TE Bvwg Beschluss 2020/11/23 W222 2233588-1

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Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W222 2233588-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch ihre Mutter XXXX , diese vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.06.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A) Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Die minderjährige Beschwerdeführerin (in der Folge BF), eine somalische Staatsangehörige, stellte als ein in Österreich nachgeborenes Kind einer Asylberechtigten durch ihren Vater als gesetzlichen Vertreter am 08.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 in Verbindung mit § 17 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG). Der Vater der BF gab an, dass das Kind eigene Gründe für internationalen Schutz habe und er weitere Ermittlungen dazu beantrage.

Am 26.02.2020 wurde die Mutter der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie folgendes an (Schreibfehler korrigiert):

„LA: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen eine der anwesenden Personen vor?

VP: Nein, es liegen keinerlei Einwände vor.

LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten? Gibt es Gründe, die gegen eine Befragung am heutigen Tage sprechen.

VP: Ja, ich habe keinerlei Probleme.

LA: Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können.

Wie ist die Verständigung mit dem Dolmetscher?

VP: Die Verständigung ist gut.
LA: Sie werden darauf hingewiesen, dass Ihre Angaben im Asylverfahren vertraulich behandelt und nicht an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergeleitet werden.

Es ist unumgänglich, dass Sie die Wahrheit sagen, nichts verschweigen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte selbständig und über Nachfrage wahrheitsgemäß darlegen.

LA: Haben Sie im Verfahren einen Vertreter oder Zustellbevollmächtigten?

VP: Nein.

Anm: Der Antragsteller wird nochmals ausführlich zur verpflichtenden Mitwirkung im Verfahren (auch im Falle der Beiziehung von Sachverständigen, allenfalls auch der Vertretungsbehörden) sowie der Mitwirkung an der Klärung der Identität und des Alters in jedem Verfahrensstadium vor dem BFA hingewiesen. Er wurde eindringlich darüber aufgeklärt, dass den Angaben im Asylverfahren eine besondere Glaubwürdigkeit zukommt.

LA: Haben Sie das verstanden?

VP: Ja.

LA: Wie verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?

VP: Danke gut.

LA: Befindet sich Ihre Tochter XXXX in Österreich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung, nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

VP: Nein, meine Tochter ist gesund.

LA: Sie haben für Ihre in Österreich geborene Tochter XXXX , geb. XXXX , einen Antrag auf internationalen Schutz von einem in Österreich nachgeborenen Kind gem. § 17 Abs. 3 AsylG gestellt. Sie führten an, dass Ihre Tochter eigene Gründe für internationalen Schutz hat und Sie weitere Ermittlungen hierzu beantragen.

VP: Ja. Das stimmt.

LA: Können Sie nun irgendwelche Personaldokumente oder andere Beweismittel vorlegen?

VP: Nein, keine.

LA: Haben Sie, abgesehen von Ihrem in Österreich aufhältigen Gatten und Ihren Kindern noch

weitere Angehörige in Österreich oder einem anderen Staat der EU?

VP: Meine Mutter, mein Bruder und meine Schwester sowie meine Tante. Keine weiteren.

LA: Geben Sie bitte Ihre konkete Wohnanschrift in Österreich bekannt.

VP: XXXX .

LA. Leben Sie im gemeinsamen Haushalt und sind an gemeinsamer Anschrift mit Ihrem Gatten und Ihrer Tochter XXXX ?

VP: Ja.

LA: Haben Sie Beweismittel in Vorlage zu bringen?

VP: Nein, keine.

LA: Sind Sie für Ihre Tochter Sorgeberechtigt?

A: Ja. Gemeinsam mit meinem Gatten

LA: Haben Sie noch Kontakt ins Heimatland? Wenn ja, mit wem? (telefonisch, E-Mail, postalisch, etc.)

VP: Nein. Nachgefragt gebe ich an, dass ich noch entfernte Verwandte in Somalia habe, jedoch mit diesen nicht in Kontakt stehe.

LA. Wovon bestreiten Sie den Lebensunterhalt im Bundesgebiet?

