, 34 Fälle von Bedrohung und 21 Fälle von Einschränkung des Zugangs zu öffentlichen Informationen (FH 4.3.2020). Die Qualität des ukrainischen Journalismus leidet nicht nur unter russischer Propaganda, Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik sowie der wirtschaftlichen Krise, sondern auch unter einer nicht zufriedenstellenden Ausbildung und Einhalten von journalistischen Standards (GIZ 3.2020a). Die Strafverfolgungsbehörden überwachen das Internet, zeitweise ohne entsprechende rechtliche Befugnisse, und unternahmen 2019 schwerwiegende Schritte, um den Zugang zu Websites aufgrund von „nationalen Sicherheitsbedenken“ zu blockieren. Gerichte sollen auch begonnen haben, den Zugang zu Websites aus anderen Gründen als der nationalen Sicherheit zu blockieren. Es gab Berichte darüber, dass die Regierung Einzelpersonen wegen ihrer Beiträge in sozialen Medien strafrechtlich verfolgte (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung sieht die Versammlungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Gelegentlich wird berichtet, dass die Polizei übermäßige Gewalt anwendet, um Proteste aufzulösen. Kleinere Demonstrationen, insbesondere von Minderheiten oder oppositionellen politischen Bewegungen, wurden nicht ausreichend geschützt (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Die Verfassung und das Gesetz sehen die Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsorganisationen berichten für 2019 über einen Rückgang der Angriffe auf Aktivisten, nachdem die Zahl der Angriffe 2018 sprunghaft angestiegen war (37 Angriffe 2019, gegenüber 66 im Jahr 2018). Einige zivilgesellschaftliche Organisationen geben jedoch an, dass dies aufgrund von mangelnder Berichterstattung sei, und dass sich Aktivisten gegen eine Beschwerde entscheiden würden, da sie Verfolgung fürchten. Menschenrechts-NGOs sind nach wie vor besorgt über die mangelnde Rechenschaftspflicht bei Angriffen auf Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen (USDOS 11.3.2020). Angriffe auf Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Angehörige von Minderheitengruppen sind häufig, und die Reaktion der Polizei ist oft unzureichend (FH 4.3.2020). Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren entstanden mehrere politische Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Ukraine

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020a): Länderinformationsportal, Ukraine, Geschichte & Staat

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Ukraine

1.3.6. Russen/Russischsprachige

Die heutige Ukraine ist ein mehrsprachiges Land mit einer dominierenden ukrainisch-russischen Zweisprachigkeit und gemischten Sprachvarietäten (AAU 28.11.2019). Offizielle Staatssprache der Ukraine ist zwar Ukrainisch, Russisch ist als Verkehrssprache weit verbreitet bzw. wird im Süden und Osten überwiegend gesprochen (WKO 2020; vgl. AA 19.12.2019). Eine Quelle gibt an, dass Ukrainisch die Muttersprache von etwa 67% der Bevölkerung ist, Russisch die Muttersprache von fast 30% (RFE/RL 7.12.2019). Russisch ist in der Ukraine keineswegs die Sprache einer kleinen Minderheit und wird nicht bloß regional begrenzt gesprochen. Russisch wird im Durchschnitt des Landes von ca. der Hälfte der Bevölkerung aktiv verwendet und damit nur etwas weniger häufig als Ukrainisch (DS 19.10.2017).

