TE Vfgh Erkenntnis 1995/9/26 B1836/94

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Veröffentlicht am 26.09.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Abweisung von Anträgen auf Verlängerung bereits abgelaufener Sichtvermerke aufgrund der Annahme der Notwendigkeit der Antragstellung vom Ausland aus; kein Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller; verfassungskonforme Auslegung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Antragstellung vom Inland aus in bestimmten Fällen geboten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsbürger, hält sich - den Verwaltungsakten zufolge - mit Sichtvermerk seit Dezember 1989 in Österreich auf. Er ist seit 1993 mit einer Österreicherin verheiratet und stammt aus dieser Ehe ein Kind. Er verfügt sowohl über eine ortsübliche Unterkunft als auch über ein entsprechendes Einkommen. Zuletzt war ihm ein bis 30. November 1993 befristeter Sichtvermerk erteilt worden. Am 10. Dezember 1993 brachte er einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ein. Mit Bescheid vom 31. Jänner 1994 wies die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land diesen Antrag gemäß §6 Abs2 und 3 Aufenthaltsgesetz iVm §1 Abs1 Aufenthaltsgesetz ab.

Die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 15. Juli 1994 gemäß §66 Abs4 AVG iVm §13 Abs1 AufenthaltsG iVm §6 Abs3 AufenthaltsG ab.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird. Der Beschwerdeführer bringt vor, daß er mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei und mit dieser ein Kind habe. Er gehe einer geregelten Beschäftigung nach. Es lägen bei ihm geregelte Wohnsitzverhältnisse vor und seien auch die sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gegeben. Würde er nunmehr wegen der Fristversäumung von wenigen Tagen zur Stellung eines Erstantrages vom Ausland aus verhalten sein, so würde dies zum Zerreißen der Familie, Verlust des Arbeitsplatzes und damit zu schwerwiegenden finanziellen Nachteilen wenn nicht gar zum wirtschaftlichen Ruin seiner Familie führen.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Ein Eingriff in das durch Art8 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging oder auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzeslosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewandten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat.

2. Der Beschwerdeführer befand sich bis zum 30. November 1993, sohin seit Jahren, rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung wurde 10 Tage nach Ablauf des Sichtvermerkes gestellt. Die belangte Behörde hat der Sache nach die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gemäß §6 Abs2 iVm §13 Abs1 Aufenthaltsgesetz abgewiesen, unter Hinweis, daß bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bei Antragstellern aus dem Ausland nichts entgegen stünde.

3. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. Juni 1995, B 1611-1614/94, mit ausführlicher Begründung dargetan hat, ist der Fall von Fremden, welche sich Jahre bzw. Jahrzehnte lang in Österreich rechtmäßig aufhielten und die Frist zur Stellung eines Antrages gemäß §13 Abs1 AufenthaltsG nur relativ kurz versäumt haben unter §6 Abs2 zweiter Satz AufenthaltsG zu subsumieren, demnach der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch vom Inland ausgestellt werden kann.

Dem Beschwerdeführer, der sich seit 1989 rechtmäßig in Österreich aufhält und der relativ kurze Zeit (10 Tagen) nach Ablauf der Geltungsdauer seines Sichtvermerkes Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt hat, wurde diese von der belangten Behörde mit der Begründung versagt, daß der Antrag vom Ausland aus zu stellen ist. Insoweit die belangte Behörde sich auf VfSlg. 11044/1986 stützt, welche die Einreise eines Fremden und dessen nur kurzfristigen Aufenthalt in Österreich betraf, setzt sie sich darüber hinweg, daß der Beschwerdeführer sich seit Jahren rechtmäßig im Inland aufgehalten hat.

Die belangte Behörde hat bei Erlassung ihres Bescheides dem §6 Abs2 AufenthaltsG einen verfassungswidrigen, weil dem Art8 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt, was den angefochtenen Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 3.600,-

enthalten.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1836.1994

Dokumentnummer

JFT_10049074_94B01836_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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