A: Ich bekomme Mindestsicherung, mein Mann ist derzeit auf Arbeitssuche.

FLUCHTGRUND

LA: Geben Sie bitte die eigenen Asylgründe Ihrer Tochter XXXX bekannt.

A: Ich habe Angst, dass meine Tochter im Falle der Rückkehr von der Familie meines Mannes beschnitten wird.

F: Sind das alle Ihre Fluchtgründe?

A: Ja.

F: Welche Familienangehörigen Ihres Gatten halten sich nach wie vor in Somalia auf?

A: Seine Eltern und die Geschwister, leben alle in XXXX , Somalia.

F: Geben Sie die Personendaten der Angehörigen bekannt

A: Mutter: XXXX , Vater. XXXX , 2 Schwestern: XXXX und XXXX und 1 Bruder: XXXX .

F: Wie stehen Sie generell zu dem Thema Beschneidung?

A: Ich bin gegen die Beschneidung.

F: Wie steht der Vater Ihrer mj. Tochter zu dem Thema Beschneidung?

A: Er ist auch der gleichen Meinung wie ich, ich habe aber Angst vor seiner Familie.

F: Sind Ihre mj. Töchter XXXX und XXXX beschnitten?

A: Nein.

F: Möchten Sie bzw. der Vater Ihre mj. Tochter beschneiden lassen?

A: Nein.

F: Warum möchten Sie dies nicht?

A: Weil ich selbst beschnitten wurde. Es gibt viele Probleme, ich will das für meine Kinder nicht. Es ist für die Gesundheit nicht gut.

F: Ihre beiden Töchter XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , sind in Österreich geboren. Wo haben sich die Familienangehörigen Ihres Gatten zu den Geburtszeiten Ihrer Töchter aufgehalten?

A: In Somalia, sie waren immer in Somalia.

F: Warum hatten Sie bei Ihren beiden in Österreich geborenen Töchtern keine Befürchtungen, dass diese im Falle der Rückkehr

A: Ich hatte immer Angst, ich habe aber bis voriges Jahr nichts davon gewusst. Ich hatte zwar viele Rechtsberatungen. Letztes Jahr, als ich ein Aberkennungsverfahren hatte, bekam ich große Angst und man hat mir geraten, dass es besser ist für meine Kinder in Zukunft einfach eigene Gründe anzugeben, damit diese einen eigenen Bescheid erhalten.

F: Welche Schulbildung haben Sie?

A: Hauptschulabschluss und ich habe die Abendmatura gemacht, eine Prüfung fehlt mir noch.

F: Welche Schulbildung hat Ihr Gatte?

A: Er hat in Somalia die Matura gemacht, in Österreich hat er den Führerschein gemacht und Computerkurse. Jetzt möchte er den Taxiführerschein machen.

F: Welche Schulbildung und Ausbildung haben die Eltern sowie Geschwister Ihres Gatten?

A: ich weiß es nicht genau. Sein Vater ist Geschäftsmann in Somalia, hat glaublich zwei Lebensmittelgeschäfte in Somalia.

F: Werden Sie diesbezüglich von dem Vater Ihrer mj. Tochter unterstützt? Bekommen Sie Rückhalt von dem Vater Ihrer mj. Tochter in Bezug auf die Nichtbeschneidung?

A: Ja. Auch mein Mann ist gegen die Beschneidung.

Die Einvernahme wird um 09.55 Uhr unterbrochen

Die Einvernahme wird um 10.10 Uhr fortgesetzt.

LA. Welchem Clan gehören Sie und Ihre Familienangehörigen an?

A: Reer Xasmar.

LA. Aus welcher Gegend in Somalia stammen Sie und Ihre Familienangehörigen?

A: Mogadischo.

LA: Welchem Clan gehört Ihr Gatte und dessen Familienangehörige an?

A: So wie ich, auch Reer Xamar, er stammt aus XXXX , weit weg von Mogadischu, eine andere Stadt.

LA: Welcher Volksgruppe sind Sie zugehörig?

A: Bafadet, eine Minderheit.

LA: Welcher Volksgruppe ist Ihr Gatte zugehörig?