Vor dem Hintergrund der Aggression Russlands gegen die Ukraine seit dem Jahr 2014 haben sich die meisten Russischsprachigen in der Ukraine, selbst in den vermeintlich prorussischen Regionen im Osten und Süden, eher mit ihren Mitbürgern als mit ihren sprachlichen „Brüdern“ auf der anderen Seite der Grenze verbündet. Trotzdem brachte das einen großen Teil der Bevölkerung der Ukraine nicht dazu, den Sprachgebrauch radikal zu verändern. Obwohl viele Menschen, die zuvor fast ausschließlich Russisch gesprochen haben, nun stärker bereit zu sein scheinen, in bestimmten Bereichen etwas Ukrainisch zu verwenden, handelt es sich dabei keineswegs um einen umfassenden Wechsel von einer Sprache zur anderen. Die meisten Menschen in der heutigen Ukraine nutzen sowohl Ukrainisch als auch Russisch in ihrem Alltag, wenn auch zu einem sehr unterschiedlichen Anteil. 21% (2017) kombinieren die beiden Sprachen in mehr oder weniger gleich großen Teilen. Die Förderung des Ukrainischen führte nicht zu einer systematischen Diskriminierung der Russischsprachigen (UA 22.2.2018).

Es gibt in der Ukraine generell keine Diskriminierung der russischen Sprache (UA 29.11.2017). In der Praxis funktioniert die allgegenwärtige ukrainisch-russische Zweisprachigkeit im Alltag in aller Regel erstaunlich reibungslos (UA 29.11.2017). Fälle von Einschüchterung oder Angriffen gegen ethnische Russen oder Vertreter der russischsprachigen Gemeinschaft in der Ukraine sind sporadische Einzelfälle (Cedoca 10.1.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.12.2019): Ukraine: Politisches Portrait

-        AAU – Alpen-Adria Universität Klagenfurt (28.11.2019): Was machen soziale und politische Geschichte mit Sprache? Ukrainisch-russische und russisch-ukrainische Sprachvarietäten

-        Cedoca - Documentation and Research Department of the CGRS (Commissariaat-generaal voor de Vluchtelingen en de Staatlozen) (10.1.2018): OEKRAÏNE. Actuele situatie voor etnische Russen en/of Russischsprekenden op het gebied van taal en veiligheid, per E-Mail

-        DS – Der Standard (19.10.2017): Russisch als Minderheitensprache in der Ukraine?

-        RFE/RL – Radio Free Europe, Radio Liberty (7.12.2019): Council Of Europe's Experts Criticize Ukrainian Language Laws

-        UA – Ukraine Analysen (22.2.2018): Die Identität der russischsprachigen Staatsbürger der Ukraine

-        UA – Ukraine Analysen (29.11.2017): Sprachenpolitik in der Ukraine

-        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (2020): Ukraine: Neues Sprachengesetz tritt in Kraft

1.3.7. Bewegungsfreiheit

In Gebieten unter Regierungskontrolle ist die Bewegungsfreiheit im Allgemeinen nicht eingeschränkt. Das komplizierte ukrainische System, das von Einzelpersonen verlangt, dass sie sich rechtmäßig an einer Adresse registrieren lassen müssen, um wählen und bestimmte Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können, stellt jedoch ein Hindernis für die volle Bewegungsfreiheit dar, insbesondere für Vertriebene und Personen ohne offizielle Adresse, wo sie für offizielle Zwecke registriert werden könnten (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Ukraine

1.3.8. Binnenflüchtlinge

Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons, IDPs) lag am 2. Dezember 2019 bei 1.427.211 Personen; die tatsächliche Zahl der dauerhaft vertriebenen IDPs dürfte nach UN-Schätzungen bei ca. 800.000 liegen. Diese Personen erhalten bisher nur durch die Registrierung als IDPs Zugang zu Sozial- und Rentenleistungen. (AA 29.2.2020).

Binnenvertreibung ist nach wie vor ein Problem. Auf der einen Seite gab es 2018 aufgrund von Kampfhandlungen, oder weil das Militär Häuser beschlagnahmte, ca. 12.000 zusätzliche IDPs. Auf der anderen Seite mussten zahlreiche ältere bzw. ärmere Personen in gefährdete Gebiete zurückkehren. 2018 konnten rund 12.000 IDPs ihre Situation in irgend einer Weise zumindest partiell verbessern, etwa durch Heimkehr oder lokale Integration (IDMC 5.2019). Stand 31. Dezember 2019 gab es insgesamt 730.000 IDPs in der Ukraine. Im Jahr 2019 wurden 60 neue Vertreibungen verzeichnet (IDMC 2020).

Die Regierung arbeitet mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Nur registrierte IDPs bekommen Unterstützungsleistungen vom Staat. Die meisten IDPs leben in Gebieten, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk, sowie in den Gebieten Charkiw, Dnipropetrovsk und im Oblast Zaporizhzhya (USDOS 11.3.2020). Die meisten Binnenflüchtlinge leben nahe der Kontaktlinie in gemieteten Unterkünften. Fast die Hälfte der IDP-Bevölkerung sind Familien mit Kindern. Um sich in der Ukraine als IDP registrieren zu lassen, muss man sich im regierungskonrollierten Gebiet befinden. Um IDP-Unterstützung und die weitere Auszahlung von Renten zu beantragen, muss man einen Nachweis über die Registrierung als IDP vorlegen. Umfragen zeigen, dass IDPs anfälliger für Arbeitslosigkeit sind. Der Zugang älterer Menschen zu ihrer Rente stellt eine Herausforderung dar. IDPs werden im Allgemeinen wenig diskriminiert (Landinfo 16.4.2020).

Personen, die als Binnenflüchtlinge registriert sind, können staatliche Beihilfen für IDPs erhalten. Für diese Zahlungen ist das Ministerium für Sozialschutz verantwortlich. Für Menschen, die nicht arbeiten können, also Rentner, Kinder und Studenten, die noch von ihren Eltern abhängig sind (bis 23 Jahre), beträgt die Unterstützung 1.000 UAH pro Person und Monat. Für Arbeitslose beträgt die Unterstützung 442 UAH pro Person und Monat. Familien können nicht mehr als 3.000 UAH (1.130 USD) pro Monat erhalten, es sei denn, sie haben mehr als drei Kinder. Für diese Familien beträgt die Unterstützung 5.000 UAH pro Monat. Die Unterstützung hat sich seit ihrer Einführung nicht wesentlich geändert. Oft reicht die Unterstützung nicht aus, um damit das Leben zu finanzieren, das gilt besonders für Städte, in denen das Kostenniveau höher ist (Landinfo 16.4.2020).

Laut Gesetz sollte die Regierung den Vertriebenen auch eine Unterkunft zur Verfügung stellen, was jedoch mangelhaft umgesetzt wird. Wohnen, Beschäftigung und Empfang von Sozialleistungen und Renten sind weiterhin die größten Sorgen der IDPs. Für die Integration der IDPs fehlt eine Regierungsstrategie, was die Bereitstellung von Finanzmitteln behindert. Dadurch werden IDPs wirtschaftlich und gesellschaftlich marginalisiert. Ein Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und die allgemein schwache Wirtschaft wirken sich besonders auf IDPs aus und zwingen viele von ihnen, in unzulänglichen Unterkünften wie Sammelunterkünften und provisorischen Unterkünften zu leben. UN-Agenturen berichten, der Zustrom von IDPs habe im Rest des Landes zu Spannungen im Wettbewerb um die knappen Ressourcen (Wohnungen, Arbeitsplätze, Bildung) geführt. Insbesondere in den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Luhansk haben IDPs oft ungenügenden Zugang zu sanitären Einrichtungen, Unterkünften und Trinkwasser. NGOs berichten von Diskriminierung von IDPs bei der Arbeitssuche. IDPs haben nach wie vor Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Dokumenten. Medienberichten zufolge haben IDPs von der Krim eingeschränkten Zugang zu Bankdienstleistungen, obwohl ein Gerichtsurteil den Banken diese Praxis verbietet (USDOS 11.3.2020).

Das Durchschnittseinkommen pro IDP-Haushaltsmitglied ist zuletzt zwar leicht gestiegen ist - auf 3.631 UAH (ca. 150 USD) pro Monat - liegt aber immer noch ein Drittel unter dem Durchschnitt der Ukraine (IOM 21.2.2020).