A: Ich glaube Shikal, ich weiß es aber nicht, habe es vergessen.

LA: Welche Asylgründe hatten Sie?

A: Ich wurde damals aufgrund der Verweigerung meiner Mutter Schwarzgeld zu bezahlen gekidnappt. Das war der Grund weshalb ich Somalia verlassen habe. Nachgefragt bin ich im Jahr 2007 im Dezember nach Österreich gekommen.

LA: Welche Gründe der Asylantragstellung hatte Ihr Gatte?

A: ich weiß es nicht. Mein Mann kam 2012 nach Österreich, wir haben uns in Österreich kennen gelernt.

LA. Weshalb wissen Sie die Asylgründe Ihres Gatten nicht?

A: Er mag nicht darüber sprechen.

LA: Kennen Sie die Familienangehörigen Ihres Gatten?

A: Nein. Nicht persönlich. Mein Mann hat mir gesagt, dass meine Schwiegermutter die Beschneidungen macht, sie ist sehr traditionell.

LA: Wann hat Ihnen denn Ihr Gatte erzählt, dass seine Mutter so traditionell ist?

A: Als ich schwanger mit dem ersten Kind war, wir sprachen über das Thema der Beschneidung. Er sagte, dass seine Mutter sehr traditionell ist.

LA: Wann waren sie mit dem ersten Kind schwanger?

A: Ende 2014, Anfang 2015

LA: Sie wissen also seit 2014 bzw. Anfang 2015, dass Ihre Schwiegermutter traditionell ist?

A: Ja.

LA: Haben Sie die Rechtsberatungen immer in Anspruch genommen?

A: Ja.

LA: Eigenen Angaben zufolge wissen Sie bereits seit dem Jahr 2014 bzw. 2015, dass Ihre Schwiegermutter angeblich traditionell ist. Sie haben in der Zwischenzeit bereits in Österreich zwei Töchter zur Welt gebracht, hatten Rechtsberatungen und gaben an, dass Ihre Töchter keine eigenen Fluchtgründe haben und sich auf Ihre Fluchtgründe beziehen. Sie hatten im Jahr 2019 aufgrund einer Reisebewegung ein laufendes Aberkennungsverfahren und wurden dbzgl. einvernommen. Sie gaben an, dass Sie nunmehr befürchten, dass Ihren Kindern der Status aberkannt wird.

A: Ich hatte damals keine Rechtsberatungen, habe für meine Kinder Asylanträge gestellt. Nun, nachdem ich die Einvernahme im Aberkennungsverfahren hatte, habe ich erst erfahren, dass auch meine Kinder eigene Gründe angeben können. Ich wusste das damals nicht.

LA: Ist die Beschneidung im Umfeld Ihrer Schwiegereltern verboten?

A: Nein, in ganz Somalia darf man das.

LA: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr nach Somalia für Ihre Tochter

A: Dass Sie durch meine Schwiegermutter beschnitten wird, auch weil die Gesellschaft in Somalia denkt, dass wenn ein Mädchen nicht beschnitten ist, sie nicht sauber wäre. […]“

Mit Aktenvermerk vom 18.06.2020 hielt das BFA fest, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit Verfolgung zu rechnen hätte. Auf Vorhalt, wonach die Mutter der BF bereits seit der Geburt ihrer ersten Tochter von der traditionellen Schwiegermutter gewusst habe, zwischenzeitlich noch eine weitere Tochter im Bundesgebiet zur Welt gebracht habe und auch Rechtsberatungen in Anspruch genommen habe, jedoch keine eigenen Fluchtgründe bei den Antragstellungen für ihre Töchter geltend gemacht habe, habe die Mutter nunmehr im Widerspruch dazu angegeben, keine Rechtsberatungen gehabt zu haben und von der Möglichkeit der Bekanntgabe eigener Fluchtgründe für in Österreich nachgeborene Kinder erst im Zuge des damals eingeleiteten Aberkennungsverfahren erfahren zu haben. Aufgrund der aufgezeigten Persönlichkeitsstruktur der Mutter der BF (persönlicher Wille zur Weiterbildung, überdurchschnittliche Schulbildung) könne davon ausgegangen werden, dass diese mit maßgeblicher Wahrhscheinlichkeit dem psychischen Druck im Zusammenhang mit einer etwaigen Beschneidung der BF im Falle einer Rückkehr standhalten könne.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 18.06.2020 wurde dem Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 08.01.2020 gem. § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG stattgegeben und ihr der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der BF damit kraft Gesetztes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Es sei inbesondere darauf zu verweisen, dass die Mutter bereits seit Ende 2007 im Bundesgebiet aufhältig und seit 25.06.2009 asylberechtigt sei.