Die größte Herausforderung für IDPs stellt die Wohnsituation dar. In der Ukraine gibt es ein öffentliches Wohnungsbauprogramm. Dies gilt für die gesamte Bevölkerung, einschließlich der IDPs. Das Programm basiert darauf, dass der Antragsteller einen Teil der Wohnkosten und der Staat den anderen Anteil tragen muss. Normale Bürger müssen 70% der Kosten und der Staat 30% tragen. Für Binnenflüchtlinge beträgt die Verteilung zwischen dem Antragsteller und dem Staat 50/50. Das Programm umfasst IDPs mit einem monatlichen Einkommen, das unter der Summe von drei durchschnittlichen monatlichen Einkommen liegt. Im Jahr 2018 würde dies theoretisch über 90% aller registrierten IDPs umfassen. 70% der Teilnehmer an diesem Programm im Jahr 2018 (insgesamt 130 Personen) waren IDPs. IDPs haben einen großen Bedarf an psychosozialer Unterstützung, viele haben Traumata aus dem Konflikt, und viele leben mit Unsicherheit über die Zukunft. In einer IOM-Umfrage von Juli bis September 2019 gaben 54% der Befragten an, in die lokale Gemeinschaft integriert worden zu sein, während 34% angaben, teilweise integriert zu sein. 7% fühlten sich nicht integriert. Kiew war der Ort, an dem sich die IDPs am stärksten integriert fühlten. Der Hauptgrund, warum sich IDPs integriert fühlten, war Wohnen, dann festes Einkommen und Arbeit (Landinfo 16.4.2020).

Quellen:

-        IDMC – Internal Displacement Monitoring Centre (ehemals: Global IDP Project) (5.2019): Ukraine Figure Analysis - Displacement related to conflict and violence

-        IDMC – Internal Displacement Monitoring Center (2020): Ukraine, Displacement associated with Conflict and Violence

-        IOM – UN Organization for Migration (21.2.2020): “Struggling to get through each day.” New IOM IDP Survey from Ukraine

-        Landinfo (16.4.2020): Temanotat, Ukraina, Internflyktninger

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Ukraine

1.3.9. Grundversorgung

Die makroökonomische Lage hat sich nach schweren Krisenjahren stabilisiert. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen Umstände wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von 3,3% erzielt, das 2019 auf geschätzte 3,6% angestiegen ist. Die Staatsverschuldung ist in den letzten Jahren stark angestiegen und belief sich 2018 auf ca. 62,7% des BIP (2013 noch ca. ein Drittel). Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 29.2.2020).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung (AA 29.2.2020; vgl. GIZ 12.2018). Die Ukraine gehört trotzt zuletzt deutlich steigender Reallöhne zu den ärmsten Ländern Europas. Das offizielle BIP pro Kopf gehört zu den niedrigsten im Regionalvergleich und beträgt lediglich ca. 3.221 USD p.a. Ein hoher Anteil von nicht erfasster Schattenwirtschaft muss in Rechnung gestellt werden (AA 29.2.2020). Die Mietpreise für Wohnungen haben sich in den letzten Jahren in den ukrainischen Großstädten deutlich erhöht. Wohnraum von guter Qualität ist knapp (GIZ 12.2018). Insbesondere alte bzw. schlecht qualifizierte und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Menschen leben zum Teil weit unter der Armutsgrenze (GIZ 3.2020b). Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger, Schattenwirtschaft) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (Mindestrente zum 1. Dezember 2019: 1.638 UAH (ca. 63 EUR) (AA 29.2.2020). Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland, zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle (ÖB 2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Anspruchsanforderungen, Finanzierung des Systems und beim Versicherungsfonds. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70% (ÖB 2.2019; vgl. UA 27.4.2018).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Länderinformationsportal, Ukraine, Wirtschaft & Entwicklung

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (12.2018): Länderinformationsportal, Ukraine, Alltag

-        ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine

-        UA – Ukraine Analysen (27.4.2018): Rentenreform

1.3.10. Rückkehr

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurück-gekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Neue Dokumente können landesweit in den Servicezentren des Staatlichen Migrationsdiensts beantragt werden. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich – wie bei anderen Personengruppen auch – Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 29.2.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (29.2.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: Januar 2020)

1.4. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr

Den BF ist die Rückkehr auf die Krim nicht möglich. Eine Niederlassung an einem anderen Ort in der Ukraine, wie etwa Kiew, ist ihnen jedoch zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden.

Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5. Zur Situation der BF in Österreich

Die BF reisten im XXXX illegal in Österreich ein und sind seither hier aufhältig.

Sie beziehen Leistungen aus der Grundversorgung, gehen keiner Erwerbstätigkeit nach und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Die BF verfügen jeweils über eine unverbindliche Einstellungszusage in der XXXX zu einem Monatsbruttolohn von XXXX .

Die BF sind fähig, zu Alltagssituationen selbständig auf Deutsch zu kommunizieren. Sie haben jeweils eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Sie haben am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF und einem Erste-Hilfe-Kurs des Roten Kreuzes teilgenommen. Sonstige Kurse oder Ausbildungen besuchen die BF nicht.

Die BF haben bekanntschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich gefunden. Darüber hinaus bestehen keine weiteren, familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet.

Die BF sind seit XXXX beim Roten Kreuz und in einem Seniorenpflege- und Betreuungszentrum ehrenamtlich tätig und haben gemeinnützige Tätigkeiten für die örtliche Marktgemeinde erledigt. Der BF1 hat Blut gespendet. Die BF sind Mitglieder beim Roten Kreuz.

Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der BF

2.1.1. Die Identität der BF steht aufgrund der Vorlage ihrer originalen ukrainischen Inlandspässe fest.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- (Akt I des BF1, AS 15; Akt II des BF1, AS 105; Akt I der BF2, AS 15; Akt II der BF2, AS 75) und Religionszugehörigkeit (Akt I des BF1, AS 15; Akt II des BF1, AS 11; Akt I der BF2, AS 15; Akt II der BF2, AS 11 und 75) der BF sowie zu ihrer ukrainischen Herkunft gründen sich im Übrigen auf ihre insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bzw. ihren Kenntnissen der russischen und ukrainischen Sprachen (Akt I des BF1, AS 15; Akt I der BF2, AS 15; Akt II der BF2, AS 11).

Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass der Herkunfts- und letztmalige Wohnort der BF auf der inzwischen von der Russischen Föderation annektierten Krim nichts an ihrer ukrainischen Staatsangehörigkeit ändert, da weder die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation noch, folgerichtig, die pauschale Zuerkennung der russischen Staatsangehörigkeit an die Einwohner der Krim, sofern sie dem nicht widersprachen, weder von der Ukraine noch völkerrechtlich, damit auch nicht von der Republik Österreich, anerkannt werden.

Die Feststellung zur Lebensgemeinschaft der BF (Akt I des BF1, AS 15; Akt I der BF2, AS 15) und, dass sie gesund sind (Verhandlungsprotokoll S. 3), folgt ihren Angaben.

2.1.2. Die Feststellungen zum Geburts- (Akt I des BF1, AS 15; Akt II des BF1, AS 11) und Wohnort (Akt I des BF1, AS 17; Akt II des BF1, AS 101) des BF1 auf der Krim, zu seiner Schulbildung (Akt I des BF1, AS 15; Akt II des BF1, AS 105), zum Besuch einer Berufsschule (Akt I des BF1, AS 16; Akt II des BF1, AS 105) und seiner Arbeitstätigkeit (Akt I des BF1, AS 16, 181; Akt II des BF1, AS 105) stützen sich auf die glaubhaften Angaben des BF1.

2.1.3. Zu seinem Familienstand brachte der BF1 im Verfahren einerseits vor, noch verheiratet zu sein (Akt I des BF1, AS 149 und 155), andererseits, schon geschieden zu sein (Akt I des BF1, AS 15; Akt II des BF1, AS 11), und schließlich, nicht genau zu wissen, ob er noch verheiratet oder bereits geschieden sei, da er keine Unterlagen dazu habe, aber ihm mitgeteilt worden sei, dass seine Ex-Frau sich scheiden habe lassen (Akt II des BF1, AS 99; Verhandlungsprotokoll S. 4 f). In der Folge war der tatsächliche Familienstand des BF1 nicht festzustellen.

Die Feststellungen über die Kinder des BF1 (Akt II des BF1, AS 101), dem Ableben seines Vaters (Akt I des BF1, AS 17), dem Aufenthaltsort und der Wohnsituation seiner Mutter und seines Bruders (Akt II des BF1, AS 101 f) sowie seines Sohnes und dessen Arbeitstätigkeit (Verhandlungsprotokoll S. 18) und, dass er mit seiner Mutter, seinem Bruder und seinem Sohn in Kontakt steht (Akt II des BF1, AS 105; Verhandlungsprotokoll S. 4 f), folgen wiederum den glaubhaften Angaben des BF1.

2.1.4. Die Feststellungen zum Geburts- (Akt I der BF2, AS 15; Akt II der BF2, AS 11) und Wohnort (Akt I der BF2, AS 17; Akt II der BF2, AS 73) der BF2 ergeben sich aus ihren glaubhaften Angaben. Zu ihrem Schulbesuch erklärte die BF2 einerseits XXXX Jahre (Akt I der BF2, AS 15), andererseits XXXX Jahre (Akt II der BF2, AS 77) die Grundschule besucht zu haben, weshalb mangels Entscheidungswesentlichkeit nur entsprechendes festzustellen war. Im Übrigen wird den Aussagen der BF2 zu ihrem Besuch der Berufsschule (Akt I der BF2, AS 16 und 111) und ihrer Arbeitstätigkeit (Akt I der BF2, AS 16 und 111; Akt II der BF2, AS 77; Verhandlungsprotokoll S. 12) gefolgt.

2.1.5. Schließlich wird auch den Aussagen der BF2 zu ihrem Familienstand (Akt I der BF2, AS 15 und 111; Akt II der BF2, AS 11 und 73), dem Ableben ihres Vaters sowie dem Aufenthaltsort ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihres Sohnes aus einer früheren Beziehung (Akt I der BF2, AS 17 und 111; Akt II der BF2, AS 73; Verhandlungsprotokoll S. 13), deren Wohnverhältnissen (Akt II der BF2, AS 73 f) und, dass sie mit ihrer Mutter und ihrem Sohn in Kontakt steht (Akt II der BF2, AS 77; Verhandlungsprotokoll S. 17 f) Glauben geschenkt.

2.1.6. Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus einem Auszug aus dem österreichischen Strafregister.

2.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

2.2.1. Das Vorbringen der BF, aufgrund einer Teilnahme an den Protesten am Maidan-Platz in Kiew XXXX in der Ukraine verfolgt zu werden, ist nicht glaubhaft, da das Vorbringen der BF vage, widersprüchlich, nicht nachvollziehbar und letztlich auch nicht aufgrund der zitierten Länderberichte objektivierbar ist.

2.2.2. Von Beginn weg ist festzuhalten, dass es sich bei der Ukraine um einen sicheren Herkunftsstaat im Sinne des § 1 der Herkunftsstaaten-Verordnung handelt. Zur Aufnahme eines Staates in diese Verordnung ist gem. § 19 Abs. 5 BFA-VG vor allem auf das Fehlen von staatlicher Verfolgung, dem Schutz vor privater Verfolgung und den Rechtsschutz gegen erlittene Verletzungen von Menschenrechten Bedacht zu nehmen. Es handelt sich dabei um eine widerlegbare gesetzliche Vermutung (VwGH 25.06.2020, Ra 2019/18/0441).