Begründend führte das BFA aus: „Aufgrund des Akteninhaltes Ihrer Bezugsperson in Verbindung mit dem entscheidungsrelevanten Vorbringen konnte Ihre Eigenschaft als Familienangehöriger eines Asylberechtigten als glaubwürdig gewertet werden. Die Feststellungen zum Nichtvorliegen einer Straffälligkeit, zum nicht anhängigen Aberkennungsverfahren und zum Asylverfahren sowie zum Status und zur Aufenthaltsberechtigung Ihrer Bezugsperson ergeben sich aus dem Inhalt Ihres Asylaktes sowie dem Ihrer Bezugsperson.“

Mit Schriftsatz vom 20.07.2020 erhob die BF durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte vor, dass sie einen Anspruch auf gesonderte Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz habe. Der Rechtsnachteil liege darin, dass sie bei einem Aberkennungsverfahren der Bezugsperson völlig schutzlos sei. Selbst wenn argumentiert würde, dass in diesem Fall zu prüfen wäre, ob nicht aus anderen Gründen, wie sie die Bezugsperson geltend gemacht habe, Furcht vor Verfolgung gegeben sei, sei ein Beweisverfahren für die BF zur Gefahr der Genitelverstümmelung nach möglicherweise jahrelanger Verzögerung und möglicher Abwesenheit der Mutter erheblich erschwert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF trägt den Namen XXXX , geboren am XXXX in Österreich und ist Staatsangehörige von Somalia. Sie ist die Tochter von XXXX , geboren am XXXX , und lebt mit ihrer Mutter, ihrem Vater sowie ihren Geschwistern im gemeinsamen Haushalt.

Das damals zuständige Bundesasylamt erkannte der Mutter der BF mit Bescheid vom 25.06.2009, Zahl XXXX , den Status der Asylberechtigten zu. Gegen die Mutter ist kein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Die Mutter der BF ist die gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Tochter.

Der BF wurde mit Bescheid vom 18.06.2020 gem. § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status der Asylberechtigten, abgeleitet im Familienverfahren der Mutter, zuerkannt.

Dem Vater der BF, XXXX , geboren am XXXX , wurde mit Bescheid vom 16.12.2011, Zl. XXXX , der Status des subsidiär Schutzberechtigten und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Diese wurde zuletzt mit Bescheid des BFA vom 30.11.2018 bis zum 16.12.2020 verlängert.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Identität der BF bzw. ihrer Eltern ergeben sich aus den Angaben der gesetzlichen Vertreterin der BF vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren. Die Identität der BF steht auf Grund der vorgelegten Geburtsurkunde fest.

Die Feststellungen zu den Eltern der BF und deren Aufenthaltsstatus ergeben sich aus den jeweiligen Verfahrensakten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, weswegen gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vorliegt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes – BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das Bundesverwaltungsgericht.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Gem. § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

A) Zur Zurückweisung der Beschwerde

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Die BF beantragte durch ihre Mutter in der gegenständlichen Beschwerde die originäre Zuerkennung des Asylstatus und führte aus, dass sie einen Anspruch auf gesonderte Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu erkannt, dass kein Recht auf originäre Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 bestehe. Weder kenne das Gesetz einen "originären" Status des Asylberechtigten, noch spreche das Gesetz in § 34 Abs 4 AsylG 2005 davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur "abgeleiteter" Status zuzuerkennen sei. § 34 AsylG 2005 diene der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband. Sei einem Familienangehörigen - aus welchen Gründen auch immer - ohnedies der Status des Asylberechtigten zu gewähren, so könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe darüber hinaus vorgesehen, dass auch in diesem Fall eigene Fluchtgründe zu prüfen wären. Dies würde der vom Gesetzgeber ausdrücklich angeführten Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband entgegenstehen (VwGH 30.4.2018, Ra 2017/01/0418. Der Verwaltungsgerichtshof führte in seinem Erkenntnis vom 30.04.2018, Ra 2017/01/0418, dazu Folgendes aus: „Der Revisionswerber konnte im geltend gemachten "Recht auf originäre Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" gemäß § 3 AsylG (sowie auf gesonderte Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 4 AsylG) nicht verletzt werden, weil ein solches Recht aufgrund nachstehender Erwägungen nicht besteht.“)

Das Gesetz differenziert beim Status des Asylberechtigten nicht. Weder kennt das Gesetz einen "originären" Status des Asylberechtigten, noch spricht das Gesetz in § 34 Abs. 4 AsylG davon, dass im Familienverfahren ein anderer, nur "abgeleiteter" Status zuzuerkennen ist. Im Gegenteil spricht der zweite Satz des § 34 Abs. 4 AsylG ausdrücklich davon, dass "der" Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, was nur bedeuten kann, dass der Status des Asylberechtigten an sich (ohne weitere Differenzierung) zuzuerkennen ist. Im Übrigen lässt sich auch der Status-Richtlinie 2011/95/EU eine solche Differenzierung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entnehmen (vgl. insbesondere deren Art. 13) (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059).

Der VwGH führte im Erkenntnis vom 30.04.2018 zudem aus, dass „eine Differenzierung in der vorliegenden Rechtssache zunächst in der Formulierung des Spruches des angefochtenen Erkenntnisses erfolgte. Dort wurde der Status des Asylberechtigten "iVm 34 Abs. 2 AsylG " zuerkannt. Eine solche Differenzierung ist wie ausgeführt vom Gesetz nicht vorgesehen und daher rechtlich unbeachtlich.“

Sofern sich eine Differenzierung aus der Begründung des Bescheides ergibt, wo näher ausgeführt wird, dass der Status der Asylberechtigten im Familienverfahren zuerkannt wurde, muss in diesem Zusammenhand auf die Entscheidung des VwGH vom 19.01.2016, Ra 2015/01/0070, hingwiesen werden:

"Was Gegenstand eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides einer Behörde ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Spruches des Bescheides. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest. Die Bescheidbegründung spielt nur insoweit eine Rolle, als (auch) sie zu der (nach den für Gesetze maßgebenden Regeln vorzunehmenden) Auslegung (Deutung), nicht aber zur Ergänzung eines in sich unklaren Spruches heranzuziehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 2014, Zl. 2012/08/0138, mwN).“

Das Gleiche gilt im vorliegenden Zusammenhang für die Gewährung des Status des Asylberechtigten: Eine rechtskräftige Gewährung dieses Status ist als solche zu beachten. Aus welchen näheren Gründen der Status des Asylberechtigten gewährt wurde, ist jedoch Gegenstand der Begründung, die für sich keine Bindungswirkung entfaltet (VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Die BF konnte daher durch das angefochtene Erkenntnis, mit dem ihr ohnedies der Status der Asylberechtigten nach § 3 AsylG zuerkannt wurde, im geltend gemachten "Recht auf originäre Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" gemäß § 3 AsylG (sowie auf gesonderte Prüfung ihres Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 4 AsylG nicht verletzt werden. Ein solches Recht besteht nicht (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

Die Beschwerde war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, im gegenständlichen Fall erfüllt. Der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung reicht aber bei sonstigem Vorliegen der Voraussetzung des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht aus, um eine Verhandlungspflicht zu begründen (vgl. VwGH 22.11.2006, Zl. 2005/20/0406 und viele andere).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren Familienverfahren gesonderte Antragstellung Minderjährigkeit nachgeborenes Kind Unzulässigkeit der Beschwerde Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W222.2233588.1.00

Im RIS seit

01.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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