In concreto ist den BF selbst bei Wahrunterstellung einer Teilnahme an den Demonstrationen nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Es ist eine notorische Tatsache, dass das – hier relevante – Ziel der Demonstrationen, den damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch abzusetzen und Präsidentschaftswahlen auszurufen, erreicht wurde und das oppositionelle Bündnis – dem auch Julia Timoschenko’s Batkiwschtschyna-Partei, für welche der BF1 demonstriert habe (Akt I des BF1, AS 148; Akt II des BF1, AS 111), angehörte – als politischer Sieger hervorging. Weder ist den zitierten Länderberichten zu entnehmen, noch konnten die BF in irgendeiner Art glaubhaft machen, dass Teilnehmer der damaligen Demonstrationen heute einer Verfolgung unterliegen würden. Der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Bericht von Amnesty International (Beilage ./1) belegt zwar die unzureichende strafrechtliche Aufarbeitung der Polizeigewalt während jener Proteste, zeigt jedoch nicht auf, dass die damaligen Demonstranten seit dem erwirkten Regimewechsel weiterhin (staatlich) bedroht wären. Dies wäre angesichts des politischen Machtwechsels auch kaum nachvollziehbar. Dies gilt letztlich auch für den vorgelegten Artikel vom 11.01.2014 – d.h. von einem Zeitpunkt vor dem politischen Machtwechsel – wonach gewalttätigen Demonstranten vor dem Kiewer Svyatoshynskiy-Gericht mit einer fünfjährigen Haftstrafe gedroht werde (Akt II des BF1, AS 393), zumal der BF1 im Übrigen zwar angab, vor Ort gewesen zu sein, sich aber nicht an Kampfhandlungen beteiligt zu haben (Akt I des BF1, AS 149 f; Verhandlungsprotokoll S. 6 f und 11), und die BF2 angab, schon nicht vor Ort gewesen zu sein (Akt II der BF2, AS 81).

Der BF1 legte weiters im Rahmen der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid einen Auszug aus der öffentlich zugänglichen Fahndungsdatenbank des ukrainischen Innenministeriums vor, auf welchem er aufscheint (Akt II des BF1, AS 313), und gab dazu an, dass er den genauen Grund für diese Fahndung nicht kenne (Akt II des BF1, AS 289). In der mündlichen Verhandlung brachte sein Vertreter vor, dass aufgrund seiner Demonstrationsteilnahme nach dem BF1 gefahndet werde (Verhandlungsprotokoll S. 16). Tatsächlich wird auf jenem Auszug aber Artikel 156 des ukrainischen Strafgesetzbuches – sexueller Missbrauch einer Person unter 16 Jahren – als Fahndungsgrund angegeben, womit die angegebene Verbindung zu einer politischen Tätigkeit des BF1 nicht besteht. Dies wurde auch durch den Verbindungsbeamten des österreichischen Innenministeriums in der Ukraine bestätigt, wobei hier zusätzlich ausgeführt wurde, dass sich der Strafakt des BF1 in XXXX befinde (OZ 18). All dies entspricht den Feststellungen zum russischen Fahndungsbeschluss gegen den BF1 (Akt I des BF1, AS 93 ff), wobei darauf hinzuweisen ist, dass die österreichische Justiz dem russischen Auslieferungsersuchen gegen den BF1 lediglich aufgrund der völkerrechtlich nicht anerkannten Kontrolle der Russischen Föderation über die Krim – den Tatort – nicht nachkam (Akt I des BF1, AS 353 ff). Zumal es höchst unwahrscheinlich wäre, dass sowohl die russischen als auch die ukrainischen Behörden aus demselben vorgeblich erfundenen Grund nach dem BF1 fahnden würden, ergab sich kein Hinweis darauf, dass dem BF1 diese Straftat lediglich aus politischen Gründen unterstellt werden würde. Dafür spricht im Übrigen auch, dass der BF1 im gesamten Verfahren keinen substantiierten Versuch unternahm, die konkret gegen ihn erhobenen Vorwürfe auszuräumen.

Es ist somit schon daher festzuhalten, dass den BF – die BF2 bezieht sich im Übrigen im Wesentlichen auf die Fluchtgründe des BF1 (s. auch Akt II der BF2, AS 81) – in der Ukraine keine Gefahr aufgrund einer Teilnahme an jenen Demonstrationen droht.

2.2.3. Darüber hinaus waren die Angaben der BF – insbesondere des BF1 – aber auch vage, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar.

2.2.3.1. Dies betrifft zunächst die genaue Stellung des BF1 bei jenen Demonstrationen.

So brachte er in der Einvernahme durch das BFA vor, bis zum XXXX stellvertretender Kommandant und danach Kommandant der „Krimer Einheit am Maidan“ gewesen zu sein (Akt II des BF1, AS 107). Befragt, wer ihn bestellt habe, konnte der BF nur vage eine gewisse „ XXXX “ nennen, die Vertreterin der Batkiwschtschyna-Partei gewesen sei, ohne jedoch konkretere Angaben zu ihr zu machen. Weiters erklärte er, dass der vorherige Kommandant „weggehen“ habe wollen und „über XXXX “ auf die Krim gefahren sei und deshalb den BF1 für diese Funktion empfohlen habe. Auf weitere Nachfrage, wie dieser heiße, nannte der BF1 wiederum zunächst nur einen Vornamen und konnte erst nach einer Überlegungspause einen Nachnamen nennen (Akt II des BF1, AS 111). Es ist aber nicht nachvollziehbar, weshalb der BF1 nur derart vage Angaben machen konnte bzw. Bedenkzeit benötigte, um Namen zu nennen. Aus den Ausführungen des BF1 geht zudem nicht schlüssig hervor, weshalb er zum Kommandanten der Einheit bestellt worden sei, obwohl der vorherige Kommandant lediglich „über XXXX “ auf die Krim gefahren sei, was eine Rückkehr impliziert. Da es sich bei den Demonstrationen zweifellos um einschneidende Erlebnisse, Tage und Wochen im Leben des BF1 gehandelt hätte, zumal er behauptet, aufgrund dieser Ereignisse verfolgt zu werden, wären weitaus detailliertere Angaben zu erwarten gewesen, wie der BF1, ein einfacher XXXX , zum Kommandanten der „Krimer Einheit am Maidan“ aufgestiegen sei.

Desgleichen konnten die Ausführungen des BF1 zu seinen Aufgaben nicht schlüssig mit einer leitenden Stellung in Verbindung gebracht werden. In der Einvernahme durch das BFA gab der BF1 zu Protokoll, dass er für die Unterbringung, Verpflegung, medizinische Hilfe und Identifizierung der Neuankömmlinge sorgen und „dem Stab“ darüber berichten habe müssen. Er habe sie „praktisch wie eine Mutter“ versorgt, unter anderem auch „mit Socken und Unterhosen“ (Akt II des BF1, AS 111). In der mündlichen Verhandlung mit dem Vorhalt konfrontiert, dass anhand dieser Aufgaben keine wichtige Führungsfunktion erblickt werden kann, konnte der BF1 keine damit zusammenhängende, den Vorhalt entkräftende Antwort geben (Verhandlungsprotokoll S. 9 f).

Dementsprechend blieben auch die Angaben des BF1 zu den Mitgliedern des Stabs, dem er berichtet habe, äußerst vage und widersprüchlich. In der Einvernahme durch das BFA stellte der BF1 zunächst fest, dass er sich an die Namen nicht mehr erinnern könne, um dann auszuführen, dass der Stab von „ XXXX “ geleitet worden sei und die bereits erwähnte „ XXXX “ sowie „ XXXX “ und ein weiterer Abgeordneter namens „ XXXX “ Teil des Stabs gewesen seien. Der BF1 wisse aber eigentlich nicht, ob jener XXXX auch ein Abgeordneter gewesen sei, doch sei er bei jeder Sit

